Rechtsextreme Morddrohungen, Polizeischutz und Angriffe auf ahnungslose Menschen… Während des Pride stellen sich mutige Menschen einer neuen Realität.
Der Sommer neigt sich dem Ende zu und wir blicken zurück auf die Pride-Saison. Eines lässt sich feststellen: Dieses Pride-Jahr war bislang ein Jahr der Rekorde. Viele Städte erlebten ihren ersten CSD, in anderen wurden Teilnehmenden-Rekorde gebrochen. Gleichzeitig blickt die Community aber auch mit Sorge in die Zukunft. Denn neben den Solidaritätsbekundungen nehmen auch die Bedrohungen und Gewalt zu. Wir sehen uns dem Versuch der extremen Rechten ausgesetzt, die Menschlichkeit in Frage zu stellen. Es ist plötzlich nicht mehr selbstverständlich, für Gleichberechtigung und Liebe auf die Straße gehen zu können.
In diesem Artikel zeigen wir auf, welche vier Entwicklungen sich in Bezug auf den Pride und die Verteidigung queerer Rechte beobachten lassen und was jetzt zu tun ist.
Hier findet ihr den Artikel kurz zusammengefasst in Video-Form:
1. Queerfeindliche Gewalt steigt
Diese Entwicklung ist angesichts des Erstarkens der extremen Rechten nicht überraschend und sie lässt sich schon lange beobachten: Die Gewalt gegen queere Menschen nimmt zu, sie wird selbstverständlicher und organisierter. Die Fälle von queerfeindlicher Hasskriminalität stiegen laut BKA zwischen 2022 und 2023 um ca. 50 % an.
Info: Dass queere Menschen im Visier rechtsextremen Hasses stehen, hat Geschichte. Queerfeindliche Mythen werden von (Neo)-Nazis seit jeher, oftmals im Namen einer völkischen Familienpolitik, verbreitet. Während des Holocausts wurden tausende queere Menschen verfolgt, verschleppt und ermordet – ein Teil unserer Geschichte, der bis heute nicht richtig aufgearbeitet wurde.
Fast 30 Prozent der CSDs gestört
Nach dem Monitoring der Amadeu Antonio Stiftung wurden in diesem Jahr mindestens 70 CSDs gestört. Das sind fast 30 Prozent.
Das ist das Ergebnis einer gezielten Mobilisierung durch extrem rechte Organisationen und die AfD. Queerfeindliche Mobilisierungen im Netz kennen wir spätestens seit der Erfindung des “Stolzmonat” 2023. Auch in diesem Jahr organisierte man sich über Social Media Plattformen, um die CSD-Veranstaltungen anzugreifen und zu stören.
Die Angriffe reichen von insgesamt 27 organisierten Gegenveranstaltungen, über Hasskommentare, bis hin zu der Zerstörung von Pride-Symbolen, Drohungen von tätlichen Angriffen und auch tatsächlichen Attacken auf queere Menschen und ihre Unterstützer:innen.
In Dresden kamen nach einem Aufruf der, vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordneten, „Elblandrevolte“ rund 120 Gegendemonstranten zusammen und versuchten, den zeitgleich stattfindenden CSD zu stören.
In Bad Cannstatt wurden gleich mehrmals hintereinander Regenbogenflaggen entwendet, zerschnitten und angezündet.
Buttersäureanschlag in Döbeln
In Döbeln berichten die Veranstalter des CSDs nach einem Buttersäureanschlag auf das Gelände davon, dass derartige Angriffe zum Alltag dazugehören würden.
In Bad Freienwalde griffen vermummte und mit Schlagwerkzeugen und Holzstöcken bewaffnete Neonazis Menschen auf einem Fest für Vielfalt an – es gab Verletzte.
Und diese Beispiele stehen nur exemplarisch für eine neue Realität, mit der sich queere Menschen konfrontiert sehen.
Eine Realität, die offenbar von der rechtsextremen AfD begrüßt wird. Deswegen verbreitet man gezielt Queerfeindlichkeit und versucht, diese auf kommunalpolitischer Ebene umzusetzen. Ein Beispiel: In Ronnenberg versuchte die AfD im Stadtrat, den CSD per Antrag zu verhindern und forderte gar die Herausgabe der Namen derjenigen Beamt:innen, die den CSD genehmigt hatten.
