Linksgrün versiffter Gutmensch oder einfach nur kognitive Dissonanz?
Gastbeitrag von “Faszination Psychologie“
Kennt ihr sie auch? Diese linksgrün versifften Gutmenschen? Menschen, denen etwas an anderen Menschen liegt. Menschen, die sich für andere Menschen einsetzen. Und Menschen, die an das Leben zukünftiger Generationen denken. Das geht nun wirklich zu weit!
Aber warum eigentlich nicht? Warum wird Gutmensch wie ein Schimpfwort gebraucht? Warum ist es nicht länger erwünscht, ein guter Mensch zu sein? Und warum stören sich manche Menschen so sehr an Menschen, die sozial eingestellt sind? An Menschen, die sich für das Überleben zukünftiger Generationen einsetzen?
Jeder Mensch ist anders, und natürlich wissen wir nicht, warum jeder einzelne Mensch sich so verhält, wie er sich eben verhält. Allerdings gibt es psychologische Phänomene, die valide Erklärungsansätze bieten können. Ein gut erforschts Phänomen ist das der kognitiven Dissonanz. Zur kognitiven Dissonanz kommt es, wenn unser Verhalten nicht mit unseren Einstellungen übereinstimmt. Zum Beispiel kann ich die Einstellung haben, dass es wichtig ist, wenig CO2 zu verbrauchen, um das Klima nicht weiter zu erwärmen.
Wenn ich mich dann dabei erwische, wie ich einen Flug von Köln nach München buche, steht mein Verhalten im Widerspruch zu meiner Einstellung. Unser Gehirn möchte aber am liebsten Informationen bekommen, die zusammenpassen. Deshalb lösen wir Widersprüche häufig automatisch und unbewusst auf. Dazu nutzen wir meistens eine von drei Strategien:
(1) Verhalten verändern:
Die wohl naheliegendste Möglichkeit, kognitive Dissonanz aufzulösen, ist unser Verhalten so zu verändern, dass es zu unseren Einstellungen passt. Beispielsweise könnte ich mich gegen das Flugticket entscheiden und stattdessen nach Bahn- oder Busverbindungen suchen. Dann würde mein Verhalten meiner nachhaltigen Einstellung nicht mehr widersprechen. In diesem Fall müssten wir auch nicht länger die kognitive Dissonanz aushalten und fühlen uns besser.
(2) Einstellungen verändern:
Andersherum können wir auch unsere Einstellung unserem Verhalten anpassen. Während ich also von Köln nach München fliege, kann ich mir überlegen, dass es gar keinen Grund gibt, nachhaltig zu handeln, z.B. weil die Klimakrise vermeintlich ja gar nicht von Menschen verursacht wird. Oder ich denke, dass ich als Einzelperson ja sowieso keinen Einfluss auf unser Klima habe. Der Prozess der Einstellungsänderung läuft natürlich nicht von heute auf morgen. Auch hier gibt es individuelle Unterschiede.
Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt die schemakonsistente Verarbeitung von Informationen. Sobald ich ein gewisses kognitives Schema aufgebaut habe (z.B. der Mensch ist nicht schuld an der Klimakrise) verarbeite ich bevorzugt Informationen, die diesem Schema entsprechen. In Zeiten von Social Media ist das Bekommen alternativer Fakten gar kein Problem mehr. Dank der Algorithmen kann ich mich sogar bequem zurücklehnen und bekomme die Informationen zu meinem neuen Schema zielgerichtet präsentiert. Schemainkonsistente Informationen (z.B. der Mensch ist entscheidend für das Überschreiten klimarelevanter Kipppunkte verantwortlich) werden durch unser Gehirn weniger stark verarbeitet oder teils ausgeblendet. Für den Rest sorgt dann der Social Media Algorithmus.
In einigen Fällen geht die Veränderung der Einstellung soweit, dass andere Meinungen dann schnell als „linksgrün versifft“ abgestempelt werden. Hierbei handelt es sich um einen Schutzmechanismus. Denn sich mit deren Themen auseinanderzusetzen, könnte dazu führen, dass die daraus resultierenden Einstellungen (z.B. Klimarettung ist doch wichtig) erneut dissonant zum Verhalten (z.B. Fliegen) sind.
(3) Weitere Einstellung/Annahme hinzufügen:
In diesem Fall buche ich mir das Ticket für einen Kurzstreckenflug, obwohl ich weiß, dass ich damit viel mehr CO2 verbrauche, als wenn ich mit der Bahn fahren würde. Ich bin auch der Meinung, dass es wichtig ist CO2 einzusparen, aber(!) es ist ja trotzdem wichtig, auch auf sich zu schauen und so ein bisschen Luxus muss manchmal schon sein… Und schon habe ich eine zusätzliche Annahme bzw. Einstellung hinzugefügt.
Da Verhaltensänderungen uns immer schwerfallen, nehmen wir lieber die letzten beiden Möglichkeiten, um unsere kognitive Dissonanz aufzulösen und uns besser zu fühlen.
Was bringt uns dieses Wissen im täglichen Umgang miteinander? Manchmal hilft es schon, das Verhalten der anderen Person ein bisschen besser zu verstehen. Euer Gegenüber versucht beispielsweise mit Hilfe von Annahmen, wie „ich kann da sowieso nichts machen“ und „was die anderen tun, ist vollkommen übertrieben“, seinen Selbstwert aufrecht zu erhalten. In diesem Fall hat es nicht so viel Sinn, ihm oder ihr zu erzählen, warum die Klimarettung so wichtig ist oder was ihr selbst alles tut, um das Klima zu retten.
Was ihr dagegen tun könnt
Damit würdet ihr die kognitive Dissonanz und das Hinzufügen weiterer Annahmen vermutlich eher verstärken, als eine Verhaltensänderung erzielen. Stattdessen könntet ihr versuchen, möglichst selbstwertschonend oder sogar stärkend vorzugehen, und positiv hervorzuheben, was die Person schon tut, um das Klima zu retten. Anschließend könntet ihr der Person aufzeigen, warum sie oder er einen weiteren Beitrag leisten könnte und wie. Hier kann es helfen, wenn die Vorschläge die andere Person nicht vollkommen überfordern. Stattdessen sollten die Vorschläge für sie oder ihn realistisch umzusetzen sein. Beispielsweise könnte ein Vielflieger oder eine Vielfliegerin sich vornehmen, nur noch einmal im Jahr zu fliegen. Eine Person, die ohnehin nur selten fliegt, könnte versuchen, ganz auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.
Festzuhalten ist, dass die Mechanismen der Klimakrise komplex sind. Sowohl in der Erklärung der naturwissenschaftlichen Vorgänge als auch in den psychologischen Prozessen. Die Klimaforschung hat jedoch die wichtigsten Fragen mehrfach und klar beantwortet. Dennoch verändern wir unser Verhalten nicht. Dies verdeutlicht, dass die Klimakrise inzwischen eine hohe psychologische Komponente hat. Hier gilt es in Zukunft anzusetzen, um die Menschheit für ihre eigene Zukunft zu begeistern.
AutorInnen: Miriam und Michael von Faszination Psychologie (Link). Artikelbild: Nicole Glass Photography, shutterstock.com
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