580

Schwere Anschuldigungen: Zwei Fälle von extremer Polizeigewalt bei Klima-Demo in Wien

von | Jun 5, 2019 | Aktuelles, Österreich, Politik, Social Media, Umwelt/Klima, Videos

Die Klima-Demo und ihre Folgen

Der in München lebende Anselm Schindler ist im Web derzeit der wohl bekannteste Demonstrations-Teilnehmer – wenn auch aus unerfreulichen Gründen.

Er nahm als Journalist an der Klima-Demonstration teil, die vom Bündnis Ende GeländeWagen organisiert wurde. Sie fand in zeitlicher Nähe zur Fridays for future Demo statt, bei welcher auch Greta Thunberg eine Rede hielt. In Wien wurde die größte Klima-Demonstration aller Zeiten erwartet und es nahmen schlussendlich über 35.000 Menschen teil. An der kleineren anderen Demonstration, um die es hier geht, nahmen circa 5.000 Menschen teil. Teilnehmende der Fridays for future-Demonstration sind zum Teil im Anschluss zur Demo Ende GeländeWagen hinzugestoßen, es gab Überschneidungen bei den Teilnehmenden. Anselm Schindler nahm eigentlich nur als Journalist am Rande des Geschehens teil, filmte die Auflösung einer Sitzblockade und wurde dann plötzlich der prominenteste Demo-Teilnehmer in Wien. Im Laufe der Demonstration wurde er dann in Gewahrsam genommen und am Folgemorgen um 7 Uhr entlassen.

Grundsätzlich dürfen Personen in Österreich nur maximal 24 Stunden zur Identitätsfeststellung inhaftiert werden. Gelingt es den Behörden in der Zeit nicht die Person eindeutig zu identifizieren, so muss diese freigelassen werden.

Die Demonstration lief in Anbetracht der Zahl der Teilnehmenden (35.000) weitestgehend friedlich ab, es gab lediglich eine Besetzung des Wiener Rings durch den Bau eines Tripods welcher von zwei Aktivist*innen besetzt wurde. Auch haben sich zwei weitere Personen von einer Brücke abgeseilt. In der Pressemeldung der Polizei Wien ist die Rede von 96 festgenommenen Personen, davon 94 Personen wegen „verwaltungsstrafrechtlichen Übertretungen“ und zwei Personen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.

Die Initiative „RADikal Autofrei“ bzw. „Ende GeländeWagen“ dokumentiert einen Angriff auf den Journalisten Anselm Schindler auf diesem Video:

hier aus einer anderen Perspektive:



Scheinhinrichtung oder absurde anschuldigungen?

Twitter-User bezeichnen das Vorgehen der Polizei Wien als sog. „Scheinhinrichtung“, die Polizei Wien erklärt in einer Pressemeldung:

Die medialen Darstellungen der Ereignisse entbehren teilweise dem Grundsatz einer objektiven und faktenbasierten Berichterstattung. Insbesondere die Kommentare und Vorwürfe des gestern in den Medien veröffentlichten Videos rund um eine Festnahme neben einem Polizeibus lassen sich mit diesem Grundsatz nicht in Einklang bringen. Betont wird in diesem Zusammenhang auch, dass die Unschuldsvermutung nicht nur für alle angezeigten Personen, sondern auch für Polizistinnen und Polizisten im Dienst gilt.
Die teils absurden Anschuldigungen gegen die Wiener Polizei, die in diversen sozialen Netzwerken kursieren, werden aufs Schärfste zurückgewiesen. (Quelle: Presseaussendung Polizei Wien)

Oliver von Dobrolowski, selbst Polizist und bekannt für seine Kritik an den eigenen Kolleg*innen, legte dar wieso der Kopf sich definitiv unter dem Fahrzeug befunden haben muss:

„die quati“ belegt seine Position unter dem Auto ebenfalls:

Die folgen dieses einsatzes

Anselm Schindler reagierte nach seiner Haftentlassung recht besonnen. Er retweetete Postings der Demo und auch das Video in dem er selbst am Boden liegend zu sehen ist. Erst am Montag bilanzierte er das Geschehen vom Freitag wie folgt:

Gestern Abend, nachdem die Videos viral gingen, schrieb er:

Nicht nur verdrehte man seinen Arm bis zum Anschlag nach hinten, auch die Handfesseln legte man nach seiner Aussage zu eng an, was er mit folgendem Foto belegt:

ein zweiter fall von polizeigewalt

Vor dem jetzt bekannt gewordenen Video gab es bereits ein anderes Video von der selben Demonstration an einer anderen Stelle. Auch hier war Florian Klenk vor Ort und filmte die Situation, in welcher ein Polizist immer wieder zu den (erst drei, später fünf) fixierenden Polizisten rief: „In die Nieren! In die Nieren!“

https://twitter.com/florianklenk/status/1134799441469288449

Zwei weitere Polizisten drehen dem Vorgang den Rücken zu, sehr wahrscheinlich um die fixierenden Beamten vor Zugriffen durch weitere Demonstrationsteilnehmer zu schützen / abzuschirmen. In den Richtlinien für das Einsatztraining der Polizei sind Fauststöße zwar als Zwangshandlung vorgesehen, ob sie in diesem Fall jedoch notwendig waren und dann auch noch in die Nieren erfolgen sollten, sei dahingestellt. Auch diese Person wurde bis Samstag früh in Gewahrsam genommen und dann entlassen. Eine Bestätigung über einen erlittenen Mittelhandknochenbruch haben wir derzeit nicht vorliegen.

