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Laschet sagte im Interview nicht „junge Frau“ – Debatte lenkt vom Inhalt ab

von | Jul 17, 2021 | Aktuelles, Analyse, Wahlkampf

Reden wir über Inhalte, nicht Versprecher

CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet löste mit einer Passage in einem TV-Interview im WDR nicht nur inhaltlich heftige Diskussionen aus. Im Gespräch über die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands mit Susanne Wieseler unterhielt man sich in der „Aktuellen Stunde“ am Donnerstagabend. Im Interview stellte Wieseler pressende Fragen an Laschet, der ja Kanzler werden möchte, besonders in Bezug auf die Klimakrise und seine Politik und die seiner Partei. Für den kritischen Journalismus wurde sie viel gelobt. Doch die inhaltlichen Aspekte kamen darin viel zu kurz, als dann fast ausschließlich über Laschets vermeintliche Formulierung „junge Frau“ diskutiert wurde. Hier der Ausschnitt:

Wie an mehreren Stellen zu sehen, scheint Laschet mehrfach der Name der Moderatorin entfallen zu sein – so auch an dieser Stelle. Einige – auch Journalist:innen, die den Abschnitt mit Untertitel versehen haben – haben hier verstanden, dass Laschet Frau Wieseler mit „Entschuldigung, junge Frau“ anspricht.

An einer anderen Stelle passierte es wieder und wurde auch angesprochen. Susanne Wieseler half ihm dann auf die Sprünge, indem sie ihren Namen noch einmal selbst erwähnte:

Er sagte nicht „junge Frau“ – bestätigen Laschet und Wieseler

Viele empfanden den Tonfall Laschets gegenüber der Journalistin Frau Wieseler herablassend und kritisieren, dass er sie despektierlich mit „junge Frau“ angesprochen haben soll, passe gut in diese Erwartungshaltung hinein. Beim genauen Hinhören wird jedoch klar, dass hier Laschet bei „Entschuldi-gung“ eine ungünstige Pause einlegte, weil ihm offenbar ihr Name entfallen war, was nach dem anstrengenden Tag sicherlich verzeihlich sein kann. Die letzte Silbe von „Entschuldigung“ klang in seinem Akzent wie „jung“, daher das Missverständnis.

https://twitter.com/astefanowitsch/status/1415922759776051201

Darin waren sich einige Kommentator:innen einig, wenn darüber auch ein großer Streit entstand. Susanne Wieseler bestätigte auch den Journalisten Feldenkirchen, der das „jung“ in „Entschuldijung“ mit dem Rheinischen erklärte. Hätte Laschet tatsächlich „Junge Frau“ gesagt, hätte er nicht nur vorher seltsamerweise noch „Entschuldi-“ gesagt, sondern auch das „e“ von „junge“ weggelassen, was es noch unwahrscheinlicher macht.

Wieseler nahm ihn in diesem Aspekt auch vorher bereits in Schutz:

Auf einer Pressekonferenz am Freitag erklärte auch Laschet, dass dieser Satz nicht gefallen sei. Eine WDR-Sprecherin hingegen teilte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit: „Die Interpretation des Gesagten überlassen wir gerne unserem Publikum.“ (Quelle).

Das lenkt aber von diesem Satz ab: „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“

Natürlich wäre eine derart herablassende und patriarchalische Anrede sehr kritikwürdig, aber da es sich hier ziemlich wahrscheinlich lediglich um ein Missverständnis handelt, lenkt die Debatte um „junge Frau“ von den eigentlichen Inhalten des Laschet-Interviews und den kritischen Fragen Frau Wieselers ab. Vor dem Interview reiste Armin Laschet nach Nordrhein-Westfalen, um sich selbst ein Bild zu machen. Medienberichten zufolge wird er kritisiert, da er angeblich ohne Absprache mit der Stadtverwaltung nach Altena reiste und dort der „BILD“ ein Interview gab, obwohl laut einem Sprecher der Besuch „Ganz bewusst ohne Medienbegleitung“ geplant gewesen sei und man in Hagen bereits 1,5 Stunden auf sein Erscheinen beim Krisenstab wartete (Quelle). Später in Hagen erklärte Laschet, das sei „keine Frage, mit der man Bilder erzeugen will“. Pikant: Laschets Medienberaterin ist Tanit Koch. Die selbe Tanit Koch, die bis 2018 noch Chefredakteurin der BILD-Zeitung war (Quelle). Neben dem „BILD“-Interview verbreitete seine Staatskanzlei eine Stunde zuvor Bilder seines Besuchs auf Twitter.

Im WDR-Interview kippte die Stimmung, als Laschet über die politische Dimension der Wetterkatastrophe sprach und ob es Konsequenzen für seine Klimapolitik gäbe, für die er von Klimaaktivist:innen schon seit längerer Zeit heftig kritisiert wird. Wieseler sprach Laschet auch auf dessen ständige Sinneswandel an. Zuerst am selben Tag(!) kritisierte Laschet die – wenig ambitionierte – EU-Klimapolitik als zu forsch (Quelle), noch vor dem WDR-Interview erklärte er mittags am selben Tag dann, es bräuchte „höheres Tempo“ beim Klimaschutz (Quelle). An der Stelle im WDR-Interview, wo viele „junge Frau“ hörten, widersprach er sich abermals als Wieseler frage: „Bedeutet das, Sie haben heute tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen (…) durch dieses Jahrhunderthochwasser?“ Laschet sagte:

„Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“

Und davon lenkt die Debatte ab.

Lob für kritische Nachfragen

Wieseler hakte weiter nach und warf dem CDU-Kandidaten vor, in der Vergangenheit die Braunkohle geschützt und den Ausbau von Windenergie verhindert zu haben. In seinem Bundesland wurden erst im Frühling Braunkohle-Tagebaue verlängert. Die Pläne wurden heftig kritisiert. Die Energieexpertin der Landtagsgrünen, Wibke Brems, bezeichnete das als „klimapolitischen Stillstand“, Greenpeace als „klimapolitisch untragbar“ und der Umweltverband BUND wird wie folgt zitiert: „Laschet hat keine hinreichende Antwort auf die Klimakrise und blockiert eine kohlefreie Zukunft“ (Quelle).

Ebenfalls erklärt der BUND in NRW, schon kleine Erfolge gegen Laschet errungen zu haben. Dessen Pläne werden als „Windkraft-Verbot“ tituliert, das 1.000 Meter Mindestabstand in gewissen Bereichen für Windräder vorsieht, was als massive Einschränkung des Windkraft-Ausbaus kritisiert wird (Quelle). Auch das CDU-Wahlprogramm wird in Sachen Klima wenig konkret. Laschet, der erklärte, er wolle den Bund regieren wie NRW, setzt sich angesichts der dortigen hohen Hürden für Windkraft und des weiteren Abbaus von Kohle starker Kritik aus, worauf ihn Wieseler auch anspricht (Quelle). Laschet winkt ab, macht Kommentator:innen zufolge dabei aber keine überzeugende Figur. Er wirke „wenig souverän“ und auf Nachfragen reagiere er „patzig“. Er beschwerte sich über einen „parteipolitischen Streit“.

Laschet behauptete auch: „Kein anderes Land geht so voran wie Nordrhein-Westfalen.“ Das stimmt allerdings ebenfalls nicht: In NRW stehen zwei der drei größten CO2-Quellen Europas, kein Bundesland erzeuge so viel Strom aus Braunkohle (Quelle). 2020 ist sogar noch ein weiteres Kohlekraftwerk ans Netz gegangen (Quelle). Das Klimaschutzgesetz wird nicht nur heftig kritisiert, weil es den Windkraftausbau massiv behindert, sondern auch, weil das geplante Versammlungsgesetz die ganze Klimabewegung „unter Generalverdacht“ stellen soll (Quelle). Am Ende sprach Laschet emotional von den Begegnungen mit den Menschen vor Ort – und ergänzte den Seitenstich: „Diese Frage ist die Wichtigste, die Sie mir gestellt haben.“

Fazit: Keine „junge Frau“, aber ungute Figur beim Interview

Es spricht außer der Möglichkeit, es subjektiv so herauszuhören, nichts dafür, dass Laschet im WDR-Interview Frau Wieseler despektierlich mit „junge Frau“ angesprochen hat. Allein deshalb lenkt die Debatte auch von den relevanten Fragen und Antworten des Interviews ab. Viel relevanter und glaubwürdiger wäre eine Kritik, die sich der völligen Unklarheit der Position Laschets in Bezug aufs Klima widmet, dessen mehrfachen kurzfristigen Wechseln der Position und der Konfrontation seiner Selbstdarstellung als Vorreiter in Klima mit den Fakten seiner Politik und den Plänen, die eine von ihm geführte Regierung hat, um Katastrophen wie derzeit, die durch die Klimakrise verstärkt werden, schneller zu bekämpfen.

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Artikelbild: Screenshot WDR

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