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Sind die Eliten unserer Gesellschaft „links“? In gewisser Weise schon.

von | Jan 14, 2018 | Aktuelles

Der politische status quo seit dem Fall der Mauer förderte eine marktradikale Globalisierung. Sind das „linke Eliten“, wie die neue rechte Gegenbewegung behauptet? In gewisser Weise schon.

In Kreisen links der politischen „Mitte“ reichen die Reaktionen auf die Selbstinszenierung der Neuen Rechten als Widerstandsbewegung gegen „linke Eliten“ von Empörung über Belustigung bis zu völligem Unverständnis. Das liegt daran, dass wir völlig unterschiedliche Positionen in ein binäres politisches Spektrum von „links-mitte-rechts“ packen, für die jeweiligen Anhänger aber Begriffe wie „links“ und „rechts“ völlig unterschiedliche Bedeutungen und Schwerpunkte haben.

Die wenigsten „Linken“ assoziieren, wie ich im ersten Teil dieser Reihe feststellte (Link), die marktradikale Globalisierung, die als „alternativloser“ status quo der politischen Eliten dargestellt wird, mit „linker“ Politik. Doch um zu verstehen, warum diese Narrative von immer mehr Menschen akzeptiert wird, muss man die „Links-Rechts“-Dichotomie differenzieren.

Global, Marktradikal, Progressiv, Liberal

Ich persönlich würde die politische Landschaft in drei oder sogar vier Achsen einteilen: Global-National, Sozial-Marktradikal, Progressiv-Konservativ und ergänzend Liberal-Autoritär. Eine politische Bewegung kann eigentlich aus jeder Mischung auf diesen Achsen zusammengesetzt sein, und sich aus verschiedenen, kontextabhängigen Gründen als „links“ oder „rechts“ lesen lassen. Es gibt ebenso globale Rechte wie autoritäre Linke.

Die dominante politische Ideologie der letzten 25 Jahre lässt sich somit genauer als global, marktradikal, liberal und progressiv einordnen. Anschaulicher: Sie setzten sich für (persönliche wie wirtschaftliche) Freiheiten ein, internationale Vernetzung und die Rechte von Frauen und Minderheiten. Dass wir in einer progressiven Zeit gelebt haben, mögen manche empört verneinen, und in Anbetracht konservativer Widerstände und immer noch vorhandenem Sexismus, Rassismus und Transphobie das Gegenteil argumentieren.

Doch eine progressive Gesellschaft schafft Diskriminierung von Frauen und Minderheiten (leider) nicht an einem Tag ab, sondern dies ist ein kontinuierlicher Prozess. 1997 wurde in Deutschland erst die Vergewaltigung in der Ehe als Strafbestand erklärt, 2017 schon die Ehe für Alle eingeführt. Gleichberechtigung und der Kampf gegen Diskriminierung haben in den letzten 25 Jahren große Fortschritte erlebt. 1989 wurde die erste eingetragene Lebenspartnerschaft in Dänemark eingeführt, 2018 kann man in 25 Ländern als gleichgeschlechtliches Paar „normal“ heiraten.

Die Neuen Rechten als Gegenbewegung

„Linke“ Bewegungen überall im Westen übernahmen marktradikale Positionen: Von den US-Demokraten, über die britische Labour-Bewegung unter Blair bis zur SPD unter Schröder gab man die „linke“ Position der Marktregulierung und sozialen Umverteilung zugunsten der „neoliberalen“, marktradikalen Position auf. Dafür setzte man sich für Gleichberechtigung und im Kampf für Rechte von Minderheiten ein. An diesem Modell orientierten sich jahrelang sogar konservative Parteien. Von den in meinen Augen zwei wichtigen Pfeilern „linker“ Politik wurde damit einer zu Gunsten des anderen aufgegeben.

Wohlwollend könnte man sagen, der Fokus linker Politik verschob sich von Umverteilung auf Gleichberechtigung – Und im historischen Kontext klang das auch nicht so verwerflich wie heute, da sich nach dem Fall der Sowjetunion mit dem „Ende der Geschichte“ (Fukuyama), das westliche Wirtschaftsmodell als das beste herausgestellt hatte. Progressive und marktradikale Einstellung lassen sich durchaus auch vereinbaren, im Gegenteil sogar: Frauen und Minderheiten gleiche Chancen einzugestehen schafft Arbeitsplätze, Arbeitnehmer und Konsum.

Hillary Clinton verkörperte diese Ideologie in der US-Präsidentenwahl 2016 vollkommen: Progressiv, Pro-Globalisierung, liberal, marktradikal und ein Teil des politisches Establishment. Und steht für die Anti-Establishment-Bewegung als Epitom der „Eliten“. Und wenn die „Eliten“ in der öffentlichen Wahrnehmung nun mal Global, Progressiv und Liberal waren (Was man durchaus als „links“ bezeichnen könnte), dann ist die Gegenbewegung logischerweise National, Konservativ und Autoritär.

…und warum sind sie dann ebenfalls marktradikal?

Die Neuen Rechten völlig als „marktradikal“ einzustufen, wäre ein Fehler. „Soziale“ politische Forderungen, also marktregulierende Umverteilungsmaßnahmen finden sich mehr (z.B. Front National in Frankreich) oder weniger (Trump) ebenso in Programmen der Neuen Rechten, wo diese Forderungen jedoch mehr oder weniger offensichtlich nur der eigenen ethnischen Gruppe vorbehalten sein sollen. Doch die meisten Neuen Rechten fungieren als Befähiger von marktradikalen Positionen und erhalten große finanzielle Unterstützung von Unternehmen und superreichen Individuen, was auch einer der Mitgründe für ihren Erfolg ist.

Doch warum ist die Gegenbewegung zur progressiven und marktradikalen Globalisierung nicht auch gegen jenen Marktradikalismus, der eben genau die Ursache für die beklagten Missstände ist, woraus sie ihre Berechtigung bezieht, wie ich hier argumentiert habe? Das ist zumindest die „linke“ Narrative: Klimawandel und damit einhergehende, große Migrationsströme, wachsende soziale Ungleichheit und die Finanz- und Währungskrise entstanden aufgrund fehlender Marktregulierung vor allem auf internationaler Ebene.

Die „rechte“ Narrative verortet die Ursachen für die soziale Ungerechtigkeit und die Migrationsströme hingegen in der Progressivität: Der weiße, heterosexuelle Mann hat seine Privilegien gegenüber Frauen und Minderheiten verloren, weshalb es ihm jetzt so schlecht geht. Hier ist er das Opfer, nicht der Täter. Der andere Aspekt, warum die Neuen Rechten größtenteils marktradikal sind, liegt wie oben erwähnt in ihrer finanziellen Unterstützung. Anstatt, wie bei man einer „populistischen“ Bewegung denken könnte, das unterdrückte Volk zu vertreten, schart man sich nur um eine neue, „alternative“ Elite. Und diese versucht ihren Status durch Lobbyismus und Einflussnahme auf die Medien zu erhalten, weshalb sie Ideologien unterstützt, die dem nicht widersprechen. Wer diese Eliten sind und was sie beabsichtigen, wird im nächsten Teil behandelt.