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Safe Abortion Day – Ein Blick über den Tellerrand

von | Sep 28, 2022 | Aktuelles

Ein Artikel von jenny Beck

Wie sicher sind Abtreibungen weltweit?

Am 28. September ist International Safe Abortion Day. Der Tag geht auf aktivistische Begehren in Lateinamerika und in der Karibik zurück, die 1990 die Entkriminalisierung von Abtreibung forderten. Seither ist vor Ort und weltweit einiges passiert, doch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass etwa die Hälfte der jährlich durchgeführten Abtreibungen noch immer unter unsicheren Bedingungen stattfinden. Ein Überblick.

Was kennzeichnet eine sichere Abtreibung?

Rund 39.000 ungewollt Schwangere sterben laut WHO jährlich aufgrund unsicherer Abtreibungsmethoden. Im März dieses Jahres hat die WHO daher Richtlinien veröffentlicht, die einen sicheren Schwangerschaftsabbruch garantieren sollen: Der Eingriff soll von medizinisch geschultem Personal ausgeführt und die Rechte der ungewollt schwangeren Person gewahrt werden. Darüber hinaus gilt es, Wartezeiten vor der Abtreibung abzuschaffen, die Zustimmung anderer nicht als Bedingung des Eingriffs zu zählen und Abtreibungen zu entkriminalisieren. Denn Schwangerschaftsabbrüche finden statt – ob mit oder ohne Verbot. Lediglich die Sicherheit des Eingriffs wird durch Kriminalisierung beeinträchtigt.

Deutschlands Versorgungslage ist ungenügend – nicht nur nach WHO-Standards

Deutschland hat im Juni 2022 einen kleinen Schritt in Richtung der von der WHO geforderten sicheren Schwangerschaftsabbrüche gemacht. Der Paragraf 219a wurde nach Jahren des Protests von ungewollt Schwangeren, Aktivist:innen und Mediziner:innen abgeschafft. Seit dem 19. Juli dürfen durchführende Ärzt:innen nun auf ihren Websites darüber informieren, dass sie Abtreibungen anbieten und welche Methoden sie nutzen – ohne aufgrund des sogenannten ‚Werbeverbots‘ mit Geldstrafen in Höhe von 6.000 Euro rechnen zu müssen. Dennoch ist Deutschland weit vom angestrebten Standard der WHO entfernt. Schwangerschaftsabbrüche sind im Strafgesetzbuch geregelt. Das macht sie, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, zur Straftat. Lediglich nach einer vorangegangenen Beratung dürfen Schwangere nach dreitägiger Wartepflicht bis einschließlich zur 12. Schwangerschaftswoche abtreiben. Für Schwangerschaften, die Resultat einer Vergewaltigung sind, fällt diese Beratungspflicht weg. Darüber hinaus können ungewollt Schwangere, deren Leben oder körperliche sowie seelische Gesundheit in Gefahr sind, auch nach der 12. Schwangerschaftswoche abtreiben (mehr Informationen zur rechtlichen Situation).

Deutschland versagt also bereits bei der Entkriminalisierung und der existierenden Wartepflicht. Zudem lässt die Versorgungslage zu wünschen übrig. Während es laut dem Statistischen Bundesamt vor zwanzig Jahren noch 2.000 Anlaufstellen für ungewollt Schwangere waren, führen heute weniger als 1.100 Praxen Abtreibungen durch. Der Versorgungsengpass bringt durchführende Ärzt:innen in zeitliche Bedrängnis, für Betroffene bedeutet er einen Mehraufwand an Weg, Zeit und Geld. Denn je nach Region müssen ungewollt Schwangere hunderte Kilometer reisen, um eine medizinisch sichere Abtreibung in Anspruch zu nehmen. Die mangelnde Versorgung hängt wohl auch damit zusammen, dass Schwangerschaftsabbrüche im Medizinstudium unterrepräsentiert und Mediziner:innen, die Abtreibungen durchführen, immer wieder Anfeindungen ausgesetzt sind. Letzteres führt dazu, dass einige Praxen und Kliniken selbst nach Abschaffen des ‚Werbeverbots‘ online nicht auf die medizinische Versorgung hinweisen.

