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Der Mythos von der Notlage

von | Sep 12, 2024 | Analyse

Autoren: Matthias Lehnert, Robert Nestler. Dieser Artikel erschien zuerst bei Verfassungsblog. Überschriften zur besseren Lesbarkeit teilweise ergänzt von Volksverpetzer.

Seit dem Attentat von Solingen überbietet sich die Politik in Forderungen, die Rechte von Geflüchteten zu beschneiden oder gar auszusetzen. Nicht nur die CDU und ihr Vorsitzender Friedrich Merz preschen mit radikalen Forderungen vor und inszenieren sich dabei als Retter eines Volkes im Ausnahmezustand. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte am Montag an, Grenzkontrollen auf alle deutschen Landesgrenzen auszuweiten, unter anderem, um irreguläre Migration zu begrenzen. Befinden wir uns aber wirklich in einem Notstand und können deshalb etablierte Rechte außer Kraft gesetzt werden? Auch wenn die Rhetorik von Merz und Teilen der Bundesregierung dies anders implizieren – aus rechtlicher Perspektive ist die Antwort klar: Zurückweisungen aufgrund einer „Notlage“ lassen sich weder durch das Flüchtlings- noch durch das Europarecht rechtfertigen.

Die Forderung eines Aufnahmestopps für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan

Auslöser der aktuellen migrationspolitischen Diskussionen ist das schreckliche Attentat von Solingen. Die asylrechtliche Geschichte hinter dem Attentäter ist schnell erzählt: Er reiste nach Deutschland ein, stellte einen Asylantrag, woraufhin dieser wegen der Zuständigkeit Bulgariens aufgrund der Dublin III-VO abgelehnt wurde. Ein vermeintlicher Abschiebeversuch scheiterte, weil der Mann nicht in seiner Unterkunft angetroffen wurde. Schlussendlich lief die Überstellungsfrist ab, es wurde ein nationales Asylverfahren durchgeführt und der Mann erhielt den subsidiären Schutzstatus. Allenthalben heißt es nun: Hätten der Staat und seine Behörden nicht versagt, wäre der Mann abgeschoben worden, und die schreckliche Tat hätte nicht stattgefunden.

Zunächst sei auf eine Banalität hingewiesen: Das Dublin-Regime und seine Durchsetzung dienen weder der Gefahrenabwehr noch der Verhinderung schwerer Straftaten. Das Dublin-Regime ist ein asylrechtliches Zuständigkeitssystem (welches derweil aus allen erdenklichen Perspektiven seit Jahrzehnten nicht funktioniert). Und wenn man es genau nimmt, stellt die Zuständigkeit durch Fristablauf im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung in diesem Fall die Funktionalität des Dublin-Regimes nicht infrage, sondern bestätigt diese. Denn ein Ziel der Verordnung ist die „rasche“ Zuständigkeitsbestimmung (etwa Erwägungsgrund 5).

„Aufnahmestopp“ ist so irrational wie irreführend

Die Forderung eines „Aufnahmestopps“ für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan ist so irrational wie irreführend – zumal Merz sie mit falschen Aussagen zu den bisherigen Aufnahmezahlen von Schutzsuchenden aus diesen Ländern garniert. Wenn Merz diese Forderung sogleich relativiert, das grundgesetzliche Asylrecht nach Art. 16a GG nicht infrage stellen will und allein von einem  „faktischen Aufnahmestopp“ spricht, macht es dies nicht besser, sondern allenfalls noch unklarer.

Wenn nun von zahlreichen Seiten das grundgesetzliche Asylrecht als sakrosankt bezeichnet wird, zeugt dies von Kenntnislosigkeit. Denn Art. 16a GG wurde im Zuge der Änderung des Grundgesetzes 1993 bereits faktisch abgeschafft und hat wegen seiner Drittstaatsklausel in Abs. 2 praktisch keine Bedeutung (vgl. hier).

Unklar bleibt derweil, was ein „Aufnahmestopp“ ansonsten bedeuten soll. Weder nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention noch der  Europäischen Grundrechtecharta (GRC) ist es möglich, das Flüchtlingsrecht, das Recht auf ein Verfahren oder die non-refoulement-Gebote auszusetzen (ausführlich dazu hier, S. 10 ff.). Auch eine nur zwischenzeitliche Aussetzung dieser zwingenden Vorgaben ist nicht vorgesehen. Zwar ermöglicht das Unionsrecht – so Art. 43 und Art. 31 Abs. 8 der noch geltenden Asylverfahrensrichtlinie –  ein beschleunigtes Verfahren bei Verfahren an der Grenze und bei einer Ankunft einer erheblichen Zahl von Asylantragsteller*innen. Auch diese Fallgestaltungen sehen jedoch nicht die vollständige Außerkraftsetzung des Asylverfahrens vor. Art. 33 GFK und Art. 3 EMRK können nicht ausgesetzt werden. Insbesondere gilt die Notstandsklausel nach Art. 15 EMRK gem. Abs. 2 nicht für Art. 3 EMRK, und damit auch nicht für das darin enthaltene Refoulement-Verbot.

