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Orbán & seine deutschen Vorposten – Allianzen der Budapester Kaderschmiede MCC

von | Mai 3, 2023 | Aktuelles

Es wird angekündigt als „das besondere Gespräch“: Am 23. Juni soll auf dem Berliner Kongress „Wehrhafte Demokratie“, moderiert von dem langjährigen CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, über „Grenzen der Belastbarkeit der Gesellschaft“ diskutiert werden – mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und dem Politikwissenschaftler Werner Patzelt, fast drei Jahrzehnte an der Technischen Universität Dresden und nun verpflichtet in seiner neuen Funktion als Forschungsdirektor der ungarischen Kaderschmiede Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Brüssel.

Die Ankündigung der Veranstaltung steht weiterhin im Netz, auch nachdem Palmer – damals noch Grünen-Politiker – am vergangenen Wochenende auf einer Tagung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main penetrant das rassistische „N-Wort“ benutzte und in diesem Zusammenhang sogar den Holocaust relativierte. Hier wie dort geht es um eine Verschiebung von Diskursen nach rechts. Und es ist womöglich kein Zufall, dass Viktor Orbáns Ungarn dabei immer wieder federführend agiert.

Maaßen als Redner auf extrem rechter Konferenz

Beispiel zwei: Der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen ist für die „Conservative Political Action Conference“ (CPAC) am 4. und 5. Mai in Budapest als Redner angekündigt. Diese Konferenz unter dem Motto „Gemeinsam sind wir eine Kraft“ ist ein aus den USA exportiertes Vernetzungstreffen von Neoliberalen und extrem Rechten, Budapest ist zum zweiten Mal Ort einer Regionalkonferenz. Maaßen wird auftreten neben unter anderem dem Chef der rechtspopulistischen österreichischen FPÖ, Herbert Kickl, und dem ehemaligen tschechischen Premierminister Andrej Babiš. Hauptredner wird der ungarische Ministerpräsident Orbán sein.

Im Mai 2022 wiederum hatte sich Politikwissenschaftler Patzelt für die damals erstmals in Ungarn stattfindende CPAC verpflichten lassen, und in der Zeitung Junge Freiheit, die aus Budapest berichtete, war anschließend anerkennend zu lesen, Patzelt habe seinen Vortrag unter das Motto „Vereint stehen wir, getrennt fallen wir“ gestellt.

So fügen sich die Puzzlestücke zusammen – Ungarn biedert sich bei Rechtskonservativen und auch Rechtsradikalen an, das Land sieht sich dabei in Europa in einer zentralen Funktion. Dies geschieht mit einigem Erfolg.

„Kampf gegen grünwoke Ideologie“ – Maaßen

Maaßen, um nur ein Beispiel zu nennen, lobte im vergangenen November in einem Interview mit der Budapester Zeitung: „Für mich ist eine Reise nach Ungarn eine Reise in die Normalität, wo ich nicht gezwungen werde zu glauben, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, und wo ich als weißer deutscher Mann nicht diskriminiert und diffamiert werde.“ Unglaublich viele Deutsche würden sich „eine stärkere Rolle Ungarns in Europa beim „Kampf gegen die grünwoke Ideologie wünschen“, sagte er. Und: „Manche halten Ungarn gar für einen politischen Leuchtturm in einem Meer des politischen Wahns und der Realitätsverleugnung.

Selbstredend war dann CDU-Mitglied Patzelt im Februar wiederum gern bereit, Maaßen gegen vermeintliches „Mobbing“ zu verteidigen, als die CDU-Führung ein Parteiausschlussverfahren gegen den Ex-Geheimdienstchef ankündigte. Patzelt, regelmäßig auch Autor der Jungen Freiheit, wählte dafür diesmal das Organ der Landsmannschaft Ostpreußen, die Preußische Allgemeine Zeitung, die der Neuen Rechten zugerechnet wird. Ein Missliebiger solle vom Hof gejagt werden, beklagte Patzelt in einem Namensbeitrag.

„Keine Verleumdung, keine Wortverdreherei seitens der politischen Gegner“ sei zu dummdreist, „als dass nicht auch CDU-Anführer sie sich zu eigen machten“, beklagte Patzelt, der seit Jahren für eine deutlich rechtere Positionierung der CDU streitet. Und das selbst in Sachsen, wo der Landesverband konservativer aufgestellt ist als in anderen Bundesländern.

