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Gerichtsbeschlüsse Weimar & Weilheim: Koordinierte PR-Stunts der Querdenker?

von | Apr 15, 2021 | Aktuelles

Querdenker:innen fluten Gerichte mit Musteranträgen

Vor allem ein Beschluss des Familiengerichts aus Weimar sorgte für viel Aufregung unter Pandemie-Leugner:innen und Verschwörungsideolog:innen: Ein Richter erklärte in einem fast 200 Seiten langen Beschluss, dass die Masken-, Test- und Abstandspflicht von Kindern aufgehoben seien. An dem Beschluss war jedoch so ziemlich alles schief: Er stützte sich ausschließlich auf pseudowissenschaftliche „Gutachter:innen“, die längst widerlegte Fake News über Corona wiederholten, und auch juristisch überschritt der Richter wohl seine Kompetenzen, sodass die Regierung Thüringens sich gezwungen sah zu erklären, dass der Beschluss keine Auswirkungen auf die Corona-Maßnahmen habe, entgegen der Propaganda der Querdenker:innen. Unser ausführlicher Faktencheck hier:

Querdenker freuen sich zu früh: Quatsch-Beschluss aus Weimar hat „keine Auswirkungen“

Die Entscheidung könnte für den Richter sogar noch Folgen haben: Die Staatsanwaltschaft prüft inzwischen drei Anzeigen gegen ihn wegen Rechtsbeugung (Quelle), auch wenn wegen der Unabhängigkeit der Richter:innen wohl kein Strafbestand vorliegen dürfte, meint Anwalt Jun (Quelle). Thüringen hat bereits angekündigt, gegen den Beschluss rechtlich vorzugehen. Und Weimar ist nicht mehr ein Einzelfall, inzwischen hat ein weiteres Amtsgericht die Maskenpflicht an Schulen mit ganz ähnlicher Begründung aufheben wollen (Quelle). Wieder fand es ohne mündliche Verhandlung statt, wieder wurden umstrittene Gutachter:innen genutzt, wieder mit Fake News begründet.

Deutsche Gerichte mit Querdenker:innen-Anträgen geflutet

Wer von den Beschlüssen erfährt, könnte den Eindruck gewinnen, dass etwas an den pseudowissenschaftlichen Argumenten dran sein müsse, wenn schon das zweite Amtsgericht diesen gefolgt ist. Und das ist Teil des Plans der extremistischen Querdenker:innen. Denn dahinter steckt eine koordinierte Aktion der organisierten Gruppen, die Musteranträge erstellt haben, damit die deutschen Gerichte damit geflutet werden. Die wissenschaftlichen Argumentationen sind Unsinn, die juristischen auch, aber die Bewegung zeichnet sich seit einem Jahr schon dadurch aus, auf immer mehr Desinformation hereinzufallen und fanatisch daran festzuhalten.

In ihrer Vorstellung funktioniert das so: Man sucht ganz bestimmte Einzelfälle, die man mit pseudowissenschaftlicher Begründung aufheben könne, wie hier Maskenpflicht an Schulen. Man glaubt, mit diesen Einzelfallentscheidungen könne man, besonders, wenn diese vermehrt auftreten, Präzedenzfälle schaffen und sozusagen gerichtlich verbrieft die juristischen Grundlagen der Corona-Maßnahmen untergraben. Dazu gehören diverse Klageversuche des selbst erklärten „Corona-Ausschusses“ und Desinformations-Verbreiter Fuellmich. Dessen Machenschaften haben wir hier beschrieben:

Fatale Niederlagen für Fuellmich – Gericht bestätigt, dass PCR-Tests Infektionen nachweisen

In Weimar wurde der Antrag sogar so gestellt, dass er ganz gezielt bei jenem Richter landete (Quelle). Man suchte bewusst nach Eltern, deren Nachnamen bestimmte Anfangsbuchstaben enthielten, um den für diese Buchstaben zuständigen Richter zu erhalten. Offenbar wusste man, dass dieser in ihrem Sinne entgegen Recht und Wissenschaft entscheiden würde. Es gibt jedoch viele weitere Versuche der Querdenker:innen, die unerwähnt bleiben. Mit Absicht.

