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Celle: Verdächtiger folgt Neonazi-Seiten – Flüchtling laut Polizei aber „Zufallsopfer“?

von | Apr 11, 2020 | Aktuelles, Bericht

Verdächtiger likte Neonazi-Seiten

Am Dienstagabend wurde in der Bahnhofsstraße in Celle ein 15-jährige Flüchtling erstochen. Der mutmaßliche Täter, Daniel S., wurde von Zeugen festgehalten, bis die Polizei eintraf. Das Opfer, ein irakischer Jeside, verstarb im Krankenhaus. Laut Polizei sei er auf dem Rad gewesen und völlig unvermittelt vom 29-jährigen Deutschen angegriffen worden. Laut Polizei seien die Hintergründe der Tat bisher unklar, sie gehe aber bisher von einem „Zufallsopfer“ aus (Quelle).

Der zu Anfang laut Behörden augenscheinlich unpolitische Mord wurde jedoch sofort politisch ausgeschlachtet – ausgerechnet von der AfD. Wie wir in zwei Artikel berichteten (Link, Link), spekulierten gleich zwei AfD-Abgeordnete darüber, dass der Täter Daniel S. möglicherweise ja kein „richtiger“ Deutscher sein könne, weil sie der verfassungsfeindlichen und rassistischen Einstellung anhängen, dass „Migranten mit deutschem Pass“, keine Deutschen seien, wie es einer ausdrückte. Gleichzeitig aber feierten einige AfD-Anhänger*innen den „Patrioten“ für den Mord an dem Flüchtling. Diesen Skandal kommentierte dieser Autor hier:

15-jähriger Iraker in Celle getötet: So widerlich (& widersprüchlich) hetzt die AfD

ZEIT-Recherche: Täter Nähe zu rechtsextremen Verschwörungsmythen

Laut Recherchen der ZEIT (Link) wiesen die Social Media Konten des mutmaßlichen Täters jedoch eine eindeutige Nähe zu rechtsextremen Verschwörungsmythen, Rassismus und Antisemitismus auf. Unter den Freunden des Tatverdächtigen befinden sich auch mehrere Neonazis und Rechtsradikale. Unter den Seiten, denen Daniel S. folgte, befanden sich Seiten, die Witze über den Holocaust machten oder den rechtsextremen Verschwörungsmythos von „QAnon“ verbreiteten. Sie bezogen sich auch auf den Täter von Hanau und Halle. Auch folgte er dem von den Behörden überwachten, russischen Propaganda-Kanal RT Deutsch.

Die Polizei geht zum jetzigen Zeitpunkt jedoch immer noch von einer unpolitischen Tat aus. Die Ermittlungen hätten „in keiner Hinsicht Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat“ geliefert, heißt es. Das „Zufallsopfer“ sei „anlasslos“ von dem wegen Drogenbesitz vorbestraften Pflegehelfer angegriffen worden (Quelle). Doch in „keiner Hinsicht“, daran lassen die Recherchen in jedem Fall Zweifel aufkommen. Die „Cellesche Zeitung“ fragte dann doch die Staatsanwaltschaft nach einer erneuten Stellungnahme mit „Tat politisch motiviert?“. Bisher ohne Antwort (Quelle).

Auf dem rechten Auge blind?

Auch die taz fragt: „Wochen nach Hanau drängt sich einmal mehr die rhetorische Frage nach dem Ermittlervorgehen auf: Wäre es bei derartigen Gewaltverbrechen gegenüber Menschen, die von Rassisten als anders markiert werden, nicht richtiger, zunächst von politischen Motiven auszugehen, bis diese widerlegt sind, statt diese nach wenigen Stunden auszuschließen?“ (Quelle) Dass eindeutig rassistisch motivierte, gar rechtsterroristische Straftaten von den Behörden nicht als solche erkannt werden, ist in Deutschland ja leider nicht unbekannt, man erinnere sich an die NSU-Morde.

Die Polizei geht laut Twitter „allen Hinweisen nach.“ Man hofft es. Und man hofft auch, dass sie das tut, auch wenn ihnen keine Journalist*innen über die Schulter schauen.

Nachtrag 13.04.:

Leseempfehlung: Spannender Thread, der in der Analyse der drei Profile des mutmaßlichen Täters tiefer geht und auch gegenteilige Beispiele findet, die gegen eine rechte Einstellung des Tatverdächtigen sprechen:



Artikelbild: Heiko Kueverling, shutterstock.com