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Faktencheck: Gutachterin für Impfstoffe über den „selbstgebastelten Impfstoff“ von Stöcker

von | Mrz 7, 2021 | Analyse

Der „selbstgebastelte Lübecker Impfstoff zur Pulverisierung der Pandemie“

Gastbeitrag von Petra Falb

Derzeit kursiert im Internet ein Video, das auch in den sozialen Netzwerken intensiv diskutiert wird, und anhand dessen man sehr schön die Bedeutung eines Zulassungsverfahrens erklären kann – vor allem auch, was man in der Begutachtung in der Zulassung eigentlich macht. Es geht um eine Reportage bei SPIEGEL TV, hier anzusehen. Kurz umrissen der Inhalt: Winfried Stöcker, ein deutscher Mediziner, welcher offensichtlich auch Expertise im Bereich der Immunologie und der immunologischen/serologischen Diagnostik hat und auch Inhaber einer einschlägigen Firma war, hat einen COVID-Impfstoff in seinem Labor hergestellt. Der Impfstoff ist proteinbasiert (also somit ein sogenannter Subunit-Impfstoff). Er hat einige Personen (sich selbst, seine Familie und Mitarbeiter) damit geimpft.

Und gemäß seiner Aussage haben diese Personen auch SARS CoV-2 – spezifische Antikörper (gegen das Spike-Protein) gebildet. Das PEI, an das er sich damit gewandt hatte, hat ihn von Seiten seines Innovationsbüros kontaktiert (Inhalte aus diesem Gespräch sind öffentlich nicht bekannt). Letztlich endete aber die ganze Sache mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft aufgrund unerlaubter Verabreichung eines nicht zugelassenen Impfstoffes.

In den Weiten des Internets wird Herr Stöcker – interessanterweise vorwiegend von ansonsten eher impfkritisch und impfgegnerisch eingestellten Personen – gefeiert aufgrund seiner Großherzigkeit. Hat er doch laut eigener Aussagen die „Rezeptur auf seine Website gestellt, ohne Geld zu verlangen“. Die Technologie sei am besten geeignet, mehr oder weniger die Pandemie zu beenden.

Die „Rezeptur“ ist hier auf der Website von Stöcker nachzulesen. Die von mir diskutierten Inhalte stammen von der Website des Herrn Stöcker mit Stand 06.03.2021.

Herstellung seines Impfstoffes

Proteinbasierte Subunit-Impfstoffe sind grundsätzlich nichts neues. Auch auf seiner Website ist erwähnt, dass es diese Technologie schon lange gibt, bei Impfungen gegen Hepatitis. Übrigens gab es auch schon derartige Influenzaimpfstoffe, die HPV-Impfstoffe werden ebenfalls so hergestellt.

Was hier nicht erwähnt wird: Auch bei den COVID-Impfstoffen sind proteinbasierte Impfstoffe mit an Bord, sogar mehrere. Einer davon, der von NovaVax, ist bereits bei der EMA eingereicht und schon im rolling review. Es ist also falsch, dass sonst niemand auf diese gar nicht so bahnbrechende Idee gekommen wäre, ganz im Gegenteil.

Welche Informationen zur Herstellung fehlen aber völlig in seinen Angaben bzw. was alles daran ist problematisch? Ich bemühe mich hier, nur auf die groben, ganz „großen“ Dinge beim Stöcker-Impfstoff einzugehen, denn im Detail ist es so viel, dass es den Rahmen des Blogs sprengen würde.

Die verwendete Zelllinie und sein Expressionssystem

Proteinbasierte, rekombinant (also gentechnisch) hergestellte Antigene produziert man üblicherweise in einem Expressionssystem auf einer Zelllinie. Die Kontrolle solcher Zellen und auch der betreffenden Expressionssysteme (meist handelt es sich hier um ein Virus) plus der bei diesem Vorgang verwendeten Materialien, die meist zum Teil aus Tieren gewonnen werden, stellen einen sehr kritischen und heiklen Punkt in der Impfstoffherstellung dar, da all dies mit Fremdviren oder Mykoplasmen kontaminiert sein kann bzw. es sehr wichtig ist, dass all dies gut charakterisiert und genetisch stabil ist. Dieses sogenannte „extraneous agents testing“ ist extrem strikt reguliert und wird hier nichtmal erwähnt – man weiß gar nicht, WELCHE Zellen welcher Spezies überhaupt verwendet werden. Zum Thema Zellen in der Impfstoffherstellung und Saatgutsysteme findet man einige Erklärungen in diesem Blogartikel.

Ganz wichtig ist hier zum Beispiel der Nachweis, dass keine Retroviren enthalten sind, da diese ins menschliche Genom integrieren und Tumorbildung auslösen können. Retrovirushaltige Zelllinien sind daher für die Impfstoffherstellung verboten.

