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Nein, BioNTech kann nicht „Hellsehen“ – Report24 aber auch nicht Recherchieren

von | Feb 3, 2022 | Analyse

„Report24“ widerlegt sein Geschwurbel versehentlich mit eigenem Screenshot

Das Mainzer Pharmaunternehmen BioNTech steht seit knapp 2 Jahren fast ständig im Fokus der Berichterstattung. Zu Recht, immerhin haben wir dem Unternehmen einen der wirksamsten Impfstoffe gegen das Coronavirus zu verdanken und damit zum Teil auch die Rettung einer halben Million Menschenleben allein in Europa (Quelle). Doch gleichzeitig ist das Unternehmen damit auch zum Hassobjekt von Coronaleugner:innen geworden und ist immer wieder Teil absurder Verschwörungserzählungen. Im Folgenden zeigen wir auf, dass solche Märchen oft enorm fadenscheinig und leicht als Fakes zu enttarnen sind. Die neueste Manipulation stammt vom unseriösen Desinformationsmedium Report24, das seit seiner Gründung regelmäßig falsche Informationen über die Corona-Maßnahmen und Impfungen verbreitet.

FakeNews 24

Einen faulen Versuch der Manipulation startete nämlich „Report24“. Die Fake-News-Seite behauptet, sie böte „täglich der Wahrheit verpflichteten, unabhängigen Journalismus“. Ob sie es dabei mit der Wahrheit und der Exaktheit in der Recherche so genau nehmen, ist schon länger mindestens fraglich. Schon im letzten Frühjahr deckten unsere Kolleg:innen von correctiv.org eine ähnlich absurde Falschbehauptung auf. Angeblich gäbe es Hinweise, dass Kinder an der Impfung gestorben seien – das zu einem Zeitpunkt, als der Impfstoff für Kinder noch gar nicht zugelassen war! Mehr dazu hier. Correctiv schreibt weiter über Report24:

„Laut Webseite sind neun Personen Teil der Redaktion von Report24. Nur zu einem Namen finden sich Fotos und authentisch wirkende Profile in den Sozialen Netzwerken – einem Deutschen, Daniel Matissek. Auch die Facebook-Seite von Report24 wird laut dem Transparenzhinweis von einer Person in Deutschland verwaltet. Alle anderen Autorinnen und Autoren scheinen Pseudonyme zu benutzen oder existieren gar nicht.“

In ihrem neuen Bericht greifen Report24 jetzt eine „brisante Frage“ einer „klugen deutschen Bürgerin“ auf. Diese Bürgerin hatte den Geschäftsbericht von BioNTech für das Jahr 2019 „genau studiert“ und anschließend einen offenen Brief verfasst. Sie bestätigt damit scheinbar Report24 darin, dass BioNTech offenbar über „gute Wahrsager“ verfüge, weil sie angeblich schon 2019 – vor der Pandemie – einen Corona-Impfstoff geplant haben sollten. Die Implikation, ganz klar: Die ganze Pandemie sei ein Inside Job, eine Verschwörung von „denen da oben“ und BioNTech stecke mitten drin, Blabla, man kennt das Märchen inzwischen. Auch mit juristischen Konsequenzen wird implizit gedroht.

Doch wie so oft sind es einfache, fast schon dumme Kleinigkeiten, die diese ganze „Logik“ komplett auffliegen lassen. Wir zeigen auf, wie leicht man die falschen Behauptungen enttarnen kann und beantworten auch die 3 Fragen, die der Bericht aufwirft. Die Antwort ist nämlich ganz einfach: Der Geschäftsbericht von BionTech wurde erst Mitte 2020 geschrieben und die Covid-Impfstoff-Entwicklung bezieht sich explizit erst auf den Zeitraum seit 2020. Also alles erlogen.

Eigener Screenshot widerlegt Bericht

Tatsächlich liefert nämlich Report24 selbst das Material, um das Verschwörungsmärchen vom „Hellseher“ auffliegen zu lassen. Auf dem Screenshot, den Report24 verwendet, steht der entscheidende Hinweis unten rechts in der Ecke:

Die roten Kreise von Report24 sollen vom wesentlichen Detail ablenken (Schwarz von uns nachbearbeitet)

Es steht explizit da, dass der Produktkandidat, der sich später zu einem Covid-19 Impfstoff entwickeln soll, seit 2020 in der Untersuchung ist. Das ist der „klugen Bürgerin“, die von Report24 zitiert wird, offenbar ja auch selbst noch aufgefallen. Doch warum dann offensichtlich die Klugheit fehlte, noch weiter nachzudenken, bleibt ihr Geheimnis.

Es finden sich im weiteren Verlauf des Berichts dann auch klare Indizien dafür, dass der Gedankengang noch nicht vollendet ist. Wenn die „kluge Bürgerin“ den Geschäftsbericht so genau studiert hat, warum ist ihr dann beispielsweise nicht aufgefallen, dass auf Seite 6 explizit firmeninterne Entwicklungen aus dem Jahr 2020 erläutert werden? Hat sie Seite 66 nicht gelesen, auf der die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands für das Jahr 2020 skeptisch betrachtet wird, wegen der globalen Pandemie?

Seite 76, wo es heißt „Anfang März gab BioNTech bekannt, einen Impfstoff zur Immunisierung und Prävention von Covid-19-Infektionen zu entwickeln“?

Ganz wichtig: Auf Seite 181 wird die Forschung bezüglich des Impfstoffs explizit als Ereignis nach Abschluss der Berichtsperiode aufgeführt. Und wenn man selbst das alles überlesen hätte, dann hätte man doch wenigstens ans Ende des Dokuments scrollen können und auf Seite 197 die Unterschrift des Aufsichtsratsvorsitzenden Helmut Jeggle sowie das Datum des Geschäftsbericht lesen können: 15. Mai 2020. Das herauszufinden, hat uns ca. 5 Minuten gekostet. So schwer kann es also nicht sein.

Suggestive Fragen basierend auf falschen Annahmen

Die Annahme, der Geschäftsbericht stamme pünktlich vom 31. Dezember 2019, ist also nicht nur abwegig, sondern auch einfach zu widerlegen. Manche könnte sagen: Gelogen. Doch der im Bericht zitierte offene Brief geht ja noch weiter und wirft 3 Fragen auf. Diese Fragen sind offensichtlich suggestiv und hoffen nicht wirklich auf eine Antwort, sondern wollen nur das eigene Weltbild stärken. Wir beantworten sie trotzdem, denn so enttarnt sich die Strategie am leichtesten.

Fragen-Fail 1: Keine „Hellseher“, sondern schlechte Recherche

Frage 1 wiederholt im Kern noch einmal das, was wir oben schon enttarnt haben. Es wird gefragt, wie BioNTech denn Ende 2019 ein Therapeutikum durch die präklinische Testphase gebracht haben könne, wenn das Virus doch Ende 2019 erst bekannt wurde.

Die Antwort ist einfach: Haben sie nicht. Weil der Geschäftsbericht eben nicht von Ende 2019 stammt, sondern von Mai 2020. Und da können wir auf eine weitere Quelle zurückgreifen, welche die „kluge Bürgerin“ in ihrem offenen Brief zitiert. Hier findet man mit Stand Juli 2020 alle sich zu diesem Zeitpunkt in der klinischen Erprobung befindenden Impfstoffkandidaten. Darunter befindet sich auch der von BioNTech. Als Startzeitraum ist der April 2020 angegeben – also VOR der Veröffentlichung des Geschäftsberichts.

Fragen-Fail 2: Immuntherapie und Impfung

Die zweite Frage bezieht sich auf die Formulierung, unter die im Geschäftsbericht der Impfstoffkandidat fällt, nämlich „Immuntherapien für Infektionskrankheiten“. Die Fragestellerin fordert den Konzern BioNTech dazu auf, ihr zu erklären, was der Unterschied zwischen Immuntherapie und Impfung sei. Sie glaubt nämlich, dass dies zwei komplett verschiedene Dinge sind und setzt Immuntherapie im Folgenden mit Chemotherapie gleich. Wiederum ein Wink für die eigene Bubble: Impfung so zerstörerisch, wie eine Chemotherapie?!

Nun ist BioNTech nicht dafür verantwortlich, Wissenslücken einzelner Bürger:innen zu füllen. Auch wir sind keine absoluten Expert:innen im Bereich Medizin und haben im ersten Augenblick „Immuntherapie“ mit Krebsbehandlung assoziiert. Das ist nicht völlig abwegig – aber leider auch nicht ganz richtig. Wie man z.B. hier nachlesen kann, wird unter „Immuntherapie“ jegliche Behandlung mit Medikamenten verstanden, die das Immunsystem beeinflussen. Das können Krebsbehandlungen sein – aber eben auch Schutzimpfungen. Querdenker:innen stellen gerne Fragen, deren Antwort sie aber nicht hören wollen.

Abgesehen davon konnten wir aber auch diese Frage in wenigen Minuten klären. Das hätte man einfach selbst herausfinden können.

