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Wie das Team rund um den klimapolitischen Sprecher der FDP die Allgemeinheit täuscht

von | Dez 6, 2019 | Aktuelles, Analyse, Kommentar, Umwelt/Klima

Die Klimabewegung ist keine Religion

Was haben FDP-Mitarbeiter wie Philipp Möller und die rechten Fensterrentner des Internets gemeinsam? Sie fürchten sich vor echtem Klimaschutz und starken Frauen, die anders als sie massive, mediale Aufmerksamkeit erfahren.

Dabei scheuen sich sowohl die vermeintlich Liberalen als auch die Rechten nicht, mit Diffamierungen und Beleidigungen um sich zu werfen. Sei es gegenüber einzelnen Personen an der Spitze der Klimaschutzbewegung oder aber in Versuchen, diese insgesamt in ein dubioses Licht zu rücken. Dass nun auch namhafte Humanisten wie Philipp Möller in diesen hauptsächlich rechts motivierten Tenor einsteigen, kann nur mit großer Sorge betrachtet werden. Herr Möller diffamiert das 16-jährige Mädchen Greta Thunberg sogar als „Führerin einer Religion“. Man beachte auch den gewählten Begriff „Führer“ statt „Anführer“, welcher in Nuhr’scher Manier eine sprachliche Nähe zum Nationalsozialismus aufweist.

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Daher lohnt ein etwas genauerer Blick auf die weiteren Gedankenverirrungen. Neben den Äußerungen von Herrn Möller, aus denen die Ansicht hervorgeht, dass die immer grüner werdende Erde doch ein Beleg dafür sei, dass es stetig bergauf geht und wir uns um nachhaltigen Klimaschutz keine sonderlich großen Sorgen machen müssten, kann das unten verlinkte Interview von Herrn Möller mit „web.de“ nur für Verwunderung sorgen.

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Welche Inhalte des Interviews falsch sind, möchten wir genauer herausarbeiten:

1. Statistiken zeigen, dass die Menschheit insgesamt in vielen Bereichen auf einem guten Weg ist: Impfraten steigen, die Kindersterblichkeitsrate sinkt ebenso wie die Armutsrate, etc. Doch all diese positiven Entwicklungen haben nichts mit den verfehlten Klimaschutzzielen der reichen Industrienationen zu tun. Nur, weil es in Bereich A positiv läuft, heißt das nicht, dass Bereich B ausgeklammert werden könnte.
Diese Aussage aus dem Interview: „Dank gezielter Bemühungen wird die Welt also immer besser und zugleich erleben wir in vielen Industrieländern hysterische Zeiten“ geht also völlig am Kern der Problematik vorbei.

2. Sorgen über die Lebensumstände künftiger Generationen (zur Erinnerung: bei den aktuell noch immer jährlich steigenden Treibhausgasemissionen steuern wir auf die 3-4°C Erwärmung zu) sind nicht wie Herr Möller fälschlicherweise unterstellt „hysterisch“, sondern sehr berechtigt – wie die Wissenschaft seit Jahrzehnten in einer Vielzahl von Publikationen aufzeigt. Wenn wir jetzt nicht adäquat handeln, stehen uns massive neue  Konflikte bevor. Dass der Meeresspiegel steigt ist da noch lange nicht das größte Problem. Ganze Landstriche werden durch die Hitze unbewohnbar werden, große Migrationsbewegungen werden die Folge sein. Ebenso wie – je nach Region – immer häufiger auftretende Extremwetterereignisse wie Hurrikans, Dürren und Überschwemmungen, die etwa zu massiven Ernteausfällen und damit zu Hungersnöten führen können.

Die Eiszeit

3. Dass wir begrifflich streng genommen seit 2,6 Millionen Jahren in einer Eiszeit leben, mag zwar korrekt sein, ändert aber nichts an den faktischen Umständen, dass so viel CO2 in die Atmosphäre gepustet wird wie nie zuvor (wie auch, ohne Industrialisierung, Massentierhaltung, etc.). Dies hat zur Folge, dass die Temperaturen immer weiter ansteigen und irreversible Schäden immer wahrscheinlicher werden. Diese Kippelemente sollten tunlichst nicht ihr volles Potenzial an der Veränderung der Ökosysteme entfalten. Dass etwa die Permafrostböden viel schneller auftauen als bisher angenommen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass wir sehr dringend und nachhaltig handeln müssen.

Die dazu getätigte Aussage von Herrn Möller ist schlicht falsch: „Ein stabiles Klima gab es noch nie, und weil es im Zuge der ausklingenden Warmzeit innerhalb der Eiszeit, in der wir leben, eigentlich immer kälter werden müsste, haben wir mit dem bisherigen Ausstoß von CO2 eher eine Katastrophe verhindert, als eine erschaffen“.

Die Autoren der Studie, auf die sich Herr Möller beruft, behaupten nämlich das exakte Gegenteil davon. Genau genommen wurde lediglich das Einsetzen der nächsten von 50.000 Jahre auf womöglich 100.000 Jahre verschoben. Das heißt wir haben nicht in der Vergangenheit oder heute eine Katastrophe verhindert, sondern trugen und tragen die CO2-Emissionen dazu bei, dass wir in 50.000 Jahren eventuell eine verhindern werden – falls es die Menschheit dann noch gibt.

