#AllLivesMatter ist gefährlich
Wer auf #BlackLivesMatter mit #AllLivesMatter antwortet, hat das grundlegende Problem leider nicht verstanden. Mehr noch, wer den Hashtag #AllLivesMatter benutzt, ist entweder bewusst oder unbewusst Teil des Problems.
Wenn es keinen strukturellen Rassismus gegen Black People of Colour gäbe, dann müsste man ein solches Motto nicht nutzen. Ich selbst habe braune Hautfarbe, bin ein Deutscher mit asiatischen Wurzeln, aber ich bin nicht Schwarz*. Ich schreibe diese Worte aus Solidarität für meine Schwarzen Mitbürger*innen, die in ihrem Leben weitaus schlimmerem Rassismus ausgesetzt sind, als ich ihn je nachempfinden könnte. Man kann keine Diskriminierung mit dem Alltagsrassismus vergleichen, den Schwarze in ihrem Alltag durchleben müssen.
(Diese ersten Worte sind inspiriert von Anisa Amanis’ Demo-Rede, die ihr euch hier im Ganzen anschauen könnt)
Und um eines mal in aller Deutlichkeit zu sagen: Gerade wir hier in Deutschland müssen die Vorreiter*innen sein, wenn es darum geht, Rassismus zu bekämpfen. Wir tragen historische Verantwortung. Wenn es für mich eine Sache gibt, die uns als „Deutsche“ ausmachen sollte, dann, dass wir alles in unserer Macht stehende tun müssen, um Rassismus zu bekämpfen. Das ist zumindest das, was ich in Bezug auf Deutschsein fühle und lebe.
Aber ordnen wir alles erstmal kurz ein:
Was ist #BlackLivesMatter eigentlich?
Betrachten wir zunächst den Slogan „Black Lives Matter“. Dies ist eine allumfassende Aussage, die bedeuten soll, dass Schwarze Leben wichtig sind und dass das Leben von Schwarzen anfangen muss, wichtig zu werden. Es impliziert also schon, dass es derzeit einen Unterschied geben muss, zwischen Schwarzsein und allen anderen.
Aber es geht nicht darum, dass nur Schwarze Leben wichtig sind. Da steht nicht „Only Black Lives Matter“ (so wie es Rassist*innenen mit „White Lives Matter“ nutzen). Es heißt: Black Lives Matter TOO. Sie sind AUCH wichtig. Man versteht darunter auch, dass weißes Leben derzeit wichtiger ist, das wird nämlich kritisiert. In allen Aspekten des westlichen Lebens sind Weiße die Regel. Weiße Leben werden oft als erstes und oft als einziges Leben betrachtet. „Weiß“ ist der Standard. Unsere gesamte Gesellschaftsstruktur ist darauf ausgerichtet, dass Weißsein die Regel ist.
Die Behauptung #AllLivesMatter, „Alles Leben zählt“, bestätigt diese Realität aber nur noch einmal. Natürlich ist jedes Leben wertvoll, darin sind wir uns ja alle einig. Das ist aber nicht die Realität derzeit. Nicht das Leben aller Menschen ist aufgrund ihrer Hautfarbe in Gefahr. Es gibt nicht unverhältnismäßig viele unbewaffnete Weiße, die von der Polizei bedroht werden, wie es zum Beispiel in den USA der Fall ist. Wenn du weiß bist, wirst du in der Regel nicht grundlos von der Polizei durchleuchtet. Wenn du Schwarz bist, schon, einfach wegen der Hautfarbe.
#AllLivesMatter ist natürlich das, was wir alle wollen, die Utopie. Aber nicht die Realität, die kritisiert wird. Und wenn du diesen Hashtag nutzt, dann tust du indirekt so, als sei es bereits Realität. Und das bedeutet, dass du Rassismus leugnest.
