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Faktencheck: Russische Verluste vermutlich deutlich höher als angegeben

von | Mrz 28, 2022 | Analyse

Russische Verluste: 500, 1351, 7.000, 10.000 oder 16.000? – Zahlen variieren extrem

Nach knapp einem Monat seit Beginn der Angriffe auf die Ukraine ist bereits eine hohe Anzahl an Menschen in diesem Krieg zu Tode gekommen, neben Soldaten auch Zivilist:innen. Offizielle Angaben über russische Verluste sind schwer zu erhalten. Und wenn, wirken sie beidseitig wenig realistisch. Dies mag auch daran liegen, dass es in Russland ein Gesetz gibt, welches ein Strafmaß bis zu 15 Jahren Haft vorsieht, falls Aussagen getätigt werden, die nicht der offiziellen Sprachregelung zum Einsatz der Armee folgen bzw. die Streitkräfte diffamieren. Dazu gehöre auch die Zahl der gefallenen Soldaten. So gibt es extrem variierende Schätzungen und (in)offizielle Zahlen. Mit dem Errechnen von Seriennummern von Medaillen von Gefallenen kann man vielleicht eine realistische Schätzung erhalten.

Dieser Krieg ist auch ein Kampf der Informationen

Laut ntv habe ein „hochrangiger NATO-Beamter“, der namentlich nicht weiter bekannt ist, gesagt, dass seine Quellen auf eine Opferzahl zwischen 7.000 und 15.000 russische Soldaten hindeuten. Die kremlnahe Zeitung Komsomolskaja Prawda sprach am 23.03.2022 hingegen in einem eilig wieder zurückgezogenen Artikel von knapp 10.000 russischen Soldaten, die in diesem Angriffskrieg ihr Leben verloren hätten. Bei der Gesamtzahl von 190.000 entsendeten russischen Soldaten wären dies bereits 5,3% der gesamten Truppe. Verletzte noch nicht mit einberechnet. 

Hackerangriff sei schuld

Begründet wurde die Löschung des Artikels damit, dass es sich bei der Veröffentlichung des Berichts um einen Hackerangriff gehandelt habe. Nach Einschätzungen der Washington Post hingegen seien bis zu 1000 tote russische Soldaten pro Tag realistisch. Im Hinblick auf die Dauer des Kriegs wären die 10.000 demnach durchaus vorstellbar, rechnet man diese Schätzung auf den damals seit 30 Tagen andauernden Krieg hoch. Zu bedenken ist auch, dass zu Beginn des Angriffs viele Kolonnen schlichtweg aufgrund von Versorgungsengpässen wie Mangel an Diesel und Lebensmitteln liegen blieben. Und daher ein geeignetes Ziel für Verteidigungsschläge der Ukraine darboten. Der Vormarsch der russischen Armee in die Ukraine erfolgte nicht so schnell wie geplant, ein 64km langer russischer Militärkonvoi steckte mehrere Tage vor Kyjiw fest.

Russische Verluste: Moskau spricht von lediglich 1351 getöteten Soldaten

In genau dem Artikel war bereits von knapp 500 getöteten russischen Soldaten die Rede (Stand 03.03.2022). Genau die Zahl, die seitens Moskaus am 02.03.2022 genannt wurde. Wichtig zu beachten ist hierbei, dass dies auf eine Aussage von Igor Konaschenkow zurückzuführen ist, dem Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Er spricht also nur über die Verluste der russischen Armee und der Einheiten, die dem Verteidigungsministerium unterstellt sind. Doch auch die russische Garde des Innenministeriums ist in den Krieg gegen die Ukraine verwickelt. Von deren Seite gab es jedoch keinerlei Informationen über getötete Soldaten. Ebenso wenig wie von Sondereinsatzkommandos wie Alpha und Vympel oder dem russischen Grenzschutz, welcher dem FSB der Russischen Föderation unterstellt ist.

Am 25.03.2022 gab Moskau die Zahl der getöteten Soldaten mit 1351 an.

OSINT-Analyse kommt zu deutlich dramatischeren Zahlen

Russische Verluste – wie berechnen? Zum Beispiel mit OSINT. OSINT-Nachrichten sind Informationen, die aus frei zugänglichen Quellen (Open Source) zusammengetragen und veröffentlicht werden. Der in München lebende Analyst Anton Pavlushko analysierte die vorliegenden Daten und kam zum Ergebnis, dass die Zahl der getöteten Soldaten um ein Vielfaches höher liegen muss: Bei knapp 5.000 allein in der ersten Woche. 

Wie kommt man auf die Zahl? Zunächst wird darauf hingewiesen, dass die reale Zahl deutlich höher liegen muss, da es aufgrund von „logistischen Schwierigkeiten“ auf russischer Seite zu einem Meldeverzug von 2-3 Wochen kommen kann. Nicht alle Leichen werden nach Russland rücküberführt, der Transport der Body Bags sei umständlich, Treibstoffmangel täte sein Übriges. 

Getötete Soldaten erhalten postmortem eine „Tapferkeitsmedaille“, welche durchnummeriert wird. Auch schwer verwundete Soldaten erhalten manchmal die Medaille, aber laut den OSINT-Recherchen wohl seltener. Mit Hilfe von OSINT wurden also ganz einfach die Medaillen gezählt, die auf verschiedenen Bildern und Videos zu sehen waren und die Zahl anhand dessen berechnet. 

Im ersten tschetschenischen Krieg sei die Nummerierung von 0 bis 30.000 erfolgt. Während des zweiten tschetschenischen Kriegs und vor der Annektierung der Krim und des Donbass erfolgte die Nummerierung zwischen 30.000 und 60.000. 2014 mit Ausbruch des Krieges im Donbass lag die Zahl zwischen 70xxx und 77xxx. In diesem Krieg begannen die Nummern fortlaufend ab circa 77741, da dies die höchste Zahl ist, die anhand von OSINT-Daten für den Donbass zu finden war. Vorsichtshalber beginnt die Zählung aber erst ab 78xxx. 

Knapp 4800 getötete oder schwer verwundete russische Soldaten allein in der ersten Woche

Eine Auszeichnung vom 3. März trage die Nummer 78487 und sei zugleich die niedrigste Nummer, die sie bislang finden konnten. Auch vom 03. März gibt es die bislang höchste Nummer mit 83281 (Quelle).

Verglichen wurden dazu vor allem Videoaufnahmen, die auf dem russischen „Facebook“-Klon VK veröffentlicht wurden. Allein für die erste Woche des Kriegs ergibt sich somit eine Zahl von 4794, wohlwissentlich, dass dies nur das „Hellfeld“, also die bekannten Zahlen darlegen. 

Die Ukraine gab mit Datum 02.03.2022 die Zahl der getöteten russischen Soldaten mit 5840 an und lag mit ihrer Angabe deutlich näher an der offenbar realen Zahl als Moskau. Neuere Zahlen gibt es bislang noch nicht, aber stellt man sich die Entwicklung vom 03.03.2022 (Ende OSINT-Berechnungen) bis heute (28.03.2022) vor, wird die Zahl bereits deutlich höher liegen. Und der angenommene Schätzwert von 16.000 könnte durchaus realistisch sein. 

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Artikelbild: Screenshot informnapalm.org

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