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Eine Verhandlung, ob Schwangere in Notaufnahmen verbluten müssen – oder eine Abtreibung erhalten dürfen

von | Apr 25, 2024 | Aktuelles

Sechs schwangere Frauen mussten bereits per Helikopter in Nachbarstaaten geflogen werden, um dort die lebensrettende Gesundheitsversorgung in Form einer Abtreibung zu erhalten, seitdem Idahos drakonisches Abtreibungsverbot nach dem Supreme Court Urteil im Fall Dobbs im Sommer 2022 in Kraft getreten war. 

Idahos Verbot ist so strikt, dass nur eine unmittelbare Bedrohung des Lebens der Schwangeren – nicht aber ihrer Gesundheit – eine lebensrettende Abtreibung erlaubt. Das bedeutet: Die schwangere Person kann Gefahr laufen, beispielsweise ihre reproduktiven Organe zu verlieren, schlimmste Schmerzen zu erleiden, sich dauerhafte körperliche Schäden oder Behinderungen zuziehen – ohne, dass ihr die lebensrettende Gesundheitsversorgung in Form einer Abtreibung gewährt werden darf, bis ihr Tod buchstäblich unmittelbar bevorsteht. In Idaho droht medizinischem Personal (auch in Notaufnahmen), das eine Abtreibung vornimmt, um die Gesundheit – nicht das Leben – der Mutter zu schützen, strafrechtliche Verfolgung, sie riskieren eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren und den Entzug ihrer Zulassung.

Gesetz im Widerspruch zu Bundesrecht

Dieses Gesetz in Idaho steht im direkten Widerspruch zu geltendem Bundesrecht: Denn der Emergency Medical Treatment and Labor Act (EMTALA) von 1986 regelt medizinische Notfallversorgung in Krankenhäusern. Er sieht vor, dass Patienten in Notaufnahmen “stabilisierende Maßnahmen” erhalten müssen – kurz, dass sie die angemessene Behandlung erhalten müssen, die sie vor (weiteren) körperlichen Schäden bewahrt. Diese “stablisierenden Maßnahmen” können manchmal eine Abtreibung sein, kurz: Das Idaho-Gesetz kriminalisiert das, was das Bundesgesetz vorschreibt. 

In einem solchen Fall gilt im US-Recht die “Supremacy”-Klausel – oder, anders formuliert: Wenn Bundesrecht und das Recht eines einzelnen Bundesstaats im Widerspruch stehen, gilt Bundesrecht – deswegen hatte ein Bezirksgericht in Idaho, nachdem die Biden-Regierung geklagt hatte, geurteilt, dass das Abtreibungsverbot des Bundesstaates – anders als Idahos Staatsanwalt behauptet – nicht EMTALA, also das Bundesgesetz übertrumpft. Im Januar hatte der SCOTUS in Washington diese Entscheidung in seinem Shadow Docket – einer Art “Express”-Variante der Rechtsprechung, eigentlich vorgesehen für Notfälle, in denen die Zeit drängt – pausiert, ohne eine Begründung zu geben, und somit dem Verbot gestattet, voll in Kraft zu treten. 

Lebensgefahr für Frauen vorgeschrieben

Noch einmal, weil es wichtig ist zur Differenzierung: Im Fall Idaho v. United States geht es nicht um reguläre Abtreibungen, sondern spezifisch um die Regelung von Abtreibung im Bereich der Notfallmedizin, um eine Frau zu stabilisieren, und sie vor massiven Gesundheitsschäden zu bewahren. 

In einem “Amicus Brief” an den Supreme Court – also einer Einschätzung einer nicht direkt vom gehörten Fall betroffenen Partei, die aber Interesse an seinem Ausgang hat – schildert St. Luke’s, das größte Krankenhaus in Idaho, das schreckliche Dilemma, in dem sich das medizinische Personal des Bundesstaats seit der Erlaubnis des SCOTUS, dass das Abtreibungsverbot in Idaho, EMTALA zum Trotz, eintreten darf:

“Während § 18-622 einen Abbruch verbietet, außer um den Tod der Mutter zu verhindern, verlangt EMTALA von den Anbietern, stabilisierende Pflege anzubieten, selbst wenn ein medizinischer Notfall schwerwiegende Gesundheitsrisiken mit sich bringt, die nicht zum Tod führen. Dies kann und wird bei einigen schwangeren Patientinnen auftreten, die einen Notfall erleiden, bei dem schwerwiegende Folgen drohen können und bei dem der Schwangerschaftsabbruch zur Standardbehandlung gehört.

Heutzutage leiden diese Patienten, da die beste Option für Ärzte oft darin besteht, die Patienten aus dem Staat zu verlegen – wodurch sich die Behandlung verzögert und zusätzliche Risiken für die Patienten entstehen. Diese Verzögerungen können nicht nur Schmerzen und Leiden verursachen, sondern auch dauerhaftere Auswirkungen wie Organversagen, Verlust von Fortpflanzungsorganen und andere Formen von Behinderungen.”

Ärzt:innen fliehen aus Idaho

Seit der Shadow-Docket Entscheidung des SCOTUS im Januar musste allein dieses Krankenhaus sechs Frauen ausfliegen lassen, damit sie die notwendige medizinische Versorgung erhalten konnten, die ihnen der Bundesstaat Idaho versagt. Ein drastischer Anstieg allein zum letzten Jahr: Bevor Idahos Abtreibungsverbot voll in Kraft trat, musste das Krankenhaus nur eine Frau mit Schwangerschaftskomplikationen ausfliegen. Das Krankenhaus warnt auch vor Folgen für die medizinische Versorgung im Bundesstaat, weil medizinisches Personal abwandert – aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung: 

“Obwohl die Patienten von der Umsetzung von § 18-622 am unmittelbarsten betroffen sind, sind sie nicht allein: Die unbeabsichtigten Folgen des Gesetzes schaden auch medizinischem Fachpersonal, dem Gesundheitssystem von Idaho und den Einwohnern von Idaho im Allgemeinen. Aus Angst, dass sie aufgrund des Konflikts zwischen EMTALA und § 18-622 gezwungen werden könnten, gegen Bundes- oder Landesgesetze zu verstoßen, fliehen Ärzte aus Idaho und/oder weigern sich, im Bundesstaat eine Stelle anzunehmen. Heute gibt es in ganz Idaho nur noch drei Vollzeit- und zwei Teilzeitärzte für Perinatalmedizin [Anm. Brockschmidt: Gesundheitliche Versorgung von Schwangeren und Föten] – weniger als die Hälfte der Zahl, die im Mai 2022 in Idaho praktizierte. Die Folgen für die Patientenversorgung sind gravierend.”

Warten, bis man kurz vor dem Tod ist

Dr. Dara Kass ist Notfallmedizinerin – sie warnte in Slate vor einer potentiell katastrophalen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, und erklärt, weshalb Idahos Gesetz die Gesundheit Schwangerer aufs Spiel setzt, und gegen die Grundlagen der Notfallmedizin geht: 

“Die Risiken, die man eingeht, wenn man [mit der Behandlung] wartet, bis eine Person kurz davor ist zu sterben, haben Folgen für ihr Leben und die Zukunft, für die Fruchtbarkeit, die Organe und vieles andere mehr. Es ist nicht harmlos, mit dem Eingreifen bis zum Eintritt des Todes zu warten. Und in der Notfallmedizin haben wir das schon immer gewusst. Das ist buchstäblich die Grauzone, in der wir gerade kämpfen.”

Eine der Frauen, die bereits unter Idahos Gesetz leiden musste, ist Jen Adkins. Adkins erfuhr bei ihrem 12-Wochen Ultraschall, dass ihr Fötus einen Gendefekt habe – der in 90% der Fälle zu einer Fehlgeburt führt. Die Ärzte sagten ihr nach einem CNN-Bericht: “Je länger Sie schwanger bleiben, desto größer ist das Risiko, dass Sie selbst Komplikationen entwickeln.” Die Komplikationen, informierte das medizinische Personal Adkins, könnten lebensbedrohlich sein. Als Adkins nach Hilfe fragte, sagten ihr die Ärzte:

”’Da Sie sich im Bundesstaat Idaho befinden, können wir Ihnen keinen Abbruch anbieten. Wir können keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen.'” Stattdessen wurde sie nach Hause geschickt – um dort zu warten, zu trauern – und bestenfalls den Staat zu verlassen, um die Hilfe zu bekommen, die ihr in Idaho verwehrt blieb, um die Abtreibung vornehmen zu lassen. Die Kosten dafür beliefen sich auf mehr als 1500 Dollar – was die Adkinses nur mithilfe von sogenannten “Abortion Funds” – ehrenamtlichen Organisationen, die Spenden sammeln, um die Kosten von Betroffenen zu decken – und mit Hilfe ihrer Familie stemmen konnten. 

Angst, leben zu retten

John Adkins sagte gegenüber CNN

“Wir hatten wirklich Angst, dass wir gegen das Gesetz verstoßen würden, wenn wir diese Hilfe in Anspruch nehmen. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass wir fliehen und das im Schutze der Dunkelheit tun mussten. Es war ein wirklich bizarres Gefühl … als wären wir Kriminelle, die sich vor dem Staat verstecken müssen.”

Gestern begann die Verhandlung im eigentlichen Prozess vor dem Supreme Court in Washington, wer wollte, konnte das Audio im Livestream mithören. Oft geben mündliche Verhandlungen zumindest einen Eindruck davon, wo einzelne Richter*innen momentan stehen – Samuel Alito, einer der reaktionärsten der radikalen rechtsreaktionären Mehrheit, ließ durchblicken, dass er offen sei für den Versuch, Föten zu Rechtspersonen zu erklären. Es war eine Veranstaltung, die einen als Zuhörenden teils sprachlos zurückließ – diskutierte hier wirklich gerade der Oberste Gerichtshof der USA darüber, wie viel Organschädigung genug ist, damit medizinisches Personal in Idaho – und dementsprechend in sechs anderen Staaten mit ähnlich drakonischen Abtreibungsverboten –  der Patientin durch eine rettende Abtreibung helfen darf?

Embryonen sind Individuen – Frauen nicht?

In einem besonders scharfen Austausch darüber, wen EMTALA in einem solchen Fall als Individuum bezeichne (der Gesetzestext ist eindeutig, die Frau, die die medizinische Krise durchleidet) versuchte Alito zu argumentieren, dass der Begriff “Individuum”, den der Gesetzestext nennt, sich auf den Fötus beziehe. United States Solicitor General Elizabeth Prelogar erklärte geduldig, dass das keineswegs der Fall sei – und dass sich das “Individuum”, das stabilisiert werden muss, sich eindeutig auf die Frau in der medizinischen Krise bezieht. Prelogar bestätigte mehrfach, dass EMTALA nicht die Möglichkeit einzelner Ärzte beschränke, aus Gewissensgründen bestimmte Behandlungen nicht durchzuführen. 

Alito, bekannt für seine überhebliche Art im Gerichtssaal, unterbrach Prelogar mehrfach, und bemerkte abfällig, dass “niemand suggeriert, dass die Frau kein Individuum ist und keine stabilisierende Gesundheitsversorgung verdient” – eine absurde Behauptung angesichts des Falls, der verhandelt wurde – woraufhin Prelogar zurück schoss “Doch – das ist Idahos Position, das ist ihre Lesart des Gesetzes und sie ist falsch.” 

Die Frau muss sterben, selbst wenn es den Embyro auch nicht rettet

Die Position Idahos – und Alitos – ist auch deswegen in sich unlogisch, weil im Falle eines medizinischen Notfalls, wenn der Fötus außerhalb des Uterus’ lebensfähig ist, ein Notfall-Kaiserschnitt vorgesehen ist, um den Fötus zu retten, sollte die Frau sterben. Wenn der Fötus außerhalb des Uterus nicht überlebensfähig ist, dann ist dem Fötus oder Embryo nicht geholfen, wenn man die Frau sterben lässt, um es zu “retten” – denn es ist nicht zu retten. 

Notärztin Dara Kass sagte Slate dazu: 

“Was Idaho hier in den Gesetzestext hineinliest, ist zu sagen, wir priorisieren den 7 Wochen alten Embryo über die Mutter, die verblutet. […] Denn in irgendeiner Welt, die ich in all meinen Jahren der Praxis von Notfallmedizin nie gesehen habe, behauptet das [Idaho] Gesetz, dass es der Überlebensfähigkeit und Zukunft dieses Embryos hilft, ihn zu priorisieren. Es gibt keine Zukunft für diesen Embryo, wenn die Mutter nicht überlebt.”

Bemerkenswert war zudem, dass alle männlichen Richter wenig bis überhaupt nicht an der Frage nach den körperlichen Folgen für die betreffenden Frauen interessiert zu sein schienen. 

Ein kaum merklicher Hoffnungsschimmer:

Der Anwalt, der die Generalstaatsanwaltschaft Idahos vertrat, präsentierte sich so kalt, so überheblich wie nur möglich – und präsentierte gleichzeitig ein logisch inkohärentes Gewirr an Argumenten für eine so unhaltbare Position, dass sogar Amy Coney Barrett (die die entscheidende Stimme im Fall Dobbs beisteuerte) die Geduld mit ihm zu verlieren schien und ihn fragte: “Warum sind Sie hier?”

Barrett schien unzufrieden mit Turners rhetorischen Manövern, und seinen sich widersprechenden Aussagen: Als er behauptete, dass Idahos Gesetz “von Fall zu Fall” Ausnahmen gestatte, basierend auf dem Urteil von Ärzten, erwiderte sie, sie sei “schockiert” über das, was er hier behaupte. “Sie weichen der Frage aus”, sagte sie und hakte nach, was geschehe, wenn ein Staatsanwalt anderer Meinung sei, was die Entscheidung eines Arztes in einer Notfallsituation angehe, eine Abtreibung vorgenommen zu haben. Und Turner musste zugeben: “Es könnte zum Prozess kommen.” 

Es scheint, als würde dieser Fall, in dem das Schicksal von schwangeren Frauen in Notaufnahmen entschieden wird, in den Händen von zwei Männern liegen – den konservativen Richtern John Roberts und Brett Kavanaugh. Düstere Aussichten für Schwangere im ganzen Land. Ein Urteil wird im Juni erwartet.

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