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Fake-„Studie“ im Thüringer Landtag: Impfungen führen NICHT zu erhöhter Sterblichkeit

von | Dez 17, 2021 | Analyse

Selbst Autoren der „Studie“ distanzierten sich

Die Impfung schützt sehr gut vor schweren Verläufen und Tod durch Corona, das ist hinlänglich bewiesen. Querdenker:innen und Betrüger:innen, die ihre Narrative verkaufen wollen, versuchen jedoch mit Falschdarstellungen und herausgepickten Zahlen Panik vor der Impfung zu verbreiten. So jüngst auch im Thüringer Landtag. Doch die vorgestellte „Studie“ ist gar keine Studie, basiert auf mangelhaften Daten, zeigt nur eine Korrelation, keine Kausalität und selbst die Autoren distanzieren sich von der falschen Interpretation.

So manipulieren Querdenker

Während der Corona-Krise wurde und wird wissenschaftliche Arbeit immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert. Das könnte an sich eine positive Entwicklung sein, würde nicht so viel Halbwissen verbreitet und Cherry-Picking betrieben. Die Gefahren des Corona-Virus werden mit Hilfe falscher „Erkenntnisse“ teils dubioser Wissenschaftler:innen verleugnet, die sehr wirksamen Impfstoffe durch cherry-picking einzelner Fälle sehr seltener Nebenwirkungen dämonisiert.

Oftmals kommen solche Behauptungen aus den gleichen Ecken. Rechtsextreme, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch die Hintertür „Impfkritik“ unterwandern wollen. Verschwörungsgläubige, die sich weigern, ihr starres Weltbild zu hinterfragen. Oder auch einfach Mikrobiologen im Ruhestand, die sich mit Schwurbelei die Rente aufbessern wollen und dabei auch keine Berührungsängste mit Antisemitismus haben. You name it. Nicht zu unterschätzen ist allerdings die Gefahr, wenn Falschinformationen getarnt als scheinbar „legitime Kritik“ einer Oppositionspartei in die Parlamente getragen werden. So geschehen vor kurzem in Thüringen.

Sensationelle Wendung oder wissenschaftliche Fahrlässigkeit?

Es fühlte sich wohl ein wenig nach Sensation an, was Ute Bergner, bis September Landtagsabgeordnete in der FDP-Fraktion und jetzt bei den querdenkernahen „Bürgern für Thüringen„, der Landesgesundheitsministerin Heike Werner (LINKE) da im Thüringer Landtag vorlegte. „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“ titelte das Papier, verbunden mit dem Aufruf, den Bürger:innen die Entscheidung zu überlassen, ob sie sich angesichts dieser „Gefahr“ impfen lassen wollen. Die Implikation ist natürlich eindeutig: Die Impfung schütze nicht hinreichend vor dem Virus, sei vielleicht sogar gefährlicher als die Erkrankung selbst. Aber was hat es mit dieser „Studie“, die die Basis für Bergners Papier darstellt, auf sich? Eins vorneweg: Da stimmt vorne und hinten so ziemlich gar nichts, wie auch der Tagesschau Faktenfinder feststellte.

Keine „Studie“, keine Kausalität – Autoren distanzieren sich

Zuerst einmal muss klargestellt werden: Die Behauptung „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“ ist nicht etwa das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie. Es war lediglich eine Notiz der Wissenschaftler Rolf Steyer und Gregor Kappler, die auf Sichtung einer äußerst dünnen Datenlage beruhte. Es wurde nur ein relativ kleiner Zeitraum betrachtet, nämlich 5 Wochen im September und Oktober 2021. Laut RKI pendelte dazu die 7-Tages-Inzidenz in diesem Zeitraum im Bereich von 65-85, deutlich niedriger im Vergleich zu den letzten Wochen.

Außerdem haben die Wissenschaftler für diesen Zeitraum lediglich einen Korrelationskoeffizienten von 0,31 festgestellt (auf der Skala ist 0 gar keine Korrelation, 1 und -1 sind die höchstmögliche positive/negative Korrelation). Sie bezeichneten diese 0,31 als „erstaunlich hoch“, das Statistische Bundesamt widerspricht jedoch. Das Amt errechnete in der eigenen Überprüfung sogar einen Koeffizienten der noch deutlich näher an 0 liegt. Ganz abgesehen davon muss man wiederum beachten, dass aufgrund der relativ kleinen Datenmenge einzelne Ausreißer die Werte stark verzerren könnten. Detaillierte Erklärungen haben die Kolleg:innen von correctiv.

Den Wissenschaftlern ist das alles übrigens auch selbst klar gewesen. Sie hatten den Bericht nur für die aktuelle Stunde im Thüringer Landtag verfasst, er sollte „Anlass für weitere Diskussionen und Analysen sein“. Keineswegs hätten sie beabsichtigt, dass sich die fragliche Behauptung auf Social Media verbreitet, die Notiz genüge ihren Qualitätsstandards nicht. Auch wichtig ist folgende Erkenntnis: „Unter Hinzunahme der jetzt verfügbaren KW 41 ist übrigens die von uns letzte Woche berichtete positive Korrelation nahezu gleich null“ (siehe Stellungnahme der Autoren).

Wissenschaft ist kein Spielzeug

Wissenschaftliche Erkenntnisse, deren Einordnung und die Präsentation für die Öffentlichkeit sind kein Spielzeug und auch kein Brötchen, aus dem man sich die Rosinen picken kann, die einem gerade in den Kram passen. Von einer Landtagsabgeordneten sollte es eigentlich zu erwarten sein, dass sie den Unterschied erkennt zwischen einer bloßen Notiz und einer belastbaren Studie, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

Bei Ute Bergner sehen wir hier einen klassischen Fall der confirmation bias . Vielleicht suchte sie aus politischem Bauchgefühl heraus verzweifelt nach Belegen dafür, dass eine Impfpflicht gar nicht nützlich sein kann. Das wäre der Fall, wenn die Wirksamkeit der Impfung nicht so hoch wäre. „Dank“ confirmation bias blendet sie dann die zahlreichen Beweise für die Wirksamkeit des Impfstoffes weitgehend aus und hält entschlossen an jedem noch so zweifelhaften „Beleg“ für die eigene politische Position fest.

Fazit: Recht auf eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten!

Das, was wir an diesem Beispiel aus dem Thüringer Landtag (und vielen anderen) sehen, ist eine gefährliche Entwicklung für den politischen Diskurs. Denn eigentlich sollten sich alle ihre Meinung nach Betrachten der Fakten bilden und nicht die Fakten nach der eigenen Meinung zurechtlegen. Nur wenn man bereit ist, seine Meinung nach Ansicht neuer Erkenntnisse und Fakten zu ändern, bleibt man im eigenen Weltbild dynamisch. Einen Tunnelblick auf die scheinbaren Fakten zu haben, die die eigene Meinung untermauern, ist dagegen potentiell schädlich und kann schnell in die Welt der „alternativen Fakten“ und Verschwörungserzählungen führen.

Anm.: In einer früheren Version behaupteten wir, Ute Bergner sei Abgeordnete für die FDP. Das stimmt allerdings nicht. Sie wurde 2019 über die Landesliste der FDP in den Landtag gewählt, trat allerdings in diesem Jahr aus der Partei und später auch aus der Landtagsfraktion der FDP aus. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Artikelbild: Screenshot

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.