Im europäischen Vergleich

Neben den verheerenden Abtreibungsgesetzen im Nachbarland Polen können sich Deutschlands halbherzige, unzureichende Bemühungen um sichere Abtreibungen dennoch sehen lassen. Denn in Polen sind Abtreibungen de facto verboten. Lediglich Abbrüche nach Vergewaltigungen oder Inzest sowie bei Lebensgefahr der Schwangeren sind legal. Das Verbot bringt sowohl ungewollt als auch gewollt Schwangere in Gefahr, weil Ärzt:innen juristisch die Hände gebunden sind und sie medizinische Eingriffe aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen verweigern – teils auch dann, wenn das Leben der schwangeren Person längst in Gefahr ist. So sind in den letzten Jahren mehrfach Schwangere in Obhut von Mediziner:innen an einem septischen Schock gestorben, weil diese nicht eingriffen.

Das Europäische Parlament forderte die polnische Regierung bereits nach dem ersten dieser Todesfälle dazu auf, das De-facto-Abtreibungsverbot aufzuheben. Getan hat sich seither nichts. Doch Polen ist nicht das einzige europäische Land, in dem ein solches striktes Gesetz herrscht. In Malta und Andorra gelten absolute Abtreibungsverbote ohne Ausnahmen (laut reproductiverights.org (PDF)). Wird Betroffenen dennoch eine Abtreibung oder ein Abtreibungsversuch nachgewiesen, so drohen ihnen Gefängnisstrafen. Bis vor kurzem gehörte auch San Marino zu den europäischen Staaten mit dem striktesten Abtreibungsverbot. Doch im September 2021 stimmten rund 77 Prozent der Wähler:innen für legale Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche.

Irland lockert, Ungarn perfide

In Liechtenstein war 2011 ein ähnlicher Versuch gestartet – aber mit 52,3 Prozent gegen den Gesetzesentwurf scheiterte er. So sind Abtreibungen im Binnenstaat weiterhin lediglich bei einer Gefährdung der Gesundheit der Schwangeren erlaubt. Bis vor drei Jahren sah es in Irland ähnlich aus. Betroffene mussten für sichere, legale Abtreibungen häufig nach Großbritannien oder Europa reisen. Seit 2019 sind Schwangerschaftsabbrüche nun bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt. Erst kürzlich trat ein Gesetzesentwurf der ungarischen Regierung in Kraft, der es ungewollt Schwangeren trotz Fristenlösung zur Pflicht macht, den Herzschlag des Fötus vor einer Abtreibung anzuhören. Die perfide Methode soll dazu dienen, Schwangere damit zu konfrontieren, dass es sich um ein lebendiges Wesen handelt. Als wäre das nicht jeder ungewollt schwangeren Person längst klar.

Zwischen den Extremen in Nordamerika

Wenig überraschend kam für aufmerksame Beobachter:innen im Juni 2022 die Entscheidung um Roe v. Wade. Nach beinahe fünfzig Jahren, während derer die Grundsatzentscheidung Abtreibungen in den Vereinigten Staaten weitläufig innerhalb der ersten zwei Trimester ermöglichte, wurde sie am 24. Juni gekippt. Seither sind Schwangerschaftsabbrüche in 14 US-amerikanischen Staaten verboten. Georgia unterbindet Abtreibungen zudem ab der sechsten Schwangerschaftswoche, was einem absoluten Verbot nahekommt, weil viele Schwangerschaften nicht innerhalb dieses Zeitraums festgestellt werden.

Auch hier gilt: Abtreibungen werden aufgrund der Verbote nicht weniger, sie werden lediglich unsicherer. Ungewollt Schwangere müssen je nach Wohnort knapp 1.000 Kilometer fahren, um zu geöffneten Abtreibungskliniken zu gelangen – diese sind jedoch zunehmend überfordert. Für Betroffene bedeutet das: Die Wartezeiten haben sich von rund zwei bis drei Tagen zu zwei bis drei Wochen erhöht. Während 2019 noch etwa 93 Prozent der Abbrüche in den Vereinigten Staaten bis zur oder in der 13. Schwangerschaftswoche stattfanden, werden sich dadurch zukünftig immer mehr Abtreibungen in einen späteren Zeitraum verlagern. Das belastet einerseits die ungewollt Schwangeren, die in ihrer körperlichen Autonomie für einen längeren Zeitraum eingeschränkt werden. Andererseits macht es Abtreibungen noch schwerer zugänglich, weil weniger Mediziner:innen für Abbrüche nach der 13. Woche geschult sind.

