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US-Gesetze gegen Abtreibung sind lebensgefährlich – kaum jemand redet mehr darüber!

von | Jan 10, 2023 | Aktuelles

CN: In diesem Artikel werden Abtreibungen/Schwangerschaftsabbrüche und eine Fehlgeburt thematisiert. Wenn du dich mit den Themen nicht wohlfühlst, lies dir diesen Artikel bitte nicht durch.

„Ich werde einfach auf diesem Tisch verbluten“

Willkommen in Amerika: Dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ – außer wenn es um deinen eigenen Körper geht! Ein aktuelles Beispiel ist die Geschichte einer jungen Frau aus Idaho. Auf Twitter zeigt sie, wie sie mit tränenüberströmtem Gesicht in einem Krankenhausbett liegt. Sie erzählt davon, wie ihr ein Schwangerschaftsabbruch verweigert wird. Und das, obwohl sie das Kind bereits verloren hat: „I’ve been actively miscarring since the 8th. I have gone to a doctor; this is my second visit to the ER. […] I’m just gonna fucking bleed out on this table before somebody comes and actually helps me.“

„Ich habe seit dem 8. Oktober das Kind verloren*. Und ich bin bereits zu einem Arzt gegangen; dies ist mein zweiter Besuch in der Notaufnahme. […] Ich werde verdammt noch einmal einfach auf diesem Tisch verbluten, bevor jemand kommt und mir endlich hilft.“

Gerichtsurteil löste sog. „Trigger Laws“ aus – und das verursacht direkt Leid

Die Entscheidung, das Urteil Roe vs. Wade (hier wird die Geschichte hinter dem Urteil erklärt) nach knapp 50 Jahren zu kippen, war ein Schlag ins Gesicht für alle, denen bis dato etwas an ihrer körperlichen Selbstbestimmung lag. Im Juni 2022 entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika, dass jenes Grundsatzurteil, welches seit 1973 Schwangerschaftsabbrüche als fundamentales Recht geschützt hatte, nun nicht mehr gelte. Damit bleibt es den einzelnen Staaten überlassen, Abtreibungen entweder zu verbieten oder zu erlauben. Hier ein kurzer Side-Fact, der einfach nur wütend macht: 13 Bundesstaaten bereiteten noch vor der öffentlichen Verkündung der Abschaffung des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch sogenannte „trigger laws“ vor. Diese traten gleichzeitig mit der finalen Urteilsverkündung in Kraft und sorgten in vielen Staaten für ein sofortiges Verbot von Abtreibungen.

Abtreibungsgegner:innen bereiteten sich also gezielt darauf vor, welche Gesetze kommen sollen, wenn Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr als Grundrecht gelten. Seit dem Urteil sind Schwangerschaftsabbrüche in 25 der 50 Staaten gänzlich illegal oder sollen demnächst unter Strafe gestellt werden. In drei weiteren Staaten ist das Recht auf eine Abtreibung nicht mehr gesetzlich geschützt. In Texas müssen Ärzt:innen sogar lebenslänglich ins Gefängnis und eine Geldstrafe von 100.000 USD zahlen, wenn sie einen Abbruch durchführen. Selbst wenn die Patientin den Eingriff infolge einer Vergewaltigung oder Inzest benötigt.

„Pro-Life“ nur, wenn es ins fundamentalistische Weltbild passt

Wenn die Frau aber anschließend ihr Leben lang aufgrund ihrer Erfahrungen traumatisiert ist oder deshalb sogar Suizid begeht, interessiert das niemanden mehr. Die irreführende Selbstbezeichnung „Pro-Life“ (Für das Leben) heißt nämlich nicht, dass sich um jene gekümmert wird, die schon da sind, sondern nur um die, die vielleicht irgendwann auf die Welt kommen würden. Nur wenn das Leben der Schwangeren akut in Gefahr sei, könnte über einen Abbruch der Schwangerschaft nachgedacht werden. So steht es zumindest in den Gesetzestexten von zum Beispiel Louisiana und Idaho.

Wie gut diese Regelung aber (nicht) funktioniert, sieht man am Beispiel zu Anfang dieses Artikels. Eine junge Frau wird trotz einer erlittenen Fehlgeburt nicht ausreichend behandelt. Ärzt:innen schätzen ihre Situation als nicht lebensgefährlich ein und schickten sie mehrmals nach Hause, weil sie den Embryo nicht aus ihrem Bauch entfernen wollen – und das, obwohl er bereits verstorben ist! Nun muss die (traumatisierte!) Frau warten, bis sich ihr Gesundheitszustand so massiv verschlechtert, dass sie eine Behandlung erhält. Ihr darf also erst geholfen werden, wenn ihr Leben in Gefahr ist.

10-Jährige nach sexuellem Missbrauch schwanger – durfte nicht abtreiben!

Ein anderes Beispiel für die furchtbaren Ausmaße und Einschränkungen bei Schwangerschaftsabbrüchen ist der Fall eines 10-jährigen Mädchens aus Ohio. Dieses wurde nach einem sexuellen Missbrauch schwanger. Weil aber Abtreibungen in ihrem Heimatstaat verboten sind, musste sie in den benachbarten Bundesstaat Indiana gefahren werden, damit ihr dort geholfen werden konnte. Das Fortführen ihrer Schwangerschaft hätte für das junge Mädchen wahrscheinlich undenkbare körperliche sowie psychische Folgen gehabt und war daher unter keinen Umständen möglich.

Staaten, in denen strenge Abtreibungsregelungen herrschen, haben übrigens eine deutlich höhere Müttersterblichkeitsrate als Staaten, in denen Abtreibungen frei zugänglich sind. Aber auch im Vergleich mit anderen Industrieländern weist die USA eine besorgniserregend hohe Müttersterblichkeitsrate auf: Im Jahr 2020 lag diese in den USA bei 24 Todesfällen pro 100.000 Menschen, die während der Schwangerschaft oder innerhalb der ersten 42 Tage nach der Geburt verstarben.

Bei afroamerikanischen Frauen liegt die Müttersterblichkeitsrate sogar noch höher: 2020 starben 55 pro 100.000 (werdende) Mütter in den USA. Zum Vergleich: In Deutschland lag die Müttersterblichkeit 2020 bei vier pro 100.000 (werdenden) Müttern. Das zeigt mal wieder, wie katastrophal die Gesundheitsversorgung in den Vereinigten Staaten doch ist.

Besonders makaber: Entwicklungsgelder nur für Gegner von Abtreibungen!

Trotz der Missstände innerhalb des Landes unterstützen die USA die internationale Gesundheitsversorgung durch Spenden enorm: 2020 gaben die USA knapp 10,5 Milliarden USD für die Verbesserung der globalen Gesundheit aus. Das ist mehr als jedes andere Land! Gleichzeitig setzen sich die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren massiv für den Kampf gegen HIV/AIDS und Kinder- und Müttersterblichkeit ein. Was auf den ersten Blick zwar positiv aussieht, bringt auch Schattenseiten hervor. Durch den großen finanziellen Einfluss der USA auf die globale Gesundheit wächst auch ihr Mitspracherecht, wie dieses Geld verwendet wird.

So haben beispielsweise in der Vergangenheit (ausschließlich) republikanische (Ex-)Präsidenten der USA vergebene Entwicklungsgelder an die sogenannte „Mexico-City-Policy“ geknüpft. War diese in Kraft, durften nur jene NGOs Gelder erhalten, die NICHT über Schwangerschaftsabbrüche aufklären, sie durchführen oder sich für deren Legalisierung einsetzen. Mehr zur Mexico-City-Policy findet ihr in diesem PDF ab Seite 16. Konservative US-Regierungen nutzten also bereits nachweislich ihre finanzielle Macht weltweit aus, um NGOs zu erpressen, Aufklärung zu verhindern und Frauen auf der ganzen Welt ihrer Rechte zu enteignen. Das fast gänzlich unbekannt und ohne Widerstand.

Fazit: Abtreibungen verbieten ist lebensgefährlich und diskriminierend!

Nach der Urteilsverkündung am 24. Juni 2022 gingen Hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt auf die Straße. Der Protest gegen diese rückschrittliche, unwissenschaftliche und diskriminierende Entscheidung war laut. Heute, sechs Monate später, ist es eher still geworden. Zugegeben, es ist viel passiert in der Welt. Aber trotzdem sollte ein so wichtiges Thema nicht nach wenigen Wochen in irgendeiner Versenkung verschwinden. Wir dürfen nicht aufhören, laut zu sein und für unsere Rechte und unsere Freiheit zu protestieren. Aufklärung ist dabei ein zentraler Aspekt. Deshalb hier noch mal ein kleiner Reminder für alle:

Ein Abtreibungsverbot verhindert keine Abtreibungen. Es verschlechtert nur die Bedingungen jener Menschen, die trotzdem eine durchführen lassen!

Bereits im vergangenen Sommer berichteten wir zum Fall Roe vs. Wade. Mehr dazu:

*In einer früheren Version wurde „miscarring“ zwar direkter, aber irreführender ins Deutsche mit „Fehlgeburt“ übersetzt. Bildquelle: canva.com / twitter.com