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Frankfurter Rundschau verbreitet Impf-Fakes & löscht wohl kritische Kommentare

von | Apr 15, 2021 | Aktuelles

FR verbreitet Impf-Desinformation und löscht danach kritische Kommentare

Wer in den letzten Tagen die Frankfurter Rundschau im Facebook-Newsfeed hatte, konnte durchaus verwundert sein, ob die Redaktion nicht von Querdenker:innen übernommen worden sei. Zuerst wurde dort völlig unkritisch ein umstrittenes Sachbuch zum Thema Covid19-Impfstoffe vorgestellt, ein paar Tage später geriet dann die Berichterstattung über eine Impfstoffstudie zu einem journalistischen Totalausfall, indem die Aussage der Studie ins Gegenteil verkehrt und unbegründet Angst geschürt wurde. Zu allem Überfluss zensiert die Frankfurter Rundschau hierzu wohl kritische Kommentare. Aber eins nach dem anderen.

Umstrittenes Buch über die Corona-Impfung

Letzte Woche Donnerstag erschien dort eine Lobeshymne auf das Buch „Corona Impfstoffe. Rettung oder Risiko?“ von Clemens Arvay. Die Frankfurter Rundschau hätte nun selbst nicht extra eine Virologin einstellen müssen, damit ihr diese fragwürdigen Aspekte auffallen. Es gab bereits mehrere kritische Stimmen anderer Medienschaffenden, die Arvays Methoden als unwissenschaftlich einstuften, z. B. im Standard, im Falter, in der Jungle World, der Deutschen Welle und besonders ausführlich im Freitag.

Für eine gründliche Recherche hatte Autorin Pamela Dörhöfer aber entweder keine Zeit oder keine Lust, sie erzählt die zentralen Claims des Buchs einfach nach und gibt eine recht uneingeschränkte Kaufempfehlung:

„Aber keine seiner Ausführungen basiert auf Fake News, nichts wird reißerisch ausgebreitet, nichts unheilschwanger raunend angedeutet – und er lässt den Leserinnen und Lesern genug Raum, um eigene Schlüsse zu ziehen“

Arvay stilisiert sich zudem gerne als unverstandener, nur am Diskurs interessierten Forschergeist, auf dem ständig alle total unfair rumhacken. Die Wissenschaftsredakteurin fällt auf diese Masche rein und schreibt:

„Er fühlt sich falsch verstanden und attackiert, insbesondere von den »Skeptikern«, einer »Gesellschaft für kritisches Denken«, deren Ziel es ist, Pseudowissenschaften zu bekämpfen.“

„Aber noch nie hätten sich die Angriffe so sehr gegen ihn als Person gerichtet. Im Interview mit der Deutschen Welle beklagte er »primitive Beschimpfungen unter der Gürtellinie«, und dass es darum gehe, »mich als Wissenschaftler abzuqualifizieren« und »am liebsten als Gärtner« darzustellen.“

Tja, so ist das in der Wissenschaft, steile Behauptungen werden besonders kritisch geprüft. Wieso muss ich, dessen höchster Bildungsabschluss ein BWL-Diplom ist, das einer Wissenschaftsredakteurin erklären?

Zudem teilt Arvay nun mal selbst gerne aus, indem er Mai Thi Nguyen-Kim einfach mal pauschal „Impfpropaganda“ vorwirft und dass sie ihrem Publikum bewusst irgendwas verschweigt. Diese unappetitliche Kombination aus grobem Austeilen und weinerlichem Beklagen, die anderen beschimpften ihn unter der Gürtellinie, könnten einer wachen Redakteurin schon auffallen.

Anti-Impfstoff-Propaganda: Wie euch CGArvay über maiLab manipuliert

Artikel mit Fake News über Impf-Studie

Nun gut, jeder hat mal schlechte Tage, könnte man denken. Pamela Dörhöfer hat aber eher eine schlechte Woche, denn kurz darauf ging es mit der Desinformation weiter: Wenige Tage später veröffentlichte sie ihren nächsten, noch weit problematischeren Artikel unter der Überschrift „Corona-Forschung: Südafrikanische Variante B.1.351 für Geimpfte gefährlicher als für Ungeimpfte“. Spoiler: Ist sie nicht!