Diese abgelehnten Anträge verschweigen Querdenker

Ein sehr ähnlicher Antrag landete beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, wurde dort aber abgeschmettert (Quelle). Auch in Bremen wurden fünf solcher Anträge eingereicht (Quelle). Ebenso wurde in München so ein Antrag abgelehnt (Quelle). In Hannover sollen über 100 Anträge mit der gleichen Zielsetzung (erfolglos) eingereicht worden sein (Quelle). Antragsentwürfe werden in den Telegram-Gruppen der Querdenker:innen geteilt und es werden viele Eltern aufgerufen, die fertigen Anträge mit vorgefertigten Quatsch-Begründungen einzureichen.

Es ist ein gezielter Plan, in der Hoffnung, auf Richter:innen zu stoßen, die sich mit der Thematik nicht auskennen oder gewillt sind, in deren Sinne zu beschließen. Dass die abgelehnten Anträge die stattgegebenen zahlenmäßig übersteigen dürften, und dass selbst die stattgegebenen ohnehin keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen haben, spielt für die PR-Kampagne der Pandemie-Leugner:innen eigentlich keine Rolle. Da diese sicher sein können, dass ihre Anhänger:innen derart fanatisch sind, dass sie alle Meldungen, die ihrer Weltanschauung widersprechen, ohnehin nicht glauben, können sie sie gezielt mit den Meldungen füttern, die diese hören wollen.

Man verschweigt gezielt alle Urteile und Beschlüsse, die wiederholt (und an den zuständigen Gerichten) dem Stand der Wissenschaft folgen und versucht durch einseitige und gezielt verursachte Beschlüsse wie in Weilheim und Weimar die eigenen Narrative zu befeuern, um Verunsicherung bei der Bevölkerung auszulösen und öffentlichen Druck auszuüben, um Corona-Maßnahmen aufzuweichen und zu untergraben – wie sie es seit Monaten mit höchstens mäßigem Erfolg versuchen.

5 Fälle, in denen Querdenken versehentlich für Verschärfung von Maßnahmen sorgte!

So feiern sie das auswirkungslose Urteil aus Weimar als „Hammer-Urteil“, verschweigen aber, dass das in Wirklichkeit zuständige Oberverwaltungsgericht bereits im Dezember 2020 die Maskenpflicht an Thüringer Schulen als „verhältnismäßig“ bestätigt hat (Quelle). Oder dieser Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, der alle juristischen Fake-Anträge der Querdenker zerlegt hat: Kein Wort in der Querdenker-Szene:

DIESEN Gerichtsbeschluss zu Corona-Maßnahmen verschweigen dir Querdenker

Fazit: koordinierte PR-Kampagne

Es sind die gleichen Narrative und juristischen und pseudowissenschaftlichen Argumentationen, die seit Monaten in der fanatischen Filterblase kursieren: Überzeugt davon, dass Corona harmlos und die Maßnahmen sinnlos seien, sucht man täglich danach, sich mit Lügen, Verdrehungen und herausgepickten Kleinigkeiten davon zu überzeugen und sich gegenseitig einzureden, dass alle anderen, der Großteil der Bevölkerung, Medien und Wissenschaft, aus welchen Gründen auch immer Teil einer Verschwörung seien. Es sind psychologische Mechanismen, wie man sie von Sekten kennt.

Die Querdenker:innen, die in vielen Bundesländern bereits vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil sie sich durch die Fake News immer weiter radikalisiert haben und gegen Recht und Verfassung ankämpfen sowie eng vernetzt mit der rechtsextremen Szene sind, die deren Lügen und Verschwörungsmythen aufgreift, um die Bewegung zu unterwandern, versuchen mit allen Tricks und Täuschungen ihre falschen Weltanschauungen der restlichen Gesellschaft aufzuoktroyieren. Beschlüsse wie aus Weimar oder Weilheim sind Teil davon und ihr Zweck ist vor allem propagandistischer Natur.

Artikelbild: Alexander Kirch

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.