🎙️ Neue Podcast-Folge! 🎙️

Dank euch im Einsatz!  ❤️‍🔥Jetzt spenden!

👕 Mit HALTUNG in den Herbst! Shop 👕

4.980

Stadtbild: Warum die AfD über diesen Rassismus jubelt

von , , | Okt. 21, 2025 | Aktuelles

Content Note: Der Artikel thematisiert auch sexualisierte Gewalt gegen Frauen.

Friedrich Merz wird für seine rassistische „Stadtbild“-Aussage heftig kritisiert – auch aus den eigenen Reihen. Er weigert sich aber, sich dafür zu entschuldigen. Die Kritik ist berechtigt. Denn Merz‘ Aussage wiederholt nicht nur AfD-Mythen, die nachweislich den Rechtsextremismus stärken, sie entspricht auch einfach nicht den Fakten. Das schwächt bei vielen erneut das Vertrauen in den Kanzler.

Was Merz gesagt hat

Aber fangen wir von vorne an. Was genau hat Friedrich Merz vergangene Woche gesagt? Nachdem er erst mal damit geprahlt hat, wie stark die Asylanträge unter seiner Regierung zurückgegangen sind (Spoiler: nicht wegen seiner Politik, sondern wegen geopolitischer Entwicklungen, die nichts mit seiner Regierung zu tun haben), hat er dann trotzdem ein Problem kundtun müssen: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“

„Dieses Problem“ hat Friedrich Merz nicht genauer konkretisiert, aber es geht offensichtlich um Abschiebungen und Dobrindts heiß geliebte „Rückführungsoffensive“. Sprich: Abschiebungen würden das „Stadtbild“ verbessern. Für diese rassistische Aussage wurde der Kanzler heftig kritisiert. Diese Kritik kommt auch aus der Union selbst. Der Sozialflügel der Union kritisierte, der Kanzler erwecke unerfüllbare Erwartungen und werde der Komplexität des Problems nicht gerecht.

Der Kanzler selbst wolle sich nicht für seine Äußerung entschuldigen. „Ich habe gar nichts zurückzunehmen“, sagte er sogar. Und er legte noch weiter nach: „Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben, und ob unter diesen Kindern Töchter sind. Dann fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.“

Aus Protest gegen die rassistische Aussage des Kanzlers demonstrierten mehrere tausend Menschen am Sonntag in Berlin. Weitere Demonstrationen sind angekündigt worden. Doch versachlichen wir die Debatte – warum war die Aussage des Kanzlers rassistisch? Und: Wie viele Menschen sind in Deutschland überhaupt ausreisepflichtig?

Maximal 0,07 Prozent der Menschen in Städten sind unmittelbar ausreisepflichtig

Wie viele Menschen sind in Deutschland überhaupt ausreisepflichtig? Diese Zahl wird ständig überschätzt. Stand Juni 2025 sind insgesamt 41.500 Menschen unmittelbar ausreisepflichtig. Unmittelbar ausreisepflichtig sind Personen, die nicht im Besitz einer gültigen Duldung sind. Manche haben möglicherweise Deutschland bereits verlassen.

Vollziehbar ausreisepflichtig sind weitaus mehr Menschen, doch: die meisten von ihnen haben eine Duldung und können aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Warum wir viel weniger Menschen abschieben können, als immer behauptet wird, haben wir hier bereits ausführlich analysiert:

2022 lebten insgesamt 60 Millionen Menschen in Deutschland in Großstadtregionen. Insgesamt sind also nur 0,07 Prozent der Menschen in Deutschlands Städten unmittelbar ausreisepflichtig. Und wenn ihr denkt „Das sind ja absurd wenige“: In Realität ist diese Zahl eventuell sogar noch zu hoch gegriffen, da nicht alle unmittelbar Ausreisepflichtigen unbedingt in Städten wohnen. Der Grünen-Politiker Erik Marquardt brachte diese Zahlen in seiner treffenden Analyse der Aussage mit in die Debatte.

Wie in aller Welt will Merz diesen verschwindend geringen Anteil an unmittelbar Ausreisepflichtigen im „Stadtbild“ erkennen? Und vielmehr: Woran?