Das genaue Veröffentlichungsdatum kann nicht mehr nachvollzogen werden, da die Frankfurter Rundschau es immer mit dem Datum der letzten Aktualisierung überschreibt. So steht dort aktuell, er sei am 15.04.2021 veröffentlicht worden. Die ältesten Kommentare stammen jedoch vom 12.04.2021, der zum Artikel gehörende Facebook-Post vom 13.04.2021 15:02 Uhr.

In den ersten beiden Absätzen dieses Artikels stellt Dörhöfer nun eine abenteuerliche Behauptung auf, sie schreibt:

„Dazu kommen schlechte Nachrichten aus Israel: Laut einer aktuellen Studie der Universität Tel Aviv und der Clalit Healthcare Organisation – der größten Krankenkasse in Israel – haben sich Geimpfte achtmal so häufig wie Ungeimpfte mit der südafrikanischen Variante angesteckt.“

Zu diesem Schluss kann man eigentlich nur kommen, wenn man besagte Studie nicht gelesen oder nicht verstanden hat. Oder bewusst täuschen will, aber das kann man sich bei der Frankfurter Rundschau eigentlich nicht vorstellen. Alle Optionen wären für eine Wissenschaftsredakteurin ziemlich enttäuschend.

Gut, wie kommt sie also zu dieser Aussage?

Besagte Studie der Tel-Aviv-University, die bislang nur als Preprint vorliegt, hat folgenden Versuchsaufbau: Es wurden 300 Personen untersucht, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. 150 davon waren zuvor mit dem BNT162b2-Impfstoff von BioNTech geimpft worden, die anderen 150 waren ungeimpft.

Nun wurde bestimmt, mit welcher Variante des Virus die Probanden infiziert waren und hier stellte sich Folgendes heraus: Die nicht geimpften Personen hatten fast alle die britische Variante B.1.1.7, nur eine Person dieser Gruppe litt an der südafrikanischen Variante B.1.351. Bei den geimpften Personen sah das etwas anders aus, hier war zwar ebenfalls die große Mehrheit mit der britischen Mutation infiziert, aber 8 mit der südafrikanischen.

Aha, also 8 Geimpfte mit der südafrikanischen Variante, aber nur eine ungeimpfte Person mit dieser Mutation des Virus. Frau Dörhöfer hat nun anscheinend acht durch eins geteilt und kam zum vollkommen absurden Schluss, dass Geimpfte deshalb ein achtmal höheres Risiko haben, sich mit der Südafrika-Variante B.1.351 zu infizieren. Ich hoffe für den geistigen Gesundheitszustand meines ehemaligen Statistik-Professors, dass er den Artikel nicht gelesen hat.

sensationeller Denkfehler

Der sensationelle Denkfehler in dieser Schlussfolgerung liegt darin, dass diese 300 untersuchten Personen nicht anteilig der israelischen Gesamtbevölkerung entsprechen. Für den Versuchsaufbau wurden ja absichtlich 150 Personen ausgewählt, die trotz Impfung infiziert waren, was aber nur einem kleinen Teil der Geimpften insgesamt überhaupt passieren kann, da der Impfstoff ja tatsächlich eine hohe Wirksamkeit hat.

Hier musste also erst mal bei ein paar Tausend geimpften Personen ein PCR-Test gemacht werden, um überhaupt 150 positiv getestete unter den Geimpften zu finden. Diese hat man dann untersucht, um zu beobachten, ob innerhalb der geimpften Bevölkerung eine Verschiebung der Mutationen stattfindet.

Es geht hier mitnichten um einen Vergleich des Risikos innerhalb dieser Gruppen, denn dazu ist das Studiendesign gar nicht in der Lage. Die Wirksamkeit des Impfstoffs schützt die allermeisten Geimpften vor einer Infektion und die wenigen Non-Responder, die sich trotz Impfung infizieren, vor einem schweren Verlauf. Die untersuchten 150 geimpften Personen sind daher eben auch solche mit asymptomatischer oder ganz mildsymptomatischer Infektion.

