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Geschichtsnachhilfe: So rechtsradikal ist die schwarz-weiß-rote Reichsflagge

von | Sep 1, 2020 | Aktuelles, Gastkommentar, Hintergrund

„Schwarz-Weiß-Rot? Ist das wirklich rechtsradikal?“

Gastbeitrag von Paul Gäbler

Die Reichsflagge hat eine lange Geschichte. Wer sie trägt, sollte wissen, was er tut – und darf sich nicht beschweren, mit Rechtsradikalen gleichgesetzt zu werden.

Rot und Weiß haben in der deutschen Geschichte eine lange Tradition. In den Wappen der norddeutschen Hansestädten tauchen sie sehr häufig auf. Im 13. Jahrhundert zeigte die Flagge des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein weißes bzw. silbernes Kreuz auf rotem Grund. Weiß und schwarz sind eng mit der Entstehungsgeschichte Preußens verbunden. Der im 13. Jht. entstandene Deutschordensstaat in Alt-Prußen übernahm den kaiserlichen Reichsadler und führte ihn im weißen Schild. Die Hohenzollern übernahmen dieses Wappen später.

Im Deutschen Krieg von 1866 unterlag der Deutsche Bund (bestehend aus u.a. Österreich, Bayern und Sachsen) den siegreichen preußischen Verbündeten. Ministerpräsident von Bismarck lies diese Allianz zerschlagen und gründete den Norddeutschen Bund. Um die einheitliche Beflaggung der Handelsschiffe zu gewährleisten, wurden ab 1866 die Farben Schwarz-Weiß-Rot (SWR) eingeführt und ein Jahr später auf die Kriegsschiffe ausgeweitet – eine Zusammenführung der norddeutschen und preußischen Farben.

Bismarck selbst war das ganze im Übrigen relativ egal, wie dieses Zitat von 1871 zeigt:

„Sonst ist mir das Farbenspiel einerlei. Meinetwegen grün und gelb und Tanzvergnügen, oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz.“

1871 traten die Südstaaten dem Staatenbund bei, aus dem Norddeutschen Bund wurde das Deutsche Reich. Die Flagge blieben bestehen und wurde 1892 juristisch festgelegt. Unter Wilhelm II wurden die Farben endgültig zum nationalen Symbol. Mit der Novemberrevolution von 1918 endete das Kaiserreich. In der Nationalversammlung machte sich ein breites politisches Bündnis für die SRG-Flagge stark, die auch unter Konservativen als „Großdeutsch“ anerkannt war. Widerstand regte sich vor allem bei Nationalisten.

Um diese zu besänftigen, blieb SWR als Handels- und Kriegsflagge erhalten, war aber immer wieder Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen. Schon 1921 forderte Gustav Stresemann (DVP) die Neubeflaggung, konnte sich aber nicht durchsetzen. Während der Weimarer Republik war die Flagge ein gängiges Symbol unter Rechtsradikalen und Antidemokraten, beispielsweise für die Freikorps des Kapp-Putsches von 1920. Auch während des Hitler-Putsches 1923 spielten die Farben eine Rolle.

„Schwarz-Weiß-Rot bis in den Tod!“

„Schwarz-Weiß-Rot bis in den Tod!“ war ein beliebter Spruch unter damaligen Rechtsradikalen und nationalistischen Kriegsveteranen. Dazu ein Gedicht aus dem Stahlhelm von 1927:

„Wir führen die Kampfflagge Schwarz-Weiß-Rot, um die uns die Welt einst beneidet,
Wir heben die Krone aus Weichsel und Rhein
von den’n uns der Teufel nicht scheidet.
Wir kämpfen für Freiheit, für Volk und für Gott,
Ein Heil unsrer Kampfflagge ‚Schwarz-Weiß-Rot‘!“

1926 forderte Reichskanzler Hans Luther, die SRG Flagge gleichberechtigt neben der Handelsflagge zu etablieren und wurde von seiner rechtskonservativen Regierung per Misstrauensvotum abgesetzt. Seinem Nachfolger Wilhelm Marx passierte dasselbe acht Monate später durch die SPD.

Reichsflagge nach der Machtergreifung der Nazis gehisst

Schon am 7. März 1933, zwei Tage nach der Reichstagswahl, die die spätere Gleichschaltung durch die Nazis ermöglichte, ließ Reichspräsident Hindenburg wieder SWR hissen – bezeichnenderweise zum Volkstrauertag. Die Ironie dabei: unter Konservativen kam das nicht wirklich gut an. So schrieb der Stahlhelm: „Die stolze Fahne Schwarz-Weiß-Rot ist wahrlich nicht von einer Partei gepachtet, sie gehört dem ganzen deutschen Volke“. Man fürchtete eine Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, denen man weiterhin misstraute.

1934 starb Hindenburg, Hitler ernannte sich zum Reichspräsidenten. Als Flagge wurde das Hakenkreuz festgelegt, SWR blieben aber als Reichsfarben bestehen.

„Die alte Flagge, sie ist in Ehren eingerollt worden. Sie gehört einem vergangenen Deutschland der Ehre an“, so Hermann Göring.

Das 1943 gegründete „Nationalkomitee Freies Deutschland“, eine Allianz von Kommunisten und Militärs mit dem Ziel, Hitler zu stürzen, legte auf Drängen der mehrheitlichen Militärs die Farben SWR fest – zum Unmut der Kommunisten (u.a. Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Erich Weinert). Nach dem 2. Weltkrieg ebbte die Begeisterung für die alten Nationalfarben merklich ab. In den 60ern liebäugelte die NPD wiederholt mit den alten Kaiserfarben, spätere rechte Parteien wie DVU oder Republikaner wandten sich den neuen Nationalfarben SRG zu.

Renaissance durch rechtsextreme Reichsbürger

Relikte der alten Farben* finden sich heute zum Beispiel im Logo der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Ansonsten hat die Flagge durch die Reichsbürgerszene eine Renaissance erfahren.

Die Einordnung ist also nicht ganz einfach. Das Zeigen der Reichsflagge stellt an sich keine Straftat da. Auch das Konfiszieren durch die Polizei ist bereits gerichtlich gekippt worden. Eine „möglicherweise beabsichtigte politische Provokation“ sei „hinzunehmen“. Dass die Flagge insbesondere im arabischen Raum (Ägypten, Syrien, Irak, Jemen) weit verbreitet ist, macht die juristische Dimension noch schwieriger. Bis heute gilt SWR aber unter Rechtsradikalen als Erkennungssymbol. Wer sie trägt, tut das nicht zufällig.

Zuordnung jedoch relativ eindeutig

Wer diese Flagge also öffentlich zeigen möchte darf sich nicht wundern, wenn er für einen Rechtsradikalen gehalten wird – spätestens mit den Vorkommnissen am vergangenen Wochenende. Die Bedeutung der Farben im Nationalsozialismus geben hier für mich den Ausschlag. Sicher kann man sich aus geschichtswissenschaftlicher Sicht für deutsche Geschichte begeistern – auch ich hatte große Freude, diesen Text zu schreiben. Die Kaiserzeit zur politischen Maxime zu erklären, ist aber nicht mit der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung vereinbar.

*Ursprünglich stand hier, dass die Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger die Nationalfarben übernommen haben, nach ihrem Hinweis, dass das nicht korrekt ist, haben wir das ausgebessert. Der Hinweis des Autors:

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Autor: Paul Gäbler (Original auf Twitter). Artikelbild: Artikelbild: Christoph Soeder/dpa/Christoph Soeder


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