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Die Mehrheit arbeitet: Merz verbreitet falsche Zahlen über arbeitende Syrer

von | Jan. 6, 2025 | Faktencheck

Gerade bei Zahlen rund um Migration ist der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, im Wahlkampf nicht immer ganz sattelfest. Nach dem Fall von Syriens Diktator Assad überschlugen sich in Deutschland voreilig die Abschiebeforderungen von syrischen Schutzsuchenden. Auch eine Aussage von Merz ist wieder mal auf vielen Ebenen falsch und verstärkt rassistische Vorurteile.

Die Mehrheit der Syrer, die nach Deutschland geflohen sind und arbeiten können, arbeiten auch bereits. Und die Zahl steigt immer weiter. Knapp ein Drittel sind Kinder oder Rentner, und zwei Drittel der Syrer, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft haben, arbeiten auch, zählen aber nicht mehr als “Asylbewerber”. Die offizielle Beschäftigungsquote syrischer Staatsangehöriger liegt – je nach Erhebung – bereits jetzt bei 42 % oder höher, wenn man Selbstständige hinzunimmt (45–46 %). Vom Rest stecken noch viele in der Ausbildung, in Sprachkursen oder in langwierigen Anerkennungsverfahren und können daher (noch) nicht arbeiten, aber die Zahl steigt ständig weiter.

Merz forderte im Dezember, dass arbeitslose Syrer in ihre Heimat zurückkehren, und behauptete “zwei Drittel” der in Deutschland lebenden Syrer würden nicht arbeiten. Und das ist einfach so oder so nicht richtig. Auch seien das überwiegend “junge Männer” – dabei sind es viel eher Frauen. Wenig von dem, was Merz behauptet, als er sein rechtspopulistisches Feindbild konstruiert, stimmt. Und je länger zugewanderte Menschen jedoch in Deutschland leben, desto höher liegt die Beschäftigungsquote. Auf so vielen Ebenen ist die rechtspopulistische Desinformation falsch:

Merz’ Desinformation beginnt bei den Zahlen

Wie schon im September, als Merz eine Falschaussage verbreitete, welches Land am meisten Syrer und Afghanen aufnimmt – es war nicht Deutschland –, beweist auch sein Fake aus Mitte Dezember, dass ihm Fakten und Kontext wohl nicht mehr so wichtig sind, sondern das Bestärken der Vorurteile, von denen die rechtsextreme AfD profitiert.

Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, liegt die durchschnittliche Beschäftigungsquote von syrischen Staatsangehörigen zwischen 15 und 64 in Deutschland bei 42 Prozent. Diese Beschäftigungsquote ist allerdings schon etwas irreführend: So sind Syrer deutlich jünger als die restliche Bevölkerung in Deutschland und doppelt so viele zwischen 15 und 64 sind noch in Ausbildung als in der restlichen Bevölkerung.

19 % aller 15- bis 64-Jährigen mit syrischer Einwanderungsgeschichte waren 2023 noch in Schule oder Ausbildung. Unter männlichen Syrern ist die Beschäftigungsquote nach 7 Jahren Aufenthalt sogar fast so hoch wie in der deutschen Bevölkerung. Sind Syrer erstmal eingebürgert, werden sie dann aber nicht mehr mitgezählt, was die Quote weiter verfälscht. Deutsche Staatsbürger aus Syrien arbeiten zu 68 %. Also: Gerade die, die besonders gut integriert sind und zu hoher Anzahl arbeiten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen – und fallen vermutlich deshalb aus dieser ohnehin schon irreführenden Zahl heraus und verschlechtern sie noch weiter, auch ohne Verzerrung durch Merz. 

Beklagt Merz, dass syrische Kinder nicht arbeiten?

Eine Zahl allein sagt wenig aus, wenn wir den Kontext nicht kennen. Allerdings ist auch diese Quote (42 Prozent) schon deutlich höher als die von Merz propagierte Zahl. Er sagte der “Welt”, zwei Drittel der hier lebenden Syrer würden nicht arbeiten, viele könnten zurück nach Syrien. Abgesehen davon, dass das bisher nicht einmal so ist, selbst wenn seine Zahl stimmen würde: Nun liegen zwischen 33 Prozent arbeitenden Menschen und mindestens 42 Prozent fast zehn Prozentpunkte Unterschied. Das war nur kein vertretbares Abrunden. Wie kam er aber darauf?

Wie der MDR schreibt: “Etwa eine Million Menschen mit syrischer Herkunft lebt aktuell in Deutschland. Die Bundesagentur für Arbeit hat davon Ende September etwas weniger als 300.000 als Beschäftigte erfasst. Das entspricht etwa einem Drittel.”