Studie komplett missverstanden

Wollte man wirklich vergleichen, wer gefährdeter wäre, mit B.1.351 infiziert zu werden, müsste man auch all die Geimpften mit in die Rechnung einbeziehen, bei denen der PCR-Test negativ ausgefallen ist, was in diesem Fall die überwältigende Mehrheit gewesen sein dürfte. Das ergäbe dann vollkommen andere Zahlen.

Und selbst wenn in diesen Zahlen dann immer noch mehr B.1.351-Infektionen bei den Geimpften gemessen werden würden (was unwahrscheinlich ist), so könnte man daraus keinesfalls eine so irreführende Überschrift ableiten, laut der B.1.351 „gefährlicher“ sei. Wie schon erläutert, schützt der BioNTech-Impfstoff sehr effektiv vor schweren Verläufen, selbst 8 PCR-positive Menschen mit Immunantwort aus diesem Impfstoff bergen daher ein geringeres Risiko als ein einzelner infizierter Ungeimpfter, der damit auf der Intensivstation landen kann.

Dazu kommt noch, dass der PCR-Test ganz bewusst zu einem Zeitpunkt durchgeführt wurde, als der Impfschutz noch nicht komplett etabliert war. Eine Gruppe der Geimpften wurde eine Woche vor bis eine Woche nach der zweiten Impfung untersucht, also als die Impfung noch gar nicht vollständig wirksam war. Das ist kein Design-Fehler, es ging den Forscher:innen eben darum, eine mögliche Verschiebung je nach Wirksamkeit der Impfung zu beobachten. Nach der skurrilen Logik von Pamela Dörhöfer könnte man aus jeder Varianten-Verschiebung eine erhöhte Gefährlichkeit für irgendwen ableiten, was vollkommen hanebüchen ist.

knallige, unzutreffende Überschriften und Subheadlines

Anstatt also über den sehr sinnvollen Ansatz der Studie zu berichten, schmeißt die Frankfurter Rundschau mit knalligen, unzutreffenden Überschriften und Subheadlines um sich:

„Für Geimpfte gefährlicher“, „Südafrikanische Variante dazu in der Lage, den Corona-Impfschutz zu durchbrechen“, „Am beunruhigendsten an der Studie aus Israel klingt die Tatsache, dass sich Geimpfte häufiger als Ungeimpfte mit der südafrikanischen Variante infizierten“

Nein, das ist überhaupt nicht beunruhigend, denn es ist keine Tatsache, zumindest wenn man absolute und relative Häufigkeit auseinanderhalten kann. Wenn man sich mal ganz nüchtern durchliest, wie die Studienleiterin Adi Stern selbst ihre Ergebnisse einordnet, wird klar, wie sehr sich die Frankfurter Rundschau hier überraschenderweise an billige Fake-Geschichten aus der Klatschpresse annähert:

„To summarize: we see evidence for reduced vaccine effectiveness against the British variant, but after two doses – extremely high effectiveness kicks in.  We see evidence for reduced vaccine effectiveness against the S.A. variant, but it does not spread in Israel.

We think that this reduced effectiveness occurs only in a short window of time (no B.1.351 cases 14+ days post 2nd dose), and that the S.A. variant does not spread efficiently. Thus, even more of a reason to get vaccinated and drive down cases to zero!“

Ich übersetze mal:

Der BioNTech-Impfstoff wirkt nach 2 verabreichten Dosen hocheffektiv gegen die britische Variante. Es gibt Anzeichen für eine reduzierte Wirksamkeit bei der südafrikanischen Variante, aber diese breitet sich in Israel NICHT aus. (Hervorhebung von mir)

Diese reduzierte Wirksamkeit scheint nur in einem kurzen Zeitfenster zum Tragen zu kommen, da 14 Tage nach der zweiten Dosis keine B.1.351-Fälle mehr auftraten. Die südafrikanische Variante verbreitet sich nicht effizient, was ein weiterer Grund dafür ist, sich impfen zu lassen und so die Fälle auf null zu senken.

