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Der „80 %-Corona-Tote“-Fake: Häussler distanziert sich von „falscher“ WELT-Schlagzeile

von | Aug 31, 2021 | Aktuelles

WELT-Schlagzeile ist falsch!

Wieder mal sorgt die WELT-Zeitung für die Verbreitung von Desinformation rund um Corona. Das Blatt, das inzwischen bewusst versucht, irreführende Überschriften zu konstruieren, um Abo-Verkäufe im rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieu abzuschließen, hat wieder mit einer falschen Überschrift einen viralen Hit gelandet, der umgehend von Verschwörungsideolog:innen gefeiert und massiv verbreitet wurde. Dazu wurde Prof. Häussler eine Aussage in den Mund gelegt, von welcher er sich distanziert.

Diese Überschrift, die zehntausendfach durch das Netz geisterte, ist falsch und irreführend, wie der Interviewpartner der WELT Volksverpetzer gegenüber selbst bestätigte. Auf Anfrage erklärte Prof. Bertram Häussler, dem diese Falschaussage wohl in den Mund gelegt werden soll:

„Die Überschrift über dem Artikel in dem von Ihnen zitierten Wortlaut wurde von der WELT verfasst und ohne unser Wissen veröffentlicht.“ Die Überschrift des Artikels der WELT sei „in ihrer Allgemeinheit falsch und würde von uns niemals so vertreten werden.“

Hinter einer Paywall wurde von WELT ein Artikel veröffentlicht mit der falschen Überschrift „Corona bei 80 Prozent der offiziellen Covid-Toten wohl nicht Todesursache“. Das sind reine Fake News.

WELT entstellt Aussagen

Zuerst die bekannten Fakten: Der Großteil der Menschen, die mit Corona sterben, sterben auch AN Corona. Das zeigt zum Beispiel eine Analyse des Bundesverbandes der Pathologen. Diese sprachen von 86 % (Quelle). Die WELT-Überschrift, die so verkürzt nirgends gefallen ist, suggerierte genau das Gegenteil.

Im Interview stellte Häussler stattdessen folgende Spekulation auf: Mit Daten lediglich aus dem Juli und August 2021 vermutet Häussler, dass angeblich 80 % der Todesfälle mit Corona fünf Wochen nach dem Feststellen der Infektion eintraten. Er äußert die unbelegte Vermutung, dass in manchen (!) dieser Fälle nicht Corona die Todesursache gewesen sein könnte. Aus dieser bereits unbelegten Vermutung bastelte die WELT dann die völlige Falschaussage, bei der der Eindruck entsteht, es handle sich erstens um eine Tatsache und zweitens um über den gesamten Pandemie-Zeitraum.

Es wird deutlich – und ist aufgrund der Natur der Sache, dass die meisten Leser:innen lediglich Überschriften lesen, und der Artikel ohnehin hinter einer Paywall steckt – dass die meisten glauben, es gäbe einen Beleg dafür, dass es in der Pandemie insgesamt viel weniger Corona-Tote gäbe als gezählt. Das hat aber nichts mit der Realität zu tun. Und wird dennoch Zehntausende Male geteilt und kann verheerenden Schaden anrichten. Dazu aber später mehr.

Spekulation von Häussler aber zweifelhaft

Aus drei Gründen gibt es allerdings auch Zweifel an den Ergebnissen von Herrn Häussler, die sich auf den Juli 2021 beziehen:

Herr Prof. Häussler verwendet erstens den Zeitpunkt, in dem ein neuer Todesfall in der RKI-Statistik auftaucht, als „Todeszeitpunkt“ und vergleicht dies dann mit dem „Erkrankungsbeginn“/ „Meldedatum“. Nun ist aber bekannt, dass es einen Meldeverzug geben kann zwischen dem Todesfall und dem Auftauchen in der RKI-Statistik. Dadurch kann der Todeszeitpunkt nicht sehr exakt aus der RKI-Statistik abgeleitet werden. Das RKI hätte diese Daten und wir warten dort aktuell noch auf Antwort auf unsere Anfragen.

Zweitens ist ein Verzug zwischen Infektion und Todeszeitpunkt, der 5 Wochen überschreitet, schlicht nicht ungewöhnlich. Die Behandlung von Covid-19 kann Wochen dauern, manche Menschen sterben oft erst nach Monaten.

