Etliche Studien zeigen: Faschisten in TV-Interviews einladen stärkt sie nur – warum stärkt das ZDF also Rechtsextreme wie Chrupalla und lädt sie unbelehrbar weiter ins Sommerinterview ein?
Das ZDF hat den rechtsextremen AfD-Chef Tino Chrupalla in seinem Sommerinterview eine Bühne geboten – in idyllischer Kulisse am Görlitzer Hafen, als wäre er ein Politiker wie jeder andere. Moderator Wulf Schmiese plauderte mit dem Chef der mittlerweile vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Partei freundlich über Weltpolitik. Er fragte Chrupalla sogar, was er „als Bundeskanzler“ tun würde – ohne darauf hinzuweisen, dass keine andere Partei mit der AfD koalieren will und dieses Szenario derzeit unmöglich ist. Aber die Vorstellung, dass Deutschland wieder einen rechtsextremen Kanzler bekommen könnte – das liefert das ZDF freiwillig.
Durch Optik und Tonalität unterschied sich das Gespräch kaum von Interviews mit demokratischen Spitzenpolitikern. Genau das ist das Problem: Ein öffentlich-rechtlicher Sender vermittelt damit Normalität, wo Alarm angebracht wäre. Chrupalla durfte unwidersprochen behaupten, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei „absolut gefährdet“, Russland habe keine feindlichen Absichten gegenüber Deutschland, und die AfD verhalte sich stets zivilisiert, ohne persönliche Angriffe. Die Partei, die vor allem für ihre Lügen, Beleidigungen und Pöbeleien bekannt ist.
So viele der Chrupalla-Aussagen waren falsch – blieben aber unwidersprochen im Interview stehen. Erst im Nachgang wurden ein paar seiner falschen Aussagen in einem separaten Faktencheck in einem Artikel nebenbei erwähnt. Rechtsextreme Propaganda, unwidersprochen im Prime TV im ZDF. So stärkt ausgerechnet das ZDF die Position des Faschisten Chrupalla und seiner Partei, anstatt sie zu schwächen. Das zeigen wissenschaftliche Studien deutlich. Warum ignoriert der öffentlich-rechtliche Rundfunk dabei die klare wissenschaftliche Lage und seinen eigenen Auftrag? Schauen wir diesem beschämenden Medienversagen einfach weiter zu?
Die Wissenschaft ist klar: Faschisten Einladen stärkt Faschisten
Jede Plattform für die extreme Rechte ist das – eine Plattform. Der oft beschworene Effekt einer „Entzauberung“ oder Demaskierung durch kritische Interviews lässt sich empirisch nicht nachweisen (Studie). Im Gegenteil, eine aktuelle Studien zeigt, dass das Einladen und Normalisieren von Rechtsextremisten diesen direkt in die Hände spielt. Die in der Cambridge University Press veröffentlichte Studie nutzte reale Interviews mit rechtsextremen Aktivisten in Australien und Großbritannien, um die Wirkung von Medien-Auftritten zu testen.
Das Ergebnis: Zuschauer, die solch ein Interview sehen – vor allem ein unkritisches – stimmen rechtsextremen Aussagen danach eher zu und glauben häufiger, dass viele andere diese Ansichten teilen. Allein das öffentliche Forum verleiht extremen Positionen also mehr Zustimmung und scheinbare Legitimität. Entscheidend ist zwar die Interview-Strategie, aber selbst hartnäckiges Nachhaken und Korrigieren von Lügen konnte in den Experimenten die Zustimmung zu den rechten Thesen nicht unter das Niveau von Zuschauern senken, die das Interview gar nicht gesehen hatten.
Zwar beschädigte ein wirklich kritischer Interviewer das Image des extremen Gastes leicht und verringerte die überschätzte Zustimmung in der Bevölkerung ein wenig – doch unter dem Strich normalisierten selbst kritische Interviews die faschistischen Positionen immer noch. Jede Sendezeit für Extremisten rückt ihre Ansichten Richtung Mainstream.
DJV kritisiert das ebenfalls
Nicht nur Wissenschaftler warnen seit Jahren vor diesem Effekt. Der Deutsche Journalisten-Verband hält die Idee, man könne Rechtsextreme durch Konfrontation in Interviews „entzaubern“, ebenfalls für einen Mythos. Mehrere Studien untermauern das. Eine experimentelle Untersuchung aus Oxford und Harvard ergab zudem, dass menschenfeindliche, normverletzende Aussagen eine weit größere schädliche Wirkung entfalten, wenn sie von vermeintlich seriösen Mainstream-Politikern geäußert werden statt von bekannten Rechtsextremen. Mit anderen Worten: Je „normaler“ Absender und Kontext wirken, desto mehr verschieben solche Aussagen die Grenze des Akzeptablen. Genau dieses Normalisieren leistet das ZDF, wenn es Chrupalla im Sommerinterview wie einen normalen demokratischen Politiker auftreten lässt.
Trotz dieser eindeutigen Forschungslage weigern sich ARD und ZDF beharrlich, Konsequenzen zu ziehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk rechtfertigt seine Interview-Einladungen an AfD-Politiker gerne mit journalistischer Pflicht zur Ausgewogenheit oder dem Programmauftrag, „alle relevanten Kräfte“ abzubilden. Doch das ist eine Ausrede. Weder Rundfunkstaatsvertrag noch Rechtsprechung zwingen die Sender, eine gesichert rechtsextreme Partei in jeder Talkshow oder jedem Sommerinterview zu Wort kommen zu lassen.
Die Programmautonomie liegt ausdrücklich bei den Sendern: ARD und ZDF dürfen entscheiden, ob und wie oft sie wem eine Bühne bieten. Niemand hat das ZDF gezwungen, innerhalb weniger Wochen gleich zwei AfD-Chefs ins Sommerprogramm zu hieven (nach Alice Weidel in der ARD nun Chrupalla im ZDF). Man hat sich bewusst dafür entschieden. Noch zwingt das ZDF niemanden. Das dürfte sich schnell ändern, wenn die AfD an die Macht kommt. Falls das ZDF nicht einfach ganz abgeschafft wird, wie man in der AfD schon träumt.
Köster vs Söder: Es geht doch!
Noch schlimmer ist, wie diese Interviews geführt werden. Statt die Konfrontation zu suchen, wirken die Öffentlich-Rechtlichen zuletzt geradezu zaghaft im Umgang mit AfD-Faschisten. Im ARD-Interview mit Weidel gab Moderator Markus Preiß der notorischen Lügnerin allen Ernstes als erste Frage mit: „Warum ist Ihnen Ehrlichkeit in der Politik so wichtig?“ – ein Einstieg, den selbst Protest-Initiator Ruch als größeren Schaden für die Pressefreiheit bezeichnete, als seine eigene Störaktion. Wulf Schmiese agierte beim ZDF-Gespräch mit Chrupalla kaum besser. Er ließ Chrupalla fast ungestört seine Propaganda ausbreiten. So behauptete Chrupalla etwa, Beamte, die AfD-Mitglieder sind, müssten vor „Übergriffen des Staates“ geschützt werden – eine typische rhetorische Verkehrung des AfD-Narrativs, wonach die eigentlichen Täter (Feinde der Verfassung wie die AfD) als Opfer staatlicher Willkür dargestellt werden.
Schmiese ließ diese ungeheuerliche Verzerrung unkommentiert stehen. Anstatt hier scharf nachzufragen oder zu widersprechen, stellte er lieber eine letzte harmlose Frage zu Chrupallas Karriereplänen (ob er 2029 sächsischer Ministerpräsident werden wolle). Chrupalla strahlte am Ende des Interviews zufrieden in die Kamera. Ein derart selig lächelnder AfD-Chef zeigt: Er fühlte sich offenbar pudelwohl – von kritischer Gegenwehr oder gar „Entzauberung“ keine Spur. Das ZDF-Interview verkommt so zur kostenlosen PR-Stunde für einen rechtsextremen Agitator.
heute show macht besseren Journalismus als die Sommerinterviews
Dass das ZDF durchaus live einen Populisten mit Fakten konfrontieren kann, die Lügen und Widersprüche aufzeigen, hat nicht das vermeintliche Sommerinterview gezeigt – sondern Fabian Köster von der heute show mit Populist Markus Söder. Köster zeigte alte Videoausschnitte früherer Söder-Statements und hielt sie dem bayerischen Ministerpräsidenten augenzwinkernd vor. Er legte den Finger in die Wunde, ließ Söders routinierte Phrasen ins Wanken geraten und entlarvte so manche Meinungsschwenks. Zwar war das Setting humorvoll, doch es bewies: Selbst ein medienerfahrener Politiker wie Söder kam ins Schwimmen, als ein Interviewer gründlich vorbereitet nachhakte.
Wenn Satire den besseren Journalismus macht als die Sommerinterviews, läuft gewaltig etwas schief. Köster ist in der Lage, die Widersprüche und Falschaussagen sofort zu widerlegen. Aber die Rechtsextremisten Weidel und Chrupalla dürfen gemütlich plaudern, ihre wahren Forderungen kommen nicht zur Sprache und ihre Lügen werden nicht enthüllt. Dass ein Sender, der von unseren Gebühren finanziert wird, so massiv in seinem Auftrag nicht nur versagt, sondern aktiv mithilft, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erodieren, sollte ein Skandal sein. Aber kaum wer wird noch laut. Und wenn, dann werden die Protestierenden härter angegriffen als die Faschisten.
