260

Warum ich als Umweltschützer für Gentechnik bin

von | Mrz 16, 2018 | Aktuelles

Als UmweltschützerIn muss man ja, so die Annahmen, eigentlich gegen Gentechnik sein. Umso überraschter sind dann die Leute, wenn man sagt, dass man damit überhaupt kein Problem hat. Ich sehe darin sogar die Lösung für viele Probleme.

Es kommen dann oft die üblichen Schlagworte: Diese sei nicht natürlich, ein Eingriff in die Natur, gerade als Umweltschützer müsse man doch… oder ähnliches.

„Bayer möchte Monsanto für 68 Milliarden kaufen – Jetzt kann also die gleiche Firma, die krebserregende Stoffe auf unserem Essen verteilt uns die teuren Medikamente für die Krebstherapie verkaufen.“
Beispiel für so ein Meme: „Bayer möchte Monsanto für 68 Milliarden kaufen – Jetzt kann also die gleiche Firma, die krebserregende Stoffe auf unserem Essen verteilt uns die teuren Medikamente für die Krebstherapie verkaufen.“

Anstatt sich kritisch mit der Gentechnik und ihrem Wirken zu befassen und mit dem, was diese tut, bevorzugt man ein diffuses Gruseln, welches sich auch in der derzeitigen Debatte um die Übernahme von Monsanto durch Bayer zeigt: Selbst durchaus emanzipierte, kritische Geister sehen den Satan erwachen. Zusammengedampft werden die eigenen Ängste dann in Bildern, in denen unterstellt wird, Monsanto wollte uns mit Krebs infizieren, damit Bayer Krebsmedikamente an uns verkaufen könne. Kapitalismuskritik light trifft auf Angst vor Gentechnik und Chemiekonzernen und ein sehr naives-verklärendes Verständnis von Natur.

Dass Bayer und Monsanto keine Heiligen sind sollte klar sein, genau so wenig sind sie aber das personifizierte Böse. Sie sind Unternehmen, die Profit machen wollen. Das tun sie auch mit fragwürdigen Mitteln, die zu kritisieren sind. Solche Bilder stellen jedoch keine sachliche Kritik dar. Man wundert sich, wie es möglich ist, dass Menschen, die gern über besorgte Bürger lächeln, selbst auf so einfache Erklärungsmuster zurückgreifen. Groteskerweise sollen Monsantoprodukte laut einer aktuellen Studie sogar Krebszellen abtöten können. >Allerdings ist diese dann natürlich gefälscht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Doch soll es hier nicht weiter um diese Firmen gehen, sondern um deren Produkte. Und das sind Pflanzen die gentechnisch verändert sind und Menschen offenbar Angst machen. Aber wie berechtigt sind diese Ängste eigentlich?

Was ist Gentechnik eigentlich

Gentechnik beschreibt letztendlich nichts Anderes als gezielte Eingriffe in das Erbgut. Hierbei wird das Erbgut neu zusammengesetzt oder verändert. Sie kommt in unterschiedlichen Industrien zum Einsatz, sei es in der Medizin oder eben auch in der Agrarwirtschaft.

In der Agrarwirtschaft werden Pflanzen verändert, um deren Eigenschaften zu verbessern oder ihnen neue Eigenschaften zu geben. Genau das ist es, was auch in der Züchtung neuer Arten geschieht. Als Zucht wird in der Biologie die kontrollierte Fortpflanzung mit dem Ziel der genetischen Umformung bezeichnet. Dabei sollen gewünschte Eigenschaften verstärkt und unerwünschte Eigenschaften durch entsprechende Zuchtauslese zum Verschwinden gebracht werden.

Eine Kulturtechnik, derer sich Menschen seit Jahrhunderten bedienen: Alle Lebensmittel, die wir täglich konsumieren haben daher mit ihren natürlichen Vorfahren wenig gemein. Züchtung war auch durchaus sinnvoll, da man so z.B. widerstandsfähigere oder ertragreichere Sorten bekam und Nahrungsknappheit vorbeugen konnte. Selbst Biolebensmittel sind durch Züchtungen verändert. Sie sind gezüchtete Kulturprodukte, keine Naturprodukte.

Wir konsumieren kein einziges Produkt, das nicht gentechnisch verändert ist. Das gilt auch für Bioprodukte

Dass Gentechnik nichts Anderes tut, als Züchtungsprozesse zu simulieren und diese unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen scheint wenigen bewusst zu sein. Die Gentechnik hat im Gegensatz zur Züchtung zwei entscheidende Vorteile: Sie kann Mutationen gezielt hervorbringen und man weiß, welche Bestandteile verändert werden. Züchtungsprozesse sind im hohen Maße dem Zufall überlassen – und es bleibt unklar, welche Genmutationen aufgetreten sind.