Das Problem ist jedoch, dass nur circa 70 Prozent der Syrer erwerbsfähig sind. Alle anderen sind entweder zu alt (mehr als 64 Jahre) oder zu jung (weniger als 15 Jahre), um zu arbeiten. Beklagt Merz damit etwa, dass syrische Kinder und Rentner nicht arbeiten? Das wäre höchst irreführend.

Die Mehrheit arbeitet

Auch werden in die Beschäftigungsquote Selbstständige nicht mit eingerechnet. Diese machen jedoch auch nochmal 3-4 Prozentpunkte aus. Das läuft dann auf eine Beschäftigungsquote von 45 bis 46 Prozent hinaus. Also eher fast die Hälfte als ein Drittel. Folgendes Diagramm schafft einen Überblick.

Quellen: IAB und MDR (Zahlen können leicht variieren, je nach Zeitpunkt der Erhebung)

Es ist also eher so, dass insgesamt nur über ein Drittel NICHT arbeitet, obwohl es auf dem Papier erwerbsfähig ist, denn fast ein Drittel (30 %) sind schlicht nicht erwerbsfähig. Sie zu dem rechtspopulistischen Bild der faulen “jungen Männer”, wie Merz wahrheitswidrig sagt, zu zählen, ist schlicht Desinformation. Merz behauptet buchstäblich, dass er hier über Leute spricht, die arbeiten könnten, das aber nicht tun. Merz verbreitet die Unwahrheit.

Noch dazu leben von knapp einer Million Syrer in Deutschland nicht alle mit einem Schutzstatus, genauer gesagt 260.000 Menschen. Da sie andere Aufenthaltstitel innehaben, wird Merz sie wohl nicht mitgemeint haben, wenn er sich so sicher ist, dass Syrien wieder ein sicheres Herkunftsland sein wird. 

Beschäftigungsquote eigentlich noch höher

Doch welche Menschen, welche Geschichten stecken hinter diesen 70 Prozent Erwerbsfähigen? Merz unterstellt, das seien junge Männer, die nur faul herumsitzen würden und “nicht integriert” seien. Laut Arbeitsmarktforscherin Kosyakova müsste die tatsächliche Beschäftigungsquote von Syrern noch höher liegen. Denn die Zahl der nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität Erwerbsfähigen liegt etwas niedriger – noch. Damit sinkt der Grundwert unserer Prozentrechnung erneut. 

Wie Kosyakova im MDR sagt: „Es gibt Gruppen, die nicht arbeiten können, also gar nicht arbeitsfähig sind. Traumatisierte Personen, Menschen in Elternzeit, in Sprachkursen oder in Maßnahmen – die stehen dem Arbeitsmarkt quasi nicht wirklich zur Verfügung, aber sie werden in dieser Quote mitberechnet.“

Es zerstört die politische Kultur unseres Landes, wenn eine große demokratische Partei unentwegt Fake News verbreitet wie so eine extremistische Bewegung. Die Wahrheit ist: Ein großer Teil dieser nicht arbeitenden Geflüchteten sind krank, zu jung oder zu alt, in Ausbildung oder gesperrt.

Claas Gefroi 🎗️ (@claasgefroi.bsky.social) 2024-12-16T10:14:34.837Z

Gerade Menschen, die noch Trainings oder Sprachkurse absolvieren, bereiten sich auf ihren späteren Einsatz im Arbeitsmarkt vor. Das heißt, sie werden künftig arbeiten, aber eben noch nicht. Ein Blick auf die Statistik lohnt sich an dieser Stelle. Denn grundsätzlich ist es bei zugewanderten Personen so, dass ihre Erwerbstätigenquote mit steigender Aufenthaltsdauer ebenfalls ansteigt, zu sehen im Diagramm unten. Je länger in Deutschland, desto mehr Menschen arbeiten. Auch die Mehrheit der bereits eingebürgerten Syrer arbeitet. Die deutsche Sprache lernt man eben nicht von heute auf morgen und auch die Mühlen der Bürokratie mahlen in Deutschland sehr langsam.

Quelle: Screenshot IAB

Viele Menschen wollen arbeiten, können aber noch nicht: Meinen AfD-Wähler diese mit?

Viele erwerbsfähige Syrer, die das bisher auf dem Papier noch nicht tun, werden in Zukunft arbeiten, aber eben noch nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig – daher ist es Friedrich Merz wohl zu kompliziert, an dieser Stelle zu differenzieren. Viele Syrer befinden sich wie gesagt noch in (Aus-)Bildung, manche können krankheitsbedingt nicht arbeiten, manche haben keine Arbeitserlaubnis. Übrigens ist man auch arbeitslos gemeldet, wenn man geringfügig beschäftigt ist oder derzeit auf Jobsuche. 