Nochmal zum Mitschreiben: Man kann nicht SEHEN, wer ausreisepflichtig ist

Die Aussage war natürlich deshalb rassistisch, weil man selbstverständlich Menschen nicht im Gesicht ansehen kann, ob sie ausreisepflichtig sind. Und da das ohnehin kaum jemand ist, muss Herr Merz nicht von Ausreisepflichtigen gesprochen haben, sondern von Menschen, die für ihn „fremd“ seien. Denn nochmal zum Mitschreiben: Man kann nicht SEHEN, wer Deutscher ist und wer nicht. Wer Papiere hat und wer nicht. Wer einen gültigen Aufenthaltstitel hat und wer nicht.

Was genau sollen jetzt da die geplanten Abschiebungen bewirken, wenn 99,9 Prozent des „Stadtbilds“ deutsche Staatsbürger oder Menschen mit Aufenthaltstiteln sind? Merz arbeitet hier gezielt mit einer rassistischen dogwhistle. Er würde sicherlich darauf bestehen, nur Ausreisepflichtige zu meinen, aber offensichtlich meint er diese nicht. Er kennt ja die tatsächlichen Zahlen. Es ist ein alter Trick, den er sich von der AfD abgeschaut hat. Wir alle wissen natürlich, wen er damit gemeint haben muss. Das war ja auch nicht sein erster rassistischer Ausrutscher, Merz nutzt schon lange Rechtspopulismus. Seine offensichtliche Strategie zu leugnen, wäre sinnlos.

Merz flirtet mit Remigration

Und damit sind wir schon beim nächsten Problem der Merz-Aussage, denn sie war nicht nur rassistisch, sondern erinnert auch bedenklich stark an eben die verfassungsfeindlichen „Remigrations“-Pläne der rechtsextremen AfD. Wenn wir nicht nur über Ausreisepflichtige sprechen, sondern auch über Menschen anderer Herkunft, die hier legal leben, oder gar deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund, dann landen wir bei der Politik, die die gesichert rechtsextreme AfD will.

Wenn Merz die Bevölkerung nicht darüber anlügt, was Abschiebungen am Stadtbild ändern könnten, dann meint er wohl auch legal hier lebende Ausländer oder gar Deutsche mit Migrationshintergrund. Und das wäre dann das „Remigration“-Konzept der gesichert rechtsextremen AfD. Seine Aussagen wurden ja nicht in einem Vakuum getätigt:

Beim von Correctiv aufgedeckten Geheimtreffen in Potsdam sprach der AfD-Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, davon, dass das „Straßenbild“ sich ändern müsse. Es solle in Sachsen-Anhalt „für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben“, wird er zitiert. Es klingt verdächtig ähnlich wie die Merz-Aussage, wird jedoch vor dem Kontext der Pläne gefasst, durch gezielte Unterdrückung buchstäblich „Millionen“ Menschen aus dem Land zu vertreiben.

Damit geht es offensichtlich nicht nur um Ausreisepflichtige, nicht einmal um sich hier legal aufhaltende Straftäter, sondern um Nicht-Deutsche grundsätzlich – und explizit auch um angeblich „nichtassimilierte“ deutsche Staatsbürger, wie die wichtigsten Geheimtreffen-Teilnehmer auch wiederholt hatten.

Im Übrigen hat die Formulierung auch sprachliche Parallelen zu Goebbels, der einst über Juden sagte, sie verderben das „Straßenbild“.

Merz täuscht bewusst die Bevölkerung

Ein kaum nennenswerten Bruchteil Ausreisepflichtiger als ein „Problem“ im Stadtbild zu bezeichnen, ist entweder Wählertäuschung – oder schon viel zu nah am verfassungsfeindlichen Remigrationskonzept der AfD, als ein deutscher Kanzler sein sollte. Keine Option wirft ein gutes Licht auf den Kanzler. Kein Wunder, dass die AfD ihm da recht gibt, dass er das Problem richtig benennen würde. Und ihn dann dafür kritisiert, es nicht wirklich zu lösen. Ein Geschenk für die Rechtsextremisten.

Egal, wie man seine Aussage interpretiert, ist sie gelogen. Er täuscht darüber hinweg, dass Abschiebungen irgendwelche Probleme im „Stadtbild“ lösen würden oder er wiederholt die Lüge, dass Nicht-Deutsche derartige Probleme (hauptsächlich) verursachen würden. Er wird seine Wählerschaft spätestens dann enttäuschen, wenn klar wird, dass er keine Probleme lösen kann, die so nicht existieren – und erst recht nicht durch die Abschiebung eines winzigen Teiles an Ausreisepflichtigen.

Unüberzeugende Distanzierung von der AfD

Es ist scheinheilig und bringt wenig, immer wieder zu betonen, dass die AfD eigentlich der „Hauptgegner“ der CDU sei, wenn man ihre Rhetorik immer mehr übernimmt. Denn die Brandmauer sollte ja nicht nur aus dem Grundsatz bestehen, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, sondern auch, daraus nicht ihren Markenkern, die rechtsextremen Positionen wie das Remigrationskonzept, zu übernehmen.

Eine erst kürzlich erschienene Studie untersucht genau diesen Effekt und kommt zum Schluss, dass die etablierten Parteien im Laufe der Zeit dazu beigetragen haben, dass der Diskurs der extremen Rechten immer mehr zum Mainstream wird. Rechtsextremes Gedankengut, darunter „Remigration“, wird so immer weiter normalisiert. Eine Studie einer CDU-nahen Stiftung kam kürzlich erst selbst zum Ergebnis, dass auch eine „Zähmung“ durch Kooperation mit Rechtsextremen nicht funktioniert. Auch könne die CDU kaum noch AfD-Wähler überhaupt zurückgewinnen. Alles, was Merz erreicht, ist das ohnehin sehr geringe Vertrauen in ihn zu schwächen.

Die CDU hat sich seit Jahren von der AfD treiben lassen – wie lange will sie das zulassen? Bevor die politische Brandmauer auf der Bundesebene bröckelt, stürzt die diskursive Brandmauer ein – und wir können live dabei zuschauen.

Schein-Plädoyer für Sicherheit für Frauen

Trotz nicht abreißender Kritik hat Merz dann gestern nochmal nachgelegt. Auf die Frage, ob er seine Aussage zurücknehmen möchte und was genau er mit „Stadtbild“ gemeint hat, sagte er:

„Fragen Sie ihre Kinder, fragen Sie ihre Töchter, fragen Sie im Freundes- und Bekanntenkreis herum: Alle bestätigen, dass das ein Problem ist – spätestens mit Einbruch der Dunkelheit.“ Und weiter: „Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben, und wenn unter diesen Kindern Töchter sind. Dann fragen sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.“

Die „Rückführungsoffensive“ soll also die Sicherheit von Deutschlands Frauen verbessern? Auch diese Forderung ist pure Augenwischerei. Gewalt gegen Frauen ist kein Herkunftsproblem – es ist ein genderspezifisches Problem. Schauen wir auf die genauen Zahlen des Bundeskriminalamts.

In seinem Lagebild 2023 „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ weist es fünf spezifische Delikte aus, die primär Frauen betreffen. Das sind Sexualstraftaten, häusliche Gewalt, Menschenhandel, digitale Gewalt und Femizide. In fast allen Deliktsbereichen steigen die Fallzahlen in den letzten fünf Jahren an. Gleich bleibt aber die alljährliche Erkenntnis: Das Problem sind überwiegend Männer – unabhängig von ihrer Herkunft.

Bei Sexualstraftaten sind bei den Straftatbeständen der Vergewaltigung und sexueller Belästigung mehr als 95 Prozent der Tatverdächtigen männlich (BKA, S. 14), bei häuslicher Gewalt sind es 89,5 Prozent (BKA, S. 21), bei Menschenhandel 78,5 Prozent (BKA, S. 28), bei digitaler Gewalt 79,8 Prozent (BKA, S. 34) und bei Femiziden 84,6 Prozent (BKA, S. 41).

Männer sind die größte Gefahr für Frauen

Wer also Gewalt gegen Frauen sinnvoll bekämpfen möchte, bleibt zunächst einmal bei den Fakten, stellt nicht ganze Gruppen unserer Gesellschaft unter Generalverdacht und macht sich für Maßnahmen, die Gewalt gegen Frauen wirklich reduzieren würden, stark. Und das würde mit der Erkenntnis beginnen, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil der Gewalt gegen Frauen nicht „im Stadtbild“, sondern in den eigenen vier Wänden passiert. Gerade bei häuslicher Gewalt und Femiziden sind die Täter nicht irgendwelche Unbekannten, sondern größtenteils ehemalige und aktuelle Partner.

