Der Ruf der Antifa
Im Jahr 2019 befindet sich Deutschland in einer zunehmenden Polarisierung und auch Politisierung der Gesellschaft. Es wird langsam wieder “in”, politisch aktiv zu sein. Der GroKo-Dauerzustand sorgte dafür, dass immer mehr Menschen sich selbst politisch engagieren, zeigen wollen, dass sie anderer Meinung sind als die da oben. Ein wichtiger Beleg dafür ist die Zunahme an Demos. Und damit sind in dieser Folge von “Politik dechiffriert” nicht die Grüppchen “Wir sind das Volk”-brüllender Rechter gemeint. Sondern die gewaltige Überzahl auf den Demos, die sich genau gegen den Rechtspopulismus und den aufkeimenden Faschismus wenden. Dabei sticht ein Ruf ganz besonders hervor: “Alerta, alerta, antifascista!” hört man es ganz oft. Doch woher kommt der Ruf? Und was genau bedeutet er eigentlich?
Die Bedeutung von “Alerta, alerta, antifascista”
Die Bedeutung des Schlachtrufs ist schnell erklärt: “Alerta” bedeutet so viel wie “Achtung!” oder “Aufgepasst!”. “Antifascista” heißt “Antifaschisten”. Frei übersetzt ist die Bedeutung also “Achtung, Achtung, hier kommen die Antifaschisten!”. Darum ist auch klar, weswegen er momentan so hohe Beliebtheit genießt: In der polarisierenden Gesellschaft positioniert man sich damit klar gegen jegliche faschistische Tendenz. Man bekennt sich von der Sache her zur Demokratie.
Ein weiterer erwünschter Nebeneffekt ist, dass das Gegenüber automatisch in die andere Richtung geschickt wird. Wenn man selbst Antifaschist ist, dann ist der, gegen den man demonstriert, der Faschist. In der Wahrnehmung hat sich der Begriff allerdings von dieser puren etymologischen Bedeutung entfernt. “Alerta, alerta, antifascista” wird von vielen nicht mehr nur als Bekenntnis gegen den Faschismus wahrgenommen. Sondern als Kampfansage an den Kapitalismus. Und damit auch als linksradikaler Schlachtruf.
Was ist im Laufe der Jahre passiert?
Die Herkunft von “Alerta, alerta, antifascista”
Dazu müssen wir in das Italien der 1920er Jahre schauen. Mit Benito Mussolini ist hier der erste Faschist an der Macht. Und der Diktator macht sich natürlich viele Feinde, die er wiederum versucht zu unterdrücken. Wer genau diesen Spruch als erstes rief, ist nicht überliefert. Vermutlich stammt er von der Partito Socialista Italiano. Klar ist jedenfalls, dass es damals wirklich gegen den offenen Faschismus ging.
Man muss sich vor Augen halten: Einen gesellschaftlichen Konsens, dass Faschismus schlecht ist, gab es damals noch nicht. Die erbittertesten Gegner des Faschismus waren damals kommunistische, bald auch sozialistische Gruppen. Deren Vorstellung von Herrschaft passten überhaupt nicht mit Mussolinis Faschismus und seinem Personenkult zusammen. Sie waren also die ersten AntifaschistInnen. Infos hier und hier.
Als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen, weitete sich der Begriff des Antifaschismus aus. Die meisten Gegner Hitlers sahen sich selbst als Antifaschisten. Egal ob es die Kommunisten waren, die sich von Anfang an als Erzfeinde des Faschismus sahen, oder auch die “Weiße Rose”, deren Darstellung als “Antifaschisten” allerdings umstritten waren. In der (historisch unzureichenden) Darstellung, dass Hitler der Faschist und sämtliche Gegner Hitlers Antifaschisten waren, kann man sogar konservative Kreise als “Antifaschisten” bezeichnen.
Das Problem mit der DDR
Bis hierhin sieht es ja nicht so aus, als könnte irgendwer etwas gegen “Alerta, alerta, antifascista!” haben. Eigentlich müsste man ja sogar stolz darauf sein, oder? Doch nach dem 2. Weltkrieg kam der Kalte Krieg. Und der stellte noch einmal alles auf den Kopf. Besonders die Gründung der DDR ist dabei bedeutend. Neben dem weiteren Aufbau des “Realsozialismus” legitimierte sich die DDR vor allem als antifaschistischer Staat.
Man hatte Adolf Hitler zwar besiegt, doch gerade in Westdeutschland waren viele ehemalige NSDAP-Kader aus zweiter und dritter Reihe nach wie vor im Amt. NSDAP-Richter, NSDAP-Beamte, sogar ein Kanzler mit NSDAP-Vergangenheit (Kurt Georg Kiesinger) – all diese Dinge wiesen für die DDR-Führung darauf hin, dass der Faschismus nicht endgültig niedergeschlagen sei. Deswegen die Selbstdarstellung als Antifaschisten.
Nach 89/90 wurde dann in den Nachfolgen der Wiedervereinigung ein Narrativ erzeugt, welches die DDR aus politischer Sicht als prinzipiell schlecht ansah. Dieser schwere Fehler, der mentale, politische und gesellschaftliche Auswirkungen bis heute mit sich zieht, sorgte auch dafür, dass Antifaschismus nachhaltig mit Linksextremismus assoziiert wurde. Die DDR bezeichnete sich als antifaschistisch, also ist Antifaschismus zwingend “links”. Hat sich die DDR nicht auch als demokratisch bezeichnet…?
Situation heute
Diese historischen Hintergründe sorgen dafür, dass nicht nur Rechte, sondern auch Konservative, Vertreter der “Mitte” und sogar Linksliberale oftmals allem, was Antifaschismus (oder “Antifa” beinhaltet, ablehnend gegenüber steht. “Die Antifa” ist auf einer Demonstration? Dann ist jeder, der auf der Demonstration ist, links. “Die Antifa” veranstaltet selbst Demonstrationen? Dann müssen wir gleich das doppelte Polizeiaufgebot schicken. Und eben auch: Wenn Menschen “Alerta, alerta, antifascista” rufen, dann müssen sie links sein.
Ich möchte in diesem Artikel nicht die Straftaten verteidigen, die unter dem Deckmantel des Antifaschismus geschehen. Ich möchte auch sonst keine Randalierer in Schutz nehmen, deren Aktivismus daneben geht. Mir geht es darum, dass wir “Antifaschismus” wieder als gesamtgesellschaftlichen Konsens wahrnehmen. Nicht als Randgebiet des politischen Spektrums, das ein paar Spinner belegen. Egal ob Linke, Grüne oder CDU: Alle Parteien sollte einen, dass wir gegen den Faschismus sind. Und darauf sollten wir stolz sein.
Fazit: Erinnerung und Gegenwart
Denn auch das wäre eine geeignete Erinnerungskultur: Wir gestehen ein, dass unsere Eltern/Großeltern/Vorfahren in der Zeit 1933-1945 vielleicht nicht Antifaschist genug waren. Doch wir selbst zeigen, dass wir daraus gelernt haben. Dass Anne Frank, Georg Elsner, die Geschwister Scholl und all die anderen nicht umsonst gestorben sind. Sondern dass wir uns von nun an für immer gegen jegliche Form des Faschismus wehren. Egal ob auf der Straße oder in den Parlamenten: Antifaschismus sollte Normalzustand sein.
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