Zurückweisungen an der Grenze finden trotz Rechtswidrigkeit statt

Deutlich konkreter und nunmehr auch in den Reihen der Regierungsparteien angekommen ist die Forderung, Schutzsuchende an der Grenze zu Deutschland unmittelbar zurückzuweisen. Dabei wird in der Diskussion meist ignoriert, dass häufig rechtswidrige Zurückweisungen an der Binnengrenze bereits massenhaft stattfinden.

Bloße Zurückweisungen von Schutzsuchenden ohne Verfahren verbieten sowohl das Unionssekundärrecht – namentlich die Dublin-III-Verordnung und die Asylverfahrensrichtlinie –  als auch Unionsgrundrechte, Menschenrechte und das Flüchtlingsvölkerrecht. All diese Vorgaben legen den Staaten Prüfungsverpflichtungen auf, die eine Direktzurückweisung, zumal an der Binnengrenze, nicht erlauben (vgl. dazu nur hierhierhier und auch hier).

Rechtswidrig ist zudem auch der Großteil der hierzu notwendigen Binnengrenzkontrollen. Artikel 25 des Schengener Grenzkodexes erlaubt die Wiedereinführung von Grenzkontrollen für eine begrenzte Zeit bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände als ultima ratio (Art. 25 Abs. 2). Im Übrigen sollte dabei „Migration und das Überschreiten der Außengrenzen durch eine große Zahl Drittstaatsangehöriger […] nicht an sich als Gefahr für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit betrachtet werden“ (Erwägungsgrund 26). Folgerichtig hat der EuGH die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze, die seit 2015 durchgehend bestehen, für rechtswidrig erklärt.

Notlage? Nur durch außergewöhnliche Umstände

Nur im Fall einer gänzlich neuen Bedrohungslage, die sich von der ursprünglichen unterscheidet, können neue Kontrollen eingeführt werden (Rn. 79 ff., 94). Auch neuere Kontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz werden mit einer Gefahr durch den „Migrationsdruck“ begründet – obwohl der Schengener-Grenzkodex deutlich macht, dass Migration grundsätzlich nicht als Bedrohung verstanden werden darf. Auch sie haben zwischenzeitlich die sechs-Monats-Grenze erreicht. Art. 25 Abs. 4 UAbs. 2 iVm Art. 29 Abs. 1 Schengener Grenzkodex erlaubte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eine Verlängerung auf maximal zwei Jahre.

Nach Art. 29 Abs. 1 sind außergewöhnliche Umstände etwa solche, unter denen „aufgrund anhaltender schwerwiegender Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen […], das Funktionieren des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen insgesamt gefährdet ist“. Zudem müssen diese „Umstände eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit im Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen oder in Teilen dieses Raums darstellen“. Weil die Kontrollen bereits seit Oktober 2023 durchgeführt werden, käme nur eine Verlängerung aufgrund jener Ausnahmeklausel in Betracht (dazu sogleich).

Zurückweisungen aufgrund einer „Notlage“?

Sind Zurückweisungen ohne Verfahren damit grundsätzlich nicht möglich, berufen sich Friedrich Merz und andere nun darauf, dass „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ nach Art. 72 AEUV von den EU-sekundärrechtlichen Vorgaben abgewichen werden könne. Oder, wie es Friedrich Merz etwas schlichter formuliert: „Dann ist das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland wichtiger als das europäische Recht. Das geht nach dem EU-Vertrag.“

Verfängt das Argument? Ist es möglich, sich auf eine Notlage zu berufen? Daniel Thym hat an dieser Stelle bereits einzelne rechtliche Gegenargumente dargelegt. In den meisten Fällen geht es den Verweisen auf Art. 72 AEUV auch nicht darum, das Recht zu „wahren“, sondern es unter dem Deckmantel der Rechtmäßigkeit aus den Angeln zu heben. Auch der EuGH hat die Ausnahmezustandsargumente zahlreicher europäischer Regierungen weggewischt (so auch dargestellt in einem Gutachten von Thym, S. 7 ff.). Im Grenzkonflikt zwischen der Türkei und Griechenland redeten etwa Politiker*innen davon, Notstandsklauseln zu aktivieren (dort wohl mit Blick auf Art. 78 Abs. 3 AEUV – vgl. hier, S. 30 ff.). Auch Ungarn berief sich auf die Klausel, um die Nicht-Umsetzung der Relocation-Beschlüsse zu rechtfertigen (hier). Und schließlich behauptete bereits auch die deutsche Regierung (ohne Erfolg), eine Abweichung von Unionsrecht ermögliche Grenzkontrollen ohne zeitliche Beschränkung (vgl. hier, Rn. 83 ff.).

Das non-refoulement Gebot ist notstandsfest

Zu beachten ist auch, dass Art. 72 AEUV nur Abweichungen von Titel V des AEUV umfasst, sich also nicht auf die in der GRC verbürgten Grundrechte erstreckt. Art. 72 AEUV ermöglicht folglich keine Abweichung vom Verbot der Kollektiv- und Individualausweisung (Art. 19 Abs. 1 und 2 GRC), dem Gebot der Nichtzurückweisung (u.a. Art. 4) und dem Recht auf Asyl (Art. 18 GRC), das auch nach konservativster Lesart (S. 44), ein Recht auf eine materielle Prüfung verbürgt, sollte keine Rückführung in einen sicheren Drittstaat möglich sein.

Den EuGH kann man zugleich auch so verstehen, dass Art. 18 GRC stets, also auch bei möglicher Zurückweisung in einen vermeintlich sicheren Drittstaat eine Prüfung voraussetzt (hier, Rn. 63 f.). Zudem ist auch eine Abweichung vom Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 47 GRC), das seinerseits Prüfungspflichten normiert, nicht möglich (vgl. hier). Es versteht sich von selbst, dass auch die Anwendbarkeit der EMRK und der korrespondierenden Rechte von etwaigen Abweichungen unberührt bleibt. Das non-refoulement Gebot ist, wie erwähnt, notstandsfest. Direktzurückweisungen werden deshalb schon unionsprimär- und menschenrechtlich ausscheiden.

Voraussetzungen der Anwendung von Art. 72 AEUV

Wie steht es nun aber mit den konkreten Anwendungsvoraussetzungen von Art. 72 AEUV? Wie auch an anderer Stelle auf Verfassungsblog dargestellt, hat sich der EuGH zwischenzeitlich in einer Serie von Entscheidungen damit auseinandergesetzt und festgestellt, dass eine Abweichung nur dann möglich ist, wenn sie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der inneren Sicherheit erforderlich ist.

Dies bedeutet richtigerweise, dass Mitgliedstaaten nur in „ganz bestimmte[n] außergewöhnliche[n] Fällen“ vom EU-Sekundärrecht abweichen dürfen (hier, Rn. 143) – was vollständig gerichtlich, mithin durch den EuGH, kontrollierbar ist. Die Mitgliedstaaten trifft eine Darlegungslast und nur objektive, triftige, auf Zahlenangaben gestützte Gründe können tragen (vgl. nur hier, Rn. 83 f.). Mit anderen Worten: Ein Mitgliedstaat muss „geeignete Beweise oder eine Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von ihm erlassenen beschränkenden Maßnahme vorlegen sowie genaue Angaben zur Stützung seiner Vorbringens machen“ (hier, Rn. 54).

„öffentliche Ordnung“ und „innere Sicherheit“

Nun mag man nicht mit absoluter Sicherheit vorhersagen können, wie eine derart weite Ermessensklausel durch den Gerichtshof ausgelegt werden wird. Wichtig ist aber, dass es bei der unionsrechtlichen Bewertung gerade nicht darum geht, dass ein System „dysfunktional“ sei, sondern nur um die Sicherheit und Ordnung. Bislang ist der EuGH in allen betreffenden Verfahren nicht bis zur Frage vorgedrungen, was eine abweichungsrelevante Lage materiell kennzeichnet, weil er alle mitgliedstaatlichen Behauptungen einer „Notlage“ schon an früher Stelle der Prüfung als untauglich abwies.

Die Begriffe dürften sich an den Begrifflichkeiten der Ordre-Public-Klauseln der Grundfreiheiten orientieren (so auch hier, S. 17) – dies gilt im Übrigen auch für die wortgleich in der sekundärrechtlichen Ausnahmeklausel des Art. 25 Abs. 4 UAbs. 2 Schengener Grenzkodex verwendeten Begriffe. Die öffentliche Ordnung ist berührt, wenn „außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ (hier, Rn. 35).

Die innere Sicherheit umfasst „die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung“ (hier, Rn. 31). Wäre eine jener materiellen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, müssten auch die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sein. Das ist der Fall, wenn  die „eingesetzten Mittel zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen“ (hier, Rn. 74).