Alhydrogel

Herr Stöcker sagt, dass der Impfstoff mit Alhydrogel adjuvantiert ist – also Aluminium als Wirkverstärker hinzugefügt wurde. Die einzige Information, die vorliegt, ist der Name der Zulieferfirma, die das Aluminiumhydroxid herstellt.

Diese Information ist in dieser Form völlig ungenügend, denn in der Zulassung wird zudem sehr genau bewertet

  • welche Eingangskontrolle macht der Hersteller selber?
  • wie erfolgt der Adsorptionsschritt des Antigens an das Aluminium?
  • wie wurde dieser Prozessschritt validiert?
  • welche Spezifikationen werden für das Endprodukt festgelegt?
  • entspricht die Menge dem im Europäischen Arzneibuch vorgegebenen Grenzwert?
  • wie verhält sich das Aluminium im Rahmen der Lagerung? (muss in einer Echtzeit – Stabilitätsstudie an mehreren Chargen erhoben werden)

Potency (Wirkwert)

DAS Kernstück jedes Impfstoffes ist der Potency-Test, also die Bestimmung des sogenannten Wirkwertes. Hierfür gibt es keine „allgemeine Vorschrift“, Potency-Tests unterscheiden sich von Produkt zu Produkt. Meist handelt es sich um eine Kombination mehrerer in vitro-Methoden und die Aussage, die man von diesem Test erwartet, ist: Bei jeder Charge muss klar definiert werden können, ob sie wirksam oder eben auch gerade nicht mehr wirksam ist. Diese Unterscheidung ist essentiell und es muss hier auch eine klare Korrelation zu den klinischen Daten gegeben sein. Von einem Potency-Test ist im gegenständlichen Bericht und auch auf der Website des Herrn Stöcker keine Rede.

Der Herstellungsprozess

Bei biologischen Arzneimitteln wie Impfstoffen ist die Herstellung weit weniger leicht zu standardisieren als bei der chemischen Wirkstoffsynthese bei klassischen Pharmazeutika. Daher ist es zwingend erforderlich, eine ganz exakte Beschreibung des Prozesses vorzulegen, an allen kritischen Schritten In-Prozess-Kontrollen durchzuführen und den kompletten Prozess zu validieren.

Arzneimittel kann man zudem nicht „irgendwo“ produzieren, sondern dies muss unter GMP – Bedingungen und somit akribischer Qualitätskontrolle erfolgen. Solche Anlagen müssen auch behördlich inspiziert und genehmigt werden.

Was wir noch alles NICHT wissen und was nicht verraten wird:

  • aus welchem Material sind seine Container? Gibt es Daten darüber, dass sich Containermaterial und Impfstoff „vertragen“, dass sich zum Beispiel nichts herauslöst, das dann zusammen mit dem Impfstoff in den menschlichen Körper gelangt?
  • wie lagert man den Impfstoff korrekt? Man braucht Stabilitätsdaten, um die Laufzeit zu bestimmen.
  • wie konsistent ist die Herstellung? Abgesehen davon, dass in diesem Stadium, in dem sich dieses Produkt befindet, wohl noch keine Chargengröße definiert sein kann, so muss doch nachgewiesen werden, dass jeder Produktionsdurchgang Impfstoff von exakt gleicher Qualität und vor allem gleicher Antigenmenge hervorbringen kann.
  • welche Methoden werden im Rahmen der Herstellung verwendet? Sind es Arzneibuchmethoden oder andere, wie wurden sie validiert, wurden sie überhaupt validiert?
  • Werden Referenzstandards verwendet? Wie wurden Selbige qualifiziert?

Dies hier stellt nur einen Teil der Aspekte dar, die alle alleine nur zur Herstellung eines Impfstoffes in einem Zulassungsverfahren bewertet werden müssen. Unfassbar, dass eine „Rezeptur“ auf der Website dieses Herrn steht, die absolut nichts an wesentlicher Information hergibt.

Sicherheit und Wirksamkeit

Das ist jetzt der aus Zulassungssicht wirklich massiv verantwortungslose Teil der Geschichte. Offenbar wurde dieses Produkt einfach einer Reihe von Personen verabreicht, ohne Genehmigung, ohne Studienprotokoll, ohne entsprechende Sicherheitsschritte schon in der Herstellung, ohne vorherige präklinische Absicherung (zumindest gibt es über all dies keinerlei Informationen).

Um diesen äußerst komplexen und großen Teil im laientauglichen Bereich zu halten und auch um es nicht ausufern zu lassen nur ein kurzer Umriss, ganz grob, was man hier normalerweise vorlegen muss:

Bevor ein Impfstoff überhaupt erstmals einem Menschen verabreicht werden darf, muss man am Tiermodell umfangreiche toxikologische Studien und Immunogenitätsstudien machen. Derartiges wird hier nirgends erwähnt.

