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Mit Trollen Diskutieren? Ihr habt Besseres zu tun!

von | Sep 8, 2022 | Aktuelles

Gastbeitrag von Dr. Felicitas Bergmann

Felicitas Bergmann ist Psychotherapeutin, Dozentin und Fachbuchautorin. Sie twittert unter anderem zu Thema Wissenschaftsleugnung, hier geht es zu ihrem Account.

Mit diesen zwei Strategien steigt ihr elegant aus dem Troll-Game aus

Wer sich schon einmal von einem Wissenschaftsleugner in eine Diskussion hat verwickeln lassen, kennt die Erfahrung: Man hat mit den gefühlt besten Argumenten der Welt gekämpft und hätte ihn damit locker an die Wand spielen können – aber das Gegenteil ist passiert. Warum in aller Welt könnt ihr mit guten Argumenten nicht gewinnen?

Hier geht es nicht um die Wahrheit

Unterstellen wir zunächst, dass ihr am Austausch über Fakten interessiert seid. Ihr habt verstanden, dass Wissenschaft sich ständig selbst hinterfragt und uneindeutige oder widersprüchliche Ergebnisse produziert. Die kann man dann mit Gleichgesinnten teilen, diskutieren, einordnen. Klingt alles gut, nützt euch aber gar nichts, wenn ein wissenschaftsleugnender Troll auf der virtuellen Bühne erscheint. Denn der ist auf einem ganz anderen Level unterwegs. Er sucht weder Austausch noch Erkenntnisgewinn. Fakten sind ihm scheißegal. Ihm geht es darum, Recht zu haben. Und dafür kämpft er mit schmutzigen Mitteln, gegen die eure Argumente keine Chance haben.

Der Troll von heute ist der Schulhofmobber von damals

Wenn es ein wissenschaftsleugnender Troll geschafft hat, euch in eine Diskussion zu verwickeln, kommen euch vermutlich zwei Ideen in den Sinn:

1. Darauf einsteigen, schließlich hat man überzeugende Fakten parat (Spoiler: das ist ein Irrtum) und

2. „Don’t feed the troll“ – Den Unruhestifter ignorieren.

Das dürfte dem Einen oder der Anderen bekannt vorkommen. Schon im Umgang mit Schulhof-Mobbern waren das zwei oft gehörte Ratschläge, sich wehren oder ignorieren. Beide Strategien haben einen Haken. Der Teufel steckt im Detail. Schauen wir uns das mal genauer an.

Nicht in die Falle tappen: Diskussion zwecklos

Warum funktioniert eine Diskussion nicht? Eine Diskussion lebt auch von der Offenheit der Gesprächspartner. Die ist hier nicht gegeben. Das Interesse des Wissenschaftsleugners ist nicht auf Erkenntnisgewinn ausgerichtet, sondern auf Manipulation durch Desinformation. Macht euch daher klar: Egal, wie gut eure Fakten sind, den Wissenschaftsverweigerer werdet ihr nicht überzeugen. Der hat sich – aus welchen Gründen auch immer – an seinem Irrglauben festgebissen.

Dann sollte man also besser seine Nerven schonen und gar nichts sagen? Kann man tun, dann trägt man aber zur false balance bei: Unsinnige bis gefährliche Minderheitenmeinungen erscheinen plötzlich weit verbreitet. Und: Je öfter geistiger Dünnpfiff wiederholt wird, desto eher halten Mitlesende ihn für wahr (Quelle: Hümmler/Schieser, 2021).

