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Anti-Impfstoff-Propaganda: Wie euch CGArvay über maiLab manipuliert

von | Feb 18, 2021 | Analyse

Was euch Clemens Arvay verschweigt

Clemens Arvay ist ein österreichischer Landschaftsökologe und Sachbuchautor und hat seit Ausbruch der Corona-Pandemie auf seinem YouTube-Channel CGArvay mehr Videos veröffentlicht als in den 6 Jahren zuvor. Seine Corona-Videos bekommen deutlich mehr Klicks als die vorherigen zu anderen Themen; überdurchschnittlich beliebt waren „Bill Gates und Covid-19: RNA-Impfstoffe als globale Bedrohung“, „Genetische Impfstoffe gegen COVID-19: Hoffnung oder Risiko?“, „CORONA: Masken- und Meinungs-Verordnung“ und  „Ist BILL GATES ein Corona-Regisseur?“.

Auch sein aktuelles Video „MaiLab: Impfstoff-Propaganda | Was Euch MaiLab verschweigt“ hat Potenzial, eines der erfolgreicheren zu werden. Es wurde zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes fast 200.000-mal aufgerufen. Zu Beginn und Ende seines Videos weist er wiederholt darauf hin, dass ihm Diskurs wichtig sei und er Mai Thi Nguyen-Kim niemals absprechen wolle, über Impfstoffe zu reden. Aber dass er als Biologe eben auch darüber sprechen dürfe.

Dieses Video solltet ihr teilen, um über die wichtigsten Impfmythen aufzuklären

Würde ich ein solches Video drehen, in dem es mir wirklich um Diskurs geht, ich würde der Gegenseite vermutlich nicht „Propaganda“ vorwerfen, denn damit unterstelle ich ihr ja, sie wolle die Öffentlichkeit manipulieren. Ich würde maiLab vermutlich auch in meinem Tweet zum Video markieren, was CGArvay aber nicht tut (auch nach Aufforderung nicht):

https://twitter.com/CGArvay/status/1361668193492885506

Es geht hier nicht um Diskurs – sondern um Strohmänner

Das liegt vermutlich daran, dass es hierbei nicht wirklich um Diskurs geht, sondern eher um Buchverkäufe. Und dass das maiLab-Video nur ein Aufhänger für mehr Klicks ist. Tatsächlich belegt Clemens Arvay an keiner Stelle konkret, was am maiLab-Video nun Propagandazüge erkennen ließe. Vielmehr bedient er sich einer sehr effektiven, wenn auch unzulässigen Diskussionsführung: dem Strohmannargument.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass CGArvay im Video konsequent die Rolle des missverstandenen, zu Unrecht kritisierten Wissenschaftlers auf edler Wahrheitssuche spielt, während er sich gleichzeitig solcher Methoden bedient.

Ein Strohmann kommt oft zum Tragen, wenn jemand gegen das Argument seines Gegenübers nicht mehr weiterweiß. Er argumentiert dann gegen ein ganz anderes, viel schwächeres Argument, das die andere Person aber nie geäußert hat. Ein Strohmann eben. Beispiel: „Ich finde, die Deutschen sollten weniger Fleisch essen.“ Antwort: „Was, du willst, dass Fleischesser ins Gefängnis gesperrt und ausgepeitscht werden? Du Monster!“ CGArvay macht das natürlich subtiler.

CGArvay kritisiert bei Minute 2:46:

„In dem Video wird behauptet, die Verkürzungen [der Impfstoffentwicklung] seien auch deswegen unproblematisch, weil man sich ja auf Vorerfahrungen mit Impfstoffen gegen SARS1 und MERS stützen kann. Dieses Argument ist falsch. Es gab noch nie einen Impfstoff in der Humanmedizin gegen irgendein Coronavirus vor SARS-CoV-2, der zugelassen wurde.“

Das ist doppelt falsch:

  • Im maiLab-Video wird nicht behauptet, die verkürzte Entwicklung sei deswegen unproblematisch. Sondern es wird erklärt, dass sie deswegen verkürzt war. Diese Aussage ist Antwort auf die Frage „Warum die Impfstoffe so schnell entwickelt wurden“.
  • Es wird auch nicht behauptet, es seien irgendwann mal Impfstoffe gegen MERS oder SARS1 zugelassen worden. Vergleicht einfach das maiLab-Video bei Minute 0:31: „Ähnlichkeit zu SARS1 und MERS, beides ja auch Coronaviren, so musste man hier nicht komplett bei null anfangen.“

Clemens Arvay lullt seine unkritische Zuhörerschaft nun aber trotzdem knapp 2 Minuten lang ein und erklärt lang und breit, welche Fehlschläge es bei MERS-Impfstoffen gegeben hat. Dabei waren zugelassene MERS-Impfstoffe im maiLab-Video eben weder Thema noch Argument. Es ging nur um die bereits gemachten Forschungsergebnisse an MERS-Impfstoffen, mit denen tatsächlich an Impfstoffen für SARS-CoV-2 geforscht wird.

