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Die rechte Cancel Culture schlägt zu: 8 aktuelle Beispiele

von | Feb 3, 2024 | Aktuelles

Bundesweit sind in den letzten Wochen über 2,5 Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen, wahrscheinlich nochmal deutlich mehr, da weitere Hunderttausende demonstrieren, während wir diesen Artikel schreiben. Die rechtsextreme AfD verliert in Umfragen aktuell so stark wie seit Jahren nicht mehr. Rechtsradikale und Rechtsextreme geraten deshalb gerade spürbar in Panik. Das zeigt sich auch daran, dass von der extremen Rechten zuletzt noch stärker Cancel Culture betrieben wurde. Wir haben einige aktuelle Beispiele gesammelt – auch als Mahnung, mit welchen Mitteln Rechtsextreme versuchen, die demokratische Zivilgesellschaft zu unterdrücken.

Causa Edeka Simmel: Rechte canceln pro-Demokratie-Werbung

„Für Demokratie, gegen Nazis“ – dieses Statement erscheint eigentlich ziemlich unkontrovers. Das dachte sich auch die Kette Simmel, ein regionaler Edeka-Ableger in Sachsen, Thüringen sowie Bayern und druckte diesen Spruch in ein aktuelles Werbeprospekt. Doch es folgte ein rechter Shitstorm, infolgedessen sich Peter Simmel, der Geschäftsführer, persönlich distanzierte und die Werbung zurückzog. Rechte Einschüchterung und Cancel Culture setzt sich durch – wie konnte das passieren?

Naja, so genau kann Simmel selbst das auch nicht erklären. Aber offenbar hatten sich einige vom Label „Nazis“ angesprochen gefühlt, die eigentlich keine Nazis sein wollen. Und diese kognitive Dissonanz ist jetzt irgendwie die Schuld von – Edeka? Niemand von unserer Redaktion ist tief genug in den rechten Telegram-Echokammern drin, um zu verstehen, wer jetzt genau ein Problem damit hat, für Demokratie und gegen Nazis zu sein.

Jedenfalls hatte die Aktion Erfolg – Simmel zeigte sich eingeschüchtert und zog das Statement zurück. Offenbar ist der Einfluss Rechtsextremer auf den Diskurs in Deutschland so groß, dass „Für Demokratie – gegen Nazis“ schon als zu riskantes Statement wahrgenommen wird.

Vogtland-AfD will Theater wegen Demo-Support canceln

Besonders stark fühlte sich die AfD offenbar im ländlichen Raum in Ostdeutschland. Umso bitterer muss dann das Erwachen gewesen sein, als zum Beispiel in Plauen im sächsischen Vogtland 1.800 Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gingen und sogar 4.000 im nahegelegenen Zwickau. Das war aus Sicht der demokratischen Zivilgesellschaft ein besonders wichtiges Signal, da es ausgerechnet im Theater Plauen-Zwickau erst im vergangenen Sommer einen Vorfall rechter Cancel Culture gegeben hatte. Damals hatte die rechtsextreme AfD gemeinsam mit CDU und FDP einen Sprechzwang gegen das Theater durchgesetzt. Diesem wurde per Stadtratsbeschluss verboten, in seinem Spielplan zu gendern.

Die Verantwortlichen zeigten sich damals schon unbeeindruckt von diesem ideologisch motivierten Eingriff in die Kunstfreiheit. Und so unterstützte das Theater Plauen-Zwickau nun am vergangenen Wochenende auch die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Natürlich fühlte die AfD sich angesprochen – sie ist in Sachsen ja auch eine gesichert rechtsextremistische Partei. Also veröffentlichte der lokale Parteiverband, die AfD Vogtland, ein Statement, in dem sie dem Theater quasi ein Ultimatum stellten: Nach der nächsten Kommunalwahl in diesem Jahr muss es sich komplett aus der Politik heraushalten – oder der Geldhahn wird zugedreht.

Auch wenn die Lage für die ostdeutsche Kulturszene schon seit Jahren schwierig ist, würde eine solche Maßnahme die Rückkehr zu Zuständen bedeuten, die seit dem Ende der DDR nicht mehr denkbar waren: Die Kommunalpolitik um die rechtsextreme AfD könnte dann entscheiden, welche Positionen das Theater einnehmen darf und welche „zu politisch“ wären. Ein weiteres Beispiel, wodurch erkennbar wird, wie rechte Cancel Culture auch auf kommunaler Ebene verheerende Auswirkungen hat.

Einschüchterungsversuche am Rande der Demos

Zum Teil wurden aber auch die Demonstrationen selbst Ziel rechter Einschüchterungsversuche. Während rechte Störer:innen zwischen Zehntausenden (oder mehr) in den Großstädten in der Regel untergehen, können sie auf kleineren Demonstrationen spürbar schaden. Hier ein paar Beispiele:

Im ostsächsischen Bautzen versuchten Gruppen stadtbekannter Rechtsextremer, die 1.500 Demonstrierenden einzuschüchtern. Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit gelang das nicht im großen Stil. Allerdings gibt es Berichte über einzelne körperliche Angriffe.

In Tangerhütte in Sachsen-Anhalt gab es Störungsversuche durch Rechtsextreme. Im Vorfeld der Demo gab es demnach bereits Drohungen. Laut Augenzeugenberichten war unter den Störer:innen neben einem ex-NPD-Mann auch ein AfD-Politiker.

In Aue-Bad Schlema im sächsischen Erzgebirge wird am morgigen Sonntag für Demokratie und Menschlichkeit demonstriert. Im Telegramkanal „Freies Erzgebirge“, der der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ zuzuordnen ist, wurde dazu aufgerufen, die Demo zu stören. Ob es tatsächlich zu ähnlichen Szenen kommt, wie in Tangerhütte, bleib abzuwarten. Vom Ort der Kundgebung ist es nur eine halbe Stunde mit dem Auto bis zum Theater Plauen-Zwickau.

Rechte Einschüchterung ist weder neu noch selten

Auch wenn sich diese Berichte in letzter Zeit häufen und vor allem im ländlichen Raum in Ostdeutschland auftreten, wo die AfD teils schon kommunale Spitzenämter besetzt, wäre es ein Fehler zu glauben, dieses Problem sei neu oder auf Ostdeutschland begrenzt. In anderen Teilen Deutschlands ist es ebenfalls Strategie der Rechtsextremen, die demokratisch aktive Zivilgesellschaft einzuschüchtern und zu canceln, wo es nur geht.

So drohte die AfD der Berliner Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) mit einer Klage – ihr Vergehen: Sie hatte zu einer Demo aufgerufen. Dem Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn wollte die rechtsextreme Partei direkt per Eilantrag verbieten, „Keine Stimme den Rechtsextremisten“ zu fordern. Und in Hessen scheiterte die AfD erst kürzlich mit dem Versuch, Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) eine kritische Äußerung zur Partei zu verbieten.

Fazit: Rechte Cancel Culture trifft die ganze Demokratie – doch diese wehrt sich

Ein Theater in Plauen, eine Senatorin in Berlin, Bautzen, Freiburg, Tangerhütte, Hessen oder gleich eine ganze Edeka-Kette: So vielfältig wie die Bundesrepublik, so vielfältig sind auch die Opfer rechter Cancel Culture. Wir haben hier nur einzelne Beispiele herausgesucht – es passiert leider regelmäßig.

Millionen Menschen zeigen aktuell auf der Straße und im Netz, dass die AfD keine Mehrheit und erst recht nicht „das Volk“ vertritt. Das ist ein starkes Zeichen der Zivilgesellschaft. Dennoch sollten wir die Bedrohung durch rechte Cancel Culture ernst nehmen. Denn auch wenn Rechtsextreme es hoffentlich niemals schaffen, die Macht zu übernehmen – auf kommunaler Ebene zerstören sie die Grundlagen unserer Demokratie. „Für Demokratie – Gegen Nazis“ sollte ein Statement sein, für das man nirgendwo in Deutschland gecancelt wird.

Artikelbild: canva.com / Screenshots twitter.com