Die Angst vor der AfD
Viel zu oft reden wir über die „Ängste“ und „Sorgen“ der Menschen, die eine Partei wählen, in der Faschisten wie Höcke zur „Mitte der Partei“ gehören, in der Rassisten und Holocaustleugner hofert werden, Demokratiefeinde und Twitter-Trolle mit Bundestagsmandat zu finden sind. Doch die AfD ist keine Protestwähler-Partei (mehr). Wer sie jetzt noch wählt, will Rassisten wählen. Will eine Partei, die mit rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Organisationen in Verbindung steht. In der menschenverachtende Aussagen nicht zur Ächtung führen, sondern zum Erfolg.
„Wir werden sie jagen“: Die AfD will nicht, dass du diese AfD-Zitate verbreitest
Zu wenig reden wir über die Sorgen und Ängste derjenigen, die einmal unter einer möglichen „Machtergreifung“ (Gauland) der AfD zu leiden haben. Diese Ängste erzählt die Lehrerin @Jutschubu, die Sichtweise von verunsicherten Jugendlichen, die Angst vor dem Rechtsruck unserer Gesellschaft haben. Nicht wegen der Geschichte Deutschlands, sondern wegen ihrer eigenen Biographie und Herkunft. Sie möchte, dass diese Perspektive mehr Beachtung bekommt.
„Frau Jutschu, wenn die AfD regiert, werden wir dann rausgeschmissen?“
6. Stunde, Kunst, 7. Klasse Hauptschule. Es ist verhältnismäßig still und die Kinder arbeiten konzentriert.
Plötzlich fällt das Stichwort #AfD
In meiner Klasse haben 75% einen Migrationshintergrund.
„Frau Jutschu, wenn die AfD regiert, werden wir dann rausgeschmissen?“ /1
— Jutschu 🌈 (@fr_jutschu) October 29, 2019
Ich unterbreche die Kunststunde für dieses Thema. Erkläre was Koalitionen sind. Wie wahrscheinlich eine Regierung der AfD im Moment ist. Gehe die Wahlergebnisse von Thüringen durch. Erkläre Positionen der AfD und versucht meine Meinung dazu möglichst neutral zusammenzufassen. /2
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Panik bricht aus.
„Aber 24 sind voll viel!“
„Was heißt, Deutschland den Deutschen?“
„Müssen wir dann alle zurück? Oder können wir uns ein neues Land aussuchen?“
„Abee die Ausländer hier zahlen doch auch Steuern und so!“ /3
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Die Ängste sprudeln aus den Kindern heraus und werden erschreckend konkret.
„Ich bin hier geboren, aber mein Vater nicht. Er hat aber einen deutschen Pass. Muss er trotzdem gehen?“
„Wenn wie hier weg müssen, was ist dann mit unserem Haus?“
„Aber ich will doch Abi machen!“ /4
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Ich versuche zu beschwichtigen. Versuche, ihnen die Angst zu nehmen. Es ist noch lang nicht so weit. Und selbst wenn eine Partei mit der AfD koalieren sollte, selbst wenn sie die absolute Mehrheit erreichen sollte – wir wissen nicht, ob es wirklich so wird.
Es hilft nicht. /5
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Die Angst steht im Raum. Und steckt mich mit an.
Vor mir sitzen 16 Teenager und wollen von mir hören, das alles gut wird.
Und ich kann ihnen nichts versprechen.
24% sind mehr als ich je gedacht hätte. /6
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Was mir bleibt ist die Zusage, dass mir egal ist, wie „deutsch“ sie sind. Dass viele Menschen genauso denken. Dass da noch die anderen 76% sind. Dass der Staat sich auch schützen kann.
Es fühlt sich wie ein Trostpflaster an. /7
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Nach dem Klingeln steht ein Mädchen an meinem Tisch.
„Was kann ich tun, damit das nicht passiert? Wir müssen doch irgendwas tun!“ /8
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Ich verweise auf Demonstrationen und Information an Erwachsene. Erinnere an FFF. Versuche erneut, zu beruhigen.
Im Moment seid ihr sicher. Noch ist es nicht soweit. Ich glaube immer noch daran, dass es nicht dazu kommt.
Wir werden weiter im Unterricht darüber sprechen. /9
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Ich bleibe zurück mit einem miesen Gefühl im Magen.
War ich zu parteiisch? Zu persönlich? Zu neutral?
Habe ich etwas falsches gesagt?
Habe ich Angst geschürt, statt sie zu lindern?
Und…
Was ist, wenn die Angst berechtigt ist?
Auch das ist #Lehrerleben
— Jutschu (@jutschubu) October 29, 2019
Die Reaktionen danach
Die Lehrerin, die um die Sicherheit ihrer Schüler*innen besorgt ist, will anonym bleiben. Die positiven Reaktionen auf ihren Thread las sie ihnen jedoch vor, weil sie merkte, mit dem Thread einen Nerv getroffen zu haben. „Es gibt viele Menschen, die hinter den Kindern stehen. Die ihnen alles Gute wünschen. Viele, die von ihren Sorgen berührt und betroffen waren.“ Sie hat mit den Kindern über Rechte und Gesetze gesprochen und wird in Zukunft mehr mit ihnen über Programme, Gesetze und Demokratie sprechen. Die Kinder seien begierig, etwas zu tun.
„Ich habe den Kindern auch gesagt, dass sie auch bei sich anfangen müssen. Dass auch ihre Streitigkeiten Teil des Problems sind. Und zum ersten Mal gab es keine Proteste oder Ausreden. Kein „Aber der/die hat angefangen!““ Und zum Abschluss ein Danke an alle, die zeigen, dass der Rechtsruck des politischen Klimas nicht die demokratische Mehrheit betrifft: „Ihr habt auch den Kindern gut getan. Sie sind nicht alleine. Wir stehen zusammen.“
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