Vorschieben, Frauen & Mädchen schützen zu wollen, als würde sexualisierte Gewalt vor allem von Migranten ausgehen, ist so hanebüchen wie perfide. Es ist rassistisch und misogyn zugleich – und eine klassische Erzählung von Rechtsextremen, die im Übrigen nicht auf "Schutz", sondern Besitzanspruch fußt

Annika Brockschmidt (@ardenthistorian.bsky.social) 2025-10-20T15:23:30.959Z

Merz‘ Reaktion zeigt noch einmal, dass er durchaus nicht nur Ausreisepflichtige mit seiner Aussage gemeint hat, wenn er die rassistischen und falschen AfD-Klischees wiederholt. Wenn er unterstellt, man könne derartige Fälle durch Abschiebungen lösen, verbreitet er auch einfach einen unbelegten Mythos. Ein weiteres Indiz dafür, dass dieses Weltbild gefährlich nah an dem der AfD ist.

Töchter sagen Rot-Rot-Grün

Übrigens: Wenn es nach den „Töchtern“ ginge, wäre Friedrich Merz jetzt gar nicht Bundeskanzler. Hätten bei der letzten Bundestagswahl nur die 18- bis 24-jährigen Frauen gewählt, hätten wir jetzt eine Koalition aus Rot-Rot-Grün – mit Kanzlerin Heidi Reichinnek.

Screenshot Tagesschau

Die jungen Frauen in diesem Land würden mehrheitlich wohl eben nicht Merz‘ rassistischer Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt zustimmen.

Heftiger Protest – auch aus den eigenen Reihen

Zum Glück haben auch einige CDU-Politiker das Rückgrat, Merz für seine rassistischen Aussagen zu kritisieren. Der Landeschef der baden-württembergischen CDU, Manuel Hagel, rät Merz zur „verbalen Abrüstung“. Der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, kritisierte Merz ebenfalls, wie bereits erwähnt. Und natürlich sparte auch Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, nicht an berechtigter Kritik:

Man kann über das Stadtbild alle möglichen Bemerkungen machen und natürlich offen darüber sprechen, was einen stört. Aber wenn man diejenigen, die einem Unbehagen bereiten, aus Deutschland abschieben will, weil sie anders aussehen, wird‘s nicht nur rassistisch .

Ruprecht Polenz (@polenz.bsky.social) 2025-10-16T07:49:00.953Z

Wahlkampf für die AfD

Friedrich Merz hat mit seiner Stadtbild Aussage die Bevölkerung belogen – und er verbreitet ein Weltbild, das von den rechtsextremen Konzepten der AfD nicht weit entfernt ist. Friedrich Merz weiß sehr genau, dass nur eine sehr geringe Zahl an Menschen überhaupt abgeschoben werden kann und diese weder nennenswerte Auswirkungen auf das „Stadtbild“, noch auf frauenfeindliche Gewalt hat.

Nicht zum ersten Mal wiederholt er aber die AfD-Rhetorik, die allen Menschen anderer Herkunft, egal, ob legal hier lebend oder mit deutscher Staatsbürgerschaft, die Schuld an vermeintlichen „Stadtbild“-Problemen oder Kriminalität in die Schuhe schiebt. Rhetorik und rassistische Feindbilder, die auch nicht wahrer werden, wenn unser Kanzler sie schändlicherweise schamlos wiederholt.

Unser Kanzler ist offenbar ein Rassist, der sich nicht einmal dafür entschuldigen will, und ein Lügner, der der Bevölkerung falsche Versprechungen macht, mit Abschiebungen irgendwelche echten oder imaginierten Probleme zu lösen. Abgesehen davon, dass es auch nicht der Wahrheit entspricht, dass diese Probleme überhaupt etwas mit Migration zu tun hätten, geschweige denn, hauptursächlich. Versprechungen, die nicht nur die Rechtsextremisten nachweislich dadurch stärken, dass er ihnen somit immer und immer wieder recht gibt, sondern die auch durch die zwangsläufige Enttäuschung das Vertrauen in demokratische Parteien schwächen werden.

Schön, wenn der Kanzler einer Zusammenarbeit mit den Faschisten eine Absage erteilt. Es ist nur sinnlos, wenn er den Wahlkampf für sie macht.

Artikelbild: penofoto, shutterstock.com

Du liest Artikel zu Ende

… und schreibst auch selbst welche?

Zum 01.02.2026 suchen wir Unterstützung in der Redaktion des Volksverpetzer-Teams!

→ zur Ausschreibung

Passend dazu: