Renten-Lüge soll Feindbild von ukrainischen Geflüchteten propagieren
Seit Russland Ende Februar seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, sind (Stand 06. Mai 2022) über 600.000 Ukrainer*innen nach Deutschland geflüchtet (Quelle). Hier können die Betroffenen laut Asylbewerbergesetz mit finanzieller und materieller Unterstützung rechnen (Quelle). Gut so für sie, sollte man meinen. Doch einigen Querdenker*innen passt die deutsche Hilfsbereitschaft gar nicht – und so greifen sie leichtfertig auf ein Narrativ zurück, das wir bereits aus den Jahren 2015 und 2016 kennen (Quelle): Sie skizzieren ein Feindbild der Neuankömmlinge, die den ‚armen Deutschen‘ etwas wegnehmen. Jetzt geht es um die Rente. Und wie könnte es anders sein, nutzen sie dafür natürlich auch dreiste Fakes. Man merkt in der Art der Fakes die Nähe von Querdenken zum Rechtsextremismus.
So log am 13. April ein Telegram-Kanal, der für russische Propaganda und antisemitische Verschwörungserzählungen bekannt ist, dass ukrainischen Geflüchteten ein Vorteil im deutschen Rentensystem zugutekommen würde (Quelle). Demnach dürften sie „laut Entscheidung der Ampelkoalition […] ohne jemals eingezahlt zu haben [bereits] 10 Jahre vor den Einzahlern“ in Rente gehen. Diese Anweisung soll zum Zeitpunkt des Posts per Mail „an die zuständigen Mitarbeiter der Jobcenter“ gegangen sein.
Alles erfunden – es gab weder die Mail noch den Beschluss
Doch die Jobcenter wissen von nichts und eine entsprechende Entscheidung durch die Ampelkoalition gab es nicht. Auf Anfrage durch den Volksverpetzer teilte ein Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit: „Aus Sicht der BA spricht einiges dafür […], dass es sich hier um Missverständnisse handelt. […] Die Zentrale der BA hat hierzu keine E-Mail-Weisung veröffentlicht.“
Darüber hinaus sind die Jobcenter für die Renten gar nicht zuständig – ein solcher Beschluss hätte stattdessen an den Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) gehen müssen, der die Renten verwaltet (Quelle). Und auch hier versichert man dem Volksverpetzer: Die Telegram-Nachricht ist reiner Humbug. „Die Behauptung, dass aus der Ukraine geflüchtete Menschen in Deutschland vorzeitig Renten erhalten, ohne wohlmöglich je in die deutsche Rentenversicherung eingezahlt zu haben, können wir nicht bestätigen“, schreibt eine Sprecherin des DRV.
Auch die Pressestelle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bestätigte: „Diese Meldung ist falsch. Es bestehen keine Sonderregelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung für Personen, die aus der Ukraine geflüchtet sind.“
Für ukrainische Geflüchtete gilt das reguläre deutsche Rentenrecht
Die Renten-Lüge scheint sich am ukrainischen Renteneintrittsalter zu orientieren – dort können Menschen ab 60 Jahren in Rente gehen (Quellen). Doch diese Regelung verliert in Deutschland ihre Wirkung. Hier gilt deutsches Rentenrecht (Quelle), nach dem der Eintritt für Versicherte ab dem Jahrgang 1964 regulär mit 67 stattfindet (Quelle).
Der DRV weist auf seiner Website zudem darauf hin, dass das am 7. November 2018 unterzeichnete Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Ukraine und Deutschland bisher nicht in Kraft getreten ist (Quelle). Dazu müssten zunächst die parlamentarischen Gremien beider Staaten zustimmen. Diese Info macht eine weitere Falschmeldung hinfällig, die fleißig auf Twitter verbreitet wird. Demnach würde die deutsche Rente nach einem einzigen Beitrag an Ukrainer*innen ausgezahlt. Dem ist nicht so, denn das Abkommen des verbreiteten Dokuments ist bisher nicht in Kraft getreten.
Wie Rechte die Geflüchteten erneut zum Feindbild machen wollen
Das Narrativ, dem sich Querdenker*innen hier bedienen, ist ein altbekanntes. 2015 und 2016 perfektionierten insbesondere AfD-Politiker*innen und andere Rechtsgesinnte das Szenario der gefährlichen ‚Flüchtlinge‘, die den deutschen Arbeitsmarkt bedrohen, indem sie Arbeitsplätze wegnehmen (Quelle). Statt sich für die eigene Arbeitslosigkeit oder die niedrigen Löhne also bei deutschen Politiker*innen zu beschweren, suchte man das Ventil bei Menschen, denen noch weniger blieb (Quelle) – bei Geflüchteten aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan.
Hilfesuchende mit Smartphones wurden zum Symbolbild für die vermeintliche Ungerechtigkeit, die Rechtsextreme in der Behandlung von Geflüchteten verorteten (Quelle). Mit solchen Strategien schufen AfD-Anhänger*innen damals und kreieren Querdenker*innen heute ein Feindbild, das die Menschlichkeit und die Not der Geflüchteten verblassen lässt.
Artikelbild: shutterstock.com / Screenshots
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