Folgen für die polizisten

Es ist unklar, welche Folgen diese Angriffe auf die Demonstranten für die Polizisten haben werden. Zunächst einmal muss man die Polizisten anzeigen und identifizieren. In Österreich gibt es jedoch keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten: „Für die österreichische Polizei besteht keine Kennzeichnungspflicht. Polizeibeamte sind verpflichtet, auf Wunsch ihren Dienstausweis zu zeigen oder ihre Dienstnummer offenzulegen, sofern sie dies nicht bei der Erfüllung ihrer aktuellen Aufgabe behindert.“ (Quelle: Kennzeichnungspflicht, Wikipedia).

Zumindest das zweite Video wurde mittlerweile an das Referat für besondere Ermittlungen weitergeleitet Der prügelnde Beamte wurde mit sofortiger Wirkung in den Innendienst versetzt. Da dieses Referat aber selbst Teil der Polizei Wien ist, bearbeiten nun Arbeitskollegen der Polizisten diesen Vorfall. Eine ähnliche Problematik gibt es auch in Deutschland, wobei manche Bundesländer bereits fortschrittlicher waren oder nun neue Bestrebungen unternehmen, um unabhängige Instanzen zu implementieren. Forderungen nach unabhängigen Beschwerdestellen gibt es schon seit vielen Jahren, Amnesty International beispielsweise verweist auf das Beispiel der USA: dort gibt es unabhängige Polizeibeschwerdestellen, welche ermitteln und eigenständig Zeug*innen vorladen dürfen. Die Zeitung ‚Die Zeit‘ schrieb am 07. Juli 2014:

Oder, analog zum Datenschutzbeauftragen, einen für die Polizei – der könnte neben konkreten Ermittlungen zu einzelnen Fällen auch Empfehlungen für strukturelle Veränderungen geben. In Rheinland-Pfalz soll dieses Modell nun erprobt werden.

In Hamburg gab es eine von der Polizei unabhängige Beschwerdestelle, die durchaus erfolgreich arbeitete. Bis im Jahr 2001 die rechtspopulistische Partei Rechtsstaatlicher Offensive an die Macht kam und der Innensenator Ronald Schill die Kommission auflöste. (Quelle: Zeit.de)

Das Austrian Center for Law Enforcement Sciences gelangt in seiner Studie zur Gewalt durch Exekutivbeamte zu dem Ergebnis, dass Misshandlungen durch Exekutivbeamte selten vor Gericht landen. Sie werden in den meisten Fällen spätestens durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. (Studie des ACLE)

Update 06.06.2019

Die Polizei Wien verkündet auf twitter, dass es bei einem der beiden Videos „tatsächlich“ so aussähe als läge der Kopf unter dem Polizeibulli. In Anbetracht der Aussage von Freitag, dass es sich um absurde Anschuldigungen handle, stellt sich durchaus die Frage, mit welcher Begründung diese Aussage verfasst wurde. Zunächst einmal pauschal alles zu dementieren und zurückzuweisen, wirkt nicht sehr professionell und vertrauenerweckend.

 

polizisten als gewalttäter

Regisseur Stefan Lukacs veröffentlichte 2018 mit den Film ‚Cops‘ bereits seinen zweiten Film zum  Thema Gewaltexzesse bei (österreichischen) Polizeibeamten. In Deutschland zeichnete man den Spielfilm mit insgesamt drei Preisen aus. Der erste Teil ‚VOID‘ ist mittlerweile fester Bestandteil der Polizeiausbildung.

Martha Krumpeck, Teil der Fridays for Future-Bewegung zeigte sich ebenfalls entsetzt:

Wir sind im Übrigen zutiefst schockiert über das Vorgehen der österreichischen Polizei gegen gewaltfrei protestierende (und blockierende) Menschen und fordern eine umgehende, lückenlose Aufklärung sämtlicher Fälle. Unser Mitgefühl gilt den Opfern.

Es sollte im Interesse der österreichischen Polizei sein, beide Fälle möglichst schnell und umfassend aufzuklären. Ein weiterer Vertrauensverlust in die Institution sollte dringend vermieden werden.

Artikelbild: Screenshots twitter.com