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Rekord-Tode: Diese Statistiken widerlegen alle, die den Sonderweg von Schweden loben

von | Jun 2, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona

Warum ist Schwedens Sonderweg so tödlich?

Immer noch gibt es Menschen, die das Narrativ verbreiten, Schweden würde besonders gut durch die Corona-Pandemie kommen. Nicht, weil die Zahlen das hergeben, sondern weil Schweden im Vergleich zu seinen Nachbarn und auch zu Deutschland weniger drastische Eindämmungsmaßnahmen vorgenommen hat und viele Menschen, die der Meinung sind, die Maßnahmen Deutschlands seien unnötig gewesen, das deshalb wahr haben wollen.

Doch bisher scheint sich diese Wunschvorstellung nicht zu bewahrheiten: Schwedens Wirtschaft kriselt genau wie unsere und in keinem Land war Corona im Mai 2020 pro Millionen Einwohner*innen tödlicher als in Schweden.

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Auch diese Statistik zeigt Schweden als traurige Spitze: Bei den täglichen Corona-Toten je Einwohner*in. Schweden hat das 14-fache der deutschen Anzahl – hochgerechnet auf unsere Bevölkerung wären das über 450 Tote täglich.

Quelle: FT analysis of data from the European Centre for Disease Prevention and Control and the Covid Tracking Project. Data updated June 2 2020 3.07pm BST (Link)

Das sieht alles andere nach einem Erfolg aus. Warum geht Schweden den Sonderweg? Warum verteidigen ihn immer noch viele Menschen? Schauen wir uns die Fakten dahinter an.

In Schweden gibt es auch viele Maßnahmen

In Schweden gab es keine gesetzlich angeordneten Ausgangsbeschränkungen (einen echten „Lockdown“ gab es auch in Deutschland nicht übrigens – dafür in Neuseeland, wo es bereits seit 11 Tagen keine einzige Neuinfektion gab, Quelle). Hintergrund ist vor allem juristisch: Die Ausrufung eines Ausnahmezustands ist rechtlich in Friedenzeiten auch gar nicht möglich, dafür trat ab 18. April eine Ergänzung des Seuchenschutzgesetzes in Kraft (Quelle).

Laut Government Response Stringency Index der University of Oxford (Quelle), der 17 verschiedene Indikatoren untersucht und zeigt, wie stark die Maßnahmen der einzelnen Länder auf einer Skala von 0 bis 100 sind, liegt Schweden bei 40. Zum Vergleich: Deutschland bei 70, Dänemark 71 und Finnland 63. Das heißt: Schweden setzt mehr auf Freiwilligkeit und Empfehlungen. Dennoch gibt es viele Einschränkungen und der Alltag hat sich auch drastisch verändert, das zeigen auch Mobilitätsdaten von Google (Quelle). In der Hinsicht unterscheidet sich Schweden nicht groß von Deutschland. In Schweden sind aber vor allem Schulen und Kitas offen geblieben.

Die Infiziertenzahlen sind jedoch in Schweden weniger zuverlässig – dort wird vergleichsweise viel weniger getestet als bei uns (Quelle). Es ist davon auszugehen, dass viel mehr Infektionen unerkannt bleiben. Deshalb ist der Blick auf die Corona-Toten viel belastbarer. Pro 100.000 Einwohner*innen sind in Schweden 41 gestorben. In Deutschland sind es nur 10. Auch in den Nachbarländern Schwedens hat sich die Todesrate bei vier bis fünf je 100.000 stabilisiert (Quelle).

Weit entfernt von Herdenimmunität

Manche argumentieren, die hohen Todeszahlen in Schweden wären zwar schrecklich, jedoch hätte Schweden dadurch die Herdenimmunität erreicht und brauche deshalb keine zweite Welle zu fürchten wie andere Länder. Das ist jedoch ebenfalls Wunschdenken: Jüngste Antikörpertests ergaben Infektionsraten von gerade mal vier bis sieben Prozent (Quelle). Für Herdenimmunität bräuchte man mehr als 60 Prozent. Kein Wunder, dass Schwedens Nachbarländer zögerlich sind, die Grenzen zu öffnen – man fürchtet Ansteckung durch das Nachbarland (Quelle). Zypern erlaubt auch keine Direktflüge aus Schweden (Quelle).

