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Neurechte Kampagne gegen Faeser: Was hinter dem Verein der Nazi-Verfolgten steckt

von | Feb 7, 2022 | Aktuelles

Neurechte Schmutzkampagne gegen Faeser – Dürfen Innenminister:innen keine Antifaschist:innen sein?

Nancy Faeser sieht sich aktuell mit einer Schmutzkampagne konfrontiert, die ihrem Ruf als Innenministerin schaden soll. Was ist passiert? Vergangenes Jahr hat sie im Magazin des antifaschistischen und gemeinnützigen Vereins „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (kurz VVN-BdA) einen Gastbeitrag verfasst, nachdem sie Gewaltandrohungen erhalten hatte, die mit „NSU 2.0“ gegenzeichnet waren. VVN-BdA ist ein gemeinnütziger Verein, der von Widerstandskämpfer:innen und Verfolgten des Nazi-Regimes gegründet wurde und u. a. gemeinsam mit der CDU und Gewerkschaften Veranstaltungen durchführt.

https://twitter.com/stephanpalagan/status/1490136217912020995

In ihrem Beitrag schrieb sie unter anderem:

„Der Kampf gegen Faschismus und Rechtsextremismus, gegen Rassismus und völkische Ideologien gehört zur politischen DNA meiner Partei, der SPD. Er gehört zu meiner politischen Arbeit als Mitglied des Hessischen Landtags. Und er muss zum Alltag jedes Demokraten und jeder Demokratin gehören, weil Freiheit und Demokratie jeden Tag aufs Neue gegen ihre Feinde verteidigt werden müssen.“

Wie wird aus einem harmlosen Gastbeitrag jetzt der Vorwurf?

Soweit so gut. Wie wird aus dieser „harmlosen“ Geschichte nun eine gezielte Schmutzkampagne gegen die neue Innenministerin?

https://twitter.com/NancyFaeser/status/1490244512219906049

In diesem Artikel erklären wir, woher die Vorwürfe kommen, die Strategie dahinter und wie „undemokratisch“ und „gefährlich“ ein gemeinnütziger Verein sein kann, der aus Verfolgten des Naziregimes besteht.

Spoiler: Nicht so schlimm, wie Konservative und extreme Rechte es gerne hätten und groß schreiben.

Neurechtes Kampfblatt bringt Vorwürfe in Umlauf

Die Geschichte dieser Schmutzkampagne beginnt hier, beim Kampfblatt der Neuen Rechten, „Junge Freiheit“:

Das rechtspopulistische Meinungsblatt mit ideologisch und personell großer Nähe zur überwiegend rechtsextremen AfD, bringt die Geschichte zuerst und bedient sich hierbei zweier Tricks, um den Anschein besonders schmutzig wirken zu lassen: Framing der Headline und strategisches Weglassen von wichtigen Informationen, mit deren Hilfe man die Geschichte vernünftig einordnen könnte.

Das Einfache und Banale: Man bringt Faeser in Zusammenhang mit der „Antifa“. Der Begriff „Antifa“ ist, zurecht oder nicht, hierzulande häufig negativ konnotiert und oft in konservativen sowie rechten Kreisen ein Kampfbegriff. Bei „Antifa“ denken die meisten Menschen an schwarz gekleidete, vermummte Autonome, die mit Steinen werfen. Nicht hingegen an engagierte Bürger:innen, die sich mit antifaschistischen Aktionen gegen Rechts engagieren. Oder einen Verein, der von Shoah-Überlebenden, Widerstandskämpfer:innen und Nationalsozialismus-Verfolgten gegründet wurde – wie die VVN-BdA. Antifaschismus: gegen Faschismus eben.

„Verfassungsfeindlichkeit“ widerlegt

Im Text kommt dann der vermeintliche Skandal: Ein „verfassungsfeindliches Blatt“ sei das Magazin der VVN-BdA, und die „Junge Freiheit“ schreibt, dass der gemeinnützige Verein „nach wie vor auch den Verfassungsschutz beschäftigt“. Das wiegt auf den ersten Blick schwer. Die Geschichte erhitzt derart verkürzt natürlich die Gemüter.

Was JF aber nicht erwähnt, ist, dass ausschließlich das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Bericht für 2020 die Bundesvereinigung der VVN-BdA in seinem Jahresbericht 2020 als „linksextremistisch beeinflusst“ kennzeichnet. Alle anderen Landesschutzämter übrigens nicht.

https://twitter.com/habichthorn/status/1489710825254313989

Verschwiegen wurde auch, dass es genau um diesen Umstand eine Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA gab, die im Frühjahr 2021 zu deren Gunsten entschieden wurde (Quelle).

https://twitter.com/anna_mohn/status/1490603110091403267

Das Berliner Finanzamt hat die Gemeinnützigkeit des Vereins wieder vollständig anerkannt, nachdem Gedenkstätten, Gewerkschaften, Sozialverbände, jüdische Gemeinden und Politiker der SPD, der Grünen sowie der Linkspartei gegen deren Entzug protestiert und die beiden Vorsitzenden der VVN-BdA eine eidesstattliche Erklärung abgegeben hatten. Das Berliner Finanzamt befand nach dieser Erklärung die Einschätzung des bayerischen Verfassungsschutzes und die Bedenken einer verfassungswidrigen Tätigkeit der VVN-BdA „als widerlegt“ (Quelle).

Auch der Zentralrat der Juden solidarisierte sich damals eindeutig mit dem gemeinnützigen Verein (Quelle). Die damalige Aberkennung der Gemeinnützigkeit sei laut Zentralrat ein fatales Signal im Kampf gegen den Rechtsextremismus gewesen.

Wie „gefährlich“ ein Verein, gegründet von Verfolgten der Nazis, wirklich ist

In einem Thread auf Twitter erklärt der Tagesspiegel-Journalist Paul Starzmann anhand aktueller Beispiele und mit viel Ironie, wie „gefährlich“ der Verein sei. Man hält Gedenkveranstaltungen zusammen mit der CDU ab, man wird an Schulen zum Holocaustgedenken eingeladen, beteiligt sich an Kranzniederlegungen, eingeladen von der CDU, nimmt gemeinsam mit Gewerkschaften an Demos gegen Corona-Spaziergänger teil und bittet darum, dass Hakenkreuz Schmierereien entfernt werden – per Leserbrief. Das ist der gemeinnützige Verein, der als Beispiel für gefährlichen Linksextremismus herhalten soll.

https://twitter.com/paul_starzmann/status/1490054894673403907

An dieser Stelle muss man sich dann fragen, wie denn überhaupt auch nur ein Landesamt des Verfassungsschutzes auf die Idee kommen kann, den Verein für extremistisch zu halten. Nun, es ist nicht ganz ohne Grund: Als „Vereinigung für die Verfolgten des Naziregimes“ sind in der Bewegung – neben Jüd:innen, Sozialdemokrat:innen und anderen Verfolgten – eben auch Kommunist:innen aktiv, die ja ebenfalls in großer Zahl von Nazis verfolgt wurden. Für den Verein eine schwierige Abwägung, da Kommunismus ebenfalls in der Ausführung eine problematische Ideologie werden konnte. Der Verein steht aber offensichtlich klar auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Esther Bejarano, die kürzlich verstorbene Holocaustüberlebende, bekannt für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus, war die Ehrenvorsitzende der VVN-BdA. Und als solche fand sie auch viel Lob aus allen Parteien des demokratischen Spektrums. Unter anderem von CDU-Politiker:innen, die jetzt auf das irreführende Narrativ von Rechtsaußen aufspringen.

https://twitter.com/sixtus/status/1490244637830828034

Stimmen aus der CDU selbst kritisieren das Befeuern der Kampagne gegen Faeser als heuchlerisch: Solange ein Maaßen noch in der CDU sei, solle die CDU sich „primär um die eigenen Abgrenzungsprobleme von politischem Extremismus kümmern“, erklärte Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der CDU.

https://twitter.com/polenz_r/status/1490324886463688712

Faeser: Zur Abwechslung eine Innenministerin, die nicht auf dem rechten Auge blind ist

Halten wir an diesem Punkt also fest: Das neurechte Kampfblatt „Junge Freiheit“ versucht die Innenministerin mit Schmutz zu bewerfen und einen Gastbeitrag in einem antifaschistischen Magazin zu einem Skandal hochzuschreiben. In Wahrheit ist es nur der gezielte Versuch, durch aufgeblasene Vorwürfe von Rechts abzulenken.

Frau Faeser ist als Innenministerin der rechtsextremen Szene ein Dorn im Auge. Sie ist seit vielen Jahren endlich wieder eine Innenministerin, die nicht auf dem rechten Auge blind ist und die Gefahr von Rechts nicht systematisch verharmlost. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Kritik des Verfassungsschutzes an der AfD durch den ehemaligen Innenminister Horst Seehofer abgeschwächt wurde (Quelle).

Faeser hingegen hat dem Rechtsextremismus in Deutschland endlich den Kampf angesagt:

https://twitter.com/NancyFaeser/status/1481330768228007942

https://twitter.com/NancyFaeser/status/1480478632170733570

BILD und WELT paktieren mit neurechtem Medium

Die Geschichte könnte hier zu Ende sein, kaum Beachtung finden und wie viele Geschichten, die aus neu-rechten Kreisen kommen, einfach in der Versenkung verschwinden. Aber die Axel-Springer-Presse, namentlich BILD und WELT, konnten – warum auch immer – nicht anders und griffen die Geschichte auf. Dass diese beiden vermeintlich seriösen Medien vom rechten Rand abkupferten, ließen sie unerwähnt.

https://twitter.com/derrechterand/status/1489885969042096129

Selbst die „Junge Freiheit“ beschwert sich öffentlich darüber, dass nicht erwähnt wurde, dass sie die Geschichte zuerst brachten. Ansonsten würde man ja auch darauf kommen, dass hinter dem Bericht eine gezielte Attacke steckt. Sei es drum.

https://twitter.com/the_real_urbsi/status/1490248364205776896

Die Axel-Springer-Presse macht aus der kleinen Geschichte der „Jungen Freiheit“ einen großen Skandal, die Headlines gehen nochmal ein Stück weiter und versuchen ein Abgrenzungsproblem von Faeser herbeizuschreiben:

Die Suggestion wirkt überspitzt, als hätte die Innenministerin mit demokratiefeindlichen Medien gesprochen. Davon kann in Anbetracht der Tatsachen wirklich nicht die Rede sein. BILD und WELT ließen sich offensichtlich gerne auf die Agenda der „Jungen Freiheit“ ein. Die Strategie ist klar: Etwas an den Vorwürfen soll hängen bleiben, Frau Faesers Ruf nachhaltig geschädigt werden.

WELT-Chef Poschardt blamiert sich

Pointierter Abschluss dieser Kampagne war die „versehentliche“ komplette Entgleisung von Welt Chefredakteur Ulf Poschardt. Irgendwie habe sich in seinem Text über den angeblich schlimmen Linksextremismus in Deutschland ein Fehler eingeschlichen. Die Rede war von „unbescholtenen Bundeswehr-Offizieren“, die von „super Holocaust-Überlebenden und deren PR-Abteilungen“ in die rechte Ecke gedrängt werden:

https://twitter.com/janboehm/status/1490092131939139589

Die „super Holocaustüberlebenden“ zumindest sollen jedoch ein Versehen gewesen sein und man rudert heftig zurück. Das Ganze sei ein „Digitalisierungsfehler“ gewesen und man wollte ja eigentlich „superlinke Aktivistinnen“ schreiben. Als ob es das besser macht. Für einen Chefredakteur äußerst blamabel, aber wie sprechen hier ja auch über ein Axel-Springer-Medium.

https://twitter.com/JMuellerToewe/status/1490068989296398341

https://twitter.com/welt/status/1490272496330936325

Auf Twitter spottet man über den „Mausrutscher“

https://twitter.com/HHumorlos/status/1490101205133049876

Ob dieses Versehen wirklich der Wahrheit entspricht, wird wohl immer ein Rätsel bleiben und die Frage ist eigentlich auch irrelevant. Relevanter ist hingegen, dass der erwähnte Bundeswehroffizier Marcel Bohnert eindeutig Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte (Quelle).

