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Warum du einen AfD-Wähler vielleicht nicht gleich von deiner Freundesliste kicken solltest

von | Dez 17, 2017 | Serie

Warum du einen „besorgten Bürger“ oder „Asylkritiker“ nicht sofort als Nazi abstempeln solltest und wie du einen fruchtbaren Dialog führen kannst.

Ich weiß, ich weiß. Das lokale AfD-Kreisverbandsmitglied mit Leopardpanzer als Titelbild, das auf seinem Profilbild mit seinem deutschen Schäferhund abgebildet ist und jeden Tag vor Rechtschreibfehler triefende Hasskommentare mit Gewaltphantasien über Flüchtlinge postet, brauchst du wirklich nicht in deinem virtuellen Freundeskreis behalten, wenn du es nicht möchtest. Auch rentiert es sich nicht wirklich, mit deinem alten Grundschulfreund, den du seit 15 Jahren nicht gesehen hast oder diesem Mädchen vom anderen Ende der Republik, mit der du nur befreundet bist, weil ihr euch aus eurer Styling-Tipps-Facebookgruppe kennt, eine große Diskussion über Flüchtende zu führen.

Ja, es ist nervig und frustrierend, Hetze in der Timeline auftauchen zu sehen oder bei jedem Artikel, in dem das Wort „Flüchtling“ oder „Asyl“ vorkommt, getriggerte Hasstiraden und Falschbehauptungen lesen zu müssen. Auch ich habe nicht immer die Zeit, die Lust oder die Geduld jeder noch so aus der Luft gegriffenen Behauptung über Flüchtlinge zu widersprechen (oder dazu eine Gegendarstellung zu recherchieren) und jede noch so willkürliche Zahl über angebliche Flüchtlingszahlen oder Verbrechen zu widerlegen oder zu kontextualisieren. Dann würde ich nämlich leider den ganzen Tag nichts anderes machen. 

Aber… wenn du bei jedem Anti-Flüchtlingspost gleich das Wort „Nazi“ auspackst und die Person kickst oder blockierst, erspart dir das vielleicht den Ärger darüber, Bullshitargumente lesen zu müssen, warum Asylsuchenden ihr Menschenrecht verwehrt werden sollte. Nur erspart uns allen das nicht, dass diese Personen weiterhin AfD wählen, Horrorgeschichten verbreiten (an die sie im schlimmsten Fall sogar selbst glauben) oder, im allerschlimmsten Fall, sogar handgreiflich werden und Asylbewerberheime anzünden – Was inzwischen beinahe täglich passiert!

Wir dürfen  verunsicherte Menschen nicht mit den Nazis alleine lassen

Überlege einmal, was passiert, wenn alle verunsicherten Menschen, die leider der Hetze glauben, die täglich tausendfach in den deutschen Netzwerken geteilt wird am Ende nur noch rechts eingestellte Personen in ihrer Freundesliste auf Facebook haben, weil sie von all jenen blockiert oder gekickt wurden, die mit dem ein oder anderen flüchtlingskritischen Post auf ihrer Timeline nicht konform gegangen sind. Demzufolge bekommen sie nun nur noch die – oft leider mit Halbwahrheiten und Polemik gespickten – Posts von den in ihrer Liste verbleibenden Leuten zu lesen – die ihr negatives Bild von Flüchtenden natürlich noch verstärken. Die Filterblase. Wenn man ständig mit Artikeln konfrontiert wird, in denen von täglich neuen Vergewaltigungen, Diebstählen und Sachbeschädigungen durch Flüchtlinge berichtet wird, so kommt man nicht umhin, irgendwann selbst Vorurteile zu entwickeln – So setzt der Bestätigungsfehler ein.

Wir dürfen rassistische Hetze und unwahre Gerüchte nicht unkommentiert lassen, das stimmt. Aber ein „Was postest du da für eine Scheiße, du Nazi“ wird leider niemanden, der so eine Ideologie vertritt, oder diejenigen, die oben genannte Gerüchte und Verleumdungen leider ernst nehmen, umstimmen und jeder Denkanstoß wird durch die „Nazikeule“ im Keim erstickt. Im Gegenteil, die Fronten haben sich noch weiter verhärtet.

Anstatt uns mit Menschen, wie es das Internet möglich machen sollte, aus der ganzen Welt zu verknüpfen und uns alle näher zusammenzubringen, kann es passieren, dass wir uns vor allem mit jenen umgeben, die sowieso schon unserer Meinung sind.  Und bei jeder Meinungsverschiedenheit wird eine weitere Facebook-Splittergruppe aufgemacht, wo dann endlich Leute sind, die einen wirklich verstehen. Und alle anderen sind dumm und verblendet.