Ozonloch-Fehlschluss

4. Weil frühere Probleme wie etwa das Ozonloch betreffend, Mensch und Vernunft sei Dank, gelöst werden konnten, bedeutet das nicht automatisch, dass auch die heutigen, enormen Herausforderungen adäquat angegangen werden. Hier begeht Herr Möller einen folgenschweren Fehlschluss.

Die folgende Aussage von Herrn Möller relativiert die Brisanz der Lage, indem angenommen wird, dass wir die heutige Problematik schon zu lösen wüssten, da wir auch vergangene bereits gelöst haben: „Viele heutige Klimaaktivisten halten sich vielleicht zu selten vor Augen, welche umweltpolitischen Zeiten direkt hinter uns liegen: rauchende Fabrikschlote, Ölkatastrophen, vergiftete Flüsse, saurer Regen, Waldsterben, Ozonloch. Die Elterngeneration, gegen die Greta und die FFF schwerste Pauschalvorwürfe erheben, hat also bewiesen, dass sich Umweltprobleme mit politischem Willen und technischem Know-How durchaus lösen lassen.“ Dieser Schluss ist so gewiss nicht zulässig.

5. Keine einzige Klimaschutzorganisation behauptet, im Besitz einer „nicht zu hinterfragenden Wahrheit“ zu sein. Stattdessen verweisen diese lediglich andauernd auf die wissenschaftliche Datenlage. Und die ist ziemlich eindeutig – auch, wenn das all jene, die gerne weiterhin ohne schlechtes Gewissen unnötigerweise der Umwelt schaden wollen, nicht gerne wahrhaben mögen.

Wo etwa in den Forderungen der Scientsts For Future steht, dass deren wissenschaftlich untermauerten Anliegen „nicht zu hinterfragende Wahrheiten“ darstellten, müsste Herr Möller erst einmal aufzeigen – oder aber in den Texten und Forderungen der anderen Klimaschutzorganisationen. Vermag er das nicht, so muss er sich berechtigterweise dem Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit stellen. Denn all jenen Dogmatismus zu unterstellen, die auf das Hören der Wissenschaft pochen, ist bestenfalls esoterisch. Im schlimmsten Fall aber waschechte Antiwissenschaftlichkeit, da suggeriert wird, es gäbe eine Methodik, um Erkenntnisse über die Welt zu erlangen, die jenen der Wissenschaften überlegen ist.

Niemand betrachtet Greta Thunberg als „Prophetin“

6. Keine Klimaschutzorganisation betrachtet Greta Thunberg, die ja auch nur eine Klimaschützerin unter vielen ist, als Messias oder Prophetin. Wie uns die Kolleg*innen von Humanists For Future mitteilten, haben diese bereits mit vielen For Future-Untergruppen gesprochen und sie waren sich bisher alle einig: Dass Greta Thunberg auf die wissenschaftlichen Fakten aufmerksam macht, ist hervorragend. In einem religiösen Sinne verehrt werden muss deshalb jedoch niemand.

Es gibt auch Wissenschaftler, die Carl Sagan oder Mohandas Karamchand Gandhi verehren. Nach der Logik von Herrn Möller wäre die Wissenschaft nun eine quasireligiöse Vereinigung, da es vereinzelte Personen gibt, die dem Schaffen anderer Personen Anerkennung schenken. Wie in sich widersprüchlich diese Denkweise ist, wird durch diese Zeilen hoffentlich klar.

7. So wichtig das Setzen auf Innovationen und Fortschritt auch sein mag: Klimaschutz muss heute sehr viel stärker und nachhaltiger stattfinden. Das Hoffen auf eine Wunderlösung in vielen Jahrzehnten ist hochgradig irrational. Auch die durchschimmernde Annahme, wonach der Markt schon alles richten würde, möchten wir grundlegend in Frage stellen: Denn das hat in den letzten Jahrzehnten offensichtlich nicht ausgereicht.

Dass ein Zertifikatehandel ohne einen angemessen hohen CO2-Preis keinen ausreichend großen Effekt erzielt, ist weitgehend wissenschaftlicher Konsens. Auch müssen ausnahmslos alle Länder der Erde ihre Anstrengungen noch deutlich erhöhen – Deutschland ist da keine Ausnahme. Einzig die FDP und einige der rechten Parteien im Bundestag wollen dies aus ideologischen Gründen nicht einsehen

Halten wir also fest:

Diese falschen Annahmen und pauschalen Unterstellungen, die sogar darin münden, dass Herr Möller der Klimaschutzbewegung religiöse Züge attestiert, zeigen nur wie wissenschaftsfeindlich und realitätsfern das Denken von einigen der FDP-nahen Persönlichkeiten geworden ist. Dass es (rein zufällig?) sehr viele Parallelen zu der Denke von ganz rechts außen aufweist, stört da wohl niemanden mehr. Hauptsache man ist – worauf Herr Möller sehr viel wert legt – selbst glücklich.

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Artikelbild: Screenshot facebook.com/web.de