Während sich Politiker:innen nach dem abscheulichen Solingen-Attentat, das mutmaßlich aus islamistischer Gesinnung geschah, mit populistischen Forderungen überbieten, treiben Rechte die gesellschaftliche Spaltung weiter voran. Exemplarisch ist dies am Beispiel der Hasswelle zu erkennen, die nun den Hamburger Traditionsfußballverein St. Pauli trifft. Ein Opfer von Solingen war St. Pauli-Mitglied.
Anstatt, was mit etwas Anstand und Empathie eigentlich selbstverständlich wäre, Trauer und Beileid zu bekunden, überschlagen sich rechte Hetzer auf Social Media mit gehässigen “Das geschieht ihm aber recht”-Kommentaren. Noch tiefer sinken kann man nicht. Nicht nur zeugt diese Verhaltensweise von widerwärtiger Schadenfreude, mehr noch: Rechte decken damit selbst auf, dass ihnen Menschenleben gleichgültig sind und sie Feinde unseres demokratischen Miteinanders sind. Genau wie die Islamisten auch.
Vorab: Wir verurteilen das brutale Attentat von Solingen und drücken den betroffenen Angehörigen und Verletzten unser tiefstes Beileid aus. Von Anfang an haben wir uns für mehr Islamismusprävention und -bekämpfung ausgesprochen. Genauso drückte übrigens der FC St. Pauli seine aufrichtige Anteilnahme zeitnah nach dem Anschlag aus. Wir verurteilen jedoch auch die massive Hasswelle, die auf St. Pauli zurollte, als bekannt wurde, dass ein Opfer des Attentats FC St. Pauli-Mitglied war.
Ein Verein der Vielfalt wird mit Hass überschüttet
Traditionell steht St. Pauli für Vielfalt und ein solidarisches Miteinander ein und hält gesellschaftspolitisches Engagement hoch.
Beispielsweise über den Arbeitskreis “Kick the borders – refugees welcome” bezieht St. Pauli klar Stellung als wertegeleiteter Fußballverein und bietet unter anderem kostenlose Rechtsberatung für Geflüchtete an. Über unzählige weitere Initiativen setzt sich St. Pauli für unsere Gesellschaft ein und positioniert sich dabei klar gegen Extremismus und Hass. Für diese Haltung und den Einsatz für ein solidarisches Miteinander und Vielfalt in unserer Gesellschaft wird St. Pauli immer wieder angegriffen, nicht erst seitdem beim Solingen-Attentat ein St.Pauli-Mitglied unter den Opfern war. So schreibt Vereinssprecher Patrick Gensing in einem Presse-Statement an den Volksverpetzer:
“Wir haben bereits gegen Ende der vergangenen Saison eine besonders große Welle des Hasses erlebt, als beispielsweise unser Kapitän Jackson Irvine mit einer Regenbogen-Fahne auf unserer Meisterfeier aufgetreten ist. Entsprechende Fotos auf Social Media wurden mit Hunderten homo- und transfeindlichen Kommentaren geflutet. Nach der Vertragsverlängerung von Jackson Irvine mussten wir ein großes Medium bitten, die Kommentarfunktion zu schließen, da es so viele und krasse Hass-Kommentare gab. Wir kommen auch kaum hinterher, entsprechende Kommentare zu löschen.
Während der EM wurde der FC St. Pauli ebenfalls stark angefeindet, da Fans von unserem Verein den Spruch „Vereins- statt Vaterlandsliebe“ ans Stadion gehängt hatten. Kontinuierlich erhalten wir für unser gesellschaftspolitisches Engagement wütende Reaktionen. Wir haben auch bereits Anzeige erstattet, beispielsweise, als ein Mann uns wünschte, dass jemand unsere Geschäftsstelle „auslöscht“. Nach dem tragischen Tod eines unserer Mitglieder bei dem mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen freuten sich Kommentatoren sogar darüber, dass uns angeblich „unsere Ideologie auf die Füße“ fiele.
Dabei ist es genau andersherum: Wir treten für Humanität und Diversität ein – und werden deswegen zum Feindbild von Rechtsextremen UND religiösen Fanatikern. Als FC St. Pauli werden wir uns aber nicht einschüchtern lassen, sondern weiterhin offen für diese Werte eintreten – auch und gerade in der Bundesliga.”
Presse-Statement von St. Pauli an den Volksverpetzer (04.09.2024)
So ekelhaft ist die widerwärtige Schadenfreude von Rechts
Wenn du dich jetzt fragst, wieso man sich über den Tod eines unschuldigen Mannes freuen kann, dann habe ich darauf leider keine Antwort. Im Falle des Solingen-Opfers ist es widerliche Schadenfreude darüber, dass es angeblich den “Richtigen” getroffen habe. Deutschland 2024: Wir sind an einen Punkt gekommen, an dem sich Menschen offen darüber freuen, wenn jemand, dessen Verein für Vielfalt, Humanität und Respekt kämpft, getötet wird.
Aber seht selbst – viele Kommentare unter St. Paulis Post zu ihrem getöteten Mitglied sind einfach nur widerlich:
Screenshots zur Verfügung gestellt von St. Pauli
Oder hier einige Kommentare, die St. Pauli bereits gelöscht hatte:
Ihr seht: Die Rechten geben dem Opfer die Schuld, dass er von einem mutmaßlichen Islamisten getötet wurde. Und das, obwohl sich St. Pauli für eine offene und solidarische Gesellschaft und damit gegen jeglichen Extremismus und religiösen Fundamentalismus einsetzt. Nicht nur komplett unlogisch und widerlich, was rechte Hetzer im Internet schreiben – auch mehr Täter-Opfer-Umkehr geht gar nicht.
Ganz oben mit dabei ist natürlich auch die Gleichsetzung von Islam und Islamismus. Rechte verstehen nicht (oder wollen nicht verstehen), dass diese Dinge nicht dasselbe sind. Sie lieben es, schreckliche Attentate für ihre eigenen Zwecke zu nutzen und ganze Gruppierungen (muslimische Geflüchtete) für etwas verantwortlich zu machen, vor dem viele überhaupt erst geflohen sind! Aber was sage ich da eigentlich, für Rechte sind das nur Details, die sie in ihrem Rassismus und in ihrer Hetze gar nicht mehr in Erwägung ziehen.
Auch mit eindeutigen Nazi-Briefen, die St. Pauli erreichen, muss sich der Verein herumschlagen – ein Beispiel lag dem Volksverpetzer für diese Recherche vor.
Rechtsextreme und Islamisten: Heimliche Brüder im Geiste?
Das Beispiel der Hasswelle, die St. Pauli traf, zeigt: Genauso wie der IS attackieren Rechte die Vielfalt und wollen so zu einer Spaltung unserer Gesellschaft beitragen. Also genau das Ziel, das auch der IS mit seinem Terror verfolgt. Auch die AfD ist bereits auf Linie und verspottete die Solingen-Opfer:
Gegen diese Gefahr von rechten und islamistischen Extremisten, die unsere Demokratie bedrohen, müssen wir mit gesellschaftlichem Zusammenhalt ankämpfen. Wir dürfen einen Fußballverein und damit eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich tagtäglich für die Gesellschaft engagiert, nicht mit einer derartigen Hasswelle alleine lassen. Fußball, der sich für ein demokratisches Miteinander einsetzt, darf nicht ruiniert werden. Wie es St. Pauli selbst in einem Statement anlässlich des Tod ihres Mitglieds formulierte:
„Das Ziel von Terrorismus ist es, Schrecken zu verbreiten, Menschen zu verunsichern und Gesellschaften durch Gewalt, Hass und Menschenverachtung zu spalten“, sagt Präsident Oke Göttlich. „Lasst uns angesichts des Terrors näher zusammenrücken und uns denen widersetzen, die dem Hass mit Hass begegnen.“
Wichtig zu erkennen ist ebenfalls, dass Rechtsextremismus und Islamismus zwei Seiten derselben Medaille sind. Ihre Terrorakte und Aktionen funktionieren so, die Extremisten im jeweils anderen Lager zu stärken. Diese Radikalisierung führt nicht unbedingt zu Gegengewalt, bestätigt aber beide Seiten in einer Ablehnung von Vielfalt. Die extreme Rechte missbraucht Katastrophen und Gewalttaten wie den islamistischen Anschlag in Solingen, um ihre menschenfeindliche und faschistische Strategie zu pushen.
Die Hetze gegen St. Pauli beweist das aufs Neue. Die Rechtsextremen sind damit Teil der Strategie des IS. Wie Stephan Apalagan schreibt: “Mit terroristischen Anschlägen soll die friedliche Koexistenz zwischen Muslimen und Nichtmuslimen verhindert werden.” Das gibt der IS sogar selbst zu.
