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Die „Migrationswende“ geht nach hinten los

von | Dez. 17, 2025 | Analyse

Während dir die Bundesregierung erzählen will, wie toll ihre „Migrationswende“ läuft, passiert fast nebenbei etwas, worüber fast keiner spricht und was dir die Bundesregierung natürlich nicht erzählen wird: Es kommen viel weniger „reguläre“ Migranten. Deutschland ist kaum noch attraktiv für ausländische Arbeitskräfte. Das hat dramatische Folgen.

Der Innenminister feiert sich: „Die Migrationswende wirkt.“ Und auch der Kanzler sieht den Rückgang der Asylanträge dieses Jahr als „großen Erfolg dieser Regierung“. Während die Gründe dafür in Wirklichkeit komplex sind und so gut wie nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun haben, gibt es einen weiteren, fast unbemerkten Einbruch: Auch die „reguläre“ Migration schrumpft deutlich.

„Einbruch der Arbeitsmigration“

In den letzten drei Jahren kamen etwa 200.000 Zuwanderer weniger jedes Jahr nach Deutschland. Auch in anderen OECD-Ländern sank die Arbeitsmigration, besonders stark aber in Deutschland. Im August kamen gerade einmal noch 3000 Zuwanderer netto. Das war der diesjährige Tiefpunkt, danach gab es wieder einen Anstieg. Bis Oktober 2025 betrug die Bilanz aus Zu- und Fortzügen, also die „Nettomigration“, laut Statistischem Bundesamt rund 230.000 – sie liegt damit deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt und dem, was Arbeitsmarkt-Experten fordern. Die FAZ sieht einen „Einbruch der Arbeitsmigration“.

Vielleicht denkst du jetzt: „Na und? 200.000 sind doch immer noch viel!“ Nein, nicht für ein Einwanderungsland wie Deutschland. Der Durchschnitt der letzten zehn Jahre lag bei 600.000. Im letzten Jahr waren es 420.000. Und jetzt 230.000? Zum Vergleich: Im Moment kommen etwa so wenige Migranten wie während des Corona-Krisen-Jahrs 2020.


Da hilft es auch nicht, wenn sich der Kanzler am Jahresende plötzlich wieder etwas offener gegenüber Migration zeigt. Die Stimmung ist schlecht, aber der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften ist groß. Aktuell schätzen Arbeitsmarkt-Experten ihn auf etwa 300.000 Personen pro Jahr bis 2040. Die OECD geht sogar von 600.000 Arbeitskräften pro Jahr aus. Unter den aktuell 230.000 sind nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch Angehörige oder Studierende. Wenn der aktuelle Trend so weitergeht, wird der Arbeitskräfte-Bedarf nicht mehr gedeckt werden können. Und die Gründe dafür gehen tiefer.

In den letzten Jahren hatte Deutschland zwei große Zuzugsmomente: im Jahr 2015 und im Jahr 2022. Beide Male kamen rund 1,2 Millionen Geflüchtete ins Land. Diese großen Zuwanderungen „überdeckten“ einen anderen Trend – nämlich den grundlegenden Rückgang der „regulären“ Migration seit 2015.

In den letzten Jahren endete die langjährige Zuwanderung aus Osteuropa seit der EU-Osterweiterung 2009, mit insgesamt etwa 2 Millionen Zuwanderern, vor allem Arbeitsmigranten. Für Deutschland war das eine „Erfolgsgeschichte“. Experten schätzen nun, dass in Zukunft kaum noch neue Zuwanderer aus der EU kommen werden. Dieser Rückgang wird bisher nicht aufgefangen durch die Zuwanderung aus „Drittstaaten“, also von außerhalb der EU. Zum Vergleich: Während aus der EU zeitweise 300.000 Menschen pro Jahr kamen, sind es aus Drittstaaten gerade einmal 50.000 (Quelle).


Eine Zeit lang konnte dieser Rückgang ausgeglichen werden – durch die Geflüchteten in Deutschland. Der Jobturbo für Ukrainer hat dazu beigetragen, genauso wie die Job-Aufnahme von Syrern und Afghanen in den letzten Jahren. Insgesamt kamen so etwa 1 Million Geflüchtete in Jobs. Sie sorgten dafür, dass zahlreiche Stellen überhaupt besetzt werden konnten. Doch dieser Trend dürfte angesichts der Rückgänge der Asylanträge erst einmal vorbei sein.

Auch migrationsfeindliche Rhetorik spielt eine Rolle

Experten sehen vor allem wirtschaftliche Gründe. Das abgeflaute Wirtschaftswachstum macht Deutschland weniger attraktiv. Und viele osteuropäische Staaten bieten inzwischen attraktivere Bleibe-Bedingungen. Damit verschwindet ein Haupt-Magnet für Arbeitsmigration, nämlich eine stabile, prosperierende Wirtschaft. Und auch im internationalen Vergleich ist Deutschland für Fachkräfte nur noch mittelmäßig interessant.

Neben den strukturellen Verschiebungen dürfte auch die Migrationspolitik der Bundesregierung eine Rolle spielen – oder eher, die Nicht-Migrationspolitik. Während unter der Ampel-Regierung noch zahlreiche Gesetze zur Förderung der Arbeitskräfte-Migration verabschiedet wurden, passierte in der aktuellen Bundesregierung fast nichts mehr. Es geht nur noch um „Asyl“ und Abschiebungen, um die „reguläre“ Migration kümmert sich keiner.

Stattdessen prägten migrationsfeindliche Aussagen der Bundesregierung die Debatten – von Grenzschließungen über „Abschiebe-Offensive“ bis hin zum „Stadtbild“. Es ist daher kein Wunder, dass auch immer mehr Zugewanderte, die schon länger in Deutschland leben, über einen Wegzug nachdenken. Und immer weniger neue Zuwanderer kommen.

Besonders Ostdeutschland braucht dringend Zuwanderung

Doch inzwischen altert die Bevölkerung in Deutschland weiter. In zehn Jahren wird jede*r Vierte über 67 Jahre alt sein. Wenn die Alterung so weitergehe, warnte das Statistische Bundesamt jüngst – und die Zuwanderung niedrig bleibe –, dann kämen 2070 auf einen Rentenempfänger weniger als zwei Einzahlende. Heute sind es immerhin drei. Und die sozialen Sicherungssysteme sind heute schon am Limit. 

Besonders stark betroffen wird der Osten Deutschlands sein. Dort geht der demografische Wandel am schnellsten – es gibt die wenigsten Zuwanderer, Frauen und auch Kinder. Und der aktuelle Rückgang der Migration zeigt sich jetzt schon besonders deutlich: Während in die Stadtstaaten noch recht viele Zuwanderer gehen, kommen kaum noch welche im Osten an. Mit dramatischen Folgen: Der Osten schrumpft, Arbeitsplätze bleiben unbesetzt, die Wirtschaft stagniert. Darüber freut sich höchstens die AfD.

Die Migrationswende geht nach hinten los

Fazit: Die Migrationswende geht nach hinten los. Zwar kommen, aus verschiedenen Gründen weniger Geflüchtete, aber gleichzeitig geht auch die ganze sonstige Migration zurück – sozusagen der Normalfall der Migration. Schuld ist die schlechtere Wirtschaftslage. Aber auch eine Regierung, die Migration immer noch als „Mutter aller Probleme“ sieht. Damit vergrault sie auch Arbeitsmigranten und schadet letztlich der Wirtschaft. Sie sollte endlich anfangen, Migration als Chance zu sehen. Sonst kann die AfD bald doppelt jubeln.

Artikelbild: Michael Kappeler/dpa

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