2.480

Olympiastadion: Gute Idee oder ein elitäres Utopie-Projekt?

von | Nov 27, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Umwelt/Klima

Irgendwie beides…?

Über die Bürger*innenversammlung im Olympiastadion wurde ja bereits einiges geschrieben. Wir Volksverpetzer sind etwas spät dran, weil wir intern so lange damit gehadert haben. Und es immer noch tun. Großartige Idee, die man unterstützen sollte oder elitäres Projekt, dass Partizipation und progressive Ideale karikiert? Wer von mir hier ein abschließendes Urteil hören möchte, den kann ich eigentlich jetzt schon enttäuschen. Aber versuchen wir uns doch einmal an einer differenzierten Analyse.

Die Veranstalter*innen möchten ins Olympiastadion am 12. Juni 2020 90.000 Menschen einladen, die gemeinsam digital Petitionen unterschreiben, um so Bundestagsabstimmungen zu provozieren. Die Idee klingt erst einmal großartig: Warum nicht quasi eine Lobby progressiver Menschen zusammenrufen, das Wir-Gefühl stärken, noch dazu medienwirksam und das nutzen, um direkt wichtige politische Maßnahmen anzustoßen? Im Wohnzimmer hätte ich den Pitch gefeiert und gesagt: Daraus könnten wir echt was machen!

Aber doch schon das Ansehen des Werbevideos hatte den Cringe-Faktor 9000. Ich hab auch Gänsehaut bekommen, aber fürs Fremdschämen. Darin fielen Sätze wie „Die Lösung gibt es jetzt bei startnext“, für „nur 29.95€“ könne man sich „Tickets zur Weltrettung“ kaufen. Eine Satire (oder Dystopie) der Kommerzialisierung kapitalismuskritischer und progressiver Ideale hätte genau so geklungen. Das ganze gut gemeinte Projekt im Olympiastadion hat viele Probleme bei der Umsetzung, aber auch schon fundamentale bei der Konzeption. Und ich bin hin- und her gerissen, einige Sachen zu kritisieren, andere in Schutz zu nehmen.

YouTube player

 



Eigentlich keine schlechte Idee

Fangen wir mal bei den guten Seiten an: Ja, wir brauchen als ökologisch-progressive Bewegung mehr Identifikation, die über Persiflagen der uns aufgestülpten Feindbilder (linksgrünversiffte Gutmenschen) hinaus geht. Wir müssen eine Bewegung werden. Denn klar, #wirsindmehr. Mehr als die Nazis und diejenigen, die Nazis an der Macht sehen wollen. Mehr als die Industrie und ihre Lobbys. Aber wenn wir kein gemeinsames, einfaches Feindbild haben oder nicht enorm viel Kapital, das unsere Interessen durchsetzt, bringt uns das rein gar nichts. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, und das in konkrete Aktionen und Forderungen kanalisieren.

Petitionen sind natürlich erst einmal ziemlich nutzlos, Online-Petitionen sowieso. Ganz nett und in seltenen Fällen erfolgreich, aber nutzlos. Die einzigen sinnvollen Petitionen sind diejenigen, die einen legislativen Prozess auslösen, also wie Volksbegehren in Bayern oder die Bundestagspetitionen, die dann dem Petitionsausschuss vorgelegt werden, der das dann erst auf die Agenda des Bundestages setzen kann. Es ist bis jetzt nicht ganz klar, wo die Unterschriften gemacht werden sollen. Denn die Veranstalter machten bislang ihre Petitionen über Change org. Sie sprechen aber von 50.000 Unterschriften fürs Quorum. Ich hoffe wirklich, es werden die Bundestagspetitionen sein.

Sorry, ich wollte positiv bleiben. Klar, das ganze muss bezahlt werden, ich verstehe schon, dass man da Tickets verkauft. Und sie wollen etwaige Überschüsse auch Spenden, echt toll. Finde auch gut, dass sie Tickets verlosen an Leute, die sich sie nicht leisten können. Und ich meine: Krass! Wir könnten einen öffentlichen Raum schaffen, an dem unsere Stimmen gehört werden, ein großes, politisch produktives Event! Genau so etwas brauchen wir seit langem. Es ist demokratisch, es ist ein wenig konstruktiv, es ist medial durchschlagend. Und es ist aber leider nicht ganz durchdacht.

Probleme in der Umsetzung

Ein Problem ist die Intransparenz und die Vermischung der Interessen. Denn am Ende ist es nur eine gigantische Werbekampagne von Einhorn. Versteht mich nicht falsch, Einhorn finde ich gut. Aber das Start-up, das erfolgreich die „Periodensteuer“ senken konnte, mietet das Olympiastadion. Aktivismus und Unternehmen verschwimmen, die Aktion ist untrennbar mit dem Unternehmen verknüpft und damit kriegt das ganze einen Marketing-Beigeschmack (Mehr dazu). Und wenn Fridays For Future und Luisa Neubauer mit dabei sind, klingt es wie die Verkommerzialisierung der Klimabewegung.

Sich dafür Tickets fürs Olympiastadion zu kaufen verstärkt das nur noch. Ich verstehe, dass man so direkt Teilnehmer*innen und Finanzierung gewinnen kann, aber hätte man sich nicht zuerst Sponsoren holen können und die Teilhabe offen machen? Zur finanziellen Exklusion sage ich später noch mehr. Die andere Frage ist: Wer wird auf der Bühne stehen? Was für Petitionen werden wir überhaupt unterschreiben? Wem werden die Überschüsse gespendet? Und wichtiger: Wer entscheidet das? Es klingt ein wenig nach Aktivismus, bei dem das Ziel eine untergeordnete Rolle spielt. Kauf dir schon mal ein Ticket, sei Teil der Bewegung, wofür wir stehen findet jemand schon später für dich heraus?

Natürlich sind unsere Ideale im großen und ganzen klar: Wir sind für Umwelt und Klima, gegen soziale Ungerechtigkeit, für Gleichberechtigung, gegen Rassismus und Diskriminierung so weiter. Das ist aber etwas schwammig. Ich sehe kein konkretes Profil. Es wirkt mehr wie eine progressive-ökologische Fassade, hinter der Unternehmensmarketing steht. Versteht mich nicht falsch, ich habe kein Problem damit, wenn Unternehmen progressive Ideale verkörpern und mit Marketing Aktivismus betreiben. Sei es ein Regenbogen-Zipfelmann oder Rügenwalder-Mühle, die ihre veganen Produkte bewirbt. Es ist eine nützliche Allianz. Wenn alleredings alle Interessen klar sind und die Trennlinien zwischen Aktivismus und Unternehmen deutlich.

Probleme im Konzept

Das Olympiastadion, in dem eine „emotionale Aufladung“ stattfinden soll? Ich weiß, NS-Parallelen sind falsch, aber drängen sich dann unwillkürlich auf. Und PR ist heute leider alles. Und dann natürlich die Grundidee. Petitionen sind, selbst über den Bundestag, eine der schwächsten Möglichkeiten, etwas umzusetzen. Der Petitionsausschuss kann sie aus einer Menge (auch sehr guten) Gründen einfach ablehnen. Und dann? Oder versuchen wir einfach nur, so viele wie möglich zu schaffen, um zumindest ein paar kleine Erfolge wie die Periodensteuer zu schaffen? So wird das aber nicht kommuniziert, wenn nicht weniger versprochen wird, als die „Welt zu retten“.

Dann kommt das große Problem der Partizipation dazu. 30€ für so ein Event muss man sich erst mal leisten können. Man muss es sich leisten können, Unterkunft, Anfahrt, evtl. Kinderbetreuung, Urlaubstage zu bekommen. Es soll inklusiv sein, aber es ist doch klar, dass nur Privilegierte daran teilnehmen können. Und die Gefahr besteht, dass dann gewisse Interessen nicht vertreten werden. Aber, um es in Schutz zu nehmen: Wer sich politisch engagieren kann muss ohnehin privilegiert sein. Das ist nicht das Problem dieser Aktion, sondern unserer Gesellschaft.

Man muss das Zeit und das Geld haben

Man muss keine(n) Job(s) haben, der/die einen 24/7 beschäftigt/-en, weil man Spätschicht hat oder am Wochenende arbeitet oder auf die Kinder aufpassen muss. Aber Mitgliedsbeiträge. Reisekosten, schicke Garderobe (Danke Florian Ortloff für den Punkt), die Zeit, sich überhaupt in verschiedene Themen einzulesen oder darüber zu diskutieren haben nicht viele. Klar, werden es vor allem junge, weiße, akademische Städter*innen sein, die teilnehmen werden. Die Soli-Tickets sind da leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber dann wiederum ist das kein Denkfehler der Aktion im Olympiastadion, sondern ein fundamentales unserer Gesellschaft. Und daran können die Organisator*innen auch nichts ändern.

Theoretisch kann man sich ja für mehr Kindergeld (für Hartz-IV-Empfänger*innen!!), mehr Hartz-IV, höheren Mindestlohn, billigeren ÖPNV, usw. bei den Petitionen einsetzen. Aber dann ist die Frage, ob das der effektivste Weg ist, diese Dinge zu erreichen. Für diese Probleme ist das Konzept einfach grundsätzlich ungeeignet.

Fazit

Ihr merkt, ich bin hin- und hergerissen. Es ist per Definition ein sehr elitäres Projekt, dessen Erfolgsrate fragwürdig ist, aber das zumindest etwas kleines erreichen könnte, und sei es, ein Zeichen zu setzen. Dann muss man sich aber fragen, ob man es nicht in der Transparenz und Umsetzung besser hätte machen können, inbesondere wenn ein (durchaus gutes) Unternehmen sich hier mit einer Bürger*innenbewegung für Marketingzwecke verknüpfen will.

Nochmal: Es ist eine an sich gute Idee, die vom Konzept her bereits Lücken hat und in der Umsetzung viel zu Wünschen lässt. Es klingt, als hätte man direkt eine halb ausgereifte Idee umgesetzt und würde den Rest im Nachhinein zusammenstellen. Und ja, wir sollten solidarischer sein mit der Aktion im Olympiastadion. Der Hass und Spott ist übertrieben. Gerade in Angesicht von Unternehmensinteressen und geschlossenen Rassisten-Reihen können wir uns das Zerfleischen nicht leisten. Denn da wird (auch) versucht, etwas Gutes zu erreichen. Nur was das genau ist, ist nicht so klar. Und wenn eine Gruppe eher privilegierter junger Menschen ein paar Petitionen unterschreiben will (wäre es nicht umweltfreundlicher, das zu Hause zu machen?), in der Hoffnung, dass ein paar davon Erfolg haben, dann will ich das nicht wirklich aufhalten.

Weltrettung? Leider nicht

Aber es als die Rettung der Welt zu verkaufen ist dann doch etwas dick aufgetragen. Es ist viel zu viel Pathos, zu viel PR, und zu wenig Authentizität. Und das hinterlässt einen faden Beigeschmack. Hey, ein Unternehmen organisiert als Marketing-Aktion ein gutes Projekt, das vielleicht ein wenig was erreichen könnte und an welchem man es sich leisten können muss, teilzunehmen. Ich verstehe die Begeisterung und das Pathos. Wir suchen nach so einem Projekt, das die Welt verändern kann. Und nein, ich habe keine bessere Lösung dafür, deswegen ist meine Kritik leider nicht konstruktiv. Die „Bürger*innenbewegung“ im Olympiastadion ist ein nettes Projekt, aber leider nicht mehr als das.

Artikelbild: Screenshot youtube.com