Anwendung am Menschen erfordert die Bewilligung einer klinischen Studie sowie die Begutachtung des klinischen Prüfpräparates von Seiten der Behörde und auch die Genehmigung der Ethikkommission. Die Studie muss einen klar definierten Endpunkt haben und auch strikt dem System der Phase I, II und III folgen. Klinische Studien müssen nach GCP-Kriterien erfolgen und erfordern einen immensen Aufwand zum Schutz der Probanden UND für den Gewinn belastbarer Daten.

Keine Studien, keine Tests, keine Veröffentlichungen

Man führt ausgiebige Sicherheitsprotokolle inkl. Kontrolle von Blutwerten, regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen und Erfassung ALLER relevanten und auch nicht relevanten gesundheitlichen Ereignisse im Beobachtungszeitraum. Die klinische Auswertung beschränkt sich bei Weitem nicht auf die reine Antikörperbildung. Wie sieht es z.B. mit der zellulären Immunität aus? Das wird gar nicht erwähnt.

Detail am Rande: Eigene Mitarbeiter als Probanden heranzuziehen, ist im Allgemeinen aus Befangenheitsgründen gar nicht erlaubt, da sich diese in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden.

Das ganze Arzneimittelwesen und auch die Arzneimittelzulassung stehen auf einer klaren und für jeden Menschen ganz leicht nachlesbaren gesetzlichen Grundlage, es ist völlig unverständlich, wie sich hier jemand, der das Gesetz und auch die Arzneimittelsicherheit derart mit Füßen tritt, auch noch als Opfer darstellen kann.

 Verwirrung und Verbreitung falscher Informationen

Leider muss man auch den betreffenden Journalisten, die diesen Bericht zu verantworten haben, schlechte Recherche vorwerfen. Was hier zu sehen ist und vor allem wie dieses Thema aufbereitet wurde, ist alles andere als objektiv und fachlich korrekt. Und trägt extrem zu Verwirrung und Verbreitung falscher Informationen bei.

Üblicherweise werden wissenschaftliche Erkenntnisse und fachliche Innovationen in einschlägigen Fachjournalen publiziert. Wenn man auf PubMed (der größten weltweiten einschlägigen Datenbank) sucht, findet man jedoch dieses Produkt nirgends. Interessanterweise deuten Herrn Stöckers Kommentare, die er über die anderen Impfstoffe verlauten lässt, darauf hin, dass sein Wissen darüber kein besonders großes ist. In seine Ausführungen über mRNA-Impfstoffe haben sich gleich mehrere Fehler eingeschlichen.

Ausgerechnet Impfgegner, die sich angeblich wegen zu weniger Tests sorgen, jubeln jetzt?

Ganz besonders erschreckend ist jedoch für mich, wie viele Herrn Stöcker völlig unreflektiert bejubeln. Seit Jahren ist das Credo der Impfskeptiker und -gegner: alles sei unsicher. Im Prinzip wisse man gar nicht, welche Schäden Impfstoffe in Wirklichkeit auslösen würden. Und bei den derzeit in aller Munde befindlichen COVID-Impfstoffen brach die Kritik wie eine Lawine über die medizinische Welt herein. Trotz eines ordentlichen Zulassungsverfahrens, trotz korrekter klinischer Studien an Zehntausenden von Probanden und mittlerweile reichlich Daten dank bereits millionenfacher Verimpfung lautet der Aufschrei: „Das ist alles zu wenig getestet und zu unsicher!“

Und parallel wird hier die gesetzwidrige Verabreichung eines völlig ungeprüften, potenziell verunreinigten Produktes bejubelt.

Nicht umsonst ist ein Zulassungsverfahren ein komplizierter Akt, der nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist. Ein Einreichdossier umfasst oft mehrere tausend Seiten, ganze Gutachterteams, die sich aus Herstellungsexperten, Präklinikern, Klinikern, Statistikern und Experten für Pharmakovigilanz zusammensetzen, prüfen die Inhalte wochenlang, monatelang, innerhalb der Verfahren bewerten sich die Behörden auch gegenseitig hinsichtlich der Qualität ihrer Begutachtungsarbeit. Die Grundlagen der Bewertung sind wahre Berge von fachlichen und regulatorischen Guidelines und Arzneibuchmonographien sowie einschlägige wissenschaftliche Fachliteratur.

Herr Stöcker hätte natürlich genauso wie jeder andere die Chance gehabt, mit seinem Produkt den Weg der Zulassung zu gehen. Niemand hat ihn, wie im Bericht erwähnt, „ausgebremst“.

Er hätte sich lediglich einen Partner suchen müssen, der Erfahrung im Zulassungsbereich und entsprechende Produktionskapazitäten hat. Und hätte damit den gleichen Pfad beschreiten können wie alle anderen. Wer aber das Pferd von hinten aufzäumt, wird zu Recht in die Schranken gewiesen. Vor allem bei einem derart groben Gesetzesverstoß, der Menschenleben gefährden kann.

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Gastautorin Mag. Petra Falb, dieser Text erschien zuerst auf ihrem Blog. Artikelbild: pixabay.com, CC0

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