das genaue Gegenteil von dem, was die Frankfurter Rundschau behauptet

Das ist das genaue Gegenteil von dem, was die Frankfurter Rundschau behauptet, wenn sie sagt, die Gefahr steige durch Impfstoffe und die südafrikanische Version sei in der Lage, den Impfschutz zu durchbrechen. Dazu muss man auch nicht dem Twitter-Account der Studienleiterin folgen, für nachhaltige Erleuchtung reicht es aus, einfach mal den Abstract der Studie zu lesen, über die man einen Artikel schreibt. Dort steht:

„These results overall suggest that vaccine breakthrough infection is more frequent with both VOCs, yet a combination of mass-vaccination with two doses coupled with non-pharmaceutical interventions control and contain their spread.“

Übersetzung:

Diese Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass ein Impfdurchbruch bei beiden Varianten häufiger ist, jedoch eine Kombination aus Massenimpfung mit zwei Dosen in Verbindung mit nicht-pharmazeutischen Interventionen ihre Ausbreitung kontrolliert und eindämmt.

Frankfurter Rundschau löschte wohl kritische Kommentare

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, legt die Frankfurter Rundschau anschließend offenbar auch noch einen vollkommen inakzeptablen Umgang mit Kritik an den Tag: Wer unter dem Facebook-Post zum Artikel einen der genannten Punkte kritisch anmerkte, musste wenig später feststellen, dass ihr/sein Kommentar nicht mehr aufzufinden war.

Der Beitrag hat laut Facebook-Counter 101 Kommentare, aber es sind nur 73 sichtbar. Klar, jeder Seitenbetreiber hat das Recht, auf seiner Seite gegen Hasskommentare und Spam vorzugehen, aber die gelöschten Beiträge waren vollkommen sachlich gehaltene, inhaltliche Kritik, hier eine Auswahl an Screenshots:

Studienleiterin selbst widerspricht

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Preprint-Studie wird veröffentlicht und die hauseigene Wissenschaftsredakteurin liest hier den sensationellen, aber komplett falschen Befund heraus, Geimpfte seien nun gefährdeter.

Würde ich zu diesem Schluss kommen, dann würde ich mich 3-mal, ach was, 10-mal absichern, ob ich das auch wirklich richtig verstanden habe, denn die Verantwortung für die öffentliche Meinungsbildung ist an dieser Stelle riesig. Wenn ich mitten in einer Pandemie falsche Ängste vor funktionierenden Impfstoffen schüre und genug Leser:innen glauben mir, dann werden dadurch mehr Menschen infiziert, mehr Menschen landen auf Intensivstationen und bei genügend Reichweite sterben dadurch auch Menschen.

Wer sich auch nur ein bisschen an journalistische Sorgfaltspflicht gebunden fühlt, muss den eigenen Schluss hier unbedingt streng prüfen. Und wenn sich dann herausstellt, dass die Studienleiterin selbst und auch andere renommierte Fachleute wie Prof. Drosten zu einem genau gegenteiligen Ergebnis kommen, dann muss man schon an einer guten Portion Größenwahn leiden, um das alles zu ignorieren.

Keine Fehlerkorrektur nach Feedback

Anstatt sich zu korrigieren, wird die gefährliche, vollkommen unberechtigte Ängste schürende Fehlinterpretation in brutalem Indikativ als Aufmacher veröffentlicht. Nicht mal ein „könnte“ oder „möglicherweise“ wird der Überschrift spendiert, obwohl das ganze ja außerdem noch ein Preprint ist und man solche vorläufigen Ergebnisse ohnehin immer sehr vorsichtig kommunizieren sollte.

Das allein ist schon ein ungeheuerlicher Vorgang. Dass nun aber ein paar kompetente Menschen offenbar daran gehindert werden, auf den krassen Fehler in den Kommentaren hinzuweisen und andere Menschen vor der Fehlinformation zu schützen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Eine unansehnliche, zutiefst wissenschaftsfeindliche Krone. Gerade von der Frankfurter Rundschau ist man eigentlich bessere Recherchen und Umgang mit Kritik gewohnt. Es bleibt zu hoffen, dass die Frankfurter Rundschau hier nur einem Ausrutscher aufgesessen ist und nicht wie andere Medien für Klicks aus der Fake-News-Blase journalistische Standards über Bord wirft.

Artikelbild: pixabay.com, CC0

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