Der Fall eines syrischen Arztes ist darüber hinaus ein Beispiel dafür, wie langwierig Anerkennungsprozesse von Berufstiteln in Deutschland sein können. Ganze fünf Jahre haben die deutschen Behörden gebraucht, um ihm seine Zulassung als Kinderarzt zu gewähren. Und das, obwohl er bereits mehr als 20 Jahre seine eigene Kinderarztpraxis in Damaskus gehabt hatte. 

Gerade diese Menschen, die noch nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen, aber auf dem besten Weg dorthin sind, wird Deutschland in Zukunft dringend brauchen. Unserem Arbeits- und Fachkräftemangel zufolge werden die meisten der Syrer in Ausbildung, Sprachkurs etc. nach erfolgreichem Abschluss eine Arbeit finden.

Quelle: Screenshot ntv

Die meisten Deutschen befürworten, dass Syrer, die arbeiten, auch hier leben. Sogar dreiviertel aller Wähler der rechtsextremen AfD. Das trifft aber auch definitiv auf die Mehrheit der Menschen, die aus Syrien zu uns geflohen und auch erwerbsfähig sind, zu. 

Viele Syrer arbeiten in systemrelevanten Berufen

Was man ebenfalls nicht vergessen darf: viele Syrer arbeiten in systemrelevanten Berufen. Das IAB schreibt: “62 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrerinnen und Syrer arbeiten in systemrelevanten Berufen, im Vergleich zu 48 Prozent der deutschen Beschäftigten.” Viele Syrer arbeiten als Fachkraft oder Experten:

Screenshot IAB

Zusätzlich arbeiten laut Institut der deutschen Wirtschaft 80.000 Syrer in Engpassberufen. Das sind Stellen, die besonders schwierig zu besetzen sind, allen voran Kraftfahrzeugtechniker, Fachangestellte für Zahnmedizin, Kindererzieher und Krankenpfleger. 

Laut Merz dürften arbeitende Syrer “selbstverständlich” bleiben. Erstens ist es jedoch gut möglich, dass Stimmungsmache gegen Landsleute, die nicht auf Fakten basiert, auch bereits arbeitende Syrer aus Deutschland vergrault. Zweitens sind ja die meisten der noch nicht erwerbstätigen, aber erwerbsfähigen Syrer schon auf dem besten Weg, die nächste Arbeitskraft für den deutschen Arbeitsmarkt zu werden. 

Deutsche Krankenhäuser warnen bereits vor einem möglichen Wegzug syrischer Ärzte, der größten Gruppe ausländischer Mediziner in Deutschland. Die deutsche Gesundheitsversorgung würde spürbar leiden. Durch falsche und verzerrte Zahlen und das Anfeuern rassistischer Vorurteile, lösen derartige Aussagen von Merz keine Probleme, im Gegenteil. Sie verschlimmern die Situation, nicht zuletzt dadurch, dass es wissenschaftlicher Konsens ist, dass ein gezielter Rechtsruck der CDU AfD-Wähler nicht abwirbt, sondern die Propaganda der Rechtsextremen nur legitimiert.

Fazit: Merz verbreitet rechte desinformation

Wenn die nächste Bundesregierung wirklich etwas Sinnvolles für die Arbeitsmarktintegration von syrischen Menschen leisten möchte, dann sollte sie am ehesten beim Gender-Gap ansetzen. Denn noch ein Aspekt, den Merz nannte, ist falsch: Es sind nicht “überwiegend junge Männer”, die nicht arbeiten, sondern Frauen. Nur knapp 19 Prozent gehen einer bezahlten Arbeit nach. “Hintergrund ist, dass die Frauen oft sehr jung sind und häufig keinen hohen Bildungsabschluss haben. Vor allem aber fehlt vielen eine Kinderbetreuung”, wie der BR schreibt

Daher: mehr Frauen Zugang zu Arbeit ermöglichen, mehr Kita-Plätze anbieten, bürokratische Hürden beseitigen und einer Dequalifizierung vorbeugen. All dies wären Punkte, mit denen unserer Wirtschaft mehr geholfen wäre als faktenloser Wahlkampf zu Lasten einer Einwanderergruppe, die bereits unverzichtbar für uns geworden ist. Wenn Merz die Fakten verbreiten und aufzeigen würde, wie viele Syrer hier bereits integriert sind und arbeiten, könnte er viel eher AfD-Wähler abwerben, die ja arbeitende Syrer angeblich akzeptieren, anstatt ihre Vorurteile mit Desinformation noch zu bestärken. Stattdessen verbreitet er immer wieder Lügen über Schutzsuchende und stärkt so vor allem die AfD.

Artikelbild: Reichwein/dpa, Screenshot welt.de