Schwedens führender Epidemiologe Tegnell gibt einen anderen Grund für die hohen Todeszahlen: Altersheime. Tegnell erklärt, fast 50 Prozent der Toten lebten in Altersheimen (Quelle). Das scheint aber nicht der Grund zu sein: In der Schweiz sollen ebenfalls 53% der Covid-19-Toten aus Altersheimen stammen (Quelle). Und was auch Besorgnis verursacht: Schwedischen Berichten zu Folge ist die Übersterblichkeit in Altersheimen doppelt so hoch wie im Mittel der letzten fünf Jahre (Quelle).

Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei 38 Prozent laut RKI. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass dem RKI bei fast einem Drittel aller Toten keine Informationen vorliegen, ob es sich um Heimbewohner*innen gehandelt hat. Die Zahlen könnten hierzulande also genau so hoch liegen. Außerdem: Die Altersverteilung der Corona-Toten unterscheidet sich in Deutschland und Schweden nicht groß. 60-69 Jährige (7 % Schweden vs 9 % Deutschland), 70-79 Jährige (22 % vs 22 %), 80-89 Jährige (41 % vs. 45 %) und Über-90-jährige (25 % vs 19 %) (Quelle, Quelle).

Schweden hatte eine heimliche Triage

Was ist also passiert? Schweden hat vergleichsweise eine geringere Anzahl an Intensivbetten – dennoch waren die Intensivstationen laut offiziellen Statistiken nie komplett ausgelastet, obwohl sie pro Einwohner*in deutlich mehr Todesfälle hatten. Der grausame „Trick“: Schweden hat eine Überlastung und eine Triage wie in Bergamo oder New York vermieden, weil sie alte Menschen einfach nicht versorgt haben. Zwei Drittel aller ihrer Toten sind über 80 – auf der Intensivstation waren allerdings nur fünf Prozent (Quelle).

Lokale Gesundheitsämter hatten von der Verlegung älterer Patient*innen abgeraten haben, ebenso von der Beatmung als palliative Maßnahme ohne die Zustimmung einer Ärztin/eines Arztes (Quelle). Es gab also keine Überlastung der Krankenhäuser – denn man hat die Alten einfach im Altersheim sterben lassen. Im Grunde genommen bestand also der schwedische Sonderweg daraus, dem jüngeren Teil der Bevölkerung mehr Freiheiten zu lassen, Kitas und Schulen offen zu lassen – und dafür alte Menschen in den Altersheimen sterben zu lassen, um nicht die Krankenhäuser zu überlasten.

Großeltern opfern .. für was?

Der Wirtschaft hat das auch nicht viel gebracht: Laut IWF geht das Bruttoinlandsprodukt in Schweden für 2020 um 6,8% zurück – Zum Vergleich: In Deutschland um 7% (Quelle). Auch in Schweden gibt es massiv Kurzarbeit, es wird eine Arbeitslosigkeit von etwa zehn Prozent erwartet, jedes zehnte Unternehmen berichtet einen Umsatzeinbruch von 75 Prozent und mehr (Quelle).

Die alten Menschen wären nicht „ohnehin“ irgendwann gestorben, wenn die Übersterblichkeit in den Altersheimen doppelt so hoch ist wie in allen Jahren zu vor. Und das mit einer hohen Dunkelziffer, denn nicht mal alle Tote dort zählen in die Corona-Statistik ein, da nicht ausreichend getestet wird. Wer den Weg Schwedens lobt sagt im Grunde: Lasst uns Oma und Opa opfern, damit ich ins Kino kann. In Neuseeland, das einen harten Lockdown hatte, werden die Maßnahmen inzwischen wohl früher geöffnet als geplant. Derzeit ist auch nur noch eine einzige Person an Corona krank (Quelle).



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