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Querdenker-Urteile der Woche (KW 43): Kind als Schutzschild ruft Jugendamt auf den Plan

von | Okt 30, 2022 | Serie

Da es im dritten Pandemiejahr fast täglich eine „Querdenker“-Verurteilung gibt, haben wir uns entschlossen, nicht mehr über jeden Fall einzeln zu berichten, sondern ab sofort Sammelartikel zu erstellen. Sozusagen die „Querdenker-Verurteilungen der Woche“. Sonst verliert man ja vor lauter Querdenke(r)n noch irgendwann den Überblick ;). Hier der Sammelartikel vom letzten Mal:

Querdenker-Urteile nach Corona-Demo in Schweinfurt

Auch wenn man immer wieder denkt, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen, manchmal geht dann doch alles ganz schnell. Im Dezember 2021 gab es in Schweinfurt immer wieder auch unangemeldete Versammlungen von Leuten, die die Coronamaßnahmen ablehnten. Ebenso waren dort auch immer wieder Personen aus dem rechtsextremen Spektrum (Dritter Weg & Co.) anzutreffen. Für gewöhnlich stellt die Polizei diesen Verstoß fest und schreibt eine Anzeige. Diese wird an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, dort wird ermittelt und irgendwann Anklage erhoben, sofern sich der Tatverdacht erhärten lässt. Dazwischen vergehen meist Wochen bis Monate. Nicht so in Schweinfurt. Dort wurde wortwörtlich „kurzer Prozess“ gemacht und bereits mehrfach unmittelbar am Folgetag verhandelt, möglich macht das das sogenannte beschleunigte Verfahren. So wurde beispielsweise ein Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Bewährung, sowie einer zusätzlichen Geldstrafe von 6.000€ verurteilt, da er mit Fäusten auf Einsatzkräfte einschlug.

Eine andere Frau widersetzte sich den Polizeibeamten und durchbrach immer wieder Absperrungen und trat Polizisten mit ausgestrecktem Bein und riss einem die Maske vom Gesicht. Ergebnis: sechs Monate auf Bewährung. Das Urteil für ihren Freund, der sich wegen Gefangenenbefreiung (§120 StGB) verantworten muss, steht hingegen noch aus. Zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis 3 Jahren ist dort alles möglich. Doch es gab noch mehr Querdenker-Urteile aus Schweinfurt…

Kinder auf Querdenker-Demo rufen Jugendamt auf den Plan

Kinder als Schutzschild zu benutzen war noch nie eine gute Idee. Auf Demonstrationen schon gar nicht, da das Gefährdungspotenzial vorher nicht abzuschätzen ist und es auch zu Ausschreitungen oder Eskalationen kommen kann. Der Sozialpädagoge und unser Gastautor Florian Winter hatte dazu bereits 2019 geschrieben:

Wir befinden uns beim zweiten Fall nach wie vor in Schweinfurt. Hier brachte eine Querdenkerin ihr 4 Jahre altes Kind im Kinderwagen mit zu einer der oben erwähnten Demonstrationen und wollte eine Polizeiabsperrung durchbrechen. Die Polizei setzte daraufhin Reizgas ein, das Kind geriet in die Aerosolwolke und erlitt Verletzungen. Die Mutter erhielt zunächst nur eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die Demonstrationsauflagen. Es wäre verlockend nun mit einem Seitenhieb zu erwähnen, dass Querdenker ja immer die Verbreitung von kleinsten Molekülen über Aerosole leugnen, das Kind nun aber dennoch verletzt wurde – aber das widerspricht meinem Anstand.

Die Verletzung des Kindes wäre vermeidbar gewesen, wenn es eine verantwortungsvolle Mutter gehabt hätte. Hat(te) es aber leider nicht. Für diese Sorte Eltern ist das Kind eine Art „Demonstrationsmittel“. Sie erhoffen sich von der Mitnahme der Kinder, dass die Polizei dadurch Gnade walten lassen würde um kein Kind zu gefährden – und stellen sich bewusst in die vorderste Reihe des Demonstrationszuges. Gleichzeitig können sich Querdenker als Opfer inszenieren und der Polizei vorwerfen, dass sie selbst vor Attacken gegen Kinder nicht zurückschrecken würden und man nun erst recht in den Widerstand gehen müsse. Eine altbewährte Strategie. „Die da oben“ sind böse und die Gefährder und schrecken vor nichts zurück. Dieses Narrativ wird immer wieder verbreitet um die Gesellschaft weiter zu destabilisieren.

In Schweinfurt ließ man sich auch dieses Verhalten nicht bieten und ging zum Wohle des Kindes einen Schritt weiter. Nachdem der Vorfall bekannt wurde, wurde das Jugendamt informiert. Die Polizeigewerkschaft übte an diesem Verhalten ebenfalls massive Kritik.

„Für mich ist dieses unverantwortliche Handeln von Erziehungsberechtigten ein Fall für das Jugendamt. Kleine Kinder haben auf Demos nichts zu suchen.“

Jürgen Köhnlein, Bayerischer DPolG-Vorsitzender

Das Urteil für die Mutter: sie wurde wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Freispruch für Anführer eines wütenden Mobs

Zwar schreiben wir hier wöchentlich über die Urteile gegen Querdenker, aber nicht immer gehen Querdenker-Urteile mit einer Strafe für diese aus. Im Januar 2022 regte der Zahnarzt Oliver S.bei einem Montagsspaziergang am „Mindener Preußenmuseum“ an, dass man bei der „Gauleiterin der Herzen“, gemeint ist die damalige Landrätin Anna Bölling, mal „ein wenig Krach machen“ könne. Bölling ist Mutter von jungen Zwillingen und lebt mit ihrem Ehemann in direkter Nachbarschaft zum Zahnarz

t. Ein Teil der sogenannten „Spaziergänger“ fand den Vorschlag so treffend, dass sie am Kundgebungsort eine 180°-Wende vollzogen und sich auf den Weg zu ihrem Wohnhaus machten. Die Polizei verlor in einer Unterführung den Kontakt zur Gruppe, jedoch hatte sich der Chefredakteur des Mindener Tageblatts unter die Gruppe gemischt und konnte die Polizei daher warnen, damit sie das Haus der Landrätin noch rechtzeitig schützen konnten.

Mit diesem Echo hatte er nicht gerechnet

Am Tag danach erschien ein entsprechender Zeitungsbericht im Mindener Tageblatt welcher auch die Rolle des Zahnarztes Oliver S. hervorhob. Seine Praxis soll laut seiner Aussage dann von Anrufen mit Beleidigungen und Terminabsagen überhäuft worden sein. Auch die Umsätze seien massiv zurückgegangen. Die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe prüfte zudem Beschwerden gegen ihn. Dies schien ihn dazu bewegt zu haben, umgehend einen Entschuldigungsbrief an die Landrätin zu schreiben, wie das Westfalen-Blatt berichtet. Darin verwies er auf die lange Nachbarschaft, die gemeinsamen Treffen und Essen und bat um Entschuldigung. Für das juristisch zu bewertende Nachtat-Verhalten durchaus relevant.

Zwar zeigte er mit seinem Schreiben an die ehemalige Landrätin Einsicht und Reue, erklärte sein Verhalten vor Gericht aber laut Westfalen-Blatt so:

(…) In der Pandemie hätten vier Männer das Leben der Menschen bestimmt, die noch nie in ihrem Leben einen Patienten behandelt hätten: „Tierarzt Lothar Wieler vom RKI, Bankkaufmann Jens Spahn, Theoretiker Christian Drosten und Karl Lauterbach.“ Manches von dem, was die gesagt hätten, habe sich nicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen gedeckt. 

Angeklagter Oliver S., Zahnarzt (Quelle: Westfalen-Blatt)

Auch auf Facebook erklärte er danach weiterhin entgegen der Faktenlage, dass Corona-Impfungen nicht funktionieren. Er teilte Videos, in denen Gesundheitsminister Karl Lauterbach lächerlich gemacht wurde. Seine Erklärung gegenüber dem Mindener Tageblatt: es sei „Humor und Satire mit medizinischer Recherche“. Sein Profil ist mittlerweile deaktiviert. Auch pflegt er Kontakte in die rechte Szene, wie das Recherche Kollektiv Ostwestfalen im Januar, zwei Tage vor dem „Spaziergang“, bereits herausgefunden hat:

Freispruch, weil der Protest 30 m vor dem PRivathaus des Opfers halt machte

Das Gericht hielt ihm die Brief-Entschuldigung zu Gute und stellte gegenüber der ehemaligen Landrätin klar: „Wer in so einer herausgehobenen Position arbeite, muss solche Äußerungen aushalten können„. Schließlich sei sie für die Umsetzung der Corona-Maßnahmen zuständig gewesen. Weitere Anhaltspunkte für eine Straftat seien nicht erkennbar. Erklärbar ist dies dadurch, dass der Protestzug nur bis auf eine Entfernung von 30m zum Haus kam. Das öffentliche Wirken der damaligen Landrätin wäre dadurch nicht „erheblich erschwert“ worden. Welche psychologischen Auswirkungen dieser Tag auf die Familie hatte, ist nicht bekannt.

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