2. CSDs sind nicht mehr selbstverständlich
Eine Folge dieser Gewalt: Dass die CSDs so ohne Weiteres stattfinden können, ist nicht mehr selbstverständlich. So mussten die CSDs in Gelsenkirchen und Düsseldorf, sowie eine Demo in Mönchengladbach abgesagt werden, da keine Sicherheit für die Teilnehmenden garantiert werden konnte. In Düsseldorf kam es auf der Facebookseite des CSDs zu Hass-Kommentaren, die unter anderem zynisch angemerkt hatten, dass hoffentlich kein AfDler die Kontrolle über sein Auto verlieren würde.
Die Veranstalter nahmen dies als Drohung war und entschieden sich dazu, das Risiko nicht eingehen zu wollen. Die gleiche Entscheidung fiel in Gelsenkirchen, nachdem die Polizei über eine „unkonkrete Anschlagswarnung” informiert hatte. Und auch eine Demozug in Mönchengladbach wurde nach verdächtigen Äußerungen in den sozialen Medien abgesagt. Immerhin konnte hier unter Polizeischutz eine Kundgebung organisiert werden.
Trotzdem zeigen diese Beispiele: Die Behörden schaffen es nicht mehr, die CSD-Teilnehmenden ausreichend zu schützen und damit Artikel 8 des Grundgesetzes (die Versammlungsfreiheit) zu gewährleisten.
Darüber berichten wir übrigens auch in diesem Video von uns:
kurzer Exkurs: Geschichte des Pride Months
Übrigens: Während des Pride Month werden weltweit Paraden und Veranstaltungen organisiert, um die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt der Menschen zu feiern und auf Diskriminierungen aufmerksam zu machen. Der Christopher Street Day heißt so, weil im Jahre 1969 in der „Christopher Street” in New York sein Ursprung liegt. Hier standen queere Menschen erstmals mutig für ihre Rechte ein. Die queere Community sah sich damals täglich Unterdrückung, Demütigung und Polizeigewalt ausgesetzt. So auch in der queeren Bar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street, in der es regelmäßig zu Polizei-Razzien und Verhaftungen kam.
Am 28. Juni 1969 kam es hier bei einer Razzia zu Ausschreitungen zwischen queeren Menschen und der Polizei, die letztendlich von einem SWAT-Team gewalttätig niedergeschlagen wurden. Dies war der Beginn von den ersten, größeren Protesten der queeren Community. Dass trans Frauen of Colour und obdachlose queere Menschen diese Proteste entscheidend vorangetrieben haben, wurde in der Dokumentation und Aufarbeitung lange ausradiert. Also ganz kurz zusammengefasst: Es geht beim Pride um Menschenrechte, Gleichberechtigung und ein friedliches Zusammenleben – Ganz egal, wer du bist und wie du liebst. Dabei sind es nicht „irgendwelche Demonstrationen”, denn der CSD beruht auf einer langen und bedeutungsvollen Geschichte.
Sponsoren springen ab – wegen Trump
Eine weitere Hürde, der Pride-Veranstalter in vielen Städten in Deutschland gegenüberstehen, ist die Finanzierung. Denn ehemalige, große Sponsoren springen plötzlich ab. Der Grund hierfür ist orange, unangenehm laut und verfolgt eine offen queerfeindliche Politik: Donald Trump.
Viele CSDs werden durch US-Konzerne gesponsert. Und diese ziehen ihre Finanzierungen aufgrund Trumps Anfeindungen gegenüber jeglichen Diversitätsprogrammen nun zurück. So sprach der Veranstalter des Berliner CSDs laut rbb beispielsweise davon, dass kein einziges US-Unternehmen seine Unterstützung zugesagt hatte. Ähnliches berichteten die Organisator:innen des Münchener CSDs. Wegen Sponsoren-Absagen musste man sowohl in München als auch in Berlin mit einem Finanzierungsdefizit im sechsstelligen Bereich umgehen.
Und auch deutsche Unternehmer werden laut Veranstaltern verhaltener, denn hier macht sich ebenfalls die zunehmend queerfeindliche Stimmung bemerkbar. Unter der erschwerten Finanzierung leidet das Angebot und die Infrastruktur der Demonstrationen. Eine Entwicklung, die innerhalb der Community die Frage aufwirft, ob man sich zu abhängig von unzuverlässigen, kommerziellen Akteuren gemacht hat und wie man dem entgegenwirken kann – so viel sei vorweg gesagt: Spenden an queere Organisationen sind derzeit nötiger denn je.