Das Mathias Corvinus Collegium

Eine Schlüsselrolle bei den Allianzen im Sinne Orbáns spielt das eingangs erwähnte Mathias Corvinus Collegium, zu dem seit Dezember 2020 ein Deutsch-Ungarisches Institut für europäische Zusammenarbeit gehört. Das MCC wurde zwar schon unter der Regierung von Gyula Horn gegründet, als gigantische Denkfabrik wirkliche Relevanz bekam es erst 2020, als das ungarische Parlament der privaten MCC-Stiftung zu je zehn Prozent an der Ölgesellschaft MOL und dem Pharmakonzern Gedeon Richter beteiligte. Das MCC bekam viele wertvolle Gebäude auch in der Provinz sowie auch in Nachbarländern mit ungarischen Minderheiten. Die Stiftung verfügt über ein Kapital von gut umgerechnet gut 1,5 Milliarden Euro. Bis zu 10:000 Schüler:innen sollen als Teilnehmer:innen der Kurse gewonnen werden.

In der Die Zeit hieß es im Dezember der Überschrift „Die Orbanologie“ über das MCC: „Vorsitzender der Trägerstiftung ist Balász Orbán, der zwar nicht mit Viktor Orbán verwandt ist, doch so etwas wie sein Stabschef. Hier am Mathias Corvinus Collegium wird der Orbanismus gepflegt, weiterentwickelt, und von hier aus wird er erfolgreich exportiert“. Patzelt empfand diese Kritik unangemessen. Er warf der Wochenzeitung in seinem Blog vor, mit „herabwürdigenden Deutungskunstgriffen“ erreichen zu wollen, „dass nach dem Lesen als einzig angemessene Haltung zur dargestellten Institution die naserümpfende Ablehnung gelten mag“. Im Gespräch mit dem ARD-Magazin „Kontraste“ hatte Patzelt allerdings im vergangenen Jahr zugegeben: „Von der Sache her ist es so, dass ein großer Teil der am MCC Tätigen mit Fidesz sympathisiert oder Fidesz angehört.“

„Das MCC soll dafür sorgen, dass die regierende Fidesz-Partei auch noch in 20 Jahren an der Macht ist“

Es gibt auch in Ungarn deutliche Vorbehalte gegen die Konstruktion des MCC – aber sie verpuffen in dem autoritären Land weitgehend wirkungslos. „Das MCC hat ein Vermögen geschenkt bekommen, das das Jahresbudget von allen universitären Einrichtungen in Ungarn überschreitet“, kritisiert der Budapester Journalist Zsolt Bogár. „Das ist völlig ungerecht, wenn man berücksichtigt, wie schlecht staatliche Grund- und Mittelschulen oder bestimmte staatliche Universitäten wie die Eötvös-Loránd-Universität in Budapest (ELTE) finanziert sind.“ Doch es gehe eben um ein Ziel: „Das MCC soll dafür sorgen, dass die regierende Fidesz-Partei auch noch in 20 Jahren an der Macht ist – mit der Rekrutierung und Fortbildung für Politik und Staatsdienst.“

Von der großzügigen finanziellen Ausstattung des MCC profitieren Dutzende „Visiting Fellows“ aus dem Ausland, wie die Lehrkräfte auf Zeit genannt werden. Dem Vernehmen nach wird für einen solchen Einsatz – auch Patzelt war vor seiner Berufung nach Brüssel als „Visiting Fellow“ tätig – ein Stipendium von monatlich bis zu 10.000 Euro gezahlt. Als die Sächsische Zeitung 2021 über die Berufung Patzelts nach Ungarn berichtete, skizzierte sie die Missverhältnisse:

„Die Besoldung des wissenschaftlichen Personals an den staatlichen Hochschulen ist in Ungarn nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ,im europäischen Vergleich äußerst gering‘. Dozenten verdienten rund 840 Euro im Monat. Der Sächsischen Zeitung liegt der Einkommensnachweis einer promovierten Wissenschaftlerin vor, die Vollzeit an der größten staatlichen Hochschule Ungarns arbeitet, an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Ihr Monatslohn beträgt umgerechnet 590 Euro.“

50 „Visiting Fellows“ am MCC, 49 Männer und eine Frau

Der Homepage des MCC zufolge gab es bisher 50 „Visiting Fellows“ am MCC, 49 Männer und eine Frau. Regelmäßig sind darunter auch Wissenschaftler aus Deutschland, die dann wohlwollend über die Verhältnisse in Ungarn sprechen. Etwa Holm Putzke, Strafrechtsprofessor an der Universität Passau, der 2021 nach seinem Ungarn-Aufenthalt im Podcast des MCC beklagte, dass an vielen Universitäten in Deutschland und auch den USA über Themen wie Migration, Islam oder Feminismus nicht mehr offen gesprochen werden könne. „Besonders heftig“ seien die Einschränkungen „in unserer Hauptstadt Berlin“ an der Humboldt-Universität und der Freien Universität. Dagegen lobte Putzke die „offenen Diskurse“ am MCC. Er bezweifelte, dass die Medien in Deutschland ein realistisches Bild von Ungarn zeichnen.