Das ist nicht einmal ein wirkliches verwerfliches Verhalten. Das machen wir alle. Und das haben wir auch vor den Zeiten des Internets gemacht. Auch dieser Blog adressiert (offensichtlich) eine Personengruppe und wird meistens auch nur diese Gruppe erreichen.

Doch wie ist ein Dialog möglich?

„Man muss die Sorgen ernst nehmen.“ Klingt erstmal scheiße, aber da ist leider etwas dran. Jedoch bedeutet es nicht das gleiche, was die Politiker damit meinen. Es bedeutet nicht, dass man menschenverachtende und sogar ökonomisch unsinnige Politik machen soll (Immigration ist unter dem Strich positiv für die Wirtschaft), die dem völkisch-rassistischen Gedankengut nicht die Grundlage entzieht, sondern es im Gegenteil bestätigt. Nein, es bedeutet, dass du die Menschen, die ganz oder teilweise solche Positionen vertreten, wie gleichwertige Diskussionspartner behandelst und sie nicht lächerlich machst.

Ja, vielleicht basiert rassistisches Gedankengut auf falschen Prämissen, auf Falschinformationen, einem verzerrten Weltbild, auf Neid und Missgunst. Und auch wenn Ablehnung von Migranten mit fehlendem Bildungsgrad korrelieren (Siehe Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration), bedeutet das nicht automatisch, dass jemand dumm ist, der so eine solche Meinung vertritt. Aber fragt euch selbst: Nehmt ihr jemanden in einer Diskussion ernst, der euch als „Gutmensch“ betitelt und behauptet, ihr würdet eure Meinung nur aus der „Lügenpresse“ haben?

Tatsächlich müsst ihr in die Diskussion hinein gehen und bereit sein, zuzugeben, auch mal falsch zu liegen. Das klingt seltsam, aber wenn beide Seiten eine Diskussion anfangen und keine unter keinen Umständen von vornherein bereit ist, ihre Meinung zu revidieren, ist das doch völlig sinnlos. Dann dient die Auseinandersetzung nur noch dazu, sich argumentativ zu profilieren und die Fronten zu verhärten. Und nur weil ihr bereit sein solltet, zuzugeben, dass ihr ganz oder teilweise falsch liegen könntet, heißt das natürlich nicht, dass ihr eure Ansichten über Bord werfen werdet – Nur wenn es gute Argumente dagegen gibt. Ihr müsst euch nur darauf gefasst machen, dass (in welcher Diskussion auch immer) gute Argumente kommen könnten. Und ihr solltet euch vorher überlegen, wie ihr damit umgehen werdet.

Wenn ihr einmal in eine Diskussion geraten solltet, müsst ihr folgende Dinge beachten, um erfolgreich zu kommunizieren:

Das sind die Hürden, die einem Umdenken im Weg stehen

  • Auch wenn wir das gerne glauben, in den seltensten Fällen treffen wir eine Entscheidung oder haben eine Meinung, weil wir uns vorher sachlich mit den Argumenten und Fakten auseinandergesetzt haben und auch den Wahrheitsgehalt unseres Wissens überprüft haben. Wer macht das schon jedes Mal und wirklich ausführlich? Ob eine neue Information akzeptiert wird oder nicht, hängt vor allem zuerst davon ab, ob sie sich für uns „wahr anfühlt“. Etwas fühlt sich wahr an, wenn man sich nicht geistig anstrengen muss, um es zu verstehen und wenn es sich gut anfühlt es zu glauben. Es muss vertraut sein und es muss unseren Überzeugungen entsprechen (Bestätigungsfehler, confirmation bias).
  • Die Meinungen und Einstellungen eines Menschen gehören zu seiner Persönlichkeit dazu. Stellst du diese in Frage, stellst du die gesamte Person in Frage. Das ist auch der Grund, warum ein Mensch um jeden Preis sein positives Selbstbild aufrecht erhalten möchte – Und damiot auch seine (politischen) Positionen. Es fällt leichter, sich die Wahrheit zurecht zu biegen und unsinnige Dinge zu glauben, als sich einzugestehen, dass man lange Zeit viel Energie hineingesteckt hat, einem Irrglauben zu folge.
  • Wenn Menschen einen Mythos glauben, der in ihr Weltbild passt, wird jeder Versuch, sie von der Wahrheit zu überzeugen, dazu führen, dass sie noch stärker daran glauben. Der Überzeugungsversuch wird als Bestätigung des Mythos gelesen („Du fällst nur auf Staatspropaganda hinein!“, „Du bist doch ein bezahlter Troll!“) oder ironischerweise als Versuch der Gegenseite, seinen vermeintlich falschen Glauben selbst zu bestätigen.

Die wichtigsten Dinge, die du beachten musst, wenn du Starrköpfe überzeugen willst

  • Wiederhole nie den Mythos! Sobald das Gespräch vorbei ist, werden die Menschen wieder zu ihrer gewohnten Regel zurückkehren, dass schon das stimmen wird, was sich richtig anfühlt. Und wenn du den Falschglauben wiederholst ist lediglich dieser das, was in der Erinnerung zurückbleibt. Also formuliere keine Nicht-Sätze! Statt: „Flüchtlinge nehmen uns nicht die Arbeitsplätze weg“ könnte man „Flüchtlinge schaffen nachgewiesenermaßen Arbeitsplätze“ schreiben. Wenn eine angesehene Quelle oder ein Regierungsorgan einen Mythos oder eine Verschwörungstheorie leugnet, kann das sogar dazu führen, dass das falsche Gerücht mehr Aufmerksamkeit bekommt und sogar an Glaubwürdigkeit gewinnen kann („Sogar xyz berichtet darüber!“).
  • Zu viele Argumente können sogar schaden. Je „leichter“ und einfacher „verfügbar“ ein Argument ist, desto „wahrer“ fühlt es sich an. Menschen glauben leichter einfache Zusammenhänge. Eine große Zahl und komplexe Argumentationen nehmen einer Position ihre Einfachheit und damit ihre Glaubwürdigkeit, je mehr man sich geistig anstrengen muss. Auch schaden schlechte Argumente der Position! Lieber zwei gute Argumente auflisten, als eine unüberschaubare Menge, unter denen möglicherweise sogar eines ist, das man angreifen kann. Man fokussiert sich dann nur noch auf das schlechte Argument und die gesamte Position wird verzerrt.
  • Kurze, einfache Sätze sind eingänglicher und vertrauter. Slogans und einprägsame Kampfbegriffe verleihen Glaubwürdigkeit. Auch führt eine leichte Sprache dazu, dass ein Text mehr Menschen zugänglich wird. Wird etwas verstanden, löst das positive Gefühle aus. Der Autor wird tatsächlich für intelligenter und kompetenter gehalten, wenn er sich simpel ausdrückt. Außerdem sollte man bestimmte, ideologische „Buzzwords“ vermeiden, die beim Gesprächspartner Reaktionen triggern könnten.
  • Vermeide Statistiken und sei stets freundlich. Menschen schalten bei Zahlen und Fakten schnell ab und können sie sich sowieso nicht merken. Erzähle lieber eine gute Geschichte und von beispielhaften Einzelfällen, als das Gegenüber mit Links von Statistiken und Auswertungen zuzuspammen – Die Mythen, die sie glauben bestehen ja auch nur aus lauter (meist erfundenen) Einzelfällen – Dass alle „Ausländer“ uns die Jobs wegnehmen oder Flüchtlinge Vergewaltiger sind, basiert ja auf keiner Statistik. Du solltest deinen Gesprächspartner immer freundlich behandeln und sogar loben (wenn es angebracht ist natürlich), wenn du etwas argumentativ erreichen willst. Nie herablassend sein und Kritik behutsam unterbringen. Kritik von außen wird als Bedrohung wahrgenommen und verleitet dazu, die eigenen Standpunkte zu verteidigen, selbst wenn man sie selbst ganz oder Teile davon nicht völlig überzeugend findet.

Musst du jetzt jedes Gehetze ertragen? Musst du jetzt hauptberuflich Facebook-Diskutant werden? Natürlich nicht. Aber AfD-Wähler sind auch nur Menschen und Opfer ihrer Natur – Genau wie wir alle. Denke einfach bei der nächsten Konfrontation daran. Und erwarte auch nicht, dass dein Gegenüber sofort nach dem Gespräch verkünden wird, fortan Die LINKE zu wählen und sich als Freiwilliger in einem Asylbewerberheim zu melden. Du musst den Menschen auch Zeit geben, die neuen Informationen zu verarbeiten und zu verinnerlichen. Ein Weltbild ändert sich nur in kleinen Schritten und das braucht auch Zeit. Also gib sie deinem Gegenüber, denn niemand möchte ein schlechter Mensch sein.


Quellen:
  • Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration. Migration und Integration. Erfahrungen nutzen, Neues wagen. Jahresgutachten 2004, Berlin, 2004.
  • „Starrköpfe überzeugen: Psychotricks für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern, Fundamentalisten, Partnern und Ihrem Chef“ von Sebastian Herrmann. Rowohlt, 2013.

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