Vorneweg: Nein, der frauenverachtende Influencer Andrew Tate identifiziert sich nicht als Frau und ist auch nicht trans. Der wegen sexueller Gewalt und Menschenhandels angeklagte Tate hatte kürzlich ein Bild von sich in eng anliegender und knapper Badehose geteilt. Daraufhin stellten transfeindliche Verschwörungsideologen auf Facebook die Behauptung auf, er sei in Wirklichkeit ein trans Mann. Ähnliche Vorwürfe gibt es gegen Transfeindin J.K. Rowling oder Antisemit Elon Musk. Genau die Leute, die sonst behaupten, auf den ersten Blick erkennen zu können, ob jemand trans sei – wie erst kürzlich bei der Boxerin Imane Khelif – beschuldigen willkürlich cis Männer trans zu sein und umgekehrt. So gaga ist der neue Aluhut-Trend der „Transvestigators“. Die Internet-Geschlechts-Polizei, die alleine darüber bestimmen will, ob du Mann oder Frau bist.
Ein kleiner Schritt von Tate, ein großer Sprung für die Geschlechts-invertierte Menschheit
In den letzten Tagen schaffte es eine Meldung aus den Sphären von den Nische-Verschwörungserzählungen auf Facebook und Twitter in den Mainstream: Andrew Tate sei trans. Alles begann mit diesem Beitrag:
Der Beitragersteller Rob Anderson behauptet, dass alle Personen trans sind, die in der Öffentlichkeit stehen und dass sie Teil der „inverted show“ sind. Damit deutet er den Verschwörungsmythos der „Elite Gender Inversion“ (EGI) an. Dieser basiert auf dem Glauben, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung, insbesondere Prominente, heimlich trans und damit Teil einer bösartigen Intrige sind. Dass Tate im Juni 2023 auch noch einen Tweet abgesetzt hatte, in welchem er sarkastisch erklärte, dass er eine Frau ist, war für einige im Thread ein weiterer Beweis für seine heimliche Transidentität. Tate trifft es dabei nicht das erste Mal, bereits im April 2023 tauchte diese Behauptung auf Instagram auf:
Transvestigators: Besessen von fremden Genitalien
Die Personen hinter dieser Verschwörungsideologie nennen sich selbst „Transvestigators“, ein Wortspiel aus trans und Investigator (engl. Für Ermittler). Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, mittels akribischer Betrachtung von Schritt, Hüften, Schädelformen oder Adamsäpfel herauszufinden, welches Geschlecht berühmten Persönlichkeiten bei der Geburt zugewiesen wurde. Im Falle von Andrew Tate sind es die eher schwachen Ausbeulungen in den Badehosen. Aber auch seine Schlüsselbeine, Oberarmknochen und „soften“ Muskeln überzeugen die Transvestigators davon, dass Tate trans sein muss.
Dass es ausgerechnet den Macho und Frauenhasser Tate trifft, hat natürlich eine gewisse Komik. Trotzdem ist diese Verschwörungsideologie nicht nur lächerlich, sondern auch gefährlich. Denn meist verfolgt sie eine politische Agenda, die sich gegen trans Personen richtet. Dadurch wird sie vor allem für den rechten Rand sowie das transfeindliche TERF-Spektrum anschlussfähig.
Denn trans Personen sind ein wichtiges Feindbild von Rechtsradikalen und „Anti-Woken“ geworden. Die Angriffe gegen trans Personen steigen seit Jahren an. Außerdem haben trans Personen im Vergleich zu cis Personen vielfach erhöhte Suizidraten. Sie werden täglich mit Diskriminierung, Hass und fehlender psychosozialer und Gesundheitsversorgung konfrontiert. Die Transvestigators haben sich damit ein leichtes Ziel ausgesucht, das bereits unter Beschuss steht und bilden eine transphobe Allianz mit den Anti-Woken, Rechten und Ultrakonservativen.
Hetze auf J. K. Rowlings nacken
Dies wurde am Fall der Olympia-Boxerin Imane Khelif besonders deutlich. Nachdem die Desinformation verbreitet wurde, dass Khelif trans sei, hetzten sowohl J. K. Rowling als auch Elon Musk gegen die Athletin. Beide sind in der Vergangenheit durch ihre menschenfeindlichen und transphoben Aussagen aufgefallen (Quellen: Rowling hier; Musk hier). Musk und Rowling standen obendrein wegen Antisemitismus in der Kritik.
Die Transphobie von Musk und Rowling ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass sie berühmte Persönlichkeiten sind und als Berühmtheiten nun mal besonders verdächtig. Deshalb wurden beide auch bereits transvestigated. Die Urteile dürften für Rowling und Musk wohl niederschmetternd sein, denn Rowling hat einen „Männernacken“ und Musk eine „weibliche Wirbelsäule“.
Trans-Weltverschwörung
Einige Versionen der Verschwörung um die Elite Gender Inversion sind, wie viele andere auch, antisemitisch und behaupten, dass mächtige, verborgene jüdische Einflüsse versuchen, der Welt heimlich transgender Prominente „aufzuzwingen“. Es gibt allerdings nicht die eine Verschwörungserzählung um die EGI, vielmehr existieren verschiedene Strömungen. Einige verbinden sie mit Verschwörungsmythen um die New World Order, Flache Erde oder Reptiloiden, wieder andere beziehen sich auf Satanismus und christliche Mythologie.
Was den meisten Erzählungen aber gemein ist, sind ihre rassistischen Ideen und stereotypen Genderklischees, die sich besonders bei Frauen an den Idealen der weißen Weiblichkeit und biologischem Essentialismus orientieren. Deshalb konzentrieren sich Transvestigators sehr häufig auf schwarze Frauen. Insbesondere auf Athletinnen wie Khelif oder Serena und Venus Williams. Sportliche und starke Körper, die von den traditionellen Weiblichkeitskonstrukten abweichen, sind besonders leichte Ziele, weshalb Einzelne behaupten, dass alle bekannten Athletinnen trans seien.
Transvestigation: Eine typische Strategie von rechts
Der Verschwörungsmythos der Transvestigators ist damit, wie viele andere Verschwörungsmythen, besonders anschlussfähig an die politischen Ziele von Rechtspopulisten, die an rassistischen und sexistischen Stereotypen festhalten. Gegenüber der Tagesschau merkt Julia Monro, Mitglied des Bundesvorstands des Lesben- und Schwulenverbands, an, dass die Instrumentalisierung solcher Vorfälle wie bei Khelif „eine typische Strategie von rechts ist“.
Dies wird besonders an Kyle Rittenhouse, Trump-Supporter und Posterboy der Waffenbesitzer, deutlich. Rittenhouse wurde unter Rechten und Konservativen populär, nachdem er bei einem Black-Lives-Matter-Protest zwei Menschen tötete und einen Freispruch erhielt. Rittenhouse zeigte sich jedoch vor einigen Tagen unsicher darin, ob er bei der anstehenden Präsidentschaftswahl diesmal für Trump stimmen würde. Sofort erklärte ihn die rechtsextreme QAnon-Bewegung, die zu Trumps Anhängerschaft zählt, zum trans Mann, um ihn zu diskreditieren.
Schuldig: Marilyn Monroe und Adolf Hitler
Die Methoden der Transvestigators basieren auf groben Verzerrungen und Fehlannahmen. Besonders zwei Fehlschlüsse sind hier hervorzuheben: einerseits die Pareidolie, d. h. die Tendenz, in zufälligen Dingen bedeutungsvolle Muster zu erkennen. Andererseits den Bestätigungsfehler, bei dem Dinge so interpretiert werden, dass sie die bereits bestehenden Überzeugung bestätigen.
Deshalb ist es möglich, in so gut wie jeder Person eine trans Person zu sehen. Michelle Obama, Barack Obama Mike Tyson, Marilyn Monroe, Anne Frank – und für alle, die sich schon gefragt haben, ja, auch Hitler. Sie alle sind vermeintlich trans.
Die „Beweise“ sind aufgemalte Dreiecke und Pfeile, weite Hüften oder manchmal auch einfach nur verträumte Augen:
Auch scheint das Verständnis von Durchschnitten oder Normalverteilungen zu fehlen, da jede Abweichung von der Norm als Beweis für ihre Ideologie erachtet wird. Ein hervorstehender Adamsapfel, die Schädelform (Phrenologie) oder Armlänge werden dabei gerne als Referenz verwendet. Dies ergibt allerdings keinen Sinn, da Durchschnitte nur Häufigkeiten angeben.
So mag es sein, dass z. B. die durchschnittliche Körpergröße einer cis Frau in Deutschland um die 1,66 cm und die eines Mannes ca. 1,79 cm liegt. Das hieße aber nicht, dass jede Frau, die größer als 1,66 cm oder gar größer als 1,79 cm automatisch trans ist. Ein Durchschnitt bildet sich aus einer Vielzahl verschiedener Werte und gibt lediglich die Häufigkeit eines Wertes an. Genau dieses Prinzip scheinen Transvestigators jedoch nicht zu verstehen, was sie zu einer antiwissenschaftlichen Verschwörungsideologie macht.
Wenn eine trans Frau heimlich eine *Checks Notes* cis Frau ist?
Besonders absurd wird es im Fall um Dylan Mulvaney. Sie lebt offen als trans Frau, doch die Transvestigators wollen aufgedeckt haben, dass sie in Wahrheit eine cis Frau ist. Woran sie dies erkennen? An ihren Schlüsselbeinen, Körperfett und der „Energie“ in ihren Augen.
So sehr einem diese Inklusivität um Mulvaney das Herz erwärmt, muss leider angemerkt werden, dass die Transvestigators sonst kaum transinklusiv sind und das hier wohl eher ein kleiner Unfall war.
Die Transvestigators sind eine von Transphobie getriebene Gruppe, die Pseudowissenschaft wie z. B. Phrenologie betreibt oder gänzlich falsche Annahmen über die menschliche Anatomie sowie veraltete Geschlechtertheorien heranzieht. Ihre antiwissenschaftlichen Methoden reproduzieren transfeindliche Klischees und essentialisieren unrealistische Genderkonstrukte.
Toilettenhysterie und trans Panik: Cis Frau im Männergefängnis
Wenngleich die Verschwörung um die EGI bisher nur ein Nischenphänomen ist: Die trans Panik im öffentlichen Diskurs nimmt stetig zu und gefährdet nicht nur trans Personen, sondern auch immer mehr cis Frauen. So häufen sich die Vorfälle, in welchen cis Frauen mit kurzen Haare in öffentlichen Toiletten belästigt werden, weil sie für trans gehalten werden. Es häufen sich Vorfälle, in welchen cis Frauen aus öffentlichen Toiletten geworfen, weil sie „wie ein Mann“ aussehen oder sich nicht Gender-stereotyp kleiden. Eine Frau wurde versehentlich in ein Männer- statt Frauengefängnis gebracht, weil das Personal sie für eine trans Person hielt.
Die Verschwörungsideologie, dass der Großteil der prominenten Bevölkerung in Wahrheit trans ist, ist bisher zum Glück nur eine Randerscheinung im verschwörungsideologischen Sammelbecken, die größtenteils belächelt wird. Trotzdem bleiben die Narrative anschlussfähig an populistische und transphobe Rhetorik, die das Leben von trans Personen gefährden. Nicht zuletzt schaden die konstruierten Gender-Normen auch cis Personen, insbesondere cis Frauen.
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