In letzter Zeit zeichnet sich zweifelsohne in Deutschland ein deutlicher Rechtsruck ab. Das ist natürlich ein internationaler Trend und hat weit weniger mit der gescheiterten Ampel-Regierung zu tun, als verkürzte, nationale Analysen oft behaupten. Aber es gibt Analysen zufolge immer mehr Menschen mit rechtsextremem Weltbild, und sogar die anfangs als progressiv gepriesene Bundesregierung beschloss weitere Asylverschärfungen und Grenzkontrollen, wie es sie vor wenigen Jahren sogar für eine CDU-Regierung unter viel widrigeren Umständen undenkbar waren. Viele Politiker, die diesen Rechtsruck aktiv vollziehen, rechtfertigen diesen mit Umfragewerten, dem scheinbaren Wählerwillen oder auch ganz populistisch dem “Volk”. Doch es ist genau andersherum: Dieser Rechtsruck kommt von oben.
Populismus wird Mainstream
Vielmehr sind es führende Politiker in demokratischen Parteien und demokratische Medien, die diesen Kurs vorgeben und dadurch die deutsche politische Landschaft in eine rechte Richtung lenken. Dass die Zustimmung für die rechtsextreme AfD oder der Wunsch nach einer rechtsgerichteten Diktatur (wünschen sich 6,6 % der Deutschen!) steigt, ist kein Naturgesetz. 2017 waren noch mehr Menschen für ein “Verbrennerverbot” als dagegen (das kein richtiges Verbrennerverbot ist übrigens), auch Söder hatte es 2007 gefordert. Als die Merkel-Regierung 2020 das Heizgesetz einführte, wonach man ab 2026 keine neuen Heizölkessel mehr einbauen dürfe, hat das nicht einmal irgendjemand groß mitbekommen. Als Habeck etwas Ähnliches (mit Technologieoffenheit) wie aus dem Koalitionsvertrag umsetzen wollte, wurde das nach einer beispiellosen Diffamierungskampagne zum unbeliebtesten Gesetz der Regierung.
Die Bevölkerung ist nicht so Rechts wie der Diskurs
Entgegen dem, was vielen Menschen von Politikern und Medien eingeredet wird, haben sie eigentlich kein Problem mit Migration oder einigen anderen Themen, die als wichtig erachtet werden. Die Wichtigkeit des Themas Migration (als Problem) stieg erst in den letzten Monaten in Umfragen und die Offenheit für Schutzsuchende ist erst durch die übermäßige Thematisierung gesunken. Aber wir wissen laut Studien, dass dort die Einstellungen gegenüber Schutzsuchenden und Migranten negativer sind, wo es weniger Migranten gibt. Genau in den Städten und Regionen, wo viele Migranten und Schutzsuchende leben, ist die AfD schwächer.
Eine aktuelle Umfrage aus Großbritannien zeigt die Diskrepanz, die bei uns ganz ähnlich sein dürfte: 32 % sehen Migration als wichtiges Problem für ihr Land. Aber nur 4 % für sich persönlich.
Auch bei der US-Wahl hat sich gezeigt, dass genau diejenigen eher Trump wählen, die über genau die Fakten keine Ahnung haben, derentwegen sie Trump gewählt haben – Migration oder wirtschaftliche Lage. Also: Wenn du weißt, wie die Wirtschaft wirklich aussieht – viel besser, als viele denken – hast du viel eher Harris gewählt.
Ich habe dazu einen ausführlichen deep dive verfasst, der diese Diskrepanz genau aufgeschlüsselt hat.
Menschen fürchten AfD viel mehr als Migranten
Und auch eine neue Studie der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung hat herausgefunden, dass die Deutschen den Aufstieg der AfD und den Rechtsruck für eine fast doppelt so große Gefahr halten wie Migration.
Die Menschen haben im Alltag weit weniger Probleme mit Migration, als es in Medien und in der Rhetorik mancher Politiker dargestellt wird. Aber wenn sie von demokratischen Mainstream-Politikern und in etablierten Medien ständig und überproportional darüber lesen, dass die Migration das größte Problem im Land sei, dann glauben sie das eben irgendwann auch. Oder geben es zumindest so an.
Trotz häufigem Verweis auf die Meinungen der Wähler agieren demokratische Politiker strategisch, indem sie diskursiv Probleme erst schaffen, für die sie dann (verkürzte) Lösungen präsentieren können. Probleme und (Schein-) Lösungen, die sie zuvor bei der extremen Rechten abgeschaut haben. Dies führt dazu, dass die politische Agenda nach oben hin immer rechter ausgerichtet wird, unabhängig davon, ob dies tatsächlich den Wünschen der Mehrheit entspricht.
Politiker als Kursgeber
Untersuchungen zeigen deutlich, dass Politiker in Deutschland oft ein konservativeres Bild der öffentlichen Meinung haben, als es tatsächlich der Fall ist. Eine umfassende Studie, die 866 Politiker aus Belgien, Kanada, Deutschland und der Schweiz befragte, ergab, dass 81 % der befragten Politiker glauben, die Öffentlichkeit sei konservativer eingestellt, als sie tatsächlich ist. Dieses Missverständnis führt dazu, dass politische Entscheidungen häufiger nach rechts ausgerichtet werden, als es die tatsächlichen Präferenzen der Bevölkerung verlangen.
