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Das “Aha-High”: Wie Verschwörungstheorien die Gehirne unserer Freunde hacken

von | Mai 1, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona

Das “Aha-High” – Verschwörungsmythen funktionieren wie Drogen

Um uns gegen Verschwörungsmythen zu impfen, müssen wir verstehen, wie dieser Quatsch es schafft, die Gehirne unserer Mitmenschen zu hacken. Es funktioniert ganz ähnlich wie bei Drogen.

Der Aha-Effekt

Wir alle kennen das, wenn wir etwas lange nicht verstehen – dann kommen wir plötzlich auf die Lösung und rufen: “Aha” oder, wenn wir griechischer Philosoph sind, “Heureka” – „Ich habe es gefunden“.

Damit ist ein großer Glücksmoment verbunden, und in Verbindung mit viel Arbeit und Fleiß hilft dieser Mechanismus aus dummen Kleinkindern gebildete Erwachsene zu machen, die sich ihres Verstandes bedienen können.

Forscher*innen haben herausgefunden, dass dabei Dopamin im Gehirn ausgeschüttet wird, was eine “Glücksreaktion” auslöst. Das ist notwendig, damit wir motiviert sind, auch mal über komplizierte Sachen nachzudenken – etwas, das wir sonst normalerweise auch gerne mal vermeiden. Wir suchen den Aha-Effekt und deswegen beschäftigen wir uns mit Wissenschaft oder allerhand komplizierten Themen in unseren jeweiligen Fachbereichen.

Verschwörung: Info-Droge für unser Gehirn

Verschwörungsmythen sind sehr verheißungsvoll: Sie versprechen einen vorgetäuschten Aha-Effekt, bei dem man gar nicht so angestrengt über eigentlich komplexe Zusammenhänge nachdenken muss.

Sie funktionieren im Grunde wie ein Porno: Sie simulieren dem Gehirn ein Glückserlebnis, das normalerweise nicht einfach dauernd verfügbar ist. Normalerweise muss man sich anstrengen, um interessantes Wissen zu finden und zu validieren. Echte Wissenschaft und Recherche ist harte Arbeit. Beim Drogenkonsum führt eine solche künstliche Dopamin-Ausschüttung zur Sucht (Quelle).

Das Dopamin, was beim Fake-Aha ausgeschüttet wird, fühlt sich natürlich trotzdem ziemlich echt und gut an. Und wieso sollte man eine Information hinterfragen, die sich gut anfühlt? Besonders in einem bestärkenden Umfeld, wie einer Verschwörungs-Facebook-Gruppe?

Schauen wir uns dafür ein Beispiel an

Dies habe ich in der Facebook Gruppe “Q German” gefunden. Dafür muss man wissen: COVID-19 steht für COrona VIrus Disease 2019. Also die Coronavirus Erkrankung, die zuerst 2019 nachgewiesen wurde. Den Begriff “Certificate of Vaccination ID” gibt es so im Englischen gar nicht. Und er ist auch irgendwie doppelt gemoppelt, normalerweise ist irgendwas entweder ein certificate oder eine ID. Außerdem muss man dazu wissen, dass Gates natürlich nicht alle chippen will. Here it goes:

Versucht einmal kurz nachzufühlen, was diese Leute da gerade fühlen. Man merkt: Die sind begeistert angesichts dieser total dummen Information. Die haben grade einen Aha-Effekt-High.

Verschiedene Äußerungen hier sind schon eingeschliffen und konditioniert. Zum Beispiel die Aussage “Kein Zufall” – warum eigentlich kein Zufall? Wie bei einem Ritual wird das Aha-High abgefeiert und durch gegenseitige Bestärkung noch zigfach verstärkt. Keiner kommt auf die Idee, mal zu googlen, wofür die Abkürzung wirklich steht – das wäre ja auch zu viel kognitive Anstrengung.

Dosis steigern

Genau wie beim Drogenkonsum wird man ebenso süchtig nach den Dopamin-Kicks. Man will mehr vom selben Stoff. Deshalb saugen sich die Verschwörungs-Influencer*innen immer neue Stories aus den Fingern, um ihren Konsument*innen den nächsten Kick zu verschaffen.

Für neue künstliche Aha-Effekte lohnt es sich auch, nicht nur bei einem Bereich bleiben. Man muss auch mal anderen Stoff ausprobieren. Wer mit Corona-Verschwörung eingestiegen ist, kommt schnell bei der Welt-Verschwörung wieder raus, bei der geheime Mächte (meistens jüdische) vermeintlich die gesamte Welt kontrollieren.

Immer mehr Mythen beginnen dann den Verstand der Person zu vernebeln, bis das gesamte Weltbild von gigantischen Verschwörungen durchdrungen ist. Man sieht überall böse Mächte, der Glaube an das Gute im Menschen geht den Abhängigen in kürzester Zeit verloren. Beziehungen zerbrechen, wenn ein*e Partner*in abhängig ist. Menschen radikalisieren sich.

Bis die Menschen anfangen, so absurde Dinge zu tun, wie sich selbst Desinfektionsmittel zu spritzen, weil der Verschwörungsdealer das empfiehlt. Bis sie dann mit einem Sturmgewehr in einen Pizzaladen laufen – auf der Suche nach dem nächsten Aha-Kick – weil sie nachprüfen wollen, ob dort Kinder gefangen gehalten werden (Quelle). Und bis sie wirklich so weit gehen, durch Terroranschläge Menschen töten. So war es unter anderem in Hanau (Quelle Quelle Quelle).

Fazit

Wir müssen uns kollektiv gegen eine solche Zerstörung unserer Gehirne immunisieren. Der beste Weg ist, uns darüber bewusst zu werden, wie die Mechanismen der Verschwörungsmythen funktionieren. Verschwörungsinfluencer*innen dealen mit Fake-Ahas und Hunderttausende Menschen sind bereits süchtig danach. Viele weitere werden gerade jetzt in der Corona-Krise ebenso den Bezug der Realität verlieren, wenn wir nicht gegenhalten.

Echtes Unrecht aufzudecken ist harte Arbeit und erfordert einen klaren Geist und funktionierende Selbstregulation. Um kritisch zu sein, muss man nämlich auch selbstkritisch sein, und das schaffen Abhängige nicht.

Artikelbild: Suzanne Tucker