4.140

Faktencheck AfD-„Studie“: „Todesopfer“ durch „Zuwanderer“ leben noch

von | Nov 18, 2019 | Aktuelles, Analyse

Faktencheck der AfD-Pseudo-„Studie“

Parteichef Jörg Meuthen und der hessische Fraktionschef Robert Lambrou haben eine 127 Seiten lange Präsentation vorgestellt, die sie fälschlicherweise als „Studie“ bezeichnen. Sie soll dokumentieren, wie schlimm alles in Deutschland geworden sei. Sie ist voller unbelegbarer oder unbelegter Behauptungen, irreführenden oder unvollständigen Darstellungen und voller Lügen. Dabei erfüllt sie kein bisschen die Kriterien einer „Studie“, viele der angegebenen Quellen und Links funktionieren nicht. Einige „Belege“ sind Leserbriefe oder Social Media Kommentare, sie lässt oft wichtigen Kontext weg und ist als Informationsquelle damit nutzlos und nur ein Propaganda-Werk (Mehr dazu).

127 sind viele Seiten voller Falschbehauptungen und verzerrter Darstellungen, deswegen analysieren wir zuerst einen Teil. Wenn ihr mehr Analysen wollt, insbesondere zu bestimmten Behauptungen der AfD, lasst es uns wissen. Schauen wir uns zunächst Seite 101 an. Dort behauptet die AfD, 102 Deutsche seien durch „Zuwanderer“ 2018 ermordet worden und dies sei ein Anstieg um 685% im Vergleich zum Vorjahr.



Das ist vollkommen falsch

Diese Zahlen hat die AfD aus dem BKA-Lagebild „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ – die Prozentrechnung hat sie selbst gemacht. Fangen wir zuerst bei der Definition von “Zuwanderer” an. Entgegen der weitläufig verbreiteten Bedeutung von “Zuwanderer” handelt es sich hierbei größtenteils nicht um Migranten. Darunter fallen (erst seit 2017) Geflüchtete mit anerkanntem Aufenthaltstitel (international/national Schutzberechtigte und Asylberechtigte), aber auch Asylbewerber und Menschen mit “unerlaubtem Aufenthalt”.

Doch auch “Schutzsuchende” als Synonym dafür ist falsch, da in der Definition des BKA auch “unerlaubter Aufenthalt” dazu gehört, der nicht nur abgelehnte Asylbewerber meinen kann. Darunter fallen nämlich auch Studenten, Touristen, Arbeitnehmer, Geschäftsleute, aber auch professionelle Diebesbanden, die sich im Land ohne gültige Visa aufhalten. Es sind also teilweise weder Migranten, noch Schutzsuchende dabei. Die 230 deutschen Opfer von “Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen”, an welchen mindestens ein “Zuwanderer” beteiligt wird, sind darüber hinaus höchst missverständlich, denn davon leben die allermeisten noch.

Die meisten der 102 Opfer sind noch am Leben!

Und damit sind nicht nur die 128 Opfer gemeint, deren Tötungsdelikt nicht vollendet wurde. Denn auch die meisten Opfer vollendeter Tötungsdelikte sind heute noch am Leben. Wie das BKA selbst erklärt, werden alle Opfer des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz vom 19.12.2016 als Opfer eines “vollendeten Tötungsdeliktes” erfasst. Das heißt, von den 102 Delikten aus der Statistik für 2018 sind 82 Deutsche aus dem Jahr 2016, und davon 75 Verletze.

Quelle: Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung, S.52

Diese Information findet sich auf Seite 52 und insbesondere in den Fußnoten:

Die Kategorie “Opfer nichtdeutsch” vom Breitscheidplatz hat das BKA hingegen anscheinend “vergessen”. Beim Terroranschlag wurden schließlich auch Menschen aus der Ukraine ermordet, aus Israel, aus Polen, Italien und der Tschechischen Republik.

Ohne die sieben Todesopfer von 2016 bleiben also noch 20 vollendete Tötungsdelikte für das Jahr 2018 übrig. Wie viele Täter davon tatsächlich auch Schutzsuchende waren und wie viele der Opfer auch tatsächlich getötet wurden, kann man allerdings aufgrund der Ungenauigkeit dieser Statistik tatsächlich nicht sagen. 102 waren es hingegen sicherlich nicht.

UNNÖTIGE VORLAGE FÜR RECHTE HETZE

Auch bei der Berechnung der Straftaten bei den Sexualdelikten gibt es enorme Ungenauigkeiten, die Vergleiche unmöglich machen. So hat sich im Laufe der Jahre die Definition, was unter ein “Sexualdelikt” fällt, ebenso geändert wie was man unter “Zuwanderern” verstehen soll. Ich möchte hier noch auf den Artikel eines Kollegen verweisen (Mehr dazu). Diese zahlreichen Unschärfen, die in die Statistik eingehen, machen sie vielleicht zu einem Arbeitsnachweis der Polizei, aber für brauchbare Aussagen über die Kriminalität von Nichtdeutschen (Mehr dazu) oder Schutzsuchenden ist sie nahezu unbrauchbar.

Man sollte sich im Angesicht der Tatsache, dass daraus die Behauptung gebastelt wird, es hätte 2018 230 deutsche Todesopfer durch Schutzsuchende gegeben, was völlig falsch ist, vielleicht überlegen, ob man nicht gänzlich auf diese Statistik verzichten sollte. Es ist eine Steilvorlage für die Pseudo-„Studie“ der AfD, um Fake News zu verbreiten. Denn 2018 sind die “Tötungsdelikte” im Vergleich zum Vorjahr gar nicht um “685%” gestiegen.

Wahrscheinlich – und eine genaue Aussage ist leider unmöglich – sind sie sogar stark gefallen, wenn man sich die 85 “vollendeten Tötungsdelikte” aus dem Jahr 2017 (Vergleiche) anschaut und sie mit den verbliebenen 20 aus dem Jahr 2018 vergleicht. Derartige Zahlenspiele sind aber bestenfalls sinnlos. Aber wie man offensichtlich sehen kann, eine Rechtfertigung für Rassismus, rechtsextreme Einstellungen und Hetze.

ZUM THEMA:

Artikelbild: Aaron Amat, shutterstock.com