Notlage? niemand würde in Frage stellen, dass die republik als Staat weiter funktioniert

Blickt man nun zurück auf die gegenwärtige Situation, die der aktuellen Debatte in Deutschland zugrunde liegt, muss man schlicht feststellen: Kein valider Aspekt, der ins Feld geführt wird, kann ernsthaft eine verhältnismäßige Abweichung zugunsten der öffentlichen Ordnung, schon gar nicht der „inneren Sicherheit“ rechtfertigen. Eine schwere Straftat einer Person, etwa das Attentat von Solingen oder mehrere einzelne Straftaten, begründen weder eine derartige Bedrohung der inneren Sicherheit noch des Funktionierens des Staates. Man stelle sich vor, das Attentat wäre von einer Person mit einem deutschen Pass begangen worden. Das Entsetzen wäre zurecht groß. Doch niemand würde ernsthaft infrage stellen, dass die Bundesrepublik als Staat weiterhin funktioniert.

Das macht den Kern der Debatte deutlich. Es geht um unsere Angst vor den „Anderen“. Dabei zeigt ein Blick in die Statistiken, dass die Ankunftszahlen und die Zahl der Asylanträge derzeit nicht steigen, sondern sinken.  Auch kann nicht verallgemeinerbar von einer pauschalen Überforderung der kommunalen Infrastruktur gesprochen werden. Wenn schließlich etwa Friedrich Merz zum Rundumschlag ausholt und ein Bild massiver Überforderung mit Migration an die Wand malt, dann bleibt nur die Frage: Auf welche Empirie bezieht sich Merz, die einer rechtlichen Prüfung standhalten könnte?

Sekundärrechtlich vorgesehene Notlage verdrängt Art. 72 AEUV

Schließlich ist eine Berufung auf die Klausel des Art. 72 AEUV auch dann ausgeschlossen, wenn bereits sekundärrechtlich ein Interessenausgleich vorgegeben ist. Für diesen Fall geht auch der EuGH (Rn. 87 ff.) davon aus, dass bereits eine Interessensabwägung stattgefunden hat und Art. 72 AEUV nicht zum Tragen kommen kann (zum Ganzen auch das Gutachten von Thym, S. 8 f.). Am Beispiel der Wiedereinführung von Grenzkontrollen schlussfolgert der EuGH dementsprechend, dass Art. 25 Abs. 4 Schengener Grenzkodex eine solch vorrangige Ausnahmeklausel ist. Diese Maßgabe hat derweil auch für die diskutierten Zurückweisungen an der Grenze unmittelbare Auswirkungen: Denn Binnengrenzkontrollen sind eine notwendige Voraussetzung von Zurückweisungen und eine Rechtfertigung dieser mit Blick auf Art. 72 AEUV schon daher unmöglich – auch kommt der EuGH (Rn. 98) an dieser Stelle zu dem Schluss, dass die Rechtswidrigkeit der Grenzkontrollen ihrerseits unmittelbar auf die einzelne Kontrolle selbst durchschlägt.

Fakten schaffen statt Recht achten?

 Wenn also jegliche rechtliche Argumente dagegen sprechen, dass Zurückweisungen unter Rückgriff auf Art. 72 AEUV zulässig sind, dann ist die Beobachtung, dass „frühestens nach ein paar Monaten der EuGH darüber urteilen [würde]“ und dies „jeder Bundesregierung einen zeitlichen Puffer [gewährte], um Tatsachen zu schaffen, die spätere Urteile nicht mehr ändern könnten“ so richtig wie gefährlich. Denn die dahinter stehende Logik lautet: Wir setzen das Recht erst einmal außer Kraft, dann kann die Judikative auch nichts mehr daran ändern.

Ein solches Vorgehen offenbart nicht nur ein fragwürdiges Verständnis von Rechtsstaat und Gewaltenteilung – es setzt die Axt an die Wurzel der Rechtsstaatlichkeit an. Denn nicht nur die Judikative, sondern „die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“, wie Art. 20 Abs. 3 GG klarstellt. Die „Rechtsstaatlichkeit“ als ein Grundwert der EU im Sinne des Art. 2 EUV kann nicht anders verstanden werden. Doch Recht und Gesetz werden in den aktuellen Diskussionen und Planspielen mehr wie eine lästigen Fliege behandelt, die mit einem Handstreich weggefegt werden kann. Es ist das Primat der Politik, nicht des Rechts.

Der Artikel erschien zuerst auf verfassungsblog.deCC BY-SA 4.0. Überschriften ergänzt durch Volksverpetzer. Verfassungsblog ist ein Open-Access-Diskussionsforum zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Verfassungsrecht und -politik in Deutschland, dem entstehenden europäischen Verfassungsraum und darüber hinaus. Er versteht sich als Schnittstelle zwischen dem akademischen Fachdiskurs auf der einen und der politischen Öffentlichkeit auf der anderen Seite.

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