CDU im Zwiespalt
Ein Blick auf die CDU verdeutlicht dieses Phänomen weiter. Eine Forsa-Umfrage zeigte, dass etwa 70 % der CDU-Anhänger einen Kurs der Mitte befürworten, während nur 29 % mehr „konservative Werte“ wünschen. Im Gegensatz dazu bevorzugen 53 % der Mitglieder und 65 % der Funktionäre einen konservativeren Kurs. Besonders deutlich wird dies bei der Unterstützung für prominente Parteiführer: Anhänger von Friedrich Merz favorisieren mit 66 % deutlich mehr einen konservativen Kurs als Anhänger von Hendrik Wüst, von denen nur 40 % eine konservative Ausrichtung wünschen, während 58 % einen Kurs der Mitte bevorzugen.
Diese Diskrepanz zeigt, dass die führenden Funktionäre der CDU eine weit konservativere Agenda verfolgen, als es die Basis der Partei wünscht. Interessanterweise sind Mitte-Politiker wie NRW-Ministerpräsident Wüst bei den CDU-Anhängern beliebter als Friedrich Merz und haben auch in der breiten Bevölkerung eine höhere Zustimmung.
Rhetorik und Populismus
Neben den strategischen Kurssetzungen nutzen Politiker wie Markus Söder und Friedrich Merz eine ähnliche Rhetorik wie die AfD, die gleichen Feindbilder, immer wieder Desinformation. Sie verbreiten immer wieder vergleichbare Narrative und Falschinformationen, um bestimmte Wählergruppen zu mobilisieren und Angst vor Themen wie Migration zu schüren. Söder etwa forderte gar einen Bruch mit der Verfassung und Gewaltenteilung samt Volks-Begriff, nur um gegen das Asylrecht zu hetzen:
„Müsste nicht endlich wieder das deutsche Volk, die deutsche Politik selber entscheiden können, ob, wie viel und wer kommt? Wir müssen dieses Asylrecht ändern und wieder die Kontrolle selbstständig übernehmen!“
Ähnliche Aussagen finden sich bei Merz, der häufig von Sicherheitsbedenken und kulturellen Bedrohungen durch Migranten spricht. Dass seine Auslassungen den exakt gleiche Sound wie die AfD treffen, wird regelmäßig kritisiert.
Diese Art der Rhetorik schafft ein Klima der Unsicherheit und spaltet die Gesellschaft, was den Politikern ermöglicht, sich als die Vertreter der „wahren“ Interessen des Volkes zu präsentieren, obwohl die tatsächlichen Präferenzen der Bevölkerung weitgehend moderater sind.
Man mag es vielleicht gar nicht bemerkt haben im gesamten Rechtsruck in Deutschland, aber im Vergleich zu vor einem Jahr hat die AfD massiv an Zustimmung verloren. Ja, wirklich. Gefühlt wird diese immer stärker – und auch die demokratischen Parteien von SPD, Grüne, FDP und Union überbieten sich mit Forderungen nach Asylverschärfungen, Grenzkontrollen und Leistungskürzungen – ob mit EU-Recht vereinbar oder nicht. Dabei lag die AfD in Umfragen im November 2023 noch bei bis zu 23 %. Heute sind es gerade einmal 17 %.
Ja, die AfD hat 2024 massiv an Zustimmung verloren
Ja, der Rechtsextremismus hat 2024 eigentlich massiv verloren. Nur haben das die Spitzenfunktionäre offenbar nicht mitbekommen und spulen unbeirrt ihren Rechtsruck ab. Diese Diskrepanz zwischen tatsächlicher öffentlicher Meinung und politischer Kurssetzung stellt eine ernsthafte Bedrohung für die repräsentative Demokratie dar.
Wenn Politiker systematisch rechtere Maßnahmen ergreifen, als es die Bevölkerung unterstützt, untergräbt dies das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und fördert die politische Entfremdung. Insbesondere, da diese Verschärfungen bei den Rechtsextremisten keinen positiven Eindruck hinterlassen und sie nur in ihrer Wahl für die AfD bestärken. Langfristig kann dies zu einer wachsenden Unzufriedenheit und einer verstärkten Unterstützung für radikale Parteien führen, die sich als Alternative zu den etablierten, aber fehlgeleiteten politischen Kräften präsentieren.
Fazit: Die da oben wollen, dass ihr rechter werdet
Der aktuelle Rechtsruck in Deutschland ist weniger ein Spiegelbild veränderter gesellschaftlicher Werte als vielmehr das Ergebnis gezielter politischer Kurssetzungen von oben. Politiker nutzen strategische Rhetorik und gezielte Problemdarstellungen, um ihre konservativen Agenden durchzusetzen, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung eher gemäßigte Positionen bevorzugt. Je “normaler” diese Dinge von eigentlich demokratischen Politikern gesagt werden, desto normaler werden sie auch in der Bevölkerung. Der Rechtsruck im politischen Mainstream kommt nicht aus der Bevölkerung und auch nicht nur durch Fakes aus Social Media, sondern durch die großen Medien und Spitzenpolitiker. Die Frage ist nur: Warum? Und wie kann man diese Entwicklung aufhalten?
Artikelbild: Carsten Koall/dpa +++ dpa-Bildfunk +++