Umdenken: Konzentriert euch auf das Publikum

Also erstmal tief durchatmen. Ihr seid hier im Internet und müsst nicht sofort antworten. Checkt daher in Ruhe die Lage: Findet eure Diskussion weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, könnt ihr den Troll getreu dem Motto „one and done“ kurz in seine Schranken verweisen, zum Beispiel indem ihr seinen Kommentar ins Leere laufen lasst („Aha, danke!“) oder ihm unmissverständlich zu verstehen gebt, dass ihr kein Interesse an einer (weiteren) Diskussion mit ihm habt. Wahlweise ignoriert ihr ihn gleich. Ist jedoch ein größeres Publikum zu vermuten, gibt es noch was zu holen: Die Zielgruppe sollten an dieser Stelle die Mitlesenden, nicht der Unruhestifter sein. Hier gibt es grob zwei Strategien, um diese anzusprechen: 1. Fakten droppen und 2. Rhetorische Taschenspielertricks enttarnen. Schauen wir uns diese einmal genauer an.

Strategie 1: Droppt eure Fakten!

Der Troll produziert also inhaltlichen Bullshit und ihr bringt eure Fakten, wenn ihr euch auskennt. Aber tut dies für die Mitlesenden und rechnet nicht damit, dass der Wissenschaftsleugner sich euren Kram ansieht. Das muss er nämlich gar nicht. Ihr wollt ja in erster Linie verhindern, dass er mit seinem Getrolle Leute überzeugt. Fakten helfen nachweislich, den Einfluss des Trolls auf die breite Masse zu verringern. Eine elegante Lösung ist es, kritische Artikel und Faktenchecks als Leseempfehlung zu posten, ohne euch selbst eindeutig dazu zu positionieren (Quelle: Hümmler/Schiesser, 2021). So lassen sich Wackelkandidaten, die schon halb in die Falle des Trolls getappt sind, möglicherweise noch abholen.

Diese TOP 5 der Wissenschaftsleugnung solltet ihr kennen

Wissenschaftsleugner ticken übrigens meist gar nicht so kompliziert (ja, das überrascht nicht…), sondern kreisen grob um fünf Themen, zu denen sie ihre Shitposts raushauen:

  1. Gefahren kleinreden (z. B. durch Krankheiten)
  2. Sicherheit von Maßnahmen (z. B. Impfungen) in Frage stellen
  3. zweifelhafte Alternativen aufzeigen (z. B. Globuli)
  4. Vertrauen in Institutionen (z. B. RKI) unterwandern
  5. Effektivität von Maßnahmen (z. B. von Masken) anzweifeln.

Das verunsichert Mitlesende verständlicherweise emotional. Eure Aufgabe: Holt sie genau bei diesen Themen mit Fakten ab, wenn ihr welche parat habt. Im Idealfall seid ihr potenziellen Trollen einen Schritt voraus. Warum ist das hilfreich? Es ist ein strategischer Vorteil, wenn eure Fakten das Erste sind, womit Lesende sich beschäftigen. Erinnert ihr euch an den Senf mit der Studie, nach der Impfungen angeblich (NEIN, tun sie nicht!) Autismus (NEIN!) auslösen? Tja, die Studie war gefälscht, aber immer dann, wenn Trolle sie wieder aufwärmen, gerät das Team Wissenschaft erst einmal in die Defensive. Also, gute Vorbereitung ist Trumpf!

Strategie 2: Enttarnt die rhetorischen Taschenspielertricks des Trolls!

Kommen wir zur 2. Strategie: Macht dem Publikum klar, mit welchen fiesen Diskussionstechniken der Troll kämpft! Hier solltet ihr den Begriff PLURV kennen, der häufige rhetorische Fallen und kognitive Verzerrungen umschreibt:

P wie Pseudoexperten

„Aber Professor Bhakdi sieht das ganz anders…“ Der Troll präsentiert euch scheinbare Experten, die den kompletten wissenschaftlichen Konsens wegignorieren. Die Bedeutung dieser Gurkentruppe wird nun maximal aufgebläht – eine false balance entsteht, bei der ihr glauben sollt, beide Sichtweisen hätten gleich viele Anhänger. Dabei liegt das Verhältnis in vielen Fällen eher bei 1:99. Der Troll konstruiert hieraus aber eine 1:1-Debatte, bei der die 98 Kolleg*innen des seriösen Wissenschaftlers unsichtbar sind.

L wie Logische Trugschlüsse

Hier verdreht der Wissenschaftsverweigerer eure Argumente, um sie besser widerlegen zu können. Am bekanntesten ist der Strohmann: Seid ihr beispielsweise für Masken zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, faselt der Querdulli-Troll etwas von „Maulkorb“ und dass ihr Angsthasen am liebsten im Ganzkörperanzug vor die Tür gehen würdet. Oder er lässt eure Argumente gleich links liegen und greift euch als Person an: Ihr seid zu jung, zu alt, habt das falsche Geschlecht, whatever, deshalb habt ihr keine Ahnung (ad hominem-Angriff).

U wie Unerfüllbare Erwartungen

Der Troll formuliert seine Erwartungen so, dass eure Argumente keine Chance haben. Ein Beispiel ist ein Impfgegner, der eine 100% nebenwirkungsfreie Impfung fordert. Könnt ihr doch Beweise liefern und die Erwartungen erfüllen, werden einfach die Torpfosten verschoben und ihr müsst nachliefern: Okay, in der Pandemie sind wirklich mehr Menschen gestorben, aber war das an oder mit Corona?

R wie Rosinenpickerei

Hier schnappt sich der Troll genau die Studien oder (Pseudo-)Expertenmeinungen, die seiner Sichtweise entsprechen. Gut, 99% der Forschung besagt das Gegenteil davon, aber davon will der Faktenverweigerer nichts hören. Hat er keine Studie parat, genügt auch ein Anekdotenargument: „Aber die Tante meiner Nachbarin hatte drei Monate nach der Impfung einen Herzinfarkt“ ist eine subjektive Erfahrung, die als Gegenbeweis zur grundsätzlich sicheren Impfung herangezogen wird.

V wie Verschwörungsideologien

Jetzt wird der Aluhut ausgepackt: Hinter allem, was dem Troll nicht passt, steckt doch ein höherer Plan! Die Pharmaindustrie will uns alle krank halten und wichtiges Wissen von Bhakdi, Wodarg und Co. wird systematisch unterdrückt! Und ja, er, der Troll, ist OPFER dieser Verschwörung und wird durch die Maske in seinen Grundrechten eingeschränkt!

Wehrt euch mit diesen hilfreichen Tools

Bekennt also Farbe und werdet Wissenschaftsverweigerer-Verweigerer. Schaut mal hier, da werden die PLURV-Strategien anschaulich erklärt und ihr könnt sogar kostenfrei ein Poster davon bestellen. Auf dieser Seite gibt es praktische Grafiken, die einzelne Strategien kurz erklären – die könnt ihr direkt unter die Troll-Kommentare kopieren. Logikfehler als Teil dieser Strategien sind hier ausführlicher erklärt. Auch auf dieser Seite könnt ihr ein Poster herunterladen. Außerdem richten sich die Erklärungen der einzelnen Fehler direkt an den Gesprächspartner, dem man nur noch den Link schicken muss. Sehr praktisch, spart Zeit und Nerven.
Außerdem sind die Infos auch eine gute Gelegenheit, das eigene Verhalten zu reflektieren: Vielleicht habt ihr hier und da auch schon mit nicht ganz fairen Mitteln gekämpft und könnt eure Diskussionskultur noch verbessern?

Ihr braucht übrigens nicht beide Strategien, um erfolgreich zu sein. Eine davon reicht auch, um ein Gegengewicht gegen postfaktischen Dummfug zu setzen. Und immer daran denken: Es geht um die Mitlesenden, der Troll ist eh lost! Rechnet damit, dass er nach seiner Enttarnung bockig reagiert wie ein kleines Kind – statt drauf einzusteigen könnt ihr also getrost ignorieren, muten oder blocken.

Quellen:

Hümmler, H. G.; Schiesser, U. (2021): Fakt und Vorurteil. Kommunikation mit Esoterikern, Fanatikern und Verschwörungsgläubigen. Berlin: Springer.

Schmid, P.; Betsch, C. (2019): Effective strategies for rebutting science denialism in public discussions. Nature Human Behaviour 3, 931–939.

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