Zur Verweildauer schrieb uns das DIVI auf Anfrage, dass „[…] das RKI die Inkubationszeit bei Covid-19, also die Zeit von Infektion bis Symptombeginn, mit etwa 5-6 Tagen angibt. Bis dann eine Aufnahme auf eine ITS erfolgt, vergehen noch einmal rund 10 Tage. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer auf den ITS liegt dann bei etwa 16 Tagen (bzw. lag zu Jahresbeginn in diesem Bereich).“ Insofern wäre also eine mittlere Dauer von vier Wochen von Infektionsbeginn bis Versterben völlig normal. Insbesondere ist die Beatmungsdauer bei den jüngeren Patient:innen, die aktuell auf Intensivstationen liegen (Quelle) (, eben weil die älteren viel häufiger geimpft sind), deutlich höher als bei Älteren, da sie diese Form der Behandlung länger überleben. Eben weil für jüngere Patient:innen – wie sie in dem von Häussler analysierten Zeitraum verstärkt betroffen sind – diese Dauer größer sein dürfte, sollte diese Erklärung berücksichtigt werden.

Fiktive und unwahrscheinliche Einzelfälle, die die Corona-Statistik infrage stellen sollen

Drittens: Gesundheitsämter erfassen Corona-Tote und übermitteln sie ans RKI. Dabei können sie grundsätzlich auch Fälle übermitteln, die nicht ursächlich an Corona, sondern nur „nach“ Corona verstorben sind. Das wird in der Praxis allerdings nur gemacht, wenn sich ein Zusammenhang mit Corona nicht ausschließen lässt. Es werden so definitiv keine Autounfälle oder dergleichen in die Statistik mit einfließen, die offensichtlich nichts mit Corona zu tun haben (Quelle, Quelle).

Häussler spekuliert aber ohne Beweisgrundlage im Interview, dass ein Herzversagen im Juli 2021 aufgrund einer Infektion aus 2020 als Corona-Toter in die Statistik eingehen könnte als Erklärung für jene 80 %. Dieser fiktive Fall ist jedoch extrem unwahrscheinlich und wird sicherlich die Statistik nicht verzerren. Als wahrscheinliche Erklärung taugt diese Erklärung keineswegs. Die Gesundheitsämter sind doch auch nicht ganz auf den Kopf gefallen.

„Es ist auch für Deutschland davon auszugehen, dass nicht jede Todesbescheinigung, auf der eine Covid-19-Erkrankung angegeben ist, auch als Covid-19-Fall in die amtliche Todesursachenstatistik einfließen wird“, erklärt Sprecher des Statistischen Bundesamtes (Quelle). Dieses fiktive Beispiel von Häussler wird in der Praxis also aussortiert. Bemerkenswert ist umgekehrt jedoch, dass Häussler wiederum die Fälle, die länger als fünf Wochen beamtet werden und dann versterben, als Einzelfälle verwirft, die nicht zu berücksichtigen seien. Obwohl Letzteres viel wahrscheinlicher ist.

Bloße Spekulation trifft WELT-Querdenken-Clickbait

Es gibt also immer noch keinen Grund anzunehmen, dass die meisten Menschen, die als Corona-Todesfälle in die Statistik eingehen, nicht auch AN Corona sterben. Prof. Häussler spekuliert einfach aufgrund von Daten aus dem Juli und August, dass alle Patient:innen, deren verzeichneter Todeszeitpunkt länger als fünf Wochen nach der verzeichneten Infektion liegt, nicht ursächlich durch das Virus verstorben sein könnten. Erklärungen, die diese Annahme stützen, sind nicht überzeugend. Um seine Aussagen zu belegen, müsste Herr Prof. Häussler konkrete Fallbeispiele nennen.

Er bringt nur ein fiktives, extrem unwahrscheinliches Beispiel und erklärt, dass das RKI mit elf Tagen zwischen Symptombeginn und Tod rechnet, eine Zahl, die mit der aktuellen Situation nicht vergleichbar ist. Die aktuelle Erklärung des DIVI, die eine mittlere Dauer von etwa 4 Wochen von Infektionsbeginn bis Tod für richtig hält, weist er ab mit der Spekulation, dass die Überlebenden sicherlich länger auf der Station lägen. Untermauert wird diese erneute Theorie allerdings wieder nicht. Konkrete Zahlen, die die Spekulationen be- oder widerlegen könnten, hat das RKI uns trotz mehrfacher Rückfrage bisher nicht genannt.

Hierbei ist übrigens auch zu berücksichtigen, dass die Daten aus dem Juli, auf die sich diese ganze Aussage bezieht, nur ein paar Dutzend Todesfälle enthalten. Und damit eine sehr geringe Zahl, die anfällig ist für statistische Ausreißer. Es sind ja eben nicht Aussagen, die auf die ganze Pandemiezeit zutreffen. Das behauptet Häussler auch nirgendwo, die WELT stellte es allerdings so dar.