Im Grunde ist Gentechnik also nichts fundamental Anderes als das, was wir ohnehin schon seit langer Zeit machen. Während aber Produkte, die durch einen dem Zufall überlassenen Prozess hervorgebracht wurden überall verkauft werden dürfen, unterliegen Produkte, bei denen man weiß, was passiert ist und deren Eigenschaften man kennt, strengen Vorschriften. Dieser Argumentation folgt Florian Eigner, der dazu sagte: „Wir messen hier mit unterschiedlichem Maß, und das ist auf jeden Fall irrational.“ Gentechnik gibt es mittlerweile seit vielen Jahren, gesundheitliche Schäden durch sie konnten nie nachgewiesen werden.

Vorteile der Gentechnik:

Man kann diverse Beispiele nennen, die zeigen, wie nützlich Gentechnik sein kann: Viele Menschen haben Lebensmittelallergien – und es ist inzwischen möglich, die allergieauslösenden Stoffe aus Pflanzen zu entfernen. Wie vielen Menschen dadurch geholfen werden könnte sollte eindeutig sein.

Wichtiger aber ist das Golden Rice Projekt: Hierbei wurde Reis so verändert, dass sein Vitamin A Gehalt erhöht wurde. Dadurch kann Menschen in Regionen, die von Mangelernährung betroffen sind geholfen werden. Die Rechte hält übrigens kein Unternehmen, sondern eine Menschenrechtsorganisation. Besser geht es kaum.

Doch hier sollte es nicht stehen bleiben: Wenn Pflanzen so modifiziert werden können, dass sie auf Böden wachsen können, die nährstoffarm oder robust bei extremen Klima sind sollte dies als Vorteil angesehen werden. Wer dagegen Gentechnik in der Landwirtschaft kategorisch ablehnt, wie es zum Beispiel auch Greenpeace oder die Grünen tun, der macht sich letztendlich mitverantwortlich dafür, dass man Möglichkeiten, den Welthunger zu bekämpfen nicht nutzt.

„Wir können aber theoretisch alle Menschen ernähren – auch ohne Gentechnik“

Das sagt sogar die UN, warum also Gott spielen? Immerhin wird doch fast die Hälfte aller Nahrungsmittel weggeworfen. Die UN geht jedoch auch weiter und stellt fest:

„Probleme gibt es jedoch hinsichtlich der Effizienz, Nachhaltigkeit und der Gerechtigkeit beim Anbau und der Verteilung von Nahrungsmitteln. Dies bedeutet, dass man Kleinbauern, die den Großteil der Bauern in Entwicklungsländern ausmachen, unterstützen muss und sicherstellen muss, dass sie einen gerechten Zugang zum Markt erhalten, sowie nachhaltige Landwirtschaft betreiben.“

Das zeigt zwei Dinge: Zum einen müsste der produzierte Nahrungsüberschuss erst in die entsprechenden Länder transportiert werden, was lange Transportwege bedeutet, die wiederum umweltschädlich sind. Zudem zwingt man dadurch Regionen zum Import von Nahrungsmitteln.

Was das bedeutet, kann man schon heute sehen: Dass die Überflussproduktion der EU afrikanische Märkte zerstört ist längst nichts Neues. Das heißt: Wenn wir alle Menschen mit der derzeitigen Nahrung satt machen wollen, heißt dies, dass es zu neuen Abhängigkeiten kommt: Länder mit zu geringer Nahrungsproduktion werden an den Tropf der Länder gehängt, die mehr produzieren, anstatt diesen Ländern die Möglichkeit zu geben sich selbst zu entwickeln – und zwar mit Pflanzen, die durch Gentechnik die Voraussetzungen mitbringen auch in ihren Regionen zu gedeihen.

Dass dies gern übersehen wird liegt oft an der Bioverliebtheit der Deutschen: Dabei ist Biolandwirtschaft ein Luxus, den man sich leisten können muss. Und das kann man nur, wenn man in gemäßigtem Klima lebt und die Böden reichlich Nahrung hergeben.

Diesen Luxus aber haben viele Regionen der Welt nicht. Zudem ist fraglich, ob eine ökologische Landwirtschaft die ganze Welt ernähren kann. Stattdessen wird dann mit Natürlichkeit und Ursprünglichkeit argumentiert, einem Kitsch, der schlimmer nicht sein kann.

Warum nicht alles gut ist, was natürlich ist

Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ist die Unterscheidung von Kultur und Natur vor allem eine europäische, die in anderen Kulturen so nicht existiert. Oft geschah diese Grenzziehung willkürlich und eine Definition von Natur bleibt genauso willkürlich. Die Behauptung etwas sei unnatürlich oder nicht greift also ins Leere. Es liegt ein naturalistischer Fehlschluss vor, der von der Natürlichkeit der Prämissen auf die Richtigkeit der Folgerung geschlossen wird.

Rizin ist ein natürliches Pflanzenprotein und unglaublich tödlich. Künstliches Insulin rettet Millionen Diabetikern das Leben. Ob etwas „natürlich“ ist sagt nichts darüber aus, ob es gut ist

Natürlichkeit wird damit zu einer Formel ohne Inhalt, einem ideologischem Konstrukt: Die gute Natur, die durch die böse Kultur zerstört wird. Dabei diente die Grenzziehung ursprünglich der Abgrenzung des Kultivierten und Zivilisierten vom Wilden und Rohen. Die Bedeutung wurde somit verkehrt.

Heute nimmt man als natürlich Dinge an, die ursprünglich sind und nicht durch Kultur zerstört wurden. Die Unnatürlichkeit, dass Menschen heute 80 Jahre alt werden, Kinder mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ihr erstes Lebensjahr überleben, dass du diesen Artikel gerade im Internet an einem Computer oder Smartphone liest usw. – all das sind Dinge an die wir uns gewöhnt haben und gut finden. Natürlich soll es also nur sein, wenn es einem gerade selber gut passt.

Zudem wird angenommen, Gentechnik würde zu Monokulturen führen. Im Einzelnen mag dies stimmen, jedoch gibt es reichlich Gegenbeispiele, wie bei Tomaten, bei denen alte Sorten wieder zum Leben erweckt werden. Die gewünschte Natur kommt also zurück durch das, was man selber für Teufelswerk hält. Ironie des Schicksals, aber damit sind wir noch nicht am Ende des Abgrundes.

Retortenfleisch

Nicht direkt ein Produkt der Gentechnologie, sondern eines der Biotechnologie, zu der auch die Gentechnik zählt ist das Retortenfleisch. Natürlich auch komplett unnatürlich und laut KritikerInnen der Gentechnik abzulehnen. Hierbei wird aus Muskelgewebe, dass man außerhalb des Körpers züchtet, Fleisch hergestellt. Die dafür notwendigen Zellen können, völlig ohne Leid und Schmerz zu verursachen gewonnen werden – was es theoretisch auch für VeganerInnen, die aus ethischen Gründen kein Fleisch essen interessant machen könnte.

Auch hier gibt es aber Bedenken, die sind wiederum diffus sind und werden mit der „Unnatürlichkeit“ des Retortenfleisches begründet.

Man sieht die Tatsache, dass ein Lebewesen erst gezeugt, geboren, meist unter katastrophalen Bedingungen, aufgezogen und dann umgebracht wird, und all das unter einem völlig unverhältnismäßigen Aufwand von Ressourcen, als besser an, als eine Alternative, die ressourcensparender ist und kein Leid erzeugt. Das wirkt bei genauerer Betrachtung unfreiwillig komisch, fast so, als würde man nun Vulkanausbrüche gut finden, weil diese natürlich seien und Windräder ablehnen, weil diese in der Natur nicht vorkommen.

Fleisch von getöteten Tieren bringt nicht nur Leid über die, die zur Gewinnung dessen umgebracht wurden, es führt auch beim Menschen durch den Klimawandel und durch die Fütterung von Tieren mit Pflanzen, die Menschen auch konsumieren könnten zum Welthunger und damit zu unnötigem Leid. (Es wird viel mehr Essen an Tiere verfüttert als man am Ende in Form tierischer Produkte herausbekommt)  Retortenfleisch hat diese Nachteile nicht und wird sogar als Chance gesehen, dem Welthunger entgegen zu treten. Es wird aber abgelehnt, weil es unnatürlich ist.

Ideologie statt Argumente

Es wird auch erkennbar, wie tief die Ideologie der NatürlichkeitsverfechterInnen geht: Anstatt das Ziel – die Vermeidung von unnötigem Leid und der Sicherstellung von Nahrungsmittelsicherheit für alle Menschen – in den Blick zu nehmen wird von einer eingebildeten Natürlichkeit her argumentiert, die so nicht existiert, geschweige denn von ihren AnhängerInnen plausibel definiert werden kann. Damit erklärt sich dann auch, warum diese irritiert sind, wenn ich als Veganer Retortenfleisch gut finde, echtes aber nicht – und gleichzeitig „unnatürliche“ Fleischersatzprodukte konsumiere.

Wer der Umwelt, den Menschen und auch den Tieren etwas Gutes tun will – Und seien wir ehrlich, wenn man sich die Zustände in der Massentierhaltung ansieht und auch den Zustand unseres Klimas, dann müssen wir das auch – der sollte nicht einem Naturalistischem Fehlschluss erliegen und lieber die Vor- und Nachteile der Gentechnik betrachten, anstatt in einen besorgten Bürger-Modus zu wechseln und ungeprüft alles zu verteufeln. Denn die Gentechnik bietet der Menschheit eine echte Chance, die nicht ungenutzt bleiben sollte. Und das sage ich als Umweltschützer.

Artikelbild: pixabay.com, CC0