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Klöckner & BILD blamieren sich mit „Regenbogenportal“-Eigentor

von | Okt 13, 2022 | Aktuelles

Seit 2019 leistet das Bundesfamilienministerium über die Internetpräsenz Regenbogenportal Aufklärungsarbeit zu LGBTQ+ -Themen. In einem Beitrag der Plattform wird kurzgefasst und in besonders leicht verständlicher Sprache über sogenannte Pubertätsblocker für trans* Kinder und Jugendliche informiert. Ex-Landwirtschaftsministerin und CDU-Politikerin Julia Klöckner hat das nun völlig aus der Fassung gebracht – dabei stammt die Formulierung noch aus Zeiten der eigenen Großen Koalition. Es sind gleich drei Fails auf einmal.

Klöckners Aufregung: Reine transfeindliche Heuchelei?

Am vergangenen Mittwoch twitterte die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner einen Screenshot des Regenbogenportals, einer Informationsseite zu LGBTQ+ – Themen. „Das ist doch irre“, schreibt die CDU-Politikerin dazu, dass die Bundesregierung Pubertätsblocker „empfiehlt“. Und um auf der sicheren Seite zu sein, tippt sie noch: „Sollte das kein Fake sein“. Gegenüber der „Bild“-Zeitung holte sie weiter aus: „Pubertätsblocker sind ein großer und schwerwiegender Eingriff in die Entwicklung der Kinder. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung diese Medikamente empfiehlt wie Hustenbonbons“.

Dem Screenshot zufolge stand auf dem Infoblatt vom „Regenbogenportal“ bis vor kurzem unter anderem:

„Bist du noch sehr jung? Und bist du noch nicht in der Pubertät? Dann kannst du Pubertätsblocker nehmen. (…) So hast du mehr Zeit zum Nachdenken. Und du kannst in Ruhe überlegen: Welcher Körper passt zu mir?“

Um Kindern und Jugendlichen das Durchleben der „falschen“ Pubertät zu ersparen, werden GnRH-Analoga – besser bekannt als Pubertätsblocker – eingesetzt. Der Effekt ist reversibel. Sprich, setzt man die Medikation ab, kommen die Kinder und Jugendliche in die Pubertät.

Klar ist auch: Die Vergabe der verschreibungspflichtigen Medikamente erfolgt erst nach sorgfältiger medizinischer Indikation auf Grundlage wissenschaftlicher Leitlinien durch Fachärzt:innen. Darauf bezieht sich auch das Bundesfamilienministerium in seiner Stellungnahme und weist den Vorwurf von Christdemokratin Julia Klöckner, Pubertätsblocker zu empfehlen, entschieden zurück.

Klöckners Aufregung ist also schon für sich genommen überzogen und muss wohl als Dogwhistle an rechtes Publikum gesehen werden – auf Kosten von trans* Personen. Übrigens ist es nicht das erste Mal, dass die Christdemokratin queerfeindlich in Erscheinung tritt.

Zweiter Fail: Faktencheck lieber vorher machen!

Kritik erfährt Klöckner auch für ihre Darstellungsweise. „Unabhängig vom Inhalt: Wäre es nicht besser, zu prüfen, ob etwas ein Fake ist, bevor man es mit dem Hinweis „sollte das kein Fake sein“ verbreitet?“, gibt etwa Christopher Jähnert, SWR Korrespondent im Hauptstadtstudio, über Klöckners Einbettung des Screenshots zu bedenken:

Dritter Fail: „REgenbogenportal“ stammt noch aus CDU-Regierungszeit!

Doch das „Beste“ kommt noch: CDU-Frau Julia Klöckner versucht mit dem Screenshot von der Aufklärungsseite „Regenbogenportal“, der aktuellen Bundesregierung ohne CDU ein moralisch verwerfliches Verhalten zu unterstellen. Unabhängig davon, dass das an sich schon eine höchst fragwürdige Haltung zu grundlegenden Menschenrechten offenbart, ist es auch einfach faktisch falsch.

Nyke Slawik, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und stellvertretendes Mitglied des Familienausschusses, konterte auf Twitter, dass der Infoartikel schon seit geraumer Zeit in dieser Form im Internet zu finden sei:

Und tatsächlich: Über das Webarchiv „Wayback Machine“ lässt sich schnell herausfinden, dass eben jener Text bereits im Jahr 2020 online war – also zu einer Zeit, in der Julia Klöckner selbst Teil der Bundesregierung war.

Damit wird diese „Kritik“ also endgültig zum Fail-Bumerang. Denn selbst wenn sie angemessen wäre: Die einzige Bundesregierung, die man damit kritisieren könnte, ist die GroKo der CDU.

Das Desinformationsblatt BILD – sich für saubere Recherche mal wieder zu schade – hat Klöckners Triple-Fail und Desinformation natürlich ungeprüft übernommen.

Fazit: Dreifacher Klöckner Fail statt kritischem Take

Julia Klöckner hat also nicht etwa eine sinnvolle „Kritik“ an der aktuellen Bundesregierung und ihrer Politik verfasst, sondern sich einfach nur blamiert – und das gleich dreifach. Einmal, indem sie rechte Dogwhistles bedient und damit einer bedauerlichen CDU-Tendenz nachkommt, am rechten Rand nach Stimmen zu fischen. Dass ein Versuch, AfD-Wähler:innen „zurückzubekommen“ scheitern wird, hat die CDU also offenbar immer noch nicht gelernt:

Der zweite Fail liegt darin, dass sich die Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei so einem „krassen“ Take offenbar nicht einmal die Zeit genommen hat, nachzuprüfen, ob ihre Behauptung überhaupt der Wahrheit entspricht (und nein, „falls es kein Fake ist“ ersetzt nicht den Faktencheck). Noch peinlicher ist es für das Fake-News-Medium BILD, das ebenfalls auf Recherche verzichtet hat.

Doch erst der dritte Fail setzt dem Ganzen so richtig die Krone auf. Denn es war bereits die Große Koalition mit CDU-Beteiligung, die die Seite „Regenbogenportal“ online geschaltet hat – also nicht die Ampelkoalition oder „die bösen Grünen“, wie es auch die BILD ihren Leser:innen weismachen wollte. Klöckner wettert also gegen ein Projekt ihrer eigenen Regierung und merkt es nicht einmal.

Was lernen wir daraus? Bei aller politischer Konkurrenz im Dauer-Wahlkampfmodus und auch wenn man offenbar lieber Empörung erzeugen will, als politische Inhalte zu bringen: Immer schön die Fakten checken. Denn ohne Faktengrundlage funktioniert kein demokratischer Diskurs.

Update: Mittlerweile wurden Änderungen am Beitrag des Regenbogenportals vorgenommen. „Um Missverständnissen vorzubeugen, wurde der Text inzwischen so von der Redaktion angepasst, so dass eindeutig klar wird, dass ausschließlich Ärztinnen und Ärzte über die Notwendigkeit der Einnahme von Pubertätsblockern entscheiden“, teilte am Donnerstag das Bundesfamilienministerium mit.

Artikelbild: Michael Kappeler/dpa