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Meloni: Die Strategie, mit der die Faschisten die Wahl gewannen

von | Sep 26, 2022 | Aktuelles

Wie konnten die Rechtsextremen in Italien so stark werden?

Italien hat gewählt: Die rechtsextreme Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) um Faschistin Giorgia Meloni gewann die italienischen Parlamentswahlen wie erwartet mit großem Vorsprung. Welches Gedankengut trägt Meloni in die Politik? Und wie konnte die junge Partei, die als die faschistischste seit Mussolini gehandelt wird, die Wahl so klar für sich entscheiden?

Sie galt schon vor der Wahl als klare Favoritin, nun wird sie wohl die erste weibliche Premierministerin Italiens: Giorgia Meloni. Sie gewann die italienischen Parlamentswahlen mit ihrer Partei Fratelli d’Italia (FdI). Die Wahlbeteiligung sank auf einen historischen Tiefpunkt: Gerade einmal 63,8 Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab. Das Rechtsbündnis aus Melonis FdI, Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia kommen zusammen auf rund 43 Prozent.

Damit liegen sie rund 17 Prozentpunkte vor der Demokratischen Partei und ihren Verbündeten. Innerhalb des Rechtsbündnisses schnitten die Fdl mit Abstand am besten ab: Sie erhielten etwa 25 Prozent – fast so viel, wie die Mitte-Links-Allianz der Demokraten zusammen (rund 26 Prozent). Ihr rasanter Wahlerfolg ist in Italien beispiellos: 2018 erhielten die Fdl gerade einmal 4 Prozent.

Grafik von ntv
Grafik von ntv

„Das große Ziel, das wir uns im Leben und als politische Kraft gegeben haben, war, dass die Italiener wieder stolz sein können, Italiener zu sein und die Tricolore-Fahne zu schwenken“, zitiert die Tagesschau die Wahlsiegerin. Den Nationalstolz zu stärken war eins von Melonis wichtigsten Wahlversprechen. Gleichzeitig zeigt sich in diesem Punkt bereits Melonis Verbindung zum Faschismus, die sich durch ihre gesamte politische Laufbahn zieht. Sie ist weitreichend mit faschistischen und rechtsextremen Gruppierungen vernetzt, steht für rassistische, queerfeindliche und konservative Positionen. Ihr Wahlsieg begründet sich unter anderem in einer äußerst erfolgreichen Social Media Kampagne, die sich aus Methoden und Ressourcen aus der rechtsextremen Szene speist. Ominöse Handbücher von verurteilten Rechtsextremisten spielen dabei eine Rolle.

So faschistisch ist Giorgia Meloni

Die voraussichtliche Nachfolgerin von Mario Draghi ist die erste Politikerin im Italien nach Mussolini, deren politische Laufbahn in einer neofaschistischen Partei begann. Meloni trat schon mit 15 Jahren der Fronte della Gioventù, dem Jugendflügel des Movimento Sociale Italiano MSI) bei. Der MSI wurde von Giorgio Almirante, einem Minister in der Regierung des faschistischen Diktators Benito Mussolini, gegründet. Bisher hat sich Meloni nicht deutlich von Mussolini distanziert. Wir berichteten schon im Vorfeld der Wahl:

2012 gründete sie die Fdl. Melonis neue Partei lag bei den Parlamentswahlen 2018 bei gerade einmal 4 Prozent. Doch die Partei legte in rasender Geschwindigkeit zu, unter anderem indem Meloni der Partei einen konservativen und patriotischen Anstrich gab. Sie spricht sich deutlich gegen die Aufnahme von Geflüchteten, Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und für ein konservatives Familienbild aus. Laut eigener Aussage ist Meloni pro-europäisch. Aber wie Salvini sympathisiert sie mit der Europa-Vision des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. „Zuerst Italien und die Italiener“, die EU-Politik solle nicht über der italienischen stehen. Diese Linie erinnert stark an Trumps „America First“-Einstellung. 2014 bezeichnete ein Parteigenosse Hitler als „großen Staatsmann„. 2022 wurde er aus der Partei ausgeschlossen.

Fdl weisen Kontakte zum Faschismus oder Neonazis stark von sich. Sie verwaschen den Faschismus-Begriff und normalisieren ihn, indem sie ihn inflationär gebrauchen und zum Beispiel politische Feind:innen als Faschist:innen bezeichnen (siehe dieses Video, ca. 01:04:17). In einem Anflug von Opportunismus distanzierte sich Meloni vor den Wahlen zwar verbal vom Faschismus. Glaubwürdig ist das aber nicht. So nahm sie im April an einer Gedenkveranstaltung für einen 1975 ermordeten rechten Studenten teil. Bei der Veranstaltung kommen jedes Jahr Rechtsradikale und Neonazis zusammen. Einige heben den Arm zum Römischen Gruß (analog zum Hitlergruß) und feiern den Geburtstag von Adolf Hitler.

Vorbild Wladimir Putin?

Die FdI stehen für einen erzkonservativen Katholizismus und reaktionäre Positionen. „Das heißt, dass sie [Meloni] beim Thema Bürgerrechte die Nähe zu Rechtskatholiken sucht, ob es nun um Rechte der Homosexuellen oder um die Abtreibung geht“, so die Politologin Sofia Ventura in der taz. Sie sei bis über die Grenzen Europas hinaus mit Rechtsradikalen vernetzt. Dazu gehört zum Beispiel Steve Bannon, ehemals der Berater von Trump, der auf Veranstaltungen der FdI gern gesehen ist. „Und jetzt steht sie zwar klar auf der Seite der Ukraine, aber das Russland Putins galt ihr immer als Vorbild bei der Verteidigung der traditionellen christlichen Werte“, erklärt Ventura.

Welchen Schaden kann Meloni anrichten?

Sie befürchtet nach Melonis Wahlsieg chaotische Zustände in Europa. Wie viel Schaden sie anrichten könne, hinge davon ab, wie lange sie an der Macht bleiben werde. Höchstwahrscheinlich werde sie als entschiedene Gegnerin der EU-Kommission auftreten. Ihren Wähler:innen versprach sie schließlich, vor allem die „italie­nischen Interessen gegen die multinationalen Konzerne, gegen die Hochfinanz, gegen die Brüsseler Bürokraten“ zu verteidigen, so Ventura. Man beachte die inhaltliche Nähe zu antisemitischen Codes wie der „Diktatur der Hochfinanz„.

Allerdings wird sich auch Meloni kompromissbereit zeigen müssen. Schließlich ist Italien hochverschuldet und kann es sich nicht leisten, durch etwaige Hetzereien gegen Brüssel, Geflüchtete oder LGBTIQ-Rechte auf die 190 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu verzichten. Der ohnehin fragilen italienischen Wirtschaft würde sie sonst erheblichen Schaden zufügen, lautet die Meinung zahlreicher Beobachter:innen.

Darum konnten die FdI in Italien haushoch gewinnen

Obwohl Meloni vielfach davon spricht, sich für „italienische Interessen“ einsetzen zu wollen, könnte sie also möglicherweise das Gegenteil erreichen. Wie konnte die Fdl trotzdem ihre Wähler:innenschaft innerhalb kürzester Zeit vervielfachen? Ein Faktor für den Wahlsieg ist der Zeitpunkt: Italien hat die Wahlen dieses Mal ungewöhnlich früh abgehalten. Normalerweise hätten sie im Frühjahr 2023 stattfinden sollen. Sie wurden vorgezogen, nachdem die drei maßgeblichen Koalitionspartner, darunter die Lega und Forza Italia, dem parteilosen Ministerpräsidenten Mario Draghi das Misstrauen aussprachen. Nach seinem Rücktritt am 21. Juli lösten sich beide Parlamentskammern auf. Bis dahin führte Draghi seit Februar 2021 eine große Koalition, die sich aus fast allen Parteien zusammensetzte.

Nur die FdI gehörten nicht zu Draghis Koalition. Die anderen Parteien waren mit dem Misstrauensvotum und der Tagespolitik beschäftigt. Für politische Auseinandersetzungen blieb wenig Zeit; die Parteien hatten kaum Gelegenheit, sich zu organisieren und zu profilieren. So konnte sich Meloni einen strukturellen Vorteil verschaffen, „weil sie in der Lage war, in Ruhe an ihrem politischen Projekt zu arbeiten“, erklärt Lorenzo De Sio, Politikdozent an der Universität Luiss in Rom im Guardian.