3. Konservative unterstützen gefährliche Stimmungsmache
Angesichts der ersten beiden Entwicklungen könnte man doch meinen, dass die Politik hellhörig wird und sich umso mehr für Themen der Gleichberechtigung und Sicherheit einsetzt oder… ODER?!
Tja, damit landen wir bei der dritten Entwicklung: Konservative setzen mit rechter Symbolpolitik falsche Zeichen und normalisieren damit die rechtsextreme Stimmungsmache, die Stigmatisierung und den Hass – anstatt sich ehrlich für die Sicherheit im Land einzusetzen. Das prominenteste Beispiel in diesem Jahr war wahrscheinlich Julia Klöckner.
Sie untersagte einer Gruppe an queeren Bundestagsmitarbeitenden beim CSD in Berlin mitzulaufen. Und verbot, dass anlässlich des CSDs die Regenbogenflagge am Reichstag aufgehängt wurde. Diese Stimmungsmache gegen queere Menschen verpackte sie unter dem falschen Deckmantel der „Neutralität“. Vielleicht sollte jemand der Präsidentin des deutschen Bundestages erklären, dass man gegenüber Menschenrechten nicht „neutral“ sein kann. Dass Klöckner und ein demokratisches Verständnis von „Neutralität“ offenbar kein Match ist, wissen wir spätestens seitdem sie dem Finanzier des ultrarechten Hetzportals Nius die Hand reichte und ihm bei seiner Lobbyarbeit behilflich war.
Merz: Peinlicher Kulturkampf gegen neun Millionen Deutsche
Klöckner ist mit der queerfeindlichen Symbolpolitik allerdings nicht allein in ihrer Partei, was nicht wundert, wenn man bedenkt, dass diese Agenda von ganz oben vorgegeben wird. Kanzler und Bundesvorsitzender Friedrich Merz hatte kein Problem damit, queere Menschen (und damit ca. 9 Millionen deutsche Bürger:innen!) in einer Talkshow sprachlich als Zirkusattraktion darzustellen. Damit zeigt die Union, dass das Thema für sie lediglich ein Kulturkampf ist und es sie nicht interessiert, dass ihre Stimmungsmache direkten Einfluss auf ca. 11 % der Deutschen hat.
Für Merz & Co. ist Queerness anscheinend ein „Lifestyle“, gegen den man poltern kann, wenn es sich politisch gerade lohnt. Für queere Menschen ist es aber Lebensrealität – hier geht es um Sicherheit, nicht um Lifestyle. Es ist einfach zu ernst, als dass dieser rechts-geleitetete Opportunismus und Kulturkampf in seiner ekligsten Form hingenommen werden kann. Zwar regte sich etwas Protest gegen Merz und Klöckner. Aber ernsthafte, politische Bemühungen, die die Sicherheit queerer Menschen priorisieren, wie zum Beispiel wirkungsvolle Strategien gegen Radikalisierungsprozesse und rechtsextreme Gewalt, sucht man in der Politik gerade vergebens.
4. Mutige Menschen reagieren mit Rekord-Teilnehmerzahlen!
Der diesjährige Pride hat jedoch auch gezeigt: Wir sind diesem Hass nicht hilflos ausgesetzt. Die Gegenkampagnen sorgten für eine steigende Solidarität und Empörungswelle. Mit bisher um die 240 CSDs waren es in diesem Jahr so viele wie noch nie. Und auch die Teilnehmendenzahlen stiegen vielerorts immens an.
Auch in kleinen Städten aus Ostdeutschland wurden richtige CSD-Rekorde verzeichnet. Oft reisten Menschen von weit her an, um ihren Support zu zeigen. Einige Orte, wie die Kleinstädte Nordhausen, Mülhausen oder Suhl in Thüringen erlebten ihren ersten CSD überhaupt.
Unser Reporter Freddy war selbst in Naumburg (Saale) in Sachsen-Anhalt, wo um die 600 Menschen zusammenkamen. Er berichtet von Zusammenhalt und Solidarität – übrigens auch seitens der CDU-Lokalpolitiker, die vor Ort waren. Das habe dazu geführt, dass die Rechtsextremen, die sich am Wegesrand positioniert hatten, gemeinschaftlich wegignoriert wurden. Diese Einblicke zeigen: Präsent sein und queere Menschen vor Ort unterstützen BRINGT ETWAS.
Dass durch Engagement auch langfristig etwas für den Zusammenhalt der Zivilgesellschaft und gegen den Rechtsruck getan werden kann, zeigt sich am Beispiel Bautzen. 2023 fand in der sächsischen Kleinstadt der erste CSD statt. Es kamen ca. 350 Teilnehmende. Beim zweiten CSD der Stadt im vergangenen Jahr mobilisierte die rechtsextreme Szene massiv zum Gegenprotest, doch auch die Queere Community vor Ort erlebte wachsende Solidarität.
Mehr Solidarität
Mehr als 1.000 CSD-Besucher:innen kamen somit auf die rund 700 Gegendemonstrierenden. Allerdings musste man die Aftershow-Party aus Sicherheitsgründen absagen. In diesem Jahr wuchs daraufhin die Solidarität mit der Bautzener Pride weiter an: Über 3.000 Menschen nahmen am CSD in Bautzen teil, eine neuerliche rechte Gegendemo schrumpfte auf unter 500 Teilnehmende zusammen. Allerdings gab es weiterhin Berichte über Angriffe auf an- und abreisende Queers.
An der Geschichte von Bautzen zeigen sich die Fortschritte der letzten Jahre, aber gleichzeitig auch die massiven Probleme. Zwar gibt es deutschlandweit immer mehr Solidarität sowohl innerhalb der queeren Szene (auch in Bautzen waren Teilnehmende zum Teil von weit her angereist) als auch in der demokratischen Zivilgesellschaft, aber gleichzeitig wird die extreme Rechte in den Hochburgen der AfD immer selbstbewusster und aggressiver.
Fakt ist nämlich: Die An- und Abreise für queere Menschen an diesen Orten ist gefährlich und Veranstalter, sowie Engagierte vor Ort sind wieder auf sich allein gestellt, sobald die Aufmerksamkeit von außen nachlässt. Das bedeutet dann leider viel zu oft, dass es zu Bedrohungen, Einschüchterungen und Gewalt durch die lokale Neonazi-Szene kommt. Dementsprechend gilt das Motto: Je mehr Menschen kommen und die queere Gemeinschaft vor Ort (auch nachhaltig) unterstützen, desto weniger Raum haben die Rechtsextremen, um ihre Einschüchterungstaktiken umzusetzen.
FAZIT: Unterstützung darf nicht nachlassen
Die Bilanz der diesjährigen Pride-Saison zeigt: Dank rechtsextremer Stimmungsmache und rechter Symbolpolitik sind CSDs nicht mehr selbstverständlich. Immer öfter können sie nicht stattfinden oder finden aufgrund abspringender Sponsoren und Gegenveranstaltungen unter erschwerten Bedingungen statt. Queere Menschen und damit Menschenrechte stehen unter massivem Beschuss.
Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Politik – angemessen alarmiert scheint man in Berlin allerdings nicht zu sein. Konservative befeuern die Stimmungsmache eher und fallen somit auf die Versuche der extremen Rechte rein, die Menschlichkeit in Frage zu stellen. Queerfeindlichkeit wird so normalisiert. Eine Entwicklung, die schon jetzt einen reellen, negativen Einfluss auf die Lebensrealität von unzählig vielen Menschen in Deutschland hat. In queeren Freundesgruppen sind Gespräche über Sicherheit, Umzüge in andere Gegenden und selbst Auswanderungspläne keine Seltenheit mehr.
Das führt im Gegenzug allerdings auch zu einer Welle an Solidarität. „Jetzt erst recht“ scheint das Motto vieler mutiger Menschen zu sein. Egal ob auf dem ostdeutschen Land oder in den großen Städten: In diesem Jahr wurde so entschlossen wie noch nie Liebe und Zusammenhalt demonstriert. Wie wichtig das für die Sicherheit queerer Menschen ist, insbesondere wenn sie von der Politik allein gelassen werden, zeigen die oben beschriebenen Beispiele eindrücklich. Wir können nur hoffen, dass diese Solidarität nicht nachlässt, sondern weiter zunimmt.
Artikelbild: canva.com/Volksverpetzer