WELT bastelt gezielt Desinformation über Corona

Es ist ja auch in Ordnung, dass Herr Prof. Häussler diese Daten zur Diskussion stellt, das macht Wissenschaft aus. Das RKI könnte möglicherweise für Aufklärung sorgen, wenn es denn will. Allerdings ist die WELT definitiv das falsche Medium dafür, da dort regelmäßig Fakten völlig aus dem Kontext gerissen werden und Fake News gezielt produziert werden. Bestes Beispiel ist alleine die irreführende Überschrift dieses Artikels, von der sich Häussler selbst distanzieren musste.

Die WELT ist in Sachen Corona nicht an der Wahrheit interessiert, sondern in ihrer wirtschaftlich angeschlagenen Situation und stark sinkenden Auflage (Quelle) greift sie nach jedem noch so irren Strohhalm, um Abos von Rechtsextremist:innen und „Querdenker:innen“ einzusammeln. Auch dieser Artikel wurde wieder besonders von Rechten, Rechtsextremist:innen und anderen Verschwörungsideolog:innen (wenn natürlich nicht nur) geteilt.

Beobachtungen von Volksverpetzer zeigen auch, dass „Querdenker:innen“ den Artikel sowie die falsche Überschrift massiv auf Telegram verbreitet haben, als vermeintliche Bestätigung ihres verblendeten Weltbilds. Monatelange Aufklärungsarbeit über Corona und dessen Gefahren könnten bei einigen Menschen so zunichte gemacht werden, weil ein vermeintlich seriöses Medium so eine Falschbehauptung titelt.

„Querdenker“-Fakes sind das Geschäft von WELT

Von der gleichen WELT-Autorin stammt eine weitere, massiv viral gegangene Fake News über das DIVI-Register, die enormen Anklang bei Extrermist:innen fand – und von WELT bejubelt wurde. Wir haben die Situation damals bereits analysiert:

Für seriöse Medien wäre #DIVIGate eine Katastrophe, für WELT war es ein voller Erfolg

Es ist in letzter Zeit relativ deutlich geworden, dass in der WELT-Redaktion entweder Personal sitzt, dass derartigem verschwörungsideologischen Denken anhängt oder man zynisch die teilungsfreudige Blase von Rechtsextremist:innen, Pandemie-Leugner:innen & Co. mit vermeintlicher Bestätigung ihrer wissenschaftsfeindlichen Weltanschauung bedienen will. Oder beides. Wir bei Volksverpetzer haben bereits viele Faktenchecks von fehlerhaften WELT-Artikeln machen müssen, die in das gleiche Horn bliesen wie „Querdenker:innen“. Wie hier über PCR-Tests:

WELT täuscht über Fakten zum PCR-Test – bekommt Applaus von Rechtsextremen und Querdenker:innen

Oder hier mit irreführendem „Querdenker“-Framing:

Querdenker-Framing: Wie die „WELT“ aus dem Nichts einen Skandal fabriziert

Ausführlich haben wir die wissenschaftsfeindliche Einstellung der WELT in diesem Artikel analysiert, als Dr. Drosten die Desinformations-Methoden des WELT-Chefs Poschardt angeprangerte und kritisierte.

„Verkürzung durch die Medien“: Drosten entlarvt Rhetorik von WELT-Chef Poschardt

WELT-Chef Poschardt bezeichnete Corona-Maßnahmen als „absurd“ (Quelle), er bezeichnete Wissenschaftler:innen, die NoCovid forderten, als „Panikfreunde“ (Quelle) und immer wieder bediente er das gleiche Narrativ: Wer funktionierende Maßnahmen fordert, ist verblendet, mindestens ideologisch beeinflusst, man selbst ist hingegen lediglich für „Freiheit!“ (Quelle). Aber anscheinend halt nicht für „Wissenschaft!“ Und das ist nicht alles. Wie alles andere als wissenschaftlich die Agenda der „WELT“ teilweise aussieht, konnte man im Februar bereits deutlich sehen, als der leitende Redakteur für Zeit- und Kunstgeschichte der „WELT“ Drosten als „Panikmacher“ bezeichnete und ihm glatt unterstellte „wahrscheinlich Hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen“ zu haben.

WELT gefährdet mit Desinformation Menschenleben

Das sollte eine Lehre für alle Wissenschaftler:innen sein, sich nicht von der WELT für deren skrupellose Profitmache einspannen zu lassen, die gerade jetzt vor einem Delta-Winter mit weiterhin vielen Ungeimpften für viele ihrer neuen (und alten) Leser:innen tödlich enden kann.

Artikelbild: Screenshot

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.