Hass gegen St. Pauli kein Einzelfall im Fußball
Wenn du jetzt sagst, okay, den Hass gegen St. Pauli muss man verurteilen, aber ist das einfach ein Einzelfall, warum die Aufregung? – Dann müssen wir dich leider enttäuschen. Denn es ist kein Einzelfall. Hass und Hetze gegen Fußballvereine, denen soziale Themen wichtig sind und die für eine demokratische Grundhaltung einstehen, sind ein strukturelles Problem in Deutschland. Eben wie Rechtsextremismus allgemein ein strukturelles Problem ist. Im Fußball läuft Hass von Rechts stets nach dem gleichen Schema ab. Ein Verein macht deutlich, dass er sich für demokratische Werte und Vielfalt in der Gesellschaft stark macht. Dafür kritisieren und teils attackieren Rechte diesen, weshalb der Verein schlussendlich aus politischen Gründen im Fokus steht.
Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist dann jedoch ein Trugschluss. Der Vorwurf: Vereine würden Politik in den Fußball zwingen. Doch in Wahrheit sind es Rechtsextreme, die den Vereinen mit ihrem Hass Politik aufzwingen. Ohne diesen könnten Fußballvereine einfach ungestört ihrem normalen Leben nachgehen – Leute gehen trainieren, haben ein aktives Vereinsleben und setzen sich halt über den Verein auch für demokratische Werte ein, wie es in einer Demokratie nichts Ungewöhnliches sein sollte.
Ein anderer Fußballverein, der regelmäßig attackiert wird, ist beispielsweise TuS Makkabi Berlin, ein deutsch-jüdischer Sportverein. Er möchte “auf sportliche Weise Sichtbarkeit für das jüdische Leben schaffen”, wie der Vorsitzende des Vereins sagt. Leider muss sich der Verein häufig mit Antisemitismus herumschlagen, Makkabis Jugendspieler trauen sich aus Angst vor Übergriffen schon gar nicht mehr, in Trainingskleidung U-Bahn zu fahren, da ein Davidstern im Logo ist. Der Teammanager der A-Jugend plant sogar auszuwandern. Antisemitismus im Fußball tritt immer wieder auf, teils auch gegen Vereine, die “nicht unbedingt mit aktuellen oder ehemaligen jüdischen Vereinsmitgliedern in Verbindung gebracht werden” und tritt oft zusammen mit anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf, z.B. Rassismus.
Fußballvereine mit Haltung sind Nazis ein Dorn im Auge
Ein anderes Beispiel ist der FC International Rostock, der einzige offen linkspolitische Verein in Mecklenburg-Vorpommern. Teilhabe für alle und Engagement gegen Rassismus ist für den Verein sehr wichtig, viele Geflüchtete spielen im Verein. 2015 wurde der IFC neu gegründet – ihr Motto: Kein Mensch ist illegal – Fußball in Rostock bleibt international. Seitdem muss sich der Verein mit Hass und Bedrohungen von Rechts herumschlagen, mit Nazisymbolen und vergrabenen Porzellanscherben auf dem Heimplatz.
Auch Athletic Sonnenberg aus Chemnitz bezog bereits in der Vergangenheit Stellung gegen rechts und versteht sich als sozialer Antidiskriminierungsverein. Vergangenes Jahr kam es zu Spannungen, als vor einem Spiel gegen Rapid Chemnitz auf Social Media ein Foto eines Banners von Athletic-Fans mit der Schrift “Fußball für alle – Nazis raus” zu sehen war. Dieser wurde als Provokation gegen die gegnerische Mannschaft gewertet, das Spiel musste abgesagt werden. Wenn wir uns nicht mal mehr darauf einigen können, dass Nazis nichts im Fußball zu suchen haben, dann wirds sehr düster.
Du siehst also: Hass von Rechts gegen Fußballvereine, die für demokratische Werte einstehen und Haltung zeigen, ist kein St.Pauli-spezifisches Problem. Rechtsextremismus liegt tiefer. Es ist ein deutschlandweites, strukturelles Problem.
Fazit: Gerade jetzt brauchen wir mehr St. Pauli-Werte!
Wenn wir solche Entwicklungen einfach hinnehmen, lassen wir zu, dass die Rechtsextremen und Islamisten gemeinsam nicht nur unseren Fußball, sondern unsere Demokratie und unsere Vielfalt zerstören. Dann kommen wir genau da hin, wo der IS und die Rechtsextremen hin wollen: die Abschaffung der Demokratie und die Einschränkung von Freiheiten für uns alle. Diesen Prozess der gegenseitigen Radikalisierung müssen wir unterbrechen, und zwar durch gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sonst geben wir dem Extremismus (von Rechten UND Islamisten!) genau das, was er vorhat. St. Pauli ist ein gutes Beispiel für Werte, die wir gerade jetzt brauchen, nämlich Humanität und Diversität. Um schlussendlich Extremismus die Stirn zu bieten.
Artikelbild: St. Pauli