Oder Heinz Theisen, Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln. Er sagt auf Anfrage über das MCC, die Studierenden seien nicht nach Meinung, sondern nach Eignung ausgewählt. „Insofern sitzen Orbán-Befürworter und -Gegner selbstverständlich in einem Seminar. Generell herrschen hier, anders als an deutschen Hochschulen, Offenheit und Neugier vor.“ Am Rande seines Budapest-Aufenthalts 2023 schrieb er in der Budapester Zeitung, im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sei zwar Russland „der Täter“, der Westen aber „der Verursacher“. Wer eine Kapitulation Russlands in der Ukraine oder auch nur die Aufgabe der eroberten Territorien fordere, habe „den Boden geopolitischen und realistischen Denkens verlassen“.

gesichert rechtsextrem und „offenes Diskussionsklima“?

Auch der Chemnitzer Historiker Frank-Lothar Kroll, der in diesem Jahr „Visiting Fellow“ am MCC war, schwärmt: „Es herrscht ein erstaunlich offenes Diskussionsklima, auch und gerade unter den Studierenden.“ Diese seien „aufgeweckt und erfreulich kritisch“. Sie hätten „unterschiedliche politische Ansichten, viele sind durchaus Orbán-kritisch, aber alle lieben ihr Land und möchten es in Europa besser verstanden wissen.“

In der Budapester Zeitung beklagt er dagegen die Lage in Deutschland. Dort gebe es einen merkwürdigen und verhängnisvollen „Hang zur Bilderstürmerei“, in der Berliner Republik würden „ganze Geschichtslandschaften der Entsorgung zugunsten gegenwartspolitischer Trends“ überantwortet.

Was Kroll selbst unter „offenem Diskussionsklima“ versteht, dafür lohnt ein Blick in die Archive: 2012 trat Kroll an dem inzwischen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften „Institut für Staatspolitik“ auf und sprach über den „Mythos von Friedrich dem Großen“. Im selben Jahr war Kroll beteiligt an der Organisation einer Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau – neben ihm sprachen dort unter anderem der „Großmeister der russischen Neuen Rechten“ (taz), Alexander Dugin, und der sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU).

„rechtsreaktionäre Kaderschmiede“

Für die Konfliktforscherin Annika Brockschmidt ist es eindeutig: Das MCC sei eine „rechtsreaktionäre Kaderschmiede“, anerkannte Wissenschaftler würde man dort vergeblich suchen, sagt sie. „Stattdessen geben sich die Vordenker der Neuen Rechten dort die Hand.“ Theisen und Kroll erwähnt sie als Mitglieder des „Netzwerks für Wissenschaftsfreiheit“, dessen Mitglieder wiederholt rassistische, homophobe und rechte „Kulturkampf“-Thesen verbreiten würden.

„Wer als Fellow an das von Orbán finanzierte MCC geht, wo die internationale Rechte ein und aus geht, der positioniert sich politisch eindeutig.“ Brockschmidt sagt weiter: „Die Einbindung deutscher rechts-offener Wissenschaftler in internationale Netzwerke der Neuen Rechten – dazu gehört das MCC – ist die logische Folge der zunehmend stärkeren Vernetzung rechtskonservativer und reaktionärer Kräfte über die eigenen Landesgrenzen hinaus.“

Kritisch beobachtet auch der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk die Aktivitäten des Mathias Corvinus Collegiums: „Orbán bringt ein Think Tank gegen Europa in Stellung und Beamte aus Deutschland, die als Professoren arbeiten, helfen ihm dabei tatkräftig. Eine unheilvolle Allianz.“

Nachtrag: Boris Palmer hat seine Teilnahme an dem eingangs erwähnten Gespräch mit Patzelt und Bosbach auf dem Kongress „Wehrhafte Demokratie“ abgesagt. Eine Ausladung gab es nicht. Zu den Gründen teilt der Veranstalter Oliver Lorenz auf Anfrage mit: „Guten Tag Herr Meisner, Sie haben doch sicher auch gelesen, dass Herr Palmer offiziell angekündigt hat, den GESAMTEN Juni eine Auszeit zu nehmen und keine Termine wahrnehmen wird? Nur das ist der Grund.“

Artikelbild: Gints Ivuskans; Korzonora, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons