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Warum das Böllerverbot die logische Entscheidung ist

von | Dez 28, 2019 | Aktuelles, Kommentar

SILVESTER WIRD ES WIEDER RICHTIG KNALLEN

Feuerwerk, Raketen und Böller gehören für die meisten Menschen in Deutschland zu Silvester dazu wie Geschenke an Weihnachten und Pommes zur Currywurst. Was schillernd am Himmel funkelt oder knallt, ist jedoch leider überhaupt nicht unproblematisch, wie die meisten von uns ja mittlerweile durchaus wissen. Betrachten wir das Böllerverbot einmal, wie bei ja Feuerwerk üblich, aus vielen verschiedenen Perspektiven.

DIE HISTORIE

Feuerwerk stammt ursprünglich aus China, wo bereits seit dem 9. Jh. eine hochexplosive Mischung zum Einsatz kommt, die heute unter dem Namen Schwarzpulver bekannt ist und zum Teil auch immer noch grob die gleichen Stoffe enthält: Salpeter, Schwefel und Holzkohle.

CHINA, ITALIEN, JAPAN

Die ersten größeren Feuerwerke gab es wahrscheinlich in China während der Song-Dynastie (960–1270). Sie zeichneten sich nicht durch Licht-, sondern durch Knalleffekte aus. Im späten 14. Jahrhundert entwickelte sich in Italien (erste Nennung in Vicenza, 1379) aus dem Gebrauch des Schwarzpulvers eine eigenständige Feuerwerkskunst, die sich dann in ganz Europa verbreitete und insbesondere in Japan und dort hauptsächlich in religiösem Charakter weiterentwickelt wurde (Quelle).



PRESTIGEOBJEKT FEUERWERK

Im Barockzeitalter dienten dann große und pompöse Feuerwerke dem Adel als Demonstration von Macht und Reichtum, Schwarzpulver wurde jetzt zur Unterhaltung eingesetzt, lange Zeit galt es fast ausschließlich militärischen Zwecken.

DAS 20. JAHRHUNDERT

Erst um das 20. Jh. herum gründeten sich in Deutschland Feuerwerksfabriken für den privaten Konsum. Feuerwerk wurde auch für das Volk erschwinglich und es entstand der Brauch, die Tradition, die wir alle kennen, die bösen Geister des Vorjahres an Silvester zu vertreiben und mit guten Vorsätzen, vielen Freunden und viel Alkohol neu und frisch zu starten. Tabula Rasa quasi.

AKTUELLE SITUATION

Nun leben wir an der Schwelle zu 2020 und haben dringend notwendige gesellschaftliche Debatten um unsere Umwelt. Wir wissen, dass wir etwas ändern müssen, um langfristig auf dieser Erde zu überleben. Seit Tagen böllert es an vielen Ecken im Minutentakt.

Schauen wir doch einmal kritisch und sachlich auf das Feuerwerk auf das FÜR und das WIDER von privatem Feuerwerk. Ist dies noch zeitgemäß oder halt ein überflüssiges Relikt aus dem 20. Jh.?

PRO FEUERWERK

 

Gesammelte Argumente

Es sieht toll aus. Es ist „Tradition“, um böse Geister zu vertreiben oder auch „Es ist ein Stück persönliche Freiheit“. Eine kleine Industrie in Deutschland lebt davon (Einer von 3 „deutschen“ Herstellern produziert noch teilweise in Deutschland (Weco), Quelle).

 

Pro BÖLLERVERBOT

 

Feuerwerksindustrie

97% des Feuerwerks weltweit werden in Indien und China unter kritischen Bedingungen produziert, es gibt Fälle von Kinderarbeit, die nur mangelhafter Kontrolle unterliegt. Soziale und gesundheitliche Bedingungen dieser Arbeitsplätze sind katastrophal, schwerwiegende Unglücke und größere Katastrophen im Umfeld der Feuerwerksfabriken sind an der Tagesordnung.

Auch gar nicht so fern, in Enschede in den Niederlanden sahen wir im Jahr 2000, wie gefährlich dieser Wirtschaftszweig ist, als auch in Europa ein Werk explodierte und viele in den Tod riss (Quelle, Quelle).

Feinstaub

Wir können es meiner Meinung nach nicht verantworten, einen zweistelligen prozentualen Anteil unserer Feinstaubelastung alleine an einem Tag im Jahr zu erzeugen, das ist Irrsinn (Quelle, Quelle).

Müll

Es entstehen Tonnen von Müll, der noch Wochen später unsere Umwelt verschmutzt und teilweise in Parks und an Waldrändern sein trübes Dasein fristet, weil leider auch der Müll einfach auf den Straßen stehengelassen und teils auch langsam in die Kanalisation weggespült wird. (Stichwort aber auch : Fallout, also alles das, was vom Himmel fällt).

Wild- und Haustiere

Uns dürfte allen bewusst sein, was diese Knallerei den Tieren antut, jede* wird schon einmal verängstigte, in Panik geratende Tiere an Silvester gesehen haben. Schwere Traumata, Todesangst- und auch Todesfälle sind hier leider keine Seltenheit, sei es zuhause oder in der Wildnis.

Lärm

Der Lärmpegel ist enorm, gerade bei Böllern – explodieren sie im nahen Umfeld, sind Knalltraumata bei Mensch und Tier keine Seltenheit. Damit kommen wir zum nächsten Thema.

Verletzungen

Abgesprengte Gliedmaßen, der Verlust des Hörsinns oder Augenlichts sind nur einige der Unglücke, die in den Feuerwehr- und Rettungsdienststatistiken jedes Jahr auftauchen. Rettungsdienste und Feuerwehr sind in unermüdlichem Einsatz, hier zu helfen und werden teilweise noch aus Spaß mit Feuerwerk attackiert (Quelle).

Finanzen

Jede*10. In Deutschland gibt mehr als EUR 50 pro Jahr für Feuerwerk aus. Die Branche macht rund um Silvester in Deutschland ca. 135 Mio € Umsatz mit Feuerwerksartikeln (Quelle).



FAZIT:

Wir schaden unserer Umwelt, Mensch und Tier rund um einen Tag unverhältnismäßig und für das ganze Jahr – für ein paar Minuten Spaß. Ist es das wert? Ich sage: Nein.

Ja, Feuerwerke sehen toll aus (professionelle schöner als private), aber wollen wir wirklich für den kurzen Genuss eines schlechten privaten Feuerwerks so immens viel Schaden in Kauf nehmen (Mehr dazu)?

Es wird nicht nur ca. 14 Tage rund um Silvester (gesetzliche Einschränkungen scheinen irrelevant zu sein) geböllert, sondern auch insbesondere an Silvester, oft unter Alkoholeinfluss mit gefährlichen Substanzen herumexperimentiert, um manchmal ein, zugegebenermaßen nur einigermaßen schönes Feuerwerk zu erzeugen.

Unabhängig von den Kosten für das, bereits defizitäre Gesundheitssystem, wäre es nicht moralisch und ethisch eine bessere Hausnummer das Geld anders zu nutzen? 135 Mio. Euro, damit könnte man schon einiges bewegen.

57% BEFÜRWORTEN EIN VERBOT

Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger spricht sich aus Umwelt- und Sicherheitsgründen für ein Böllerverbot zu Silvester aus. Laut einer repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinsituts YouGov für das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ befürworten 57 Prozent ein Verbot. 36 Prozent sprechen sich dagegen aus, sieben Prozent sind unschlüssig.

Zuletzt hatte sich auch im Handel im Zuge der Klimadebatte ein Umdenken angedeutet.

Dies sah in den letzten Jahren noch etwas anders aus, die generelle Umweltdebatte und Fridays for Future scheinen auch hier langsam größeren Einfluss zu bekommen (Quelle, Quelle).

AFD-WÄHLER GEFANGEN IN DER LOGIKFALLE

Oft hören wir von AfD-Wählern, dass wir uns ja mehr um unsere flaschensammelnden Rentner oder Obdachlosen kümmern sollten. Hey, hier wäre eine großartige Chance!

Stattdessen ist insbesondere und ausgerechnet in dieser Wählerschicht die Ablehnung eines Verbots von privatem Feuerwerk mit ca. 60% am größten. Geld „verpulvern“ ja, helfen nein.

REGIONALE UNTERSCHIEDE

Die Industrie weltweit werden wir nicht so schnell ändern, unser Verhalten zu ändern ist ein leichtes. Wusstet ihr, dass wir zu den wenigen Ländern gehören, die privates Feuerwerk in diesem Umfang überhaupt noch zulassen?

Auch regional in Deutschland tut sich einiges. Oft ist die Brandgefahr ein valider Punkt, auch die Feuerwehr wird euch danken, sie sind auch so gut ausgelastet (Quelle).

PYROTECHNIK UND MARKETING

Wie wäre es mit Feuerwerk von Profis? Es sieht nicht nur besser aus, es wäre besser für alle direkten und indirekten Beteiligten, Sicherheit gewährleistet, Schäden in der Umwelt minimiert.

Zentrale Feuerwerke auf zentralen Plätzen in größeren Städten. Es könnten sogar eine Menge Menschen mitfeiern, die sonst mitten im Einsatz um die Gesundheit derer sind, die Silvester zu Opfern werden.

Und hier rede ich nicht von der krassen Feinstaubbelastung oder von Jugendlichen, die sich aus Spaß Straßenkämpfe mit Böllern und Raketen liefern (Quelle).

LOKALE EVENTS/TOURISMUS

Jede Stadt könnte sich sogar selbst inszenieren, musikalisch untermalen, mit Laser ergänzen, ein riesiges Event draus machen. Schaut euch einmal Sydney an.

Ist es nicht toll, was dort jedes Jahr auf die Beine gestellt wird? (edit: aus aktuellem Anlass hätte allerdings jede* eine Absage verstehen können, denke ich.)

Die Industrie könnte eingebunden werden, hier müsste niemand in Deutschland um seinen Arbeitsplatz fürchten (Quelle).

Auch in Deutschland ist der „Rhein in Flammen“ ja seit Jahrzehnten ein riesiges Event und überregional berühmt, zieht jedes Jahr viele zig tausend Menschen als absoluter Publikumsmagnet an.

Ein Verbot würde die oben genannten Probleme, ähnlich wie Großfeuerwerke zwar nicht vollumfänglich und von Zauberhand lösen, aber eine Menge schon ad hoc und ohne wirklichen Verlust von „Lebensqualität“ oder „persönlicher Freiheit“. Wenn schon Feuerwerk nötig sein soll, dann bitte so. Am Geld sollte es nicht scheitern, hier denke ich wieder an die ca. 135 Mio.

Vielleicht könnten wir uns danach noch an den Feinschliff und kreative Ideen für eine neue Art von Jahresstart machen, ich würde es mir wünschen.

Kommt gut rüber!

Artikelbild: pixabay.com, CC0