Fragen-Fail 3: Wie lange dauerten die einzelnen Studien- und Testphasen?

Hier fängt die „kluge Bürgerin“ wieder bei der mittlerweile mehrfach widerlegten Annahme an, BioNTech habe bereits Ende 2019 die präklinische Studienphase abgeschlossen. Abgesehen davon, dass das schon komplett unsinnig ist und einfach frei erfunden, macht sie aber noch einen Fehler, den wir bereits in vorherigen Artikeln widerlegt haben.

Sie beruft sich nämlich darauf, dass in der Vergangenheit die einzelnen Testphasen für die Zulassung der Impfstoffe jeweils mindestens ein Jahr gedauert hätten und es deswegen jetzt wieder so sein müsste. Wenn man dann weiter zurück rechnet, hätte BioNTech ja schon 2017 mit den Tests anfangen müssen. Doch auch das ist wiederum nicht richtig und einfach nur Spekulationen aufgebaut auf Lügen. Es stimmt zwar, dass die Testphasen in der Vergangenheit oft länger als ein Jahr dauerten. Das lag jedoch daran, dass entweder Geld fehlte, die behördlichen Genehmigungsverfahren nur schleppend voran kamen oder sich schlicht keine ausreichend große Testgruppe fand.

Angesichts der Pandemie war allerdings keines dieser Probleme im Falle Covid-19-Impfstoff vorhanden. Es wurde massiv Geld in die Erforschung eines Impfstoffes gesteckt, die entsprechenden Behörden konnten sich fast ausschließlich auf diesen Impfstoff konzentrieren und durch die hohe Infektionsrate fanden sich auch genügend Testpersonen. Für unsere „kluge Bürgerin“ und die Report24-Redaktion haben wir sogar einen Link rausgesucht, der genau erklärt, wie die Testphasen im Falle Covid-19 verlaufen. Es ist genau die Seite, die in dem offenen Brief als Quelle dafür angegeben wurde, dass Testphasen normalerweise über ein Jahr dauern. Wenn ihr das nachlesen wollt, klickt einfach hier. Ausführlich erklärt haben wir das auch schon vor über einem Jahr:

Gutachterin für Impfstoffe klärt auf: Warum keine „Langzeitdaten“ kein Problem sind

Fazit: Nichts recherchiert, und lieber suggestivfragen statt wahre antworten!

Wir fassen zusammen. Der Geschäftsbericht stammt nicht vom 31. Dezember 2019, wie im „offenen Brief“ einfach angenommen wird, sondern vom Mai 2020. Das lässt sich sehr einfach herausfinden, wenn man bis ans Ende scrollt, denn dort steht das Datum – wie eigentlich immer in offiziellen Dokumenten, Berichten oder Verträgen. Dieser Querdenkerin – und das Fake-Portal Report24 – zeigen aber nur die Info, die ihr Verschwörungsgespinst andeutet – an der Wahrheit sind sie nicht interessiert.

Nun kann es gut sein, dass unsere „kluge Bürgerin“ einfach mal einen schlechten Tag erwischt hatte. Dass sie nicht wirklich den ganzen Geschäftsbericht, sondern nur eine Grafik darin gelesen hat, nicht auf das Datum geschaut und stattdessen einen öffentlichen Brief an BioNTech geschrieben hat, in dem sie das Unternehmen bittet, für sie die 5 Minuten-Recherche zu ihren Fragen zu übernehmen – das kann doch jedem mal passieren. Ganz bestimmt.

Aber Report24 setzt dem ganzen die Krone auf. Der gesamte offene Brief, mit all seinen Denkfehlern (die die Autorin ironischerweise selbst ankündigt) wird ungeprüft übernommen, ein Einleitungssatz, in dem mit einem Gerichtsverfahren gedroht wird, davor geklatscht und fertig ist der Hetzartikel. Natürlich passt es schön in das Weltbild, welches Report24 sich von vornherein aufgebaut hat und die Lügenschlagzeilen, die dem willigen Publikum gefüttert werden sollen. Trotzdem sollte man wenigstens die 10 Minuten Recherche aufwenden, um sicherzugehen, dass man sich mit dem Artikel nicht komplett blamiert. Vielleicht konnten wir euch mit diesem Faktencheck ja zeigen, wie einfach das sein kann. Aber seien wir ehrlich: Dieses Medium existiert, um derartige Schlagzeilen zu fabrizieren, das ist ihr Geschäftsmodell – je weniger Arbeit, umso besser.

Artikelbild: pathdoc

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.