Öffentlich-rechtsradikales Fernsehen
Den Faktencheck, der später beim ZDF im Schriftform erscheint, kann man sich dann auch gleich sparen. Insbesondere wenn anderswo beim ÖRR 1:1 fast ohne kritische Einordnung rechtsextreme Propaganda nachgeplappert wird.
Das Trump-Regime ist mitten in einer autoritären Machtübernahme und besetzt gerade die Hauptstadt militärisch, beschränkt Presse- und Meinungsfreiheit, entführt Unschuldige, lässt sie verschwinden, will Wahlen manipulieren, baut Konzentrationslager. Aber die Tagesschau titelt „USA sehen Mängel bei Meinungsfreiheit in Deutschland“. Das sind astreine Lügen eines faschistischen Regimes, unsere ARD tut so, als sei das einfach ein normaler, ernst zu nehmender Bericht.

Als ehemaliger Verteidiger des ÖRR scrollt man entsetzt durch den Bericht, in dem Trump-Lüge um Trump-Lüge einfach im neutralen Ton nachgeplappert wird. Kein Wort, dass das gelogen ist. Kein Wort, dass man dem nicht trauen darf. Und kein Wort, dass man gerade massiv manipuliert werden soll. Nach der Hälfte des Artikels ein einziger Absatz, dass „Menschenrechtler“ Kritik üben, dann wird wieder die Trump-Propaganda nachgeplappert. Ist das die ARD oder Truth Social? Wer das genauso entsetzlich findet, wie hier die journalistischen Standards immer weiter sinken, kann hier freundlich und sachlich Kritik üben.
Der ÖRR verliert seine letzten Verteidiger
Angesichts dieses Medienversagens wächst die Verzweiflung bei all jenen, die den öffentlichen Rundfunk bislang gegen Angriffe verteidigt haben. Man ist fassungslos, wie ARD und ZDF ihren Bildungs- und Informationsauftrag derart missachten können. Der Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet die Anstalten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und die Würde des Menschen zu achten – wie passt es dazu, ausgerechnet Hetzer und Demokratiefeinde hofieren zu lassen? Lügen einfach stupide nachzuplappern?
Das sture Beharren darauf, „alle Seiten zu Wort kommen zu lassen“, führt ad absurdum, wenn eine Seite unsere freiheitliche Grundordnung abschaffen will. Falsche Neutralität hilft den Tätern, nicht der Demokratie. Niemand verlangt propagandistische Gegenschläge oder Zensur – aber ein Mindestmaß an Haltung und kritischer Distanz sehr wohl. Man könnte etwa – wenn man schon AfD-Vertreter interviewt – ihre zahllosen bekannten Lügen sofort mit Fakten kontern.
Wegbereiter für die Machtergreifung?
Notfalls mit Einspielfilmen oder vorbereitetem Datenmaterial; man könnte viel härter nachhaken, ihnen ins Wort fallen, wenn sie die nächste Unwahrheit verbreiten, und notfalls Interviews abbrechen, wenn nur Phrasen und Hetze kommen. Doch nichts dergleichen geschieht. Stattdessen belohnt man die AfD mit immer neuen Auftritten vor Millionenpublikum und redet sich heraus, man müsse das ja tun. Sie müssen ganz sicher nicht Werbung für den Faschismus machen.
Die Quittung dafür werden wir alle zahlen, wenn dieses Vorgehen so weitergeht. Etliche Studien attestieren, dass die aktuelle Medienstrategie die Rechtsextremen stärkt statt schwächt – und genau das zeigt sich ja bereits in den Umfragen. Jeder verharmlosende Auftritt im Mainstream zieht neue Zustimmung für die AfD nach sich. Warum also liefert der ÖRR weiterhin die gewünschte Bühne frei Haus? Das ist kaum zu fassen. Und es ist ein Schlag ins Gesicht aller Gebührenzahler, die erwarten dürfen, dass „ihr“ Rundfunk die Demokratie verteidigt und nicht ihre Feinde. Für einen derart erbärmlichen Journalismus zahle ich nur ungern Gebühren. Wenn unsere Öffentlich-Rechtlichen nicht endlich aus ihren Fehlern lernen und Haltung zeigen, sägen sie am Ast, auf dem wir alle sitzen – und finanzieren am Ende ihren eigenen Untergang. Es muss sich jetzt etwas ändern, bevor es zu spät ist.
Teile des Artikels wurden mit maschineller Hilfe ausformuliert. Wie Volksverpetzer KI verwendet. Artikelbild: Stephan Floss/ZDF/dpa