Nachbarland Kanada ist derweil einer der wenigen Staaten weltweit, in denen Abtreibung komplett entkriminalisiert ist. Dennoch sind legale Abtreibungen auch dort nicht endgültig gesichert – dafür bedarf es laut der Verfassungsrechtsexpertin Daphne Gilbert einer Änderung der Charter of Rights and Freedoms. Aktuell sind Abbrüche dennoch durch die gesamte Schwangerschaft hinweg legal.

Neuer Aufschwung in der Geburtsstätte des International Safe Abortion Days

Auch in Lateinamerika gehen die Gesetze zu Abtreibungen auseinander. In der Dominikanischen Republik, Haiti, Honduras, Nicaragua und El Salvador sind Schwangerschaftsabbrüche ohne Ausnahmen verboten. Die tödlichen Konsequenzen zeigen auch hier ganz deutlich, wohin die Kriminalisierung von Abtreibungen führt: Der Inter-American Court of Human Rights erklärte die Regierung El Salvadors erst 2021 schuldig am Tod von Manuela. Die zweifache Mutter wurde 2008 nach einer Fehlgeburt für 30 Jahre ins Gefängnis geschickt und starb dort aufgrund der mangelnden medizinischen Versorgung an Krebs. Nicaragua führte 2008 ein absolutes Abtreibungsverbot ein. Bereits binnen eines Jahres stieg die Müttersterblichkeit in Folge des Gesetzes an. Wie überall sonst auf der Welt auch, schaden Abtreibungsverbote hier insbesondere sozioökonomisch benachteiligten Menschen.

Doch es besteht Hoffnung: In einigen Ländern Lateinamerikas hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Kolumbien änderte sein Gesetz im Februar 2021 zugunsten sicherer Abtreibungen. Seither sind Abbrüche innerhalb der ersten 24 Wochen der Schwangerschaft legal. Auch in Argentinien wurden Abtreibungen infolge medienwirksamer Proteste 2020 innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen legalisiert. Ähnlich liberal verhält sich das Abtreibungsrecht in Puerto Rico, Kuba und Uruguay. Der Oberste Gerichtshof Mexikos entschied im September 2021 über einen wegweisenden Präzedenzfall, in dem die Bestrafung von Abtreibungen für verfassungswidrig erklärt wurde. Seitdem gelten Abbrüche in Mexiko nicht mehr als Verbrechen, doch das Recht ist von Staat zu Staat unterschiedlich.

Die Situation in Mexiko akzentuiert, dass die Entkriminalisierung von Abtreibungen zwar ein essenzieller Schritt ist, sie allein aber noch lange nicht ausreicht. Ungewollt Schwangere haben vor Ort nach wie vor mit Stigmatisierung zu kämpfen. So zitiert die Tagesschau im Oktober 2021 einen katholischen Priester, der während eines Gottesdienstes in Mexiko sagte: „Abtreibung wurde legalisiert. Wir töten damit die Kinder, die uns stören. Die Kinder können sich nicht dagegen wehren. Warum töten wir nicht die Mutter?“ Trotz dieses patriarchalen, gewaltvollen Gedankenguts bietet Mexiko ein weitaus liberaleres Abtreibungsrecht als die meisten lateinamerikanischen Länder. Denn in allen übrigen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche abgesehen von einigen Ausnahmen wie der Lebensgefahr der Mutter oder Schwangerschaft nach Vergewaltigung oder Inzest illegal (siehe auch die Übersichtskarte hier).

Asien und Afrika verzeichnen meisten Todesfälle infolge unsicherer Abtreibungen

Die aus unsicheren Abtreibungsmethoden resultierenden Todesfälle betreffen laut WHO besonders häufig ungewollt Schwangere in Asien und Afrika. Während in Asien etwa 30 Prozent der weltweiten Todesfälle infolge von Abtreibungen zu verorten sind, verzeichnet Afrika ganze 60 Prozent. In Afrika treffen gleich drei Faktoren aufeinander, die die hohe Sterblichkeit an unsicheren Abtreibungen bedingen könnten: Es ist einer der ärmsten Kontinente mit der höchsten Fruchtbarkeitsrate und den strengsten Abtreibungsgesetzen.