#AllLivesMatter
Aus diesem Grund ist „#AllLivesMatter“ anstößig und kontraproduktiv. Es schmälert und vermindert den Fokus auf die Gewalt und Diskriminierung, der BPoCs tagtäglich ausgesetzt sind. Wenn du dir den linken Zeigefinger gebrochen hast, besteht die Antwort darin, mit dem Arzt über die Behandlung des gebrochenen Fingers zu sprechen. Dieses Gespräch ist nicht respektlos gegenüber den anderen Fingern, die nicht gebrochen sind. „Alle Finger sind wichtig“ hilft halt nicht dem, der gebrochen ist. Es brauchen nicht alle Finger einen Gips.
Denk über dieses Gedankenexperiment nach: Stell dir vor, du würdest über die Gefahren von Brustkrebs sprechen wollen. Und dann kommen einige Leute daher und meinen, man solle lieber über alle Krebsarten sprechen. Das hilft doch Brustkrebspatient*innen nicht. Wenn man über Brustkrebs spricht, nimmt das nicht die berechtigte Besorgnis über andere Krebsarten weg. Oder stell dir vor, ein Haus in der Nachbarschaft brennt und du fragst nach Hilfe und dein Nachbar sagt, „alle Häuser sind wichtig“ und verlangt, dass sein Haus auch gelöscht wird, obwohl es gar nicht brennt.
Dieser Hashtag torpediert das Engagement gegen Rassismus
So wird „All Lives Matter“ von Menschen aufgenommen, die die „Black Lives Matter“-Bewegung ins Leben gerufen haben. Man fühlt sich verarscht.
Der Tod von George Floyd hat etwas in den USA aufgeweckt, was schon lange unter der Decke des alltäglichen Rassismus gegen BPoC geschlummert hat. Der Mord an ihm ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch nach all dem Schmerz und der Trauer, die die Bilder seiner Ermordung verursacht haben, entstand auch ein Funke der Hoffnung, der sich wie ein Flächenbrand über die USA ausgebreitet hat. No Justice, No Peace. Keine Gerechtigkeit. Kein Frieden.
Der Funke, endlich den strukturellen Rassismus zu bekämpfen, ist nicht nur in den USA entfacht, sondern hat sich in der ganzen Welt ausgebreitet. Bis zu uns. Rassismus ist auch in Deutschland noch existent, wenn auch hier die Situation anders ist. Aber nur weil manche wegsehen und davon nichts mitbekommen, bedeutet das nicht, dass es ihn nicht gibt. Dieser Instagram Account zeigt zum Beispiel die vielen Fälle rassistisch motivierter Morde seit 1990:
https://www.instagram.com/p/CBL0YD1D1u-/
Genau deshalb nutzen Rechtsextreme und Rassist*innen den Hashtag!
Es geht JETZT darum, Rassismus zu bekämpfen. Diejenigen, die jetzt mit #AllLivesMatter daher kommen, tun so, als ob es keinen Rassismus (mehr) gäbe. Um es klar zu sagen: Ich weiß, dass das nicht die Absicht vieler ist, aber das Ergebnis ist, dass ihr damit dem Kampf gegen Rassismus schadet. Eine Antwort, die dann oft kommt: „Alle Leben sind mir wichtig, weil ich keine Rasse sehe.“ Herzlichen Glückwunsch. Aber das ist ein Privileg. PoC werden täglich an ihre Hautfarbe erinnert. Und sie werden täglich daran erinnert, dass ihre Hautfarbe weniger wert sein soll.
Nicht alle, die den Hashtag verwenden, werden deshalb gleich zu Rassist*innen, das will ich hier deutlich klar stellen. Aber ihr helft den Rassist*innen, die diesen Hashtag erfunden haben und die ihn mit voller Absicht nutzen, um Rassismus zu leugnen und den Protest der Betroffenen unsichtbar zu machen. Es hilft weißen Rassist*innen, den Protest gegen Rassismus abzulehnen und dabei so zu tun, als ob es keinen Rassismus gäbe.
Wenn schon die in großen Teilen rechtsextreme AfD prominent diesen Spruch bringt, sollte man definitiv skeptisch werden. Und vielleicht aufhören, diesen Spruch zu nutzen.
Fazit:
*In diesem Artikel wurde das Adjektiv „schwarz“, wenn es Black People of Colour bezeichnet, groß geschrieben. Wir folgen hier der Selbstbezichnung deutschsprachiger Schwarzer PoC.