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Unions-Abgeordnete twitterten über 10-mal mehr über Rezo als über Lübcke

von | Jun 22, 2019 | Aktuelles, Analyse, Social Media

Die PRioritäten der Union

Wir erinnern uns: Vor der Europawahl ging das „Die Zerstörung der CDU“-Video von Rezo viral. Und sorgte für viel Empörung, denn die Kritik war nicht nur „zerstörend“, sie kam auch sehr gut an. Auch der Umgang mit der Kritik ließ sehr zu Wünschen übrig. So wurde Rezo von der CDU vorgeworfen, „reißerisch präsentierte Fake News“ geliefert zu haben oder „Pseudofakten“. Wir haben berichtet:

Diffamierungen, keine Argumente: So unsachlich reagieren CDU & Co auf das Rezo-Video

Dabei stand er in Sachen Fakten sogar ziemlich gut da. Gut überprüfbar in 13 Seiten Quellenangaben hat er seine Meinung belegt. Mindestens beim Thema Klima geben ihm Experten vollkommen Recht (Mehr dazu), das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung soll laut „der Lage der Nation“ auch keine Fehler gefunden haben und die PDF-Antwort der CDU war ebenfalls zu bemängeln (Mehr dazu).

Fest steht auf jeden Fall: In CDU-Kreisen gab es viel Wirbel und es wurde viel darüber geredet. Die Parteivorsitzende sprach sogar davon, (nicht existierende) Regeln aus dem analogen Bereich anzuwenden, um derartige Video zu unterbinden (Mehr dazu). Teilweise beschäftigt das Thema CDU-Politiker noch heute, wie Rezo auf Twitter berichtet (Mehr dazu).



… das attentat auf lübcke

Dass die Reputation einer Partei durchaus viel Aufregung wert ist, ist verständlich. Man möchte aber meinen, dass es weitaus schlimmer sei, wenn Mitglieder dieser Partei ermordet werden. Am 2. Juni diesen Jahres wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet. Als dringend tatverdächtig gilt ein mehrfach vorbestrafter Neonazi, die Staatsanwaltschaft geht von von einer rechtsextremistisch motivierten Tat aus. Also: Es sieht so, als hätte es ein rechtsextremes Attentat sei auf einen CDU-Politiker gegeben.

Es wurde viel Kritik geäußert, dass die Öffentlichkeit und insbesondere die CDU sich zu diesem Vorfall zu wenig bis gar nicht geäußert haben.

Erst nach Kritik hat Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer sich dazu geäußert, dass ein Mitglied ihrer Partei ermordet wurde. Und dann aber deutlich die vorausgegangene entmenschlichende Hetze verurteilt. Und auch der AfD eine Mitschuld gegeben (Quelle). Doch das Gefühl bleibt zurück, dass sich die Union mehr über ein Youtube-Video empört hatte als über einen Mord.

Die Datenanalyse

Doch weil wir nicht nur mit Bauchgefühlen arbeiten wollen haben wir uns alle (die jüngsten 3200) Tweets (und Retweets) von Bundestagsabgeordneten zusammengesucht und sie nach den Schlagworten „Rezo“ und „Lübcke/Luebcke“ durchsucht und die Anzahl der Tweets verglichen. Hierbei ist zu beachten, dass durchaus einige Tweets nicht berücksichtigt sein könnten, wenn ihnen die jeweiligen Begriffe fehlen. Außerdem ist das Rezo-Video natürlich zwei Wochen älter als der Mord und kann dementsprechend öfter behandelt worden sein.

Dennoch fällt die massive Diskrepanz der Reaktionen zu den beiden Themen auf. Zu Rezo twitterten CDU (und CSU) Abgeordnete über 13-mal so oft (358 vs. 26), und mehr als doppelt so viele Abgeordnete äußerten sich auf Twitter dazu. Zum Vergleich das Tweet-Verhalten aller Bundestagsabgeordneten:

Nur die Grünen, Linken und AfD haben sich zu beiden Themen einigermaßen gleich oft geäußert, die AfD dabei jedoch zu beiden Themen kaum. Natürlich darf man nicht vergessen, dass sich auch Nicht-Bundestagsabgeordnete zu beiden Themen geäußert haben und das nicht nur auf Twitter, sondern auch in diversen anderen Medien. Doch das trifft natürlich auf beide Themen zu und lässt sich viel schwerer vollständig quantifizieren. Es bleibt zu bezweifeln, dass sich trotz aller dieser Vorbehalte das Verhältnis stark ändern würde. Und erst Recht nicht umkehren.

„Zerstörung“ schlimmer als Mord?

Es ist natürlich keine vollumfassende Analyse, die CDU muss sich aber dennoch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mehr über ein Youtube-Video spricht als über den Mord an einem ihrer Mitglieder, welcher gar wahrscheinlich rechtsextremistisch motiviert war. Die allgemeine Berichterstattung muss sich eine ähnliche Kritik gefallen lassen, wie andere Analysen von uns zeigen (Mehr dazu).

Es ist merkwürdig, wenn ein virales Youtube-Video mehr Aufregung in der Bundesrepublik erzeugen kann als ein politischer Mord. Es steht zu befürchten (und wird von vielen so kritisiert), dass rechtsextremer Terror (Mehr dazu) gewaltig von Politik, Sicherheitsbehörden und den Medien unterschätzt und teilweise verharmlost wird. Und wohl auch von der CDU. Selbst wenn sie selbst hier sogar das Opfer wurde.

Datenanalyse: Philip Kreißel. Artikelbild: Andrei Korzhyts, shutterstock.com/Volksverpetzer