Regierungskoalition versagt, Meloni triumphiert

Zudem verloren die linken Parteien massiv an Wähler:innenstimmen, weil sie sich zu wenig für traditionell linke Themen einsetzten. Arbeitnehmerrechte und Menschen aus dem ärmeren Sektor blieben auf der Strecke. Dabei wäre der Einsatz hier bitter nötig gewesen; die Corona-Pandemie verschärfte Probleme im ohnehin prekären Arbeitsmarkt und besonders im Niedriglohnsektor. „Die extreme Rechte profitiert von einem weit verbreiteten Gefühl der Frustration und nutzt es aus, um eine andere, bedrohliche Art der Solidarität zu schaffen – eine, die die Menschen gegen Einwanderer und andere Minderheiten vereint“, zitiert der Guardian Roberto Camagni, Professor für Stadtökonomie am Politecnico in Mailand.

Auch an anderer Stelle versagten die anderen Parteien. „So hat es die Mitte-Links-Partei Partito Democratico nicht geschafft, ein breites Wahlbündnis jenseits der rechten Parteien zu bilden und eine positive Dynamik in der Wählerschaft zu entfalten“, schreibt t-online. Sogar die mit den FdI verbündeten Parteien mussten in letzter Zeit viel Kritik einstecken: Der Vorsitzende der rechtsextremen Lega Matteo Salvini machte sich als bekennender Putin-Fan unbeliebt. Und der 85-jährige Ex-Premierminister Silvio Berlusconi gilt in der Politik nicht gerade als Mann für frischen Wind.

Rechtsextreme lassen „die Bestie“ los

Nicht nur das Versagen der anderen Parteien spielte Meloni in die Karten. Der Erfolg der FdI ist maßgeblich auf ausgeklügelte Strategien für den Wahlkampf in den sozialen Medien zurückzuführen. Die FdI sind in Italien nicht die ersten, die einen Online-Wahlkampf führen. „Das Ganze beginnt in Italien am 10. Mai 2015 und zwar mit etwas, was man in Italien ‚la Bestia‘ – ‚die Bestie‘ nennt“, erklärt Alex Orlowski (Quelle). Er ist italienischer Experte für Online-Propaganda und beschäftigt sich damit, wie die Rechte die sozialen Medien für ihre politische Kämpfe nutzt. Der vielleicht wichtigste Akteur: Luca Morisi. Er nennt sein Social Media Team „la Bestia“. Den gleichen Namen gibt er aber auch der Software, die er entwickelt hat, um die Verbreitung von Inhalten in sozialen Netzwerken zu automatisieren und zu verbessern. Morisi machte sich in den vergangen Jahren als Spindoctor, also Medien-, Kommunikations- und Imageverantwortlichen, von Lega-Chef Salvini einen Namen.

Die Technik, die er einsetzt, kennt man auch aus dem Marketing: Man nutzt viele verschiedene Kanäle, um Inhalte möglichst breit zu streuen. „In Italien ist klar geworden, dass man das als ein Vehikel für Hass und für die Aufpeitschung der Bevölkerung oder die Anstiftung zu Rassismus und Misogynie benutzen kann“, so Orlowski. Wie das geht, habe sich die italienische Rechte aus Spanien abgeschaut: Dort entwickelte die erzkonservative Gruppierung „HazteOir“ 2004, lange vor dem Aufkommen der sozialen Medien, Strategien für Online-Propaganda. „HazteOir“ verhalf der spanischen rechtspopulistischen Partei VOX maßgeblich zum Erfolg. „Meloni schätzt die Partei VOX sehr“, sagt Orlowski.

Das Handbuch für rechtsextreme Online-Propaganda

Ähnlich wie in Spanien versammelte Morisi 2014 ein Team, um eine wirkungsvolle und teure Propagandastrategie zu entwickeln. Ihr Prinzip ist simpel: Man postet ein Thema auf Twitter und sorgt für möglichst viele Follower:innen, die alles aufgreifen und verbreiten. Rechte Parteien wie VOX oder FdI greifen dabei auf ein Handbuch, das „Stregoneria Politica“ – „Politische Hexerei“ zurück. „Dieses Handbuch legitimiert die Verwendung von Hassreden und Drohungen gegen Politiker in den sozialen Medien, aber auch Gewalt für den politischen Kampf“, so der Experte für Online-Propaganda Orlowski (im Video bei ca. 01:01:02).

Quelle: PDF Alex Orlowski

Diese Abschnitte erklären die optimale Verwendung von Fake News und Trolling sowie genaue Schritte für Angriffe auf Accounts von politischen Gegner:innen. Herausgegeben wurde das Handbuch von einem Verlag von CasaPound, einer faschistischen Bewegung in Italien, die innerhalb der internationalen Rechten ausgezeichnet vernetzt ist. Laut Orlowski ist CasaPound zur „digitalen Armee“ geworden, die vor allem die FdI, aber auch Salvinis Lega unterstützt. Autor des Handbuchs ist CasaPound-Mitglied Guido Tajetti. Für den versuchten Mord an einen linken Demonstranten wurde er zu sieben Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Auch andere faschistische und neonazistische Seiten und Blogs unterstützen CasaPound, darunter auch militante Blogs und Akteur:innen (im Video bei ca. 01:04:09).

Quelle: PDF Alex Orlowski

Politische Gegner:innen werden systematisch eingeschüchtert

„Die Bestie“ ist nicht nur dafür da, die eigene Agenda zu verbreiten. „In Italien kann man kaum Kritik an Salvini oder Meloni äußern, ohne dass man von Beleidigungen und Drohungen überflutet wird.“ Orlowski erfuhr das am eigenen Leib. Als er für die italienische Investigativ-Sendung „Report“ Melonis Twitteraccount analysierte und sie der Hassrede beschuldigte, veröffentlichte sie darüber ein Video und investierte 500 Euro in Werbung dafür. Orlowski habe daraufhin an die 50 Morddrohungen erhalten. Melonis Online-Propaganda managt Tommaso Longobardi, ebenfalls ein Spindoktor, der CasaPound sehr nahe steht.

Das Handbuch zeige genau, „wie man massiv und systematisch Politiker oder Widersacher und Journalisten attackiert. Alles Dinge, die eigentlich in den Geschäftsordnungen der sozialen Medien verboten sind. Die Gegner werden teilweise so stark eingeschüchtert, dass sie sich zurückziehen. Man vermittelt ihnen: Wir wissen ganz genau wo du wohnst und wo du arbeitest, wir kennen deine Kinder. So, dass sie sich verfolgt fühlen.“ Linke Politiker:innen könnten dem kaum etwas entgegen setzen. „Die berühmte Partei Partito Democratico hat es nie geschafft, ein anständiges Social Media Team zu organisieren.“

Fazit: Europa könnten schwere Zeiten bevorstehen

Es ist unwahrscheinlich, dass Italien die EU verlassen wird. Aber der deutliche Rechtsruck der drittstärksten Wirtschaftsmacht in der EU muss mit Sorge betrachtet werden. Schließlich ist Italien nicht das einzige Land mit einer starken Rechten. Erst kürzlich wurde in Schweden eine rechtsextreme Partei zweitstärkste Kraft. Auch in Frankreich ist die rechtsextreme Partei um Marine Le Pen bekanntermaßen einflussreich, wie wir im Frühjahr berichteten:

In rechten Lagern bejubelt man das. „Schweden im Norden, Italien im Süden: Linke Regierungen sind so was von gestern“, tweetete die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch, „Wir jubeln mit Italien!“. Auch ihr Parteikollege Malte Kaufmann ist sich sicher: „Ein guter Tag für Italien – ein guter Tag für Europa.“ Wenn Rechtsextreme jubeln ist das ein deutliches Warnzeichen. Und ein Hinweis an demokratische Politiker:innen auch in Deutschland, dass es höchste Zeit ist, gemeinsam und entschlossen gegen Rechtsextreme vorzugehen.

Oliver Weiken/dpa

Transparenzhinweis: Wir hatten in einer älteren Version fälschlicherweise Giorgia Meloni die Worte, Hitler sei ein „großer Staatsmann“, in den Mund gelegt. Tatsächlich war es allerdings ein anderes Parteimitglied, das diese Worte formulierte. Wir bitten, den bedauerlichen Fehler zu entschuldigen.