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Mit Stasi-Keule gegen Grüne: Wie die neue Meldestelle Antifeminismus attackiert wird

von | Feb 17, 2023 | Aktuelles

Väterrechtlern gefällt das: Mit einer üblen Polemik heizte Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und in diesem Amt zuständig für Familie und Kultur, die Stimmungsmache gegen die neue Meldestelle Antifeminismus an. Gestartet Anfang Februar, organisiert von der Amadeu-Antonio-Stiftung und mit mehr als 130.000 Euro finanziell unterstützt vom Bundesfamilienministerium, können auf der Internetseite www.antifeminismus-melden.de Erfahrungen mit antifeministischen Angriffen und Vorfällen gemeldet werden.

Das ist – so argumentieren die Initiator:innen – bitter nötig. Bär aber spricht vom „Petz-Portal“ und nennt die Meldestelle ein „Armutszeugnis für die grüne Familienministerin“ und einen „Witz im Kampf gegen Hass und Hetze in diesem Land. Die CSU-Politikerin zieht sogar unter Hinweis auf Anetta Kahane, die frühere Chefin der Amadeu-Antonio-Stiftung, einen direkten Bezug zum Überwachungsapparat des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit:

„Sexismus, Anfeindungen gegen Frauen, menschenfeindliche Angriffe, all das geht natürlich gar nicht“, gibt die CSU-Politikerin zu. Um dann anzufügen: „Aber mit Steuergeldern eine Stiftung zu stärken, die eine Meldestelle zum Denunzieren und Diffamieren betreibt, und die zudem über 20 Jahre von einer ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiterin der Stasi geführt wurde, geht noch weniger.“

stasi-Keule

Markus Witt, Bundesvorstandsmitglied des Vereins „Väteraufbruch für Kinder“, feiert den Kommentar Bärs: „Endlich werden die Förderstrukturen des Bundesfamilienministeriums unter die Lupe genommen“, sagt er. Und Michael Klein, Psychologe aus Köln und selbsternannter „Männerexperte“, twittert: „Eine selbstbewusste und starke Demokratie braucht solche Meldestellen nicht. Dies fördert Denunziantentum, Cliquenherrschaft, Misstrauen und Hass. Verbrechen werden durch das Justizsystem verfolgt. Andere Meinungen sollten toleriert und diskutiert werden.“

Frauenhass tolerieren, diskutieren? Hm. Der Vollständigkeit halber muss angeführt werden, dass auch René Pfister in seiner Kolumne für den „Spiegel“ kräftig dabei mitwirkte, das neue Paus-Vorhaben zu diskreditieren. Es wäre „ein Irrtum anzunehmen, bei dem Projekt ginge es vor allem darum, Frauen zu helfen, die unter einem gewalttätigen Ehemann oder einem übergriffigen Chef litten“, schrieb Pfister unter der Überschrift „Schöner petzen mit Lisa Paus“.

Causa Kahane

Auch er verzichtete nicht auf einen Hinweis auf die frühere Stasi-Tätigkeit der ehemaligen Stiftungs-Chefin – als ob es darum ginge, die Amadeu-Antonio-Stiftung als Ganzes aus dem Feld der Arbeit gegen Hass-Kampagnen zu drängen. Das Bundesfamilienministerium könnte aus politischen Gründen ein Interesse daran haben, (…) bestimmte Meinungen an den Pranger zu stellen, um seine Ministeriumsprojekte durchzusetzen“, orakelt der „Spiegel“-Autor. „Denken Sie ab sofort also lieber zweimal nach, bevor Sie Gendersterne oder Initiativen der Ministerin kritisieren.“

Zur Ehrenrettung von Kahane, die von 1974 bis 1982 Stasi-IM war, lassen sich Argumente des Potsdamer Historikers Jens Gieseke anführen. Er sprach schon vor Jahren von einem generellen Problem der Stasi-Debatte in den Medien, und zitierte seinen Historiker-Kollegen Ilko-Sascha Kowalczuk, der schon 2012 treffend gesagt habe: „Kaum ein Mensch war immer und zeitlebens IM, fast niemand war nur IM – das Label IM hat einen Personentyp seit 1990 konstruiert, der lebensfremd und ahistorisch ist (…). Deshalb gilt es (…), die gesamte Persönlichkeit in den Blick zu nehmen und nicht nur den zumeist schmalen Ausschnitt, der sich mit ‚IM’ kategorisieren lässt.“ Und ohnehin kann die Angelegenheit als historisch angesehen werden, wenn es um die Bewertung der Arbeit der Stiftung geht: Im März 2022 gab Kahane den Stiftungsvorsitz ab.

Hass gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung

Und zur Ehrenrettung der Amadeu-Antonio-Stiftung muss gesagt werden, dass sie sich seit vielen Jahren mit Erfolg gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert. Seit Jahren wird sie deshalb selbst unter Beschuss genommen, unter anderem mit dem Vorwurf, sie würde die Meinungsfreiheit einschränken. Die Reaktionen: Gewaltaufrufe, Morddrohungen, Hunderte von Hass-Attacken gegen die Stiftung in Mails und in den sozialen Netzwerken.

Dass nun Argumente wie „Pranger“, „Denunziation“ und „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ wieder auftauchen, kann als Beleg dafür gelten, dass geschlechtsspezifische Gewalt und Hass gegen Frauen als aktuell drängende gesellschaftliche Probleme unterschätzt und verharmlost werden.

Nach Angaben der Amadeu-Antonio-Stiftung ist zwar die polizeiliche Erfassung von Straftaten zum 1. Januar 2022 durch das Unterthema „frauenfeindlich“ ergänzt worden, doch viele Vorfälle würden nicht als antifeministisch erkannt und bisher nicht systematisch erfasst, auch weil viele unterhalb der Strafbarkeitsgrenze lägen. Mit der Meldestelle solle dieses Dunkelfeld erhellt werden. Die Stiftung verweist unter anderem auf die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2022. Demnach hat jeder dritte Mann (33 Prozent) und jede fünfte Frau (19 Prozent) in Deutschland ein geschlossen antifeministisches Weltbild.

stiftung weist „irreführende Behauptungen“ zurück

Die Stiftung weist die Vorwürfe gegen die neue Meldestelle zurück als „irreführende Behauptungen“. Es würden keine Daten von mutmaßlichen Täter:innen gesammelt, die Meldestelle sei auch kein Pranger, sondern eine „Anlaufstelle für Betroffene“. Die Amadeu-Antonio-Stiftung schrieb an Dorothee Bär: „Diese Verleumdung stellt die Meldestelle Antifeminismus auf eine Stufe mit den Denunziationsportalen der AfD – und das auf dem Rücken der Betroffenen.“

Hätten Sie sich die Meldestelle Antifeminismus angeschaut, wäre Ihnen aufgefallen, dass dort sogar explizit darauf hingewiesen wird, keine Klarnamen oder persönliche Daten anderer Personen mitzuteilen. Solche Daten werden anonymisiert, gelöscht und nicht veröffentlicht. Schade, dass hier offenbar Empörungs-Rhetorik wichtiger ist als die Erfahrungen und Bedürfnisse von Betroffenen. Was Sie hier als “Witz” bezeichnen, ist für Betroffene bittere Realität, vor allem wenn aus Worten Gewalttaten werden

Wir stehen gern für ein Gespräch bereit – über die Meldestelle genauso wie über die Erfahrungen der Betroffenen von Antifeminismus. Wir finden ein persönliches Gespräch zielführender als Empörung im Internet. Eine Richtigstellung Ihrerseits wäre angebracht.

Amadeu Antonio Stiftung

Ans Hartmann, die die Meldestelle leitet, nannte in einem Interview mit der „taz“ als zentrales Thema – „quasi der Dauerbrenner“ – Angriffe und Einschüchterungen auf Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Das kann Prominente betreffen oder auch Gleichstellungsbeauftragte und Lokal-Politikerinnen im ländlichen Raum. „Frauen werden fertiggemacht und haben letztendlich gar keine Lust oder sichere Möglichkeit mehr, tätig zu sein“, sagte Hartmann.

„Frauen werden fertiggemacht und haben letztendlich gar keine Lust oder sichere Möglichkeit mehr, tätig zu sein“

Ein anderes Thema für die Meldestelle ist struktureller Antifeminismus, der in den Institutionen verankert ist, beispielsweise vor Gericht, wenn es um das Umgangsrecht von Kindern geht.  

Ans Hartmann kritisiert auch die Väterrechtslobby, deren Aussagen oder Narrative „grundlegend antifeministisch“ seien. „Letztendlich sind es sehr frauenfeindliche Konzepte, die sie in die Gerichte einbringen. Beim Parental Alienation Syndrom (Eltern-Kind-Entfremdung durch manipulatives Verhalten eines Elternteils) ist schon lange bewiesen, dass es nicht in der Form existiert, in der die Väterrechtslobby es verwendet. Wenn man sieht, welche Netzwerke und Lobbyarbeit dahintersteckt und wie lange das schon betrieben wird, ist es ein klassisches antifeministisches Betätigungsfeld.“

Im Detail darf selbstredend über die Ausgestaltung der Meldestelle diskutiert werden. Ist es beispielsweise richtig, dass auch Kritik an Gesetzesformen als „antifeministischer Vorfall“ eingeordnet werden kann, weil es – so die Formulierung auf der Homepage der Stiftung – den Verdacht gibt, dahinter stehe „ein organisiertes Vorgehen bzw. eine dahinterliegende Strategie“? Im Detail musste das Bundesfamilienministerium eine eigene Klarstellung präzisieren: „Die gemeldeten Fälle werden ausnahmslos anonymisiert. TäterInnendaten werden nicht erfasst“, hieß es am Donnerstag in einem Tweet.

Und „Personen öffentlichen Interesses“?

Dem „Tagesspiegel“ teilte das Ministerium derweil auf Anfrage mit, dass zwar via Meldestelle „grundsätzlich keine Klarnamen oder Daten anderer Personen mitgeteilt werden sollen“. Allerdings gelte das nicht für „Personen öffentlichen Interesses“. Weiter teilte das Ministerium mit: „Das bedeutet, dass beispielsweise eine Organisation benannt werden kann, die eine antifeministische Demonstration organisiert, nicht aber die Namen der Teilnehmenden.“ Die Anonymität gilt also keineswegs uneingeschränkt.

Die französische Denkfabrik Fondation Jean Jaurès hat eben erst analysiert, dass die Rechte von Frauen in zahlreichen Ländern immer weiter beschnitten werden. Rechtsextreme Organisationen, fundamentalistische religiöse Bewegungen und konservative Gruppen zählen demnach zu den Kräften, die etwa das Recht auf Abtreibung oder Schulbesuch einschränkten, heißt es in dem Bericht.

erhebliche Lücken bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention

Es sind Probleme, bei denen der Fingerzeig auf das Ausland längst nicht genügt: Die Diskussionen um die Istanbul-Konvention – das 2011 ausgearbeitete Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – zeigen, wieviel Nachholbedarf Deutschland hat. Seit 2018 ist die Konvention in Deutschland in Kraft, seit ein paar Wochen gilt sie uneingeschränkt. Bloß: Es gibt nach wie vor erhebliche Lücken bei der Umsetzung. Insofern vervollständigt die Meldestelle die Umsetzung der auch von Deutschland eingegangenen Verpflichtungen. Die Angriffe jetzt aus der Union, von Väterrechtlern & Co. gegen die neue Initiative aus dem Haus von Lisa Paus sind unangemessen und leisten letztlich Frauenhass Vorschub. Die Meldestelle leistet einen Beitrag, um die Diskriminierung von Frauen zu verhindern und ihre Rechte zu stärken.

Die türkische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Nil Mutluer, Soziologin an der Universität Leipzig, sagte dem Volksverpetzer mit Blick auf die Istanbul-Konvention, Deutschland gehöre zu den Ländern, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben – und befinde sich damit in schlechter Gesellschaft unter anderem der Türkei, Polens und Ungarns. Deutschland sei „weit davon entfernt“, die Konvention vollständig umgesetzt zu haben. „Und zwar ausgerechnet dort, wo es für Betroffene – Frauen, Kinder und lgbitq+-Personen, unter ihnen überproportional viele Menschen mit Migrationshintergrund – sehr bedrohlich werden kann, etwa wenn es um Gefährdungsbeurteilungen und fehlende Schutzanordnungen geht.“ Mutluer sagt: „Gerade die Umsetzung dieser Punkte der Istanbul-Konvention könnte Leben retten.“

Meldestellen-Chefin Ans Hartmann betont: „Gewalt gegen Frauen wird gegen alle Fakten als alleiniges Problem nicht-weißer Täter dargestellt, um die rassistische Stimmung anzuheizen, um Einfluss auf Migrations- und Asylpolitik zu nehmen.“

Solche Positionen mögen unbequem sein. Dass es Gegenwehr gibt, wenn sie laut gesagt werden, ist nachvollziehbar. Aber es macht die Initiative des Grünen-geführten Familienministeriums noch lange nicht falsch.

Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa