26.760

Faktencheck #Merzlügt: Merz verbreitet Fake News über die Grünen

von | Aug 8, 2021 | Faktencheck

#Merzlügt über die Grünen

In diesem Wahlkampf wurde viel über parteipolitische Unwichtigkeiten gesprochen, wie Unstimmigkeiten in Lebensläufen oder nicht saubere Zitate bei Laschet wie Baerbock gleichermaßen. Schlimmer für Menschen, die sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Problemen unserer Zeit wünschen, sind allerdings Lügen und Populismus. Während in Zeiten des Wahlkampfs von allen Seiten gerne übertrieben wird und man sich selbst besser und schlechter darstellt, wird besonders gegen die Grünen überproportional viel Hass und Lügen verbreitet. Und zwar nicht nur von den üblichen Verdächtigen wie AfD und Co, sondern auch von Teilen der Union.

Grüne wollen „Deutschland“ BEIBEHALTEN: Absurde Fake-Kampagne der Union

Friedrich Merz, der gegen Laschet im Kampf um den Parteivorsitz unterlag, und des Öfteren mit falschen oder rechtspopulistischen Einlagen negativ aufgefallen ist, scheint auch in diesem Wahlkampf mehr darauf abzuzielen, möglichst große Empörung über die Grünen zu erzeugen, als ein Interesse daran zu haben, bei der Wahrheit zu bleiben. In mehreren Tweets verbreitete er mehrere unbelegte und frei erfundene Anschuldigungen über die Grünen. Die Grünen sprechen von „Lügen“, „an den Haaren herbeigezogen“ und ihn als „deutschen Trump“.

Fake News über Klimaministerium, Einwanderungsministerium und Gender-Sprache

In zwei Tweets verbreitet Friedrich Merz – bzw sein Team in seinem Namen – gleich drei Fake News über die Grünen. Achtung: Diese Anschuldigungen in den Tweets sind frei erfunden. Wir gehen die drei Fakes der Reihe nach durch.

Fake 1: Klimaministerium Veto-Recht hat auch zB das Finanzministerium

Was die Grünen wirklich vorgeschlagen haben: Sie würden gern ein „Klimaschutzministerium“ einrichten. Genau wie es bereits längst z.B. für das Finanzministerium üblich ist, würden die Grünen ein Vetorecht in Bezug auf Gesetze einrichten, die dem von Deutschland unterzeichneten Pariser Klimaabkommen zuwiderliefen. Bei Gesetzesentwürfen, die von anderen Ministerium kommen, könnte das Klimaschutzministerium bei Verstoß gegen deutsche Verpflichtungen im Klimaschutz ein Veto einlegen, genau wie es das Finanzministerium bei „überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben“ (Art 112 GG) der Fall ist (Quelle).

Merz behauptet stattdessen, die Grünen würden „sämtliche Gesetzesvorhaben blockieren, die nach seiner persönlichen Einschätzung dem Klimaschutz zuwiderlaufen.“

Das ist natürlich eine bewusst falsche Darstellung der Realität. Weder würden die grünen „sämtliche“ Gesetzesvorhaben blockieren können – es geht nur um andere Ministerien, nicht das Parlament – noch würde es sich um die „persönliche Einschätzung“ des Klimaschuztzministers halten, sondern natürlich um eine Prüfung mit der Vereinbarkeit eines internationalen Abkommens, zu dem sich Deutschland verpflichtet hat. Merz schmückt hier den tatsächlichen Vorschlag mit Unwahrheiten aus, um sie absurder und empörenswerter erscheinen zu lassen.

Fake 2: Frei Erfundene Ziele eines Einwanderungsministeriums

Die Grünen wollen tatsächlich Themen wie Teilhabe oder Gleichberechtigung in einem eigenen Ministerium bündeln. Im Wahlprogramm heißt es: „Dazu werden wir die Aufgaben zur Einwanderungsgesellschaft aus dem Innenministerium herauslösen.“ Behauptungen über die Ziele, wie von Merz formuliert stehen da allerdings nicht drin.

„Ein grünes ‚Einwanderungsministerium‘ soll möglichst viele Einwanderer unabhängig von ihrer Integrationsfähigkeit nach Deutschland einladen,“ behauptet Merz völlig ohne Belege.

Das hat er sich selbst ausgedacht. Der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sagte dem Redaktions­Netzwerk Deutschland das Ganze sei „ziemlich an den Haaren herbeigezogen“ (Quelle). Weiter erklärte Kellner: „Ich würde mir von Friedrich Merz wünschen, dass er es mal mit eigenen Vorschlägen probiert – dann streiten wir gern darüber.“

Fake 3: Konservative reden mehr über Gender-Sprache als die Grünen

Möglicherweise hat auch hier Merz eine reale Forderung der Grünen bis zur Unkenntlichkeit entstellt und möglichst absurd formuliert, um mit der künstlich erzeugten Wut, Wahlkampf zu machen. Baerbock schlug vor einer Woche vor, in Zukunft in Gesetzestexten darauf zu achten, männliche und weibliche Formen zu nutzen. Sie erklärte im Tagesspiegel:

„Sprache verändert sich – heute reden wir zum Beispiel eher von ‚Ärztinnen und Ärzten‘ und nicht nur von ‚Ärzten‘, weil sonst im Kopf nur das Bild eines Mannes auftaucht“, sagte die Kanzlerkandidatin. „So ist es auch in vielen anderen Bereichen. Wenn ich weiß, dass bestimmte Begriffe einzelne Personen oder Gruppen verletzen, dann sollte man versuchen, die Dinge anders auszudrücken, aus Respekt.“

Möglicherweise daraus fantasierte Merz und sein Team den Vorwurf, „Gender-Sprache“ solle „uns allen aufgezwungen und das Land überzogen werden mit neuen Verhaltensregeln, Steuern und Abgaben“. Es ist eine Methode, die es Lügner:innen und Hetzer:innen wie Trump oder die AfD bereits regelmäßig nutzen – und dafür zu Recht von allen Demokrat:innen verachtet werden. Man nimmt Ansätze der politischen Gegner:innen, überspitzt sie bis zur Unkenntlichkeit und schmückt sie mit Unwahrheiten aus, um sie möglichst absurd und totalitär darzustellen. Was soll „neuen Verhaltensregeln, Steuern und Abgaben“ überhaupt heißen und sich auf was beziehen? Gilt das nicht für absolut jede Regierung, ist das nicht buchstäblich die Aufgabe des Parlaments? Bezieht sich das noch auf Gendern? Diese Ambiguität ist wohl gewollt.

Kostenschub? Staat und Bürger:innen hätten mit Grünen mehr geld als mit der CDU

Mit der grünen Partei an der Regierung „käme ein Kosten- und Bürokratieschub über uns, wie ihn das Land noch nie gesehen hat.“ Laut einer Studie der ZEW würden Pläne der Union mit -33 Mrd € eine große Lücke in den Staatshaushalt reißen. Bei den Grünen würde es ein Plus von 18 Mrd € geben, während gleichzeitig vor allem die Gering- und Mittelverdiener:innen mehr von den Steuerplänen der Grünen profitieren würden.

Merz wird dafür jetzt auch heftig kritisiert. Denn so wichtig ist das Gendern für die Grünen oder Feminist:innen gar nicht, wie es teilweise dargestellt wird.

„Entgleisung“ „kein Zufall, sondern Strategie“

Dass sich Merz (möglicherweise) auf reale Forderungen der Grünen bezieht, macht seine Fake News über die politischen Gegner:innen nicht entschuldbar. Umgekehrt empört sich die CDU schließlich auch, wenn ihr vorgeworfen wird, gar keinen Klimaschutz zu wollen. Grüne Politiker:innen kritisieren das als Strategie.

Auch die FDP äußert Kritik an Merz,

Andere müssen einfach feststellen, dass Merz Lügen verbreitet.

Einpeitschen der eigenen Fans – da ist die Wahrheit nicht so wichtig

Warum Merz einfach dreist diese Unwahrheiten verbreitet? Ein Hinweis ist der Hashtag #MerzMail. Es ist der Hashtag zum Verteiler bzw. Newsletter von Merz‘ Wahlkampfteam. Es ist keine Äußerung im politischen Wahlkampf, die Aufforderung der Grünen, Merz solle doch echte Vorschläge kritisieren, damit man im konstruktiven Austausch darüber stehen kann, geht leider daneben. Denn offenbar haben diese Falschdarstellungen gar nicht den Zweck, politische Gegner:innen zu kritisieren, sondern stattdessen die eigenen Anhängerschaft zu mobilisieren.

Nach neuesten Wahlumfragen, in der die Union wieder etwas an Stärke verliert, versucht Merz, seine Anhänger:innen zu motivieren. Es ist eine bekannte Wahlkampf-Weisheit das nichts mehr Engagement erhält als Empörung und Wut – weshalb die Abwahl Trumps zum Beispiel zu Rekordstimmenabgaben in den USA führte (Quelle) – und nichts leichter diese Wut erzeugt als Wut über den politischen Gegner. Ein Vorschlag. von „Ärzten und Ärztinnen“ in Gesetzestexten zu schreiben oder ein neues Ministerium mit Vetorechten für die Einhaltung von Verpflichtungen wie es bereits andere Ministerien haben, ist zu technisch und zu vernünftig, um sich darüber aufzuregen. Deshalb wird das mit Lügen überspitzt und skandalisiert. Es ist ein Einpeitschen der eigenen Fans – deswegen ist es wohl egal, dass es nicht stimmt.

Die viel wichtigere Frage ist jedoch, wie Kanzlerkandidat Laschet und die restliche CDU dazu steht. Schließlich regt sie sich (zu Recht) darüber auf, wenn andere genuschelte Aussagen falsch verstehen. Glatte Unwahrheiten sind da allerdings noch mal ein anderes Kaliber.

Zum Thema:

Laschet sagte im Interview nicht „junge Frau“ – Debatte lenkt vom Inhalt ab

Artikelbild: Michael Kappeler/dpa

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.