Warum also nimmt WELT-Chefredakteur Poschardt ihn in Schutz?

Die Fakten & rechtsextremen Hintergründe, von denen „PanoramaGate“ ablenken soll

Fazit: Kampagne soll von Rechtsextremismus ablenken

Fassen wir das alles kurz mal zusammen: Das Kampfblatt der Neuen Rechten „Junge Freiheit“ bringt eine gezielt negativ geframte Story über Innenministerien Faeser in Umlauf und lässt entscheidende Details weg, um ihr zu schaden. Die Axel-Springer-Medien BILD und Welt – ohnehin für ihre Verharmlosung von Rechtsextremismus und das Verbreiten von Fake News bekannt – blasen ins selbe Horn und bauschen die Geschichte noch einmal auf.

Statt dass sich eine nicht ausreichende Distanzierung von Faeser nach links offenbart, wird eher die Nähe derjenigen, die die Vorwürfe erheben, nach rechts offensichtlich. Die damalige Beurteilung des Verfassungsschutzes ist fraglich, die vermeintliche Demokratie-Feindlichkeit vom Finanzamt bereits widerlegt und der Verein als gemeinnützig anerkannt. Setzt man sich mit der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ genauer auseinander, kann nicht die Rede von Demokratiefeindlichkeit sein. Unterstellungen von „Linksextremistenblatt“ sind absurd und decken sich nicht mit der Realität.

https://twitter.com/MatthiasMeisner/status/1489946607185444874

Die ganze Kampagne muss auch in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen und eingeordnet werden. Hier versuchen neurechte Medienmacher mit ihren Verbündeten in der Axel-Springer-Presse den Diskurs zu verschieben und wieder einmal Linksextremismus als Problem großzuschreiben.

Dabei dominieren Meldungen über erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland die Schlagzeilen. Mehrere rechtsextreme Terroranschläge, eine wohl bald gänzlich vom Verfassungsschutz beobachtete AfD im Deutschen Bundestag, rechtsextreme Morde. Und jetzt soll eine Innenministerin, die zur Abwechslung mal nicht auf dem rechten Auge blind ist, ein Skandal sein?

https://twitter.com/stephanpalagan/status/1490086092091150343

Und das alles unter dem Vorzeichen eines jahrelang agierenden Innenministers Seehofers und eines Verfassungsschutz-Chefs Maaßen, die beide erwiesenermaßen Rechtspopulisten deckten (Quelle, Quelle).

https://twitter.com/akm0803/status/1489522552640790529

https://twitter.com/tazgezwitscher/status/1484609274621968389

Was die Ganze Story um Faeser soll? Ein Ablenkungsmanöver, um von den tatsächlichen Problemen im Land abzulenken: die offensichtlichen Probleme mit organisiertem und teils von Behörden gedecktem Rechtsextremismus. Die neue Innenministerin will genau diese Umstände endlich bekämpfen. Klar also, dass man sich an ihr abarbeiten möchte. Die Berichterstattung um Faeser und die VVN-BdA sollte man als das betrachten, was es ist: einen gezielten Versuch, die Innenministerin in ihrem notwendigen Kampf gegen Rechtsextremismus zu sabotieren.

Die Neue Rechte hat kein Interesse daran, dass es Faeser gelingt, ihre Netzwerke wie angekündigt zu zerschlagen. Der Kampf für unsere offene Gesellschaft und gegen ihre Feinde ist überfällig. Die größte Gefahr für die innere Sicherheit bleibt der Rechtsextremismus.

https://twitter.com/NancyFaeser/status/1467834923880960000

https://twitter.com/NancyFaeser/status/1469680940033138692

Artikelbild: Bernd von Jutrczenka/dpa

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