Bei Minute 4:48 sagt Arvay:

„Es ist ein Mythos zu behaupten, dass Langzeitbeobachtungen überflüssig sind.“

Auch das, ihr ahnt es schon, wird im maiLab-Video selbstverständlich nicht behauptet. In der kritisierten Passage erklärt das maiLab-Video nur, warum die Impfstoffentwicklung dieses Mal schneller als früher erfolgen konnte und nennt als einen Grund deutlich mehr Budget und forschendes Personal. Der Original-Wortlaut besteht aus gerade mal 14 Wörtern: „Zweitens, es gab besonders viel Geld für die Entwicklung, und zwar wirklich viel Geld“.

Clemens Arvay interpretiert in dieses kurze und leicht verständliche Statement „Langzeitbeobachtungen sind überflüssig“ rein. Später, bei Minute 6:38, wiederholt er die Verzerrung nochmals und sagt: „Und nochmal, es ist falsch, dass Geld Langzeitbeobachtungen ersetzt.“

Ja, stimme ich zu, hat halt nur niemand behauptet. Zudem geht das maiLab-Video ab Minute 11:26 mit Frage 4 „Was ist mit sehr seltenen, aber schweren Nebenwirkungen“ darauf ein, dass Langzeitbeobachtungen nötig und eben nicht überflüssig sind. Es wird dort explizit erklärt: „Impfstoffe werden mit einem Restrisiko für seltene Nebenwirkungen zugelassen. Deswegen gibt es bei Impfstoffen, genau wie bei Medikamenten, eine Phase 4, eine sorgfältige Beobachtung nach der Zulassung.“

Gutachterin für Impfstoffe klärt auf: Warum keine „Langzeitdaten“ kein Problem sind

Hat Clemens Arvay den Teil des Videos gar nicht gesehen? Sein Video heißt „Was Euch MaiLab verschweigt“. Und um das zu belegen, nennt er Punkte, die im maiLab-Video ausführlich behandelt werden? Vollkommen absurd.

Es folgt der manipulativste Teil, beginnend bei Minute 11:14

Im darin kritisierten mailab-Abschnitt werden die Impfstoffe verglichen. Es wird erläutert, dass die Effektivität des BioNtech-Impfstoffs bei 95 % liegt und die des AstraZeneca-Impfstoffs bei 70 %. Danach kommt es bei Minute 3:31 zu dieser Textpassage:

„Jetzt denken sich manche aber vielleicht »Ich will aber keinen Impfstoff zweiter Klasse«. Ist ja klar, wenn ich jetzt die Wahl hätte zwischen einem Impfstoff mit 95 % Effektivität und einem mit 70 %, würde ich natürlich auch den effektiveren nehmen. Aber dieses Szenario wird’s erst mal nicht geben. Wir haben natürlich viel weniger Impfdosen, als wir brauchen, und es wird auch eine Zeit lang noch so bleiben. Das heißt, man wird auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht frei wählen lassen, sondern die Impfdosen sinnvoll aufteilen. Anders gesagt: Ich muss das nehmen, was ich kriegen kann. Und das ist auch völlig okay, denn …“ und dann folgt ein Rechenbeispiel, warum auch zu 70 % effektive Impfstoffe die Situation entspannen können.

Daraus macht CGArvay folgende Montage:

maiLab-Video, Minute 3:31: „Jetzt denken sich manche aber vielleicht: »Ich will aber keinen Impfstoff zweiter Klasse«“. Dazu wird der Begriff „Astra Zeneca“ (sic!) eingeblendet (heißt tatsächlich AstraZeneca). Dann kommt ein Schnitt und es geht im maiLab-Video weiter mit „das heißt, man wird auf absehbare Zeit wahrscheinlich nicht frei wählen lassen, sondern die Impfdosen sinnvoll aufteilen. Anders gesagt, ich muss das nehmen, was ich kriegen kann. Und das ist auch völlig okay.“

Es folgt ein Schnitt, CGArvays Gesicht füllt wieder gefühlte 98 % des Bildschirms aus und er sagt: „Nein, es ist nicht völlig okay, einen Impfstoff zweiter Klasse zu verwenden.“

Er begründet das nun damit, dass wir jetzt noch nicht wissen können, welche Nebenwirkungen es gibt, wie robust der AstraZeneca-Impfstoff gegen Mutationen wirkt, und verweist sehr ausführlich darauf, dass es in Teststudien von AstraZeneca bei 2 Patienten zu Rückenmarksentzündungen gekommen sei.

maiLabs Aussagen bewusst anders zusammengeschnitten

Das ist geschickt kommuniziert: Die unbedarften Zuschauer:innen denken jetzt, maiLab hätte gesagt, dass auch schwere Nebenwirkungen wie Rückenmarksentzündungen zu akzeptieren seien. Es ging bei ihrer Aussage aber gar nicht darum. Sie hat „Impfstoff zweiter Klasse“ ja nicht mal ernsthaft so formuliert, sondern ist dazu in die Rolle von uns Laien geschlüpft, die diesen Gedanken ggf. haben könnten.

Der Impfstoff „zweiter Klasse“ bezog sich hierbei einzig und allein auf die Effektivität der Impfstoffe, die zu diesem Zeitpunkt nun mal auf 95 % und 70 % geschätzt wurden. Sie erläutert anschließend in einer beispielhaften Rechnung sogar, warum der Impfstoff zweiter Klasse eben nicht wirklich zweite Klasse ist. Sondern immer noch einen vergleichsweise hohen Effektivitätswert erzielt.

Darauf geht CGArvay überhaupt nicht ein. Er tut so, als hätte sie „Impfstoff zweiter Klasse“ vollkommen ernst gemeint und pauschal auf alle Eigenschaften der Impfstoffe bezogen. Wer das maiLab-Video nochmal von Minute 3:20 bis Minute 4:45 sieht, erkennt, dass die Aussage darin eine ganz andere ist als die, die CGArvay hier impliziert.

Er behauptet veraltete Sachen

Er erklärt anschließend noch bis Minute 16:50, also über 5 Minuten lang, welche krassen Nebenwirkungen es angeblich alle gab. Wer die wann untersucht hat und was am AstraZeneca-Impfstoff angeblich noch alles im Verborgenen liegt, obwohl es darum eben gar nicht ging und – sorry für die Wiederholung – er damit eine Aussage entkräftet, die das maiLab-Video nie getätigt hat. Da ging es an der Stelle nur um die Effektivität.

Grundsätzlich sagt er im Video auch eine Menge Sachen, die vermutlich stimmen. Er kann also mit Fußnoten punkten und die Rolle des aufrechten Wissenschaftlers mimen, sich in Ausführungen zur integrierenden Wirkung von DNS-Wirkstoffen verlieren. Und viele Worte sagen, die in Laienohren ziemlich professionell klingen.

Er behauptet aber auch veraltete Sachen, so z. B. dass „die Impfstoffe“ (er formuliert das ständig so pauschal, ohne konkret zu sagen, welchen Impfstoff er eigentlich meint) nicht in der Lage seien, die Infektiosität zu senken, was laut aktuellen Studien noch gar nicht abschließend beurteilt werden kann. Apropos aktuell: Wie glaubwürdig ist eigentlich ein Buch namens „Corona-Impfstoffe: Rettung oder Risiko?“, das im Handel erhältlich ist, lange bevor die daran forschenden Wissenschaftler:innen dazu ihre Studien ausgewertet haben?

Innere Widersprüche – und ganz viel Werbung für sein Buch

Wiederholt erklärt er, wie gefährlich eine verkürzte Impfstoffentwicklung ohne Untersuchung von Langzeitwirkungen sei, weil dann noch gar nicht alle Ergebnisse vorliegen. Preist aber in ermüdender Regelmäßigkeit sein Buch an, in dem auf wundersame Weise trotzdem all diese Ergebnisse schon drinzustehen scheinen.

Wie ermüdend? Och … Minute 2:00: „Und ich habe ja ein neues Buch geschrieben, was jetzt druckfrisch im Handel überall …“, bei Minute 9:40: „[…] möchte ich jetzt nicht im Detail darauf eingehen, Sie können das in meinem neuen Buch alles sehr ausführlich […] nachlesen“, bei Minute 16:28: „Und in meinem neuen Buch werden diese Problemfelder ganz genau auch erklärt, sodass …“, bei Minute 19:00: „Das habe ich immer schon gesagt, steht auch in meinem Buch, ganz genau erklärt“. Und bei 26:20: „Ausführlichst (sic) erklärt auch mit der Wirkungsweise der Impfstoffe und mit ausführlichen Einblicken in die Genetik der menschlichen Zelle finden Sie das alles in meinem Buch.“ Und bei 28:55: „ich freue mich, dass mein neues Buch eine differenzierte Abhandlung über die Impfstoffe…“

Wissenschaftlicher Diskurs oder Buchwerbung?

Am Ende bekommt MedWatch noch eine Breitseite. Da sei jetzt ein „Whistleblower“ für ihn aktiv, der ihn über deren Machenschaften im MedWatch-„Denunziantenumfeld“ unterrichtet. Das sei gut, denn die würden immer sehr im Interesse der Pharmaindustrie argumentierten. Die böse Pharma, Denunzianten, Propaganda. Was seriöse Wissenschaftler:innen eben so sagen.

Die Übergänge des Werks sind elegant mit Tönen aus einem alten Casio-Kinderkeyboard untermalt, die Farbgebung der Einblenden für die Fußnoten wirken, als wenn beim Tintenstrahldrucker die gelbe Patrone bereits komplett leer ist, und am Ende spielt er Ukulele.

Es wirkt so, als wenn jemand Schlaues ein Video zum Abkassieren von leichtgläubigen YouTube-Rentner:innen gemacht hätte.

Artikelbild: Screenshots youtube.com

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI