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Schweden: Dieser offizielle Bericht widerlegt alle, die Schwedens Corona-Politik lobten

von | Nov 10, 2021 | Aktuelles

Schwedische Ernüchterung statt „Querdenken“-Traum

Eine von der schwedischen Regierung eingesetzte Corona-Kommission legte Ende Oktober einen Bericht darüber vor, in welchem sie den bisherigen Umgang mit der Pandemie einschätzt. Schweden galt (oder gilt) für viele aus der „Querdenken“-Bewegung als Traumland eines liberalen Pandemie-Managements. Dass dieser Traum eher eine Phantasie als Realität ist, zeigt sich schon seit Monaten. Mit dem neuen Bericht dürfte es nun endgültig das böse Erwachen geben. Denn das Pandemie-Management der schwedischen Regierung wird als zu träge, langsam und teilweise fahrlässig bezeichnet.

Christian Christensen, Professor für Journalismus, Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Stockholm, fand dazu auf Twitter recht deutliche Worte: Dieser Bericht widerlege den „Bullshit“, den Leute auf der ganzen Welt über Schweden erzählt hätten.

Das ist sicherlich vor allem als scharfe Kritik in Richtung der Leute zu verstehen, die international Schwedens Irrweg als Erfolgsgeschichte verkaufen wollten. Außerdem hat er die wichtigsten Kritikpunkte des Berichts zusammengefasst. Auch wir haben für euch mal drüber geschaut.

Schwedens Sonderweg zu Pandemiebeginn

Es ist vor allem die Reaktion der schwedischen Regierung auf die frühe Phase der Pandemie, die im Bericht kritisiert wird. Im Gegensatz zu seinen nordischen Nachbarn (und z.b. auch Deutschland) hat Schweden sich gegen striktere Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie entschieden. Statt konkreter Maßnahmen und Sanktionen von Regierungsseite gab es in Schweden nur „Empfehlungen“ des Gesundheitsamtes, dazu einen Einreisestopp, Beschränkung von Versammlungen und Besuchsstopp in Altenheimen. Im Vergleich zu fast allen anderen europäischen Ländern nahezu lächerlich sanfte Maßnahmen. Was von „Querdenken“ und Co. später als „Politik der Freiheit“ gefeiert wurde, sieht der Bericht eher als gefährliche Langsamkeit und Trägheit an.

Langsame und planlose Reaktion

Führende „Querdenkende“ vergessen gern einmal, dass Schweden ab der zweiten Welle auch recht restriktive Maßnahmen hatte. Quarantäne-Regelungen, Kontaktbeschränkungen, Einschränkungen des öffentlichen Lebens usw. Der Bericht stellt klar fest, dass Schweden im Prinzip genauso reagiert hat, wie der Rest Europas – nur eben viel zu spät. Neben dem Effekt, dass die erste Welle lange ungebremst rollen konnte, habe dies zusätzlich für Verwirrung in der Bevölkerung gesorgt, weil die neuen Maßnahmen eingeführt wurden, ohne dass es eine klare Ansage gab, warum die Regierung ihre Meinung auf einmal geändert hat. Immerhin das Auswärtige Amt Schwedens habe sich diesem Irrweg widersetzt und von Anfang an durch Einreisebeschränkungen entscheidend dazu beigetragen, Schlimmeres zu verhindern.

Auch die Kontaktverfolgung sei nur schleppend vorangetrieben worden. Dass es Probleme beim Aufbau der Test-Infrastruktur gab, ist ja kein rein schwedisches Problem. Da hatten die meisten Länder, Deutschland eingeschlossen, anfangs große Probleme, auch wenn es in Schweden abermals besonders langsam ging. Viel schwerer wiegt, dass Schweden den Schritt vom puren Testen hin zur gezielten Kontaktnachverfolgung wieder einmal zu spät machte. Bemerkenswert: Erst im Februar 2021 habe die schwedische Regierung die Kontaktnachverfolgung auf 48 Stunden ausgedehnt. An Unwissenheit kann es nicht gelegen haben: Genau dieser Schritt sei von Expert:innen schon fast ein Jahr zuvor empfohlen worden. Schweden war nicht etwa besonders progressiv oder liberal, sondern einfach nur langsam.

Klinikpersonal an die Grenze gebracht

Der einzige Grund, warum das Gesundheitssystem nicht zusammengebrochen ist, sei die Arbeit des Klinikpersonals gewesen, welche unter extremem Stress bis an die Grenzen des Möglichen gebracht worden seien. Ähnlich wie in Deutschland hatte auch Schweden schon vor Corona ernste personelle Engpässe. Das plötzliche Überlaufen der Normal- und Intensivstationen sorgte nicht nur dafür, dass das Personal zahllose Überstunden schieben musste und das Wort „Urlaub“ seit Monaten nicht mehr gehört hat. Es mussten außerdem auch andere, nicht dringende Operationen verschoben werden. Diese müssen nach der Pandemie nachgeholt werden, wodurch die Auslastung der Stationen hoch bleibt. Mit den Folgen der Corona-Fehler wird Schweden also noch länger zu kämpfen haben.

Fazit

Wir haben hier einige Punkte ausgelassen, die in Schweden, genauso wie in Deutschland, falsch gelaufen sind. Die (teilweise) Umstellung der Schulen auf Distanzunterricht, die verstärkten Auswirkungen auf marginalisierte Gruppen und der generelle Mangel an Vorbereitung auf eine solche Pandemie sind nur ein paar der Beispiele. Es geht auch gar nicht darum, den deutschen Umgang mit Covid als „besser“ darzustellen. Das wäre angesichts von Maskendeals, Länder-Chaos und Lockerungen zur Unzeit auch nicht unbedingt ein Vergleich, in dem „wir“ gut abschneiden würden.

Doch entscheidend ist, dass auch in Schweden mittlerweile anerkannt wird, dass der schwedische Sonderweg ein Irrweg ist. Die Politik der Regierung ist sicherlich keine „der Freiheit“ gewesen, eher der Langsamkeit und Planlosigkeit. Der Bericht kommt nämlich zum Schluss, dass man der schwedischen Regierung schwerwiegendes Versagen während der Corona-Pandemie anlasten muss. Das wäre doch mal ein Anlass für einen Untersuchungsausschuss, aber „Querdenken“ bleibt dort erstaunlich still.

Artikelbild: OPOLJA

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.