Lediglich in fünf afrikanischen Ländern sind Abbrüche legalisiert: In Tunesien, Guinea-Bissau, Benin, Südafrika und Mozambique. Die Staaten erlauben Abbrüche jeweils innerhalb unterschiedlicher Zeitspannen und weisen damit die liberalsten Abtreibungsgesetze ganz Afrikas vor. Darauf folgen Sambia und Äthiopien. Die beiden Staaten gewähren ungewollt Schwangeren Zugang zu Abtreibungen, wenn diese aufgrund gesundheitlicher oder ökonomischer Gründe nötig werden. In den 48 übrigen afrikanischen Ländern gelten strikte Abtreibungsgesetze – von absoluten Verboten wie in Ägypten oder Senegal über Ausnahmen zur Lebensrettung der schwangeren Person im Sudan oder Libyen bis hin zu gesundheitserhaltenden Abtreibungen in Algerien oder Marokko. Trotz der düsteren Bilanz von lediglich fünf Ländern, in denen Abtreibungen entkriminalisiert sind, verzeichnet der afrikanische Kontinent tendenziell einen liberalen Trend (hier findet ihr die Übersicht zu Afrika).

In Asien treffen zwei Fronten aufeinander. Zwar sind Abtreibungen in einer Vielzahl der Staaten bis zu bestimmten Schwangerschaftswochen erlaubt (in Russland, der Türkei, Georgien, Aserbaidschan, Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisistan, der Mongolei, China, Nepal, Nord- und Südkorea, Vietnam, auf Zypern, in Kambodscha und Thailand). Doch in anderen Teilen Asiens finden sich absolute Verbote wie etwa im Irak, in Laos und auf den Philippinen. Dazu kommen Staaten wie Iran, Afghanistan, Indonesien oder Myanmar, die Abtreibungen nur bei einer Lebensgefahr der schwangeren Person erlauben. Einige weitere gestatten Schwangerschaftsabbrüche zusätzlich bei gesundheitlichen Risiken und in Indien zählen auch ökonomische Gründe (mehr Informationen zu Asien auf dieser Karte).

In Ozeanien hat der Großteil der Population Zugang zu legalen Abtreibungen

In Ozeanien sind Abtreibungen weitgehend legalisiert. Australien und Neuseeland sind zwei der drei bevölkerungsreichsten Staaten des Kontinents. Beide erlauben sie Abtreibungen ohne Einschränkungen. Im drittgrößten Land Papua-Neuguinea sind Abbrüche dagegen lediglich gestattet, um das Leben der ungewollt schwangeren Person zu retten. Auf den Salomonen verhält es sich ähnlich, während die restlichen Staaten mit recht geringen Einwohnerzahlen auch darüber hinaus gesundheitliche oder ökonomische Gründe fordern (siehe Übersicht (PDF)).

Fazit: Das ‚Safe‘ im ‚International Safe Abortion Day‘ bleibt ein fernes Ziel

Abtreibungsverbote sorgen für überforderte Anlaufstellen, verzögerte Eingriffe und unsichere Methoden. Stigmatisierung und Tabuisierung tragen ihr Übriges zu Versorgungsengpässen und mangelnder Information bei. Doch Abbrüche lassen dadurch nicht nach. Stattdessen werden sie zur Gefahr für Leib und Leben der ungewollt schwangeren Person. Daher sollten sichere, legale Abtreibungen weltweit zur absoluten Pflicht werden. Das WHO stellt dafür einige Kriterien. Aber ein Blick auf die globale Situation in Bezug auf Abtreibungsgesetze macht deutlich: Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung wird vernachlässigt und Schwangerschaftsabbrüche stellen vielerorts ein Risiko da – weil sie kriminalisiert werden, unnötige Wartezeiten Eingriffe verzögern oder es an medizinischer Versorgung mangelt. Es steht ein langer Weg bevor, damit ungewollt Schwangere irgendwann überall sicher versorgt sind. Und so steht auch dieser International Safe Abortion Day nicht im Zeichen eines Ist-Zustands sondern eines Soll-Zustands.