130

Die Sache mit der Diskussion darüber, was „man heute überhaupt noch sagen darf“

von | Mai 8, 2018 | Aktuelles

Es gibt keine „politische Korrektheit“, die die Meinungsfreiheit einschränkt. Es gibt lediglich Menschen, die sich als Opfer einer hart umkämpften Sitte sehen, aufeinander Rücksicht zu nehmen.

„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ ist ein inzwischen hinlänglich bekannter Satz, der implizieren soll, dass der Sprechende gegen ein bestehendes Unrecht, das seine Meinungsfreiheit einschränkt, protestiert, indem er diese vermeintliche Meinungsfreiheit ausübt. Der Sprechende soll hier das Opfer sein. Paradoxerweise hat er aber IMMER das gesagt, was er vermeintlich nicht sagen darf. Und worum es sich dabei eigentlich immer handelt: Diskriminierende Sprache.

Mit dem Kampfbegriff „politische Korrektheit“ wird eine Narrative aufgebaut, in welcher elitäre Gruppen die öffentliche Rede zensieren und Meinungsfreiheit einschränken. Doch diese Behauptung ist ein reiner Mythos, denn es stellt die Machthierarchien auf den Kopf: Der Schulhofschläger ist nicht das Opfer einer repressiven Schulpolitik, wenn ihm verboten wird, anderen Kindern das Pausenbrot zu klauen. Und dieser Vergleich hinkt auch noch, da die Verwendung vermeintlich untersagter Begriffe gar nicht verboten ist. Doch dazu später mehr.

Recht auf Diskriminierung?

Es gibt kein Menschenrecht darauf, diskriminierende Sprache verwenden zu dürfen – und nein, nur weil du es nicht für diskriminierend empfindest oder jemanden kennst, der damit kein Problem hat, so bezeichnet zu werden, hast du keinen Freifahrtschein auf die Benutzung dieses Wortes. Kein Wort hat in jedem Kontext zu jedem Zeitpunkt die gleiche Bedeutung für jeden. Sprache und Bedeutung wandeln sich und sind kontextabhängig. Eine frühere Bedeutung eines Wortes ist nicht legitimer als eine neuere – Im Gegenteil. Ein und das gleiche Wort können für zwei verschiedene Menschen etwas anderes bedeuten – Denn neben dem ebenfalls flüchtigen Denotat (der Hauptbedeutung), gibt es auch individuelle Konnotate (Nebenbedeutungen) von Begriffen.

Das heißt, der Begriff bedeutet für den Sprechenden etwas bestimmtes, und für jeden weiteren, mit dem er oder sie spricht noch einmal etwas anderes. Ja, Sprache und jede Kommunikation sind der Versuch, zu „erraten“ wie das Gegenüber die Worte meint, die es sagt. Es gibt niemals eindeutige Kommunikation, wir alle interpretieren nur die Worte der anderen auf der Basis dessen, was genau wir unter diesen Worten verstehen. Und diskriminierende Sprache und Begriffe können verletzend sein. Weshalb sich ein Konsens etabliert hat, Rücksicht auf andere zu nehmen.

Es gab noch nie einen Krieg oder Konflikt, weil man aufeinander Rücksicht genommen hat

Und das, was viele als „politische Korrektheit“ identifizieren, ist eigentlich nichts anderes als der – hart umkämpfe! – Konsens, dass es doch besser ist, auf andere Rücksicht zu nehmen. Wenn du mit deinem Gegenüber gesittet und erwachsen reden willst, dann nimmst du auf ihn Rücksicht, dann bezeichnest du ihn nicht mit einem Begriff, den er und andere als diskriminierend empfinden, weil dahinter Konnotate von Unterdrückung, Verachtung und Ablehnung verknüpft sind. Und einige Begriffe, auch wenn sie dir harmlos erscheinen oder früher „normal“ waren, können heute nur noch als gemein und verletzend interpretiert werden.

Wenn also jemand darauf hinweist, dass dieser oder jener Begriff problematisch ist, dann weist diese Person dich darauf hin, dass das ein Terminus ist, der mit einer diskriminierenden Geschichte beladen ist und so von den meisten anderen verstanden werden wird. Das ist keine Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit. Denn letztlich hält dich niemand davon ab, diese Begriffe zu verwenden. Du wirst nicht dafür bestraft. Dann bist du halt nur jemand, der rücksichtslos ist, diskriminiert oder absichtlich verletzt. Wenn du dafür starke Gegenreaktionen erhälst, dann macht dich das nicht zum Opfer